Kritik am Ansatz der Messe

CeBIT auf dem Digitalisierungstrip

03.03.2015 von Werner Kurzlechner
Analysten kritisieren Einfallslosigkeit der Veranstalter, Anwender dürfen immerhin auf konkrete Use Cases hoffen. Das Leitthema Digitalisierung signalisiert, dass die alten auch die neuen Trends sind.

Die Mischung aus Jungmännerzorn im Blick und Weichheit in Melodie und Stimme wirkte frisch und garantierte sofortigen Erfolg - damals vor genau 45 Jahren, als Peter Maffay seine erste Single "Du" veröffentlichte. Lange her. In diesem Jahr kommt der Überlebenskünstler der Schlagerrockbranche als Stargast zur CeBIT, gewissermaßen ein Dinosaurier aus dem Tabaluga-Paralleluniversum. Und das erscheint durchaus programmatisch für die Messe, die von 16. bis 20. März in Hannover stattfinden wird.

Als Topthema wählten die Veranstalter in diesem Jahr "d!conomy". Unter diesem Dach stehen sechs Markttrends im Fokus: Big Data & Cloud, Digitale Transformation, Internet der Dinge, Mobile, Security und Social Business.

Themenwahl mit Rocker-Mähne

"Die digitale Economy - kurz d!conomy - wird sich als Thema auf nahezu allen Ständen der Unternehmen, in den CeBIT Global Conferences und den vielen Fachforen in den Messehallen wiederfinden", kündigt Oliver Frese, Vorstand der Deutschen Messe AG, an. "Die Digitalisierung ist der Megatrend." Und unter diesem Label kreist die Messe wie es scheint um die Trendthemen, die die IT-Welt seit Jahren beschäftigen und denen mindestens schon eine Maffay-Mähne gewachsen sein dürfte.

Analysten bewerten die Themenwahl der CeBIT in jedem Fall kritisch. "Das Schlagwort Digitalisierung dient sozusagen als Klammer für die großen wichtigen, aber nicht unbedingt neuen technologischen Trends", sagt Lynn-Kristin Thorenz, Analystin bei IDC. "Leider wird der Begriff mittlerweile so extrem benutzt, dass beinahe alles unter diesem Etikett läuft."

Pascal Matzke formuliert es noch härter. "Ich finde das Topthema nicht glücklich gewählt", sagt der Analyst von Forrester Research. "Überhaupt ist es der falsche Ansatz, immer noch alles von der Technologie her zu denken." Derzeit vollziehe sich ein Paradigmenwechsel dahin, mit Hilfe von innovativer Software und Hardware wirklich neue Wertschöpfungsmodelle zu entwickeln.

"Es geht in erster Linie um vernetzte Produkte", so Matzke. So stelle zum Beispiel die Timken Company aus Ohio inzwischen Kugellager mit eingebauten Sensoren her, die direkt Performance-Daten in verbundene Systeme einspeisen. Vergleichbares produziere in Deutschland auch die Freudenberg-Gruppe. Der Weg zu derlei neuartigen Vernetzungen müsste nach Matzkes Ansicht noch von deutlich mehr deutschen Firmen als bislang beschritten werden - und die CeBIT müsste demnach, stärker als momentan von ihr zu erwarten ist, ihre Besucher gezielt auf diesen Pfad führen.

Hannover Messe spannender als CeBIT

"Im Grunde ist die Hannover Messe, aus der die CeBIT einst hervorging, mittlerweile die spannendere Veranstaltung", sagt Matzke. Auf der Industriemesse stehe nämlich das gesamte Wertschöpfungspotenzial neuer Technologien im Mittelpunkt, während das CeBIT-Blickfeld doch stark auf die klassische IT-Abteilungsperspektive verengt sei.

In ihrer Diagnose klingen die Analysten durchaus ähnlich, unterschiedlich bewerten sie indes die sinnvollen Therapieansätze. Matzke geht davon aus, dass die auf der Messe präsenten IT-Entscheider ohnehin eine ausgeprägte Offenheit in digitalen Angelegenheiten mitbringen und deshalb auf einem fortgeschrittenen Stand abgeholt werden müssten.

IDC-Analystin Thorenz äußert sich über die CeBIT-Konzeption hingegen milder. Die wirklich neuen Technologie-Trends seien in der Tat nicht zu erwarten. Allerdings seien die Startschwierigkeiten vieler Anwender in Sachen Digitalisierung auch noch ausgeprägt. Deshalb fange die Messe sicherlich viele IT-Leiter und CIOs dort ein, wo sie tatsächlich stehen.

Gefragt seien aktuell immer noch Use Cases für die digitale Transformation, Antworten auf die Frage nach der Gestaltung des Arbeitsplatzes der Zukunft, und auch Beispiele für veränderte Geschäftsprozesse und Ideen für neue Geschäftsmodelle.

"Auch die vielen Hidden Champions aus dem Mittelstand mit ihren zum Teil sensationell erfolgreichen Produkten sollten jetzt auf den losfahrenden Zug aufspringen", fordert IDC-Analystin Lynn-Kristin Thorenz.
Foto: IDC

"Die reine Unterstützungs-IT ist nicht mehr zeitgemäß", sagt Thorenz. "Auch die vielen Hidden Champions aus dem Mittelstand mit ihren zum Teil sensationell erfolgreichen Produkten sollten jetzt auf den losfahrenden Zug aufspringen."

Angebote für den Mittelstand

Um den Mittelstand bemüht sich die CeBIT in diesem Jahr gezielt mit ausgeweiteten Angeboten. Neben einem Online-Test zum digitalen Reifegrad von Unternehmen auf cebit.de bieten unabhängige Experten in der Halle 5 Beratung kleinerer und mittlerer Unternehmen anhand konkreter Beispiele an.

In einer neu geschaffenen Mittelstandslounge können sich Unternehmen mit anderen Anwendern auf Augenhöhe austauschen. "Mit diesen neuen Angeboten bauen wir unser Konzept der 100-prozentigen Fachbesucher-Veranstaltung mit inhaltlicher Tiefe konsequent weiter aus und bieten insbesondere dem Mittelstand konkreten Mehrwert", sagt Veranstalter Frese.

"Für den Mittelstand ist die Transformation eine Herausforderung in Bezug auf die dafür notwendigen Skills sowie das Erkennen der Möglichkeiten im Umfeld von Internet of Things, um ihre weltweite Positionierung zu verteidigen oder wenn möglich auszubauen", kommentiert Luis Praxmarer von der Experton-Group. "Die Bedrohung durch Sicherheitslücken für Spionage und Sabotage wird im Mittelstand ebenfalls noch stark unterschätzt und bedroht damit eine der wichtigsten Wirtschaftssäulen Deutschlands."

Gastland China schickt Konzerne

China preist Messe-Chef Frese als das "stärkste Partnerland aller Zeiten": "Wir erwarten mehr als 600 Aussteller aus China, darunter internationale Konzerne wie Alibaba, Huawei, Xiaomi und ZTE." Alibaba-Gründer Jack Ma wird gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die CeBIT am 15. März auch eröffnen.

Für Startups

Eine besonders junge Messe soll es in diesem Jahr werden mit rund 350 Startups in den 15 Veranstaltungshallen. Insbesondere aber in Halle 11, wo der neue Bereich "SCALE 11" dem gesamten Ökosystem um Startups als Plattform für die Geschäftsentwicklung dient. Vertreten sind dort auch internationale Konzerne mit ihren Inkubatoren, Finanzinvestoren und Beratungsunternehmen.

Die ebenfalls in Halle 11 platzierte Developer World bringt die jungen Unternehmen mit Software-Entwicklern zusammen. "Wir werden auf der CeBIT eine sehr kreative und geschäftstüchtige Atmosphäre erleben", sagt Frese. "Möglicherweise ist ja auch das nächste große Ding dabei." Auch die Halle 9 mit dem Schwerpunkt Research & Innovation werde auf den Ständen der Hochschulen und Forschungsinstitute zahlreiche Spin-off-Unternehmen präsentieren.

Amazon kehrt zurück

Findet Hannover Messe inzwischen spannender als die CeBIT: Forrester-Analyst Pascal Matzke.
Foto: Forrester Research

Unkenrufen über eine suboptimale Themenwahl und Messekonzeption kann die Messe die Rückkehr von namhaften Unternehmen wie beispielsweise Alcatel-Lucent Enterprise Deutschland, Amazon Webservices, Rittal, Schneider Electric und Konica Minolta entgegenhalten. "Zahlreiche Aussteller haben ihre Stände im Vergleich zum Vorjahr noch einmal ausgebaut, etwa Samsung, Huawei, Hasso-Plattner-Institut, Intel, HP und ZTE", teilt die Deutsche Messe mit. "Volkswagen und RWE engagieren sich bei SCALE 11 als Industriepartner und der Elektroauto-Pionier Tesla stellt erstmals im Bereich IT enables in der Halle 12 aus."

"IT enables" ist übrigens der Messe-Bereich, in dem das Thema Industrie 4.0 plastisch werden soll. Gezeigt werde dort, "wo IT-Lösungen zum Internet der Dinge bereits eingesetzt werden und ihren Anwendern Vorteile im Wettbewerb verschaffen", heißt es vom Veranstalter. "Bei diesem Konzept herrscht in Deutschland immer noch eine abwartende Haltung vor", sagt IDC-Analystin Thorenz dazu. "Dabei wäre es wichtig, die Wahrnehmung des Internets der Dinge nicht auf die Industrie zu reduzieren." International habe man die vielfältigeren Möglichkeiten des Themas schon erkannt, hierzulande erschöpfe sich vieles hingegen noch an der Entwicklung einzelner Leuchtturmprojekte.

Prominente Sprecher haben für die IT-Konferenz CeBIT Global Conferences zugesagt: US-Ökonom Jeremy Rifkin, Investigativ-Journalist Glenn Greenwald, Nato-Generalsekretärvize Jamie Shea, Samung-Marketing-Chef Won Pyo Hong, Infosys-CEO Vishal Sikka, Huawei-Chef Lida Yan, Xiaomi-Mitgründer Lei Jun, Better Place-Gründer Shai Agassi, AirBnB-Europachef Olivier Gremillon und TransferWise-Mitgründer Taavet Hinrikus.

CIO-Anwenderverband Voice in Halle 4

Eine wichtige Anlaufstelle für CIOs, IT-Entscheider und an Enterprise IT interessierte Besucher ist erneut in Halle 4 zu finden, in der sich der Verein Voice präsentiert. Dort wird es einen ähnlichen Auftritt wie im Vorjahr geben. "Größe und Gestaltung des Standes bleiben annähernd gleich", kündigt Voice an. "Netzwerken und Erfahrungsaustausch der Mitglieder erhalten in diesem Jahr mehr Raum." Öffentliche Veranstaltungen konzentrieren sich in diesem Jahr auf die Nachmittage.

Am Montag wird Voice dabei ein aktuelles Positionspapier vorstellen, das eine Stellungnahme zu den zehn wichtigsten IT-Enterprise-Themen und deren Auswirkungen in den Geschäftsmodellen der Unternehmen enthält. Am Dienstag geht es inhaltlich um digitale Transformation und Industrie 4.0, am Mittwoch um Security.

Voice präsentiert dann die bisherigen Fortschritte und Ansätze des Cyber Security Competence Center (CSCC). "Unsere Mitglieder haben verstanden, dass das Thema Cybersicherheit weiter an Bedeutung gewinnt", sagt Thomas Endres, Vorsitzender des Voice-Präsidiums. "Ihnen geht es darum, die Effektivität ihrer Sicherheitsanstrengungen zu verbessern, deshalb arbeiten sie im CSCC eng zusammen und tauschen ihre Erkenntnisse aus."

Voice und das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen werden auf der CeBIT eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnen. Ihre Zielsetzung ist es, das Bewusstsein um die Gefahren des Cyber Crime zu schärfen. Außerdem wollen sie zusammenarbeiten um bessere phänomenologische Erkenntnisse zu erhalten, technische Kompetenzen zu erweitern, die Prävention fortzuentwickeln sowie den Wissenstransfer zur Bekämpfung von Cyber Crime zu intensivieren.

Antworten zum Lizenzmanagement

Thema des Donnerstags ist IT-Vertrags und Software-Asset-Management. Voice fordert in diesem Zusammenhang Vereinfachungen der Preismodelle. Vereinsmitglieder und Asset-Spezialisten, die intensiv in einer Special Interest Group zu dem Thema recherchieren, beantworten am Stand alle Fragen zum Vertrags- und Lizenzmanagement. Mobility und Big Data werden am Freitag diskutiert. Neben den Nachmittagsveranstaltungen verspricht Voice, auch bei anderen CeBIT-Aktionen wie "Scale 11" und "IT enables" Flagge zu zeigen. Weitere Infos finden sich auf der Voice-Website.

CeBIT-Gast Peter Maffay singt übrigens auf der Messe keine alten Nummern, sondern präsentiert am 18. März eine eigene Lösung: Tabaluga SOS, ein Produkt der migardo GmbH in Kooperation mit Tabaluga Enterprises. Es handelt sich dabei um eine Notfall-App für Kinder.