August-Wilhelm Scheer

CIOs entwickeln sich zu Chief Process Officers

07.06.2005 von Riem Sarsam
Professor August-Wilhelm Scheer hat nach 30 Jahren seine Universitätskarriere beendet. Mit der CIO-Redaktion sprach er über praxisnahe Wissenschaft, das deutsche Bildungssystem und die Ausbildung künftiger CIOs.

CIO: Im Mai 1975 kamen Sie an die Universität Saarbrücken. Haben Sie in diesem Mai Ihren Ausstieg richtig gefeiert ?

SCHEER: Ich hätte dieses Jubiläum gerne vollendet. Aber an der Stelle, wo man ein Herz haben sollte, hat das Ministerium einen Paragraphen. Und der schreibt vor, dass man nur am Ende eines Semesters aussteigen kann. Also bin ich offiziell schon Ende Februar verabschiedet worden. Allerdings gab es eine große 30-Jahr-Feier. Können Sie sich noch an Ihre erste Vorlesung erinnern? Natürlich: Ich kam im bereits begonnenen Semester an die Universität Saarbrücken. Damit ich noch mein Gehalt erhielt, musste ich eine Vorlesung nachmelden. Ich schritt also am ersten Tag erwartungsvoll den Gang entlang und öffnete die Tür. Doch anstelle eines brechend vollen Hörsaals wartete gerade mal ein Student auf mich. Helmut Krcmar – heute Professor an der TU München – war der Einzige, der neugierig auf den neuen Professor war.

Sie waren einer der ersten deutschen Wirtschaftsinformatiker und haben für die Arbeit an der Universität konsequent auf Drittmittel zugegriffen. Was hat Sie damals zu diesem Schritt bewogen?

Als ich an der Universität begann, bekam ich eine halbe Sekretärinnen- und eine halbe Assistenten-Stelle. Das sind zu wenige Ressourcen, wenn man sinnvoll eine angewandte Disziplin betreiben will. Ich wollte im Rahmen von Forschungsprojekten Prototypen erstellen und interdisziplinär arbeiten; das unterscheidet die Wirtschaftsinformatik von der theoretischen Informatik. Also habe ich versucht, an Forschungsgelder heran zu kommen, um das Institut besser ausstatten zu können.

Und seitdem fließen die Gelder?

Der erste Antrag, den ich bei der DFG gestellt hatte, wurde prompt abgelehnt. Ich war enttäuscht. Aber bei einer Ablehnungsquote von 30 bis 40 Prozent muss man eben auch die Statistik befriedigen und entsprechend mehr Anträge stellen. Insgesamt wurden am IWi über 30 Millionen Euro Drittmittel eingeworben, mit denen mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigt wurden und mit denen wir uns an großen Forschungsprojekten beteiligten.

Ausgründungen von Unternehmen aus dem universitären Umfeld wurden von der Wissenschaft durchaus skeptisch betrachtet. Wie kommt es, dass deutsche Wissenschaftler hier so zögerlich sind?

Lange Zeit hat man die Universitäten idealisiert. Sie waren vom wirtschaftlichen Leben abgekoppelt und damit auch einer Leistungsbeurteilung entzogen. Seitdem ich auch Unternehmer bin, betrachte ich das Universitätsleben kritischer. Dieses Anspruchsdenken, dass der Staat nur das Geld geben muss, ist nicht zeitgemäß. Gerade jetzt, wo selbst unsere gut ausgebildeten Hochschulabsolventen keine Jobs finden, müssen sich auch jene, die Geld vom Steuerzahler bekommen, der Frage nach der Nützlichkeit ihrer Forschung und Ausbildung stellen.

Wie können die Universitäten den Turnaround schaffen?

Primäre Aufgabe der Hochschule sind Forschung und Lehre. Aber darüber hinaus muss sie auch Ausgründungen von Unternehmen fördern - beispielsweise durch Forschungscluster oder ausgegliederte Forschungsinstitute. Das sehe ich in Deutschland zu wenig. Man sollte viel mehr Phantasie zulassen, um Ideen aus der Forschung besser zu verwerten.

Ist das nicht ein uralter Vorwurf an alle Universitäten?

Mittlerweile hat ein Umdenken stattgefunden, aber die Resultate lassen noch auf sich warten. Es gibt bislang kein Unternehmen, das aus den deutschen Universitäten oder Forschungsinstituten herausgegründet wurde und Weltrang erreicht hat. Die amerikanische Universität Stanford dagegen hat sich bei der Ausgründung an Google beteiligt und beim Börsengang viele hundert Millionen Dollar verdient. Auf diesem Weg erhält hat die Uni zusätzliche Mittel für die Ausstattung. Genau das ist unternehmerisches Denken und Handeln, Entrepreneurship an einer Hochschule.

Reicht ein Umdenken der Universitäten, um erfolgreichere Unternehmen zu bekommen?

Allein nicht. Ein weiterer Flaschenhals ist hierzulande die Verbindung von jungen Unternehmen zu großen Partnern, die sie mitziehen. In der IT lässt sich das sehr gut beobachten: Das beste Beispiel ist Microsoft. Wenn IBM nicht den Verkauf von MS DOS unterstützt hätte, wäre das Unternehmen sicher nicht so schnell groß geworden. Bei IDS war es beispielsweise die SAP AG, die uns insbesondere beim Aufbau von Auslandsniederlassungen Starthilfe gab.

Apropos Starthilfe. Denken Sie, dass Wirtschaftsinformatik heute noch das richtige Studium für künftige CIOs ist? Angeblich spielt die Technik für die IT-Manager nur noch eine untergeordnete Rolle.

Zweifelsohne bewegen sich die Aufgaben des CIOs in Richtung mehr fachlicher Kompetenz – hin zum Chief Process Officer. Für strategische Entscheidungen benötigt der IT-Verantwortliche aber nicht nur betriebswirtschaftliches Wissen, sondern auch Kenntnisse über Basistechnologie. Wie soll er sonst Innovationspotenziale, neue Systeme oder IT-Partner beurteilen?

Kann die Universität überhaupt auf so einen Posten wie den des ITManagers vorbereiten?

Der direkte Schritt vom Diplom zum CIO wird natürlich nicht klappen. Aber schon die Arbeit an anwendungsnahen Instituten hilft weiter. Wer Forschungsprojekte geleitet hat, übt sich auch in Menschenführung. Viele Projekte sind zudem heutzutage international, da gilt es auch Sprach- und Kulturgrenzen zu überschreiten. Das sind Vorbereitungen, die hinterher schnell zu Managementposten führen können. Die akademische Ausbildung allein leistet das nicht.

Ihre Forschung, aber auch Ihre Tätigkeit als Gründer und Vorsitzender des Aufsichtsrats der IDS Scheer AG ist eng verknüpft mit dem Geschäftsprozessmanagement. Nach drei Jahrzehnten: Ist die Lücke zwischen organisatorischem Denken und der IT als Werkzeug mittlerweile geschlossen?

Was ich mit „Aris“ entwickelt habe, war ein Kompromiss zwischen den Sprachwelten von Benutzern und IT-Spezialisten. Es galt abzuwägen wie viel Formalismus ich dem Benutzer zur Beschreibung seiner Geschäftsprozesse zumuten kann und wie nah ich bei der Technik sein muss, um ihren strengen Formalismus einzuhalten. Dafür bin ich von beiden Seiten kritisiert worden. Einigen Wissenschaftlern war dieser Ansatz nicht mathematisch genug, manch einem Praktiker war er immer noch zu kompliziert. Aber das macht nun mal einen Kompromiss aus. Und der Erfolg von Aris hat ja gezeigt, dass wir richtig lagen. Natürlich ist vieles davon noch nicht ideal, vor allem bei der Benutzerführung und bei der Integration von Prozessmodellierung mit den Anwendungssystemen. Da ist noch einiges zu tun, und wir arbeiten daran, so zum Beispiel mit SAP an der Integration von Aris mit Netweaver.

Das IWi ist fest mit Ihrem Namen verknüpft. Wie geht es dort nach Ihrem Weggang weiter?

Vor meiner Emeritierung habe ich dafür gesorgt, dass das Institut in eine vernünftige Rechtsform überführt und ins Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz eingegliedert wurde. Dort sind die Universität, das Land Saarbrücken sowie Unternehmen Gesellschafter. Damit ist gesichert, dass das Institut in der jetzigen Form weitergeführt werden kann.