Web-Services verändern das Business

Das automatische Software-Getriebe

04.03.2002 von Patrick Goltzsch
IT-Anwendungen ergänzen sich gegenseitig und eigenständig über das Netz; herkömmliche Software-Landschaften sind Vergangenheit: Was sich anhört wie zu Dotcom-Zeiten, ist nach Einschätzung der meisten Technologie-Analysten die nahe Unternehmenszukunft.

Web-Services erlauben den Zugang zu E-Businessund anderen Anwendungen über das Internet, sei es durch Firmen oder Privatpersonen. Das ist nicht neu; auch von herkömmlichen Websites lässt sich bereits Software herunterladen, sogar online starten. Doch dazu müssen Menschen mitwirken. Nicht so bei Web-Services: Die sind nämlich derart genau katalogisiert und in ihren Schnittstellen standardisiert, dass andere Programme selbsttätig darauf zurückgreifen können.

Fluglinien stellen Flugpläne und Statusmeldungen für Reservierungssysteme von Reisebüros oder einschlägige Websites zur Verfügung; das Warenwirtschaftssystem im Supermarkt wird von der Logistik-Software des Großhändlers über Produkt- und Preisänderungen informiert; und das alles, ohne dass die Software-Plattformen beim Reisebüro beziehungsweise beim Supermarkt verändert werden müssten. Ein Rad greift ins andere wie in einem komplizierten und dennoch wie geschmiert laufenden Getriebe.

Noch gibt es kaum nennenswerte Praxisbeispiele, doch glaubt man den Analysten, gehört dieser Technologie die Zukunft. Zum Jahreswechsel lagen eindeutige Berichte von Gartner, Meta Group und Yankee Group sowie von Butler, Forrester und anderen Technologie-Auguren vor. Die Bewertungen sind durchweg optimistisch, variieren jedoch, was die Einsatzbereiche von Web-Services angeht: Während die Meta Group die Möglichkeit der Enterprise Application Integration (EAI; siehe auch Seite 38), also der Zusammenführung aller Unternehmensanwendungen auf einer gemeinsamen Plattform, hervorhebt, denkt Charles Homs, Analyst bei Forrester Research, vor allem an automatisierte Transaktionen zwischen den Firmen.

Drei Technologien, drei Instanzen

Erste Ansätze zu Web-Services lieferte Hewlett-Packard (HP) bereits 1999 mit "E-Speak". Damit sollten Firmen ihre Anwendungen detailliert beschreiben und sie anderen Nutzern zur Verfügung stellen können. Der Erfolg blieb jedoch aus; HP schloss sich stattdessen der Entwicklung der Verzeichnistechnologie UDDI (Universal Description, Discovery and Integration) an, einem von drei Bausteinen für das heutige Konzept der Web-Services.

Im Mai 2000 akzeptierte das World Wide Web Consortium (W3C) als zuständiges Normgremium dann die zweite, Soap (Simple Object Access Protocol) genannte Komponente für den Dienstezugriff; neben den großen Anbietern HP, IBM und Microsoft beteiligten sich Spezialfirmen wie Iona und Userland an dieser Entwicklung. Ebenfalls unter der Schirmherrschaft des W3C entsteht gegenwärtig WSDL. Die Web Services Description Language dient dazu, Dienste standardisiert zu beschreiben; sie bildet den dritten Pfeiler. Alle drei Elemente basieren auf dem Datenaustauschstandard XML (Extensible Markup Language).

Den technischen Grundlagen entsprechen drei Instanzen: Registraturen, Anbieter und Kunden. UDDI regelt den Aufbau von Verzeichnissen. Anbieter können sich hier allgemein darstellen, sich in Geschäftskategorien einordnen und ihre Dienste technisch beschreiben. Soap ermöglicht es den Interessenten, auf der Suche nach einem geeigneten Dienstleister die Verzeichnisse zu durchforsten. Wird schließlich der angebotene Service mittels WSDL beschrieben, steht den Kunden beziehungsweise für deren ITAnwendungen der jeweilige Web- Service zur Verfügung.

Web-Services fügen firmeninternen Anwendungen eine einheitliche Schnittstelle hinzu. Dadurch lassen sie sich in immer neuen Kombinationen nutzen – ein enormes Sparpotenzial gegenüber der herkömmlichen Software-Beschaffung. "Die Kosten für Soft- und Hardware selbst liegen meist unter je zwanzig Prozent", schätzt Homs. Der Großteil der Projekt-Budgets gehe für Integrationsarbeiten drauf. Mit Web-Services würde dieser Posten deutlich kleiner. Anstelle direkter Verbindungen zu Dienstleistern könnten multilaterale Beziehungsgeflechte treten, betont der Analyst. Das Outsourcing von Dienstleistungen erhalte so eine völlig neue Dimension.

Web-Services erproben

Noch ist das Zukunftsmusik. "Wir befinden uns in Phase eins: Firmen haben Pilotprojekte auf den Weg gebracht, um die interne Nutzung von Web-Services zu erproben", so Rudolf Geiger, Manager für Zentraleuropa beim Software-Spezialisten Silverstream. Ergebnisse erwarte er frühestens im Sommer. Die bisher üblichen EAIStrategien, sagt Geiger, würden durch Web-Services aber nicht obsolet – was er durch eine Parallele belegt: "Großrechner wurden durch PCs auch nicht verdrängt."

Exec Software nähert sich dem Thema Web-Services aus einer anderen Richtung. Das Unternehmen aus dem pfälzischen Ransbach-Baumbach bietet seinen Kunden eine automatisierte Bonitätsprüfung. Die Client-Server-Lösung greift dabei auf Software der Berliner Firma Shinka Technologies zurück. Doch um einen Web-Service handle es sich im Grunde noch nicht, schränkt Exec-Prokurist Bernd Philippi ein.

"Der Dienst wird nicht über das Web angeboten, sondern die Kunden müssen sich für eine Abfrage ins Exec-Rechenzentrum einwählen, von wo aus die Anfragen an Auskunfteien weitergeleitet werden." Immerhin kann die Software bereits Auskünfte bewerten und den weiteren Gang der Dinge vorgeben: Antrag annehmen, ablehnen oder manuell prüfen. Philippi rechnet damit, dass der Dienst noch in diesem Jahr auf einen echten Web-Service umgestellt wird.

Konkurrenz bei der Infrastruktur

Bei der Infrastruktur haben sich zwei Lager gebildet. Auf die J2EE (Java 2 Enterprise Edition) -Plattform von Sun Microsystems stützen sich unter anderem Bea und IBM. Auf der anderen Seite steht Microsoft mit der ".net"- Initiative. Voraussetzung ist jedoch, dass beim Einsatz eines ".net"-Servers die Datenbank ebenfalls von Microsoft stammen muss. Problematisch dürften ITEntscheider die Windows-typischen Sicherheitsmängel finden. Viren wie "Nimda" richteten letztes Jahr Schäden in Milliardenhöhe an; und Microsoft habe damit, wie Deutschland-Chef Kurt Sibold einräumt, zumindest ein "Image-Problem".

Das gilt nicht für SAP. Der deutsche Riese hat sich im letzten Oktober bei der Unternehmens-Software auf Web-Services festgelegt. Das Business-Programmpaket My SAP soll im Laufe des Jahres mit Web-Services-Technik auf der Basis von J2EE erhältlich sein; zudem baut SAP einen UDDI-Verzeichnisdienst auf. Konkurrent Baan ist auch nicht untätig und arbeitet mit Iona an einer Erweiterung der eigenen Anwendungen. Und mit seiner Entwicklung Dynamic-Services gesellt sich auch Oracle zum Anbieterkreis.

Technische Probleme, auch solche in puncto Sicherheit, wird man in den Griff bekommen, sind sich die Experten sicher. IBM zum Beispiel hat jüngst eine Allianz mit dem Security-Spezialisten Verisign geschmiedet, die auch eine Zusammenarbeit bei Web-Services vorsieht. Die höhere Hürde liegt für Exec-Mann Philippi allerdings bei den ITEntscheidern: "Man muss sich erst an den Gedanken gewöhnen, dass Software über das Netz verteilt wird."