Neue Rechenmodelle über den Nutzen der IT

Dem wahren Wert auf der Spur

05.07.2004 von Andreas Schmitz
Wie viel Karat hat die IT? Darüber streiten derzeit Wissenschaftler und IT-Manager. Obwohl schon mehrmals praxistaugliche Modelle angekündigt wurden, bieten bisherige Entwürfe noch immer mehr Theorie als Praxis. Das könnte sich bald ändern.

Sie zeichnen sich durch Klarheit und Transparenz aus und können nach bewährten Methoden vermessen werden: Diamanten und IT sind sich in einigem ähnlich. In einem Punkt nicht: Während es für die Edelsteine den Hohen Rat für Diamanten im niederländischen Amsterdam gibt, der den Wert jedes einzelnen Edelsteins exakt bestimmen kann, gibt es Vergleichbares für die IT noch nicht. An einer "superkomplexen Formel für die IT" hätte niemand ein Interesse - außer Mathematikprofessoren, unkt Ex-CIO Peter Sany.

Dennoch: Entsprechende Ansätze existieren bereits. Sie stammen aus Forschungseinrichtungen oder Beratungshäusern und tragen Namen wie IT Evaluation Management (Fraunhofer-Institut für Software und Systemtechnik), Netto-IT-Aufwand (Beratungshaus Accenture) und Business Impact Management of IT (Universität Gießen). "Die Praxis ruft danach", stellt Peter Kleinschmidt fest, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik an der Universität in Passau. "Wir müssen was tun - und zwar nicht orientiert an Modellen, die IT ausschließlich unter Effizienzgesichtspunkten wie etwa Kennzahlen oder der Balanced Scorecard beurteilen, sondern am qualitativen Wert." Das ist nicht trivial.

Das Beratungshaus Accenture hat unter Mitwirkung von Kleinschmidt als einer der Ersten ein Konzept entwickelt, das Unternehmen wie Siemens und BMW bereits eingehend diskutieren. Die Grundaussage: Unternehmen sollten sich von der Betrachtung der IT-Ausgaben als Anteil vom Umsatz des Gesamtunternehmens trennen und stattdessen den Netto-ITAufwand berechnen. Hier fließen sowohl die Kosten für den Betrieb als auch jene für die Investitionen in IT hinein. "In den Investitionen steckt das Innovationspotenzial des Unternehmens", sagt Kleinschmidt, der von operativer Anregung spricht - sogar für unternehmenskritische Anwendungen.

Mehr Investitionen schaffen Mehrwert

Das Accenture-Konzept, das aus den Ergebnissen der Studie "Unternehmenserfolg durch IT" (2003) entwickelt wurde, weist nach, dass ein Unternehmen mit einem guten 2:3-Verhältnis der IT-Investitionen zu den IT-Betriebsausgaben für das Geschäft mehr Wert schafft als ein Vergleichskandidat mit relativ magerem 1:4-Verhältnis - also einen höheren "Net Present Value" aufweist und somit mehr Wert für die IT schafft. Ein Unternehmen beispielsweise, das fünf Prozent des Umsatzes für die IT und vier von zehn Euro für Investitionen ausgab, hat derart viel neuen Wert geschaffen, dass sich der Prozentsatz für den Netto-IT-Aufwand auf 1,3 reduzierte. "Grundlage hierfür ist die Kombination aus verfügbarem Investitionsbudget und Anwendung von Best Practice in der Projektauswahl und -durchführung, so Accenture-Partner Bernhard Holtschke, der die Methode gemeinsam mit seinem Kollegen Andreas Pfeifer entwickelte. Der für die Firma neu geschaffene Wert reduziert das absolute Budget, das ein Unternehmen anteilig für die IT bereitstellen muss. Ein Vergleichsunternehmen, das 4,5 Prozent des Umsatzes für seine IT , aber nur zwei von zehn Euro für Investitionen ausgegeben hat, schuf deutlich weniger Neuwert, sodass sich ein erheblich höherer Netto-IT-Aufwand von 3,6 Prozent einstellte.

Trotz der überzeugenden Zahlen hält Jörg-Olaf Holmer, beim Münchener Autobauer BMW für IT-Strategie, Planung und Steuerung tätig, die Implementierbarkeit des Modells für sehr schwierig. "Für die Gesamt-IT ist es noch nicht so relevant", sagt Holmer, dem zwar wichtig ist, den Wertbeitrag der IT kommunizierbar zu machen, der aber im Accenture-Konzept den zweiten Schritt sieht. Der erste, so Holmer, sei zunächst, für alle Bereiche den Wertbeitrag der IT zu den Zielen des Unternehmens möglichst vollständig bewusst zu machen. Ein weiteres Hindernis: "Für viele IT-Vorhaben, etwa im CRM-Bereich, ist die direkte Auswirkung auf das Unternehmensergebnis nicht darstellbar", meint Holmer, "die Auswirkung der Vorhaben ist zwar beschreibbar, aber nicht immer monetär. Alltag in der IT-Steuerung von BMW ist bisher, in Busines Cases den Kapitalwert und die Rendite jedes neuen Projektes mit IT-Anteil zu beziffern. "Das lässt sich aber nicht isoliert für den IT-Anteil darstellen", so Holmer, "der Nutzen ist daher immer nur qualitativ darzustellen."

Das Ende kam vor dem Feinschliff

Wie kompliziert ein gangbares Modell für die Praxis ist, musste Axel Schwickert gerade schmerzhaft erfahren. Kurz bevor der Leiter des BWL- und Wirtschaftsinformatik-Lehrstuhls der Uni Gießen seinem Whitepaper zum "Business Impact Management of IT" den Feinschliff geben wollte, traf er sich mit Praktikern auf einem Euroforum-Seminar. Einen Tag später stampfte Schwickert sein Konzept wieder ein. Schwickert, der im ersten Schritt unter anderem über das Systemmanagement-Tool IBM Tivoli die IT-Komponenten im Unternehmen überwachen wollte, kam zu dem Schluss, dass "Monitoring den CIO in Hinsicht auf den IT-Wertbeitrag keinen Millimeter weiterbringt". Anstatt den Wert "bottom up" zu bestimmen, ist sich Schwickert nun sicher, dass der "Top down"-Ansatz richtig ist. "Uns ist also zunächst egal, welche Zugriffszeiten und Downtimes ein Hardwareteil hat", so Schwickert, "jetzt steht die Frage 'Was brauchen wir an IT-Ressourcen - auf der Basis welcher Geschäftsprozesse?' im Mittelpunkt." Nur so stelle sich schnell heraus, welche Ressourcen falsch gewichtet und nie optimiert worden seien.

Schwickerts Ziel ist, ein Gesamt-Wert-Urteil für die IT zu bestimmen - einen Qualitätsmaßstab zu entwickeln. "Das monetäre Plus ist nicht bezifferbar", sagt Schwickert. Das Problem sieht er darin, dass Messmethoden wie Performance Measurement über das Instrument Balanced Scorecard nur Sinn machen, wenn gleiche Geschäftprozesse im selben Umfeld betrachtet würden, was praktisch nie der Fall ist. "Es gibt keinen fixen Punkt, nur Variablen", so Schwickert. Zudem ließen sich diese über Performance Management (Measurement) nicht steuern. Schwickerts neuer Ansatz: Er ermittelt den Erfüllungsgrad von IT-gestützten Prozessen und die Abhängigkeit von IT. Im Erfüllungsgrad fließen Werturteile zu einzelnen Prozessen ein, aus denen zuletzt das Gesamt-Wert-Urteil gefällt wird. Klar ist ihm: In Euro und Cent lässt sich der IT-Business-Wert nicht bestimmen, ähnlich wie im Personalbereich: "Beim Sachbearbeiter Müller lässt sich der qualitative Geschäftsbeitrag ja auch schwer bestimmen".

Auch Herbert Weber, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Software- und Systemtechnik in Berlin, feilt an einem Konzept, das Schwickerts Ansicht vom Gesamtwert teilt - das IT Evaluation Management (ITEM). Doch er ist bereits einen Schritt weiter: Das Gerüst ITEM soll schon bald in die Praxis entlassen werden. Es nutzt vorhandene Methoden wie die Balanced Scorecard oder die IT Infrastructure Library und hat darauf Bewertungsverfahren aufgesetzt. Anhand des daraus zu ermittelnden Geschäftswerts soll sich so die Unternehmens-IT steuern lassen. "Während das klassische IT-Controlling bezüglich der verwendeten Kennzahlen tendenziell finanzlastig ist und sich an der Vergangenheit orientiert, sollen in den Geschäftswert auch Kennzahlen einfließen, die auf zukünftige Zeitperioden ausgerichtet sind, zudem nicht-finanzielle Leistungstreiber identifiziert werden", so steht es im Konzeptpapier der Fraunhofer-Wissenschaftler.

Neben Kennzahlen wie TCO oder ROI, einer branchen- und unternehmensspezifischen Komponente, hat ISST-Mann Weber auch zwei Werte in sein rosettenartiges Modell mit aufgenommen, die klar auf die Zukunft ausgerichtet sind: den prospektiven Wert und den relativen Geschäftswert. "Über den prospektiven Wert wollen wir nicht genutzte Potenziale aufdecken", so Weber. "Das ist in etwa so, als würden Sie einen Mercedes fahren, aber nur einen Lupo nutzen." Mit dem realtiven Geschäftswert bestimmt Weber über den Erfüllungsgrad die Business-Unterstützung durch die IT ("Ein Wert, den man nicht in Euro oder Dollar ausdrücken kann"). Firmen gewichten ihre Geschäftsteile wie Prozesse, Produkte, Organisations- oder Infrastruktur unterschiedlich", erläutert Weber, "daraus lässt sich dann eine Wertmerkmalshierarchie ableiten." Die einzelnen Blätter der Rosette stehen für sich.

Einige Millionen Euro für den Geschäftswert

Fünf Manntage setzt Weber für den Quick-Check eines Unternehmens an: "Für einen Mittelständler, der 50 000 Euro für seine IT ausgibt, ist das ausreichend." Ein Großunternehmen allerdings, das "eine Milliarde im Jahr ausgibt, sollte für den Geschäftswert ein paar Millionen locker machen können". Weber sieht in seiner Rosette inklusive relativem Geschäftswert eine Weiterentwicklung des IT-Controlling - und fordert deshalb eine dauerhafte Installation des Geschäftswerts im Controlling. Nicht auszuschließen ist, dass Weber eines Tages zum Hohen Rat des IT-Geschäftswerts gehören wird - oder Holtschke, Schwickert oder Kleinschmidt. Noch tasten sich Unternehemen zaghaft in diese neue Werte-Welt, die gerade einen radikalen Wandel durchläuft: weg vom harten Dollar und Euro hin zu qualitativen Werten.