SAP ERP

Den Sprung muss jeder machen

08.01.2008 von Riem Sarsam
Monatlich gehen zurzeit rund 500 Unternehmen live mit SAP ERP 6.0. Dadurch erhöht sich auch der Bedarf an SAP-Dienstleistern. Für die rein technische Umstellung sind zwar keine höheren Preise zu erwarten. Anders sieht es aber aus, wenn Unternehmen ihre Prozesse ändern.
Tobias Dosch, Vice President ERP Solution, SAP AG: "Wir zwingen niemanden. Unsere Kunden, die upgraden, überprüfen ganz genau, welchen Wert eine Erneuerung ihrer ERP-Systeme mit sich bringt."

Der Damm ist gebrochen. Die Zahl der Unternehmen, die auf SAP ERP 6.0 wechseln, steigt seit Ende 2006 kontinuierlich an. "Mittlerweile arbeiten rund 4.800 Systeme produktiv", verkündete SAP-Chef Henning Kagermann im November. Damit ist eine Welle ausgelöst, die auch in den nächsten Jahren weiter anschwillt. Zurzeit gehen weltweit pro Monat bereits bis zu 500 Unternehmen mit dem neuen ERP 6.0 live", sagt Tobias Dosch, Vice President ERP Solution bei der SAP AG. "Umfragen lassen uns davon ausgehen, dasss sich dieser Trend in den nächsten Jahren noch weiter verstärkt."

Das ist nicht nur für die Walldorfer ein Grund zur Freude. Auch die Anbieter von SAP-Dienstleistungen profitieren von der steigenden Nachfrage. In Zeiten, da manche Bereiche bereits einen Mangel an IT-Kräften konstatieren, müsste dies zu steigenden Preisen führen. Doch die Entwicklung scheint sich dort in Grenzen zu halten. Zwar klettern die Preise für SAP-Berater kontinuierlich, doch keineswegs in solchem Ausmaß, wie es manch einer befürchtet hatte.

Fehlende Erfahrung im Markt

"Die Kosten für die Unternehmen werden notgedrungen steigen", sagt IDC-Analyst Frank Naujoks. "Sie können jedoch nichts ins Unendliche gehen, weil es sich dann nicht mehr lohnt, Expertise um jeden Preis einzukaufen." Für problematischer als die Frage der Kosten hält Naujoks eher die noch fehlende Erfahrung in Upgrade-Projekten. "Sie brauchen Leute, die wenigstens schon ein oder zwei Mal in einem Projekt gearbeitet haben, und davon gibt es derzeit nicht so viele."

SAP-Wartungszyklus: 2010 endet für die meisten Unternehmen der erweiterte Support.

"Auf die veränderte Marktsituation haben wir längst reagiert", hält Max Schaifers dagegen. Er ist Geschäftsführer im Bereich System Integration bei Accenture mit Schwerpunkt SAP. Sein Unternehmen hat wie viele aus der Branche Competence Center aufgebaut, um das Wissen bündeln und weiterreichen zu können. Hinzu kommen eine verstärkte Qualifizierung der Mitarbeiter, der Ausbau spezifischer Upgrade-Tools sowie der zunehmende Einsatz von Near- und Offshoring-Kapazitäten, die dem Dienstleister eine entsprechende Beweglichkeit verschaffen.

"Wir glauben nicht, dass es zu einer Knappheit kommen wird", sagt auch Klaus Holzhauser, Managing Consultant bei PAC. Weniger jedoch, weil die Dienstleister sich entsprechend positioniert haben, sondern weil die technischen Voraussetzungen für den Umstieg auf 6.0 besser geworden sind. Dass die Preise für SAP-Dienstleistungen dennoch steigen, hält er nicht für alarmierend. "Das Upgrade besteht zu einem beträchtlichen Teil aus Commodity Services", so Holzhauser, "wenn die Unternehmen akzeptieren, dass viele Leistungen in Niedriglohnländer ausgelagert werden, können sie die steigenden Preise damit kompensieren." Gerade bei einem rein technischen Upgrade können viele Standardaufgaben gut und gerne von indischen oder tschechischen Fachkräften gemacht werden.

Höhepunkt verschiebt sich auf 2009

Ein heterogener Markt: Fast zwei Drittel des deutschen Implementierungsgeschäfts bei SAP-Bestandskunden geht an die vielen Spezialisten im Lande.

Holzhauser hat gerade eine Marktanalyse unter Service Providern und Anwendern abgeschlossen. Darin bestätigt sich, dass der befürchtete Ansturm in diesem und im nächsten Jahr ausbleiben wird. Die Aktionen der Unternehmen verteilen sich auf einen längeren Zeitraum, die Welle wird ihren Höhepunkt wohl erst im Jahr 2009 erreichen, sowohl beim Marktvolumen als auch bei der Zahl der Upgrade-Projekte.

Für SAP wird damit die Taktik aufgegangen sein, die Kunden zum Aufbruch in die neue ERP-Welt zu bewegen. Dass es dazu einiger "Hilfe" bedurfte, steht außer Frage. In diesem Fall war es die restriktive Wartungspolitik des Konzerns, die ein Ende der Standardwartung von R/3 bis spätestens 2010 vorsah und damit die Kunden unter Zugzwang setzte. Auch wenn man dies in Walldorf anders sieht: "Wir zwingen niemanden", hält SAP-Manager Dosch dagegen. "Unsere Kunden, die upgraden, überprüfen ganz genau, welchen Wert eine Erneuerung ihrer ERP-Systeme mit sich bringt. Und sie rechnen auch den sogenannten ROI eines Upgrades aus. Da sind die Wartungsgebühren sicher ein Teil dieser Rechnung." Allerdings spielten Einsparpotenziale von Kosten, Umsatz- und Gewinnoptimierung von Prozessen, die durch ERP 6.0 möglich werden, eine größere Rolle.

Die meisten wechseln vom Alt-Release (R/3 4.6d und älter), auch weil entsprechende Migrations-Tools vorhanden sind.

So schön das auch klingen mag, in der Realität zeichnet noch ein anderes Bild ab. Die Berechnung und die Rechtfertigung für den wirtschaftlichen Einsatz der Lösung sind nicht so einfach, wie es das SAP-Marketing verkauft. Dafür fußt sie auf zu wenig Greifbarem, etwa Prognosen zu einer steigenden Produktivität. Die durch ERP 6.0 geschaffene technische Plattform für eine Service-orientierte Architektur (SOA) - da geht die Reise ja schließlich hin - erfüllt vielleicht eines Tages den Traum vom agilen und flexiblen Unternehmen, für viele CIOs ist dies jedoch erst der zweite oder dritte Schritte ihrer ERP-Strategie.

Fahrkarte für SOA

Damit zeigt sich auch der wesentliche Unterschied zu den Upgrades vergangener Zeiten. "Früher waren Upgrades in erster Linie funktional getrieben", so der PAC-Experte Holzhauser. "Heute wechseln viele Unternehmen erst einmal auf die neue technische Plattform, um den erhöhten Gebühren auszuweichen." Dass sich die Unternehmen mit diesem Wechsel auf SOA einstellen, hat noch nicht den Stellenwert, den SAP glauben machen will. "Die Unternehmen kaufen sich mit dem neuen Release zunächst nur die Fahrkarte für SOA."

Diese Reise antreten werden die Unternehmen allerdings erst, wenn wieder Zeit, Geld und Leute zur Verfügung stehen. In zwei, drei Jahren wird dann eine neue Welle zu beobachten sein. Diesmal die der strategischen Upgrades, die von den IT-Verantwortlichen fordern, die neue Technik und Funktionen in Vorteile für ihr Unternehmen umzumünzen. Auch dann ist wieder externe Hilfe gefragt, diesmal in Form von Prozess-Knowhow. Die strategische Management-Beratung wird Einzug in die IT halten. Schon heute positionieren sich die Anbieter entsprechend. Ob es teuer wird, hängt auch davon ab, ob die klassischen IT-Dienstleister die Zeit bis dahin nutzen und so das erforderliche Angebot am Markt erweitern können.