IT-Manager wetten

Der CIO wird zum Chief Ecoystem Officer

14.04.2020 von Frank Riemensperger
Frank Riemensperger wettet, dass sich die Anzahl der im Unternehmen ­vorgehaltenen Anwendungen reduziert, aber die Anzahl von Lösungen, die im Industrie-Ökosystem der Cloud betrieben werden, radikal erhöht.
Frank Riemensperger ist Vorsitzender der ­Geschäftsführung von Accenture. Er wettet, dass sich der CIO zum Chief Ecosystem Officer entwickelt und Branchen in Zukunft gemeinsame Lösungen schaffen werden, in denen sie nicht nur die Daten, sondern auch die Anwendungslogik teilen.
Foto: Accenture

Wir haben keine Zeit zu verlieren: Aktuell erleben wir die Verschiebung von Wertschöpfungsanteilen vom Produkt zu über Plattformen orchestrierten Services. Der digitale Umbau unserer Leitindustrien nimmt insbesondere unsere CIOs in die Pflicht. Es ist ein Paradigmenwechsel erforderlich: Aus "Made in Germany" muss das digitale Gütesiegel "Operated by Germany" werden.

In Zukunft zählt der "Operate"-Ansatz, der Daten, ihre Auswertung und die Steuerung des Geschäfts in Echtzeit zusammenführt. Im Zen­trum steht der Kunde. Die Erfüllung seiner Erwartungen erfordert zunehmend extrem kurze Entwicklungszyklen und hohe Agilität.

Operated by Germany

Die Realisation des "Operate"-Ansatzes macht neue Architekturen für Smart Products erforderlich. Die Plattformökonomie braucht speziell adaptierte intelligente Maschinen, die im Betrieb über Software und Daten permanent an die wechselnden Erfordernisse angepasst werden. Es ist die Fortentwicklung der Industrie 4.0 von der intelligenten Fabrik zu einem an Kundenbedürfnissen orientierten Wertschöpfungsnetzwerk.

Ein Betriebslabor im offenen Ökosystem der Branche statt hinter den Türen einer geschlossenen F&E-Abteilung, verkürzte Entwicklungszyklen, plattformbasierte Netzeffekte, skalierbare Innovationen. Smart Products und die einbezogene installierte Basis - mit "Intelligenz" nachgerüstet - liefern Betriebsdaten für neue, datengetriebene Geschäftsmodelle.

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Das Ziel sind branchenweite Ökosysteme mit Lösungen, deren Wirkung über das eigene Haus hinaus reichen. Mitbewerber werden zu Partnern, und ein effizientes Zusammenspiel mit übergreifenden Anwendungen schafft neue Potenziale. Branchenweite Lösungen bieten die Basis für neue Leistungsversprechen und sorgen für durchgängige Kundenzufriedenheit.Dass eine Plattform Wertschöpfung generiert, ist nicht neu. Amadeus beispielsweise verbindet schon seit mehr als 30 Jahren verschiedenste Travel Player vom Reisevermittler über den Reiseveranstalter bis zur Unterbringung und verschiedensten Transportgesellschaften für Geschäfts- bis zu Pauschalreisen. Der Service diente 2017 über 1,6 Milliarden Passagieren. Aus dem Flugreservierungssystem machte die Digitalisierung einen weltweit agierenden Anbieter von IT-Lösungen für die Touristikindustrie, der die gesamte Bandbreite zwischen Reisebüros und Online-Buchungen abdeckt. Amadeus belegt, wie zweckmäßig es ist, paneuropäisch zu denken, anstatt die digitalen Anstrengungen in jedem Land zu duplizieren.

Wenn Wettbewerber kooperieren

Gegründet wurde Amadeus übrigens 1987 von vier europäischen Fluggesellschaften. Das zeigt, welches Potenzial darin stecken kann, wenn Wettbewerber gemeinsam agieren. Konkurrenten schlossen sich auch für HERE zusammen: Audi, BMW und Daimler erwarben den Online-Kartendienst 2015 zu je einem Drittel, inzwischen wirken unter anderen mit Bosch und Continental auch zwei Automotive-Zulieferer mit. Momentan nutzen vier von fünf aller eingebauten Navigationssysteme in Europa und Nordamerika Karten von HERE.

Seit dem Jahr 2019 bündeln Daimler und BMW ihre Ressourcen und Plattformaktivitäten gleich bei fünf Mobilitätsdiensten: ReachNow, ChargeNow, FreeNow, ParkNow und ShareNow. Ein wichtiger Schritt nach vorne, denn die Zukunft der Mobilität ist ohne die entsprechenden Plattformen nicht denkbar. Das Geschäft aber machen (wir sehen es seit Jahren bei den Consumer-Plattformen) letztlich nur die Unternehmen, die die Mehrheit der Nutzer oder zumindest eine - am Mitbewerber gemessene - relevante Zahl auf ihrer Plattform vereinen und halten.

Eine Milliarde Plattformnutzer

Branchenweites Engagement über Unternehmens­grenzen hinweg ist auch unter dem Gesichtspunkt der nötigen Marktdurchdringung unerlässlich. Statt dass Unternehmen ihre Res­sour­cen in Einzellösungen binden, bieten gemeinsame Projekte die Option, in Digitalmärkten schneller auf eine relevante Größe zu kommen. Wenn Daimler und BMW ihre Carsharing-Flotten vereinen, dann entstehen an dieser Stelle neue Plattformen. Wir müssen groß denken: Wer international ganz vorne mitspielen will, erreicht eine Milliarde Menschen, nicht 100 Millionen. Die Alternative zur Kooperation ist zuzukaufen, wie beispielsweise SAP, die 2012 den Cloud-basierten B2B-Handelsplatz Ariba erwarb. Heute beträgt das Handelsvolumen des Procurement-Marktplatzes 2,6 Billionen Euro im Jahr.

Deutschland kann mitreden

Unternehmen wie Wirecard, Zalando, United Internet oder Ströer, in denen die Digitalisierung neue, skalierbare Geschäftsmodelle hervorgebracht hat, machen deutlich, dass Deutschland im Plattformgeschäft mitreden kann - und wenn es um B2B geht, auch muss. Die deutsche Industrie hat noch immer die Chance, eine Führungsrolle als Schrittmacher der digitalen Transformation der Industrie in Europa und weltweit einzunehmen. Mit der Industrie 4.0 hat die deutsche Industrie weltweit vorgelegt.

Die Stärke der deutschen Wirtschaft zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sie rund zwei Drittel der Ausgaben für Forschung und Entwicklung hierzulande trägt. Deutschlands Unternehmen denken durchaus an die Zukunft und sind auch bereit, hierfür Geld in die Hand zu nehmen. Es zeichnet sich die Perspektive ab, dass gemeinsame Investitionen auch in gemeinsame Lösungen münden. Im Zeitalter der Plattformen wird es weniger wichtig sein, welches Unternehmen Lösungen besitzt. Entscheidend ist vielmehr die Frage: Welchen Unternehmen kommen die Lösungen ­zugute? Branchen mit starken geteilten Plattformen tragen zur Wertschöpfung ihrer Unternehmen bei.

Gerade wenn es um neue Leistungsversprechen geht, sind gemeinsame Plattformen für alle Beteiligten unerlässlich. Um beispielsweise eine Zusage einzuhalten, dass der gelieferte Zug im Betrieb pünktlich ist, braucht der Zughersteller ein übergreifendes Ökosystem, in das alle Beteiligten mit ihren Daten einzahlen. Wie nützlich eine permanente Erfassung laufender Daten ist, zeigt das Projekt SmartRail 4.0 der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). Ziel ist eine höhere Auslastung des bestehenden Netzes, verbesserte Pünktlichkeit und durchgehende Kommunikation. Die Erprobung einzelner Funktionen beginnt 2020.

Optimierung mit Digital Twins

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Doch längst schon hat das Informations-Management bei den SBB Einzug gehalten. Die adaptive Lenkung vermeidet Konfliktsituationen auf der Strecke, bei denen ein Zug anhalten muss, um einen anderen Zug vorbeifahren zu lassen. In die Datenanalyse einbezogen werden nicht nur die genaue Länge und geografische Gegebenheiten der Gleisstrecke, sondern Zugleistung, Länge und Gewicht, aber auch dynamische Daten wie Position und Fahrdynamik, die durch Sensoren in den Schienen erhoben werden. 20.000 bis 30.000 Nachrichten pro Sekunde müssen vom Trägersystem transportiert werden. Wie ich schon zum digitalen Zwilling schrieb: Das vir­tuelle Abbild eines Produkts oder Service ermöglicht die fortlaufende Optimierung im Alltagseinsatz. Das schützt Ressourcen, spart Energie und schont das globale Ökosystem.

Wer sich vor Augen hält, was Unternehmen sich und ihren Kunden dank einer soliden Datenbasis an Kosten, Zeit und Umweltbelastungen einsparen und wie sie zugleich zusätzliche Wertschöpfung generieren können, erkennt, wie wichtig digitale Ökosysteme sind. Es ist Aufgabe der CIOs, als Ökosystem-Manager die Unternehmen auf diesen kulturellen Wandel vorzubereiten. Digitale Plattformen werden alles ändern. Was sich so schnell und einfach tauschen lässt, hat einen hohen Nutzwert, aber verliert als Statussymbol: So ist zum Beispiel Carsharing und nicht etwa das Elektroauto der große Game Changer in der Mobilität.

Nutznießer des Ökosystems sind Konzerne, aber auch mittelständische und kleine Unternehmen, die am System beteiligt sind. So ist beispielsweise die Dokumentation der termingerechten Abwicklung von Reinigungsarbeiten eine wichtige Stellschraube und entscheidend für die korrekte Einhaltung von Leistungsversprechen, gleichgültig ob es um die Pünktlichkeit von Verkehrsmitteln, die Hygiene von Krankenhäusern oder schlicht um die Sauberkeit des Arbeitsplatzes geht. Und der Reinigungsdienstleister profitiert andererseits davon, wenn er über Ereignisse, die sein Team betreffen, ständig informiert ist, gleichgültig ob es um Änderungen beim Einfahrtgleis, akute Einsätze in besonderen Hygienebereichen oder einfach um geänderte Öffnungs- und Arbeitszeiten im Office geht.

Das gilt branchenweit für alle Bereiche und Abläufe, die ineinandergreifen. Ob Zug oder Flieger, Leihauto oder Elektroroller, Behörde oder Konzernverwaltung, Circular Economy oder Energiewirtschaft, Sicherheitsdienst oder Gesundheitsvorsorge: Mit der Migration in die Cloud wird sich stets die Zahl der geteilten Anwendungen erhöhen. Und es wird neue Formen für alte Dienste geben. Vorstellbar also, dass LinkedIn die Aufgabe der Personalsysteme übernimmt. Beruflicher Lebenslauf und geschäftliche Verbindungen, Stellungnahmen und Beiträge, fachliche Qualifikationen und die Wertschätzungen von Kollegen, all das ist bereits abrufbar.

Cloud senkt Einstiegshürden

Mit der durchgängigen Verfügbarkeit von Public und Private Cloud sinken die einst hohen Einstiegskosten, und die Hürden werden nied­riger. Das ermöglicht auch kleineren Unter­nehmen die aktive Teilhabe an neuen, datengetriebenen Geschäftsmodellen über Branchen hinweg. Ein wichtiger Aspekt, denn bei einer Partnerschaft schafft Geben und Nehmen Vertrauen. Und im Endeffekt handelt es sich beim branchenweiten Zusammenspiel von Daten und Anwendungen um eine Vertrauensfrage. Unternehmen, die sich dafür öffnen und mitmachen, zeigen sich gleichzeitig verletzlich und stark. Auf jeden Fall wird man aber Teil einer Gemeinschaft, die zusammen im internationalen Wettbewerb an Bedeutung gewinnen kann.

Die Konsequenz: Es werden viele Spezialisten entstehen, die auf der gemeinsamen Plattform branchenspezifische Lösungen entwickeln und anbieten.

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Der eigene Bestand wird kleiner, die geteilten Anwendungen werden mehr. Ein weitreichender Schritt, der mit einer gehörigen Portion Selbstvertrauen und hohen Ambitionen gegangen werden muss. Denn wer den Blick in die Zukunft richtet, erkennt Lösungen, die über die Grenzen des eigenen Unternehmens hinaus wirksam werden. Daher wette ich, dass sich der CIO zum Ecosystem Officer entwickeln wird und sich die Wertschöpfung aus dem Unternehmen heraus in gemeinsam geteilte Plattformen verlagert.