IT-Manager wetten

Die digitale Transformation der IT

15.03.2021 von Gerd Niehage
Gerd Niehage wettet, dass sich die IT-Abteilungen in den nächsten fünf Jahren entlang der digitalen Transformation gemeinsam mit den Unternehmen einem radikalen Wandel unterwerfen oder Opfer der Disruption werden.
Gerd Niehage ist CIO bei der B. Braun Melsungen AG. Seiner Meinung nach müssen sich die IT-Abteilungen entlang der gesamten digitalen Transformation gemeinsam mit den Unternehmen einem radikalen Wandel unterwerfen. Niehage wettet, dass bis zum Jahr 2026 entweder viele IT-Abteilungen ausgelagert werden oder sich an die Anforderungen der digitalen Transformation anpassen werden.
Foto: Braun Melsungen AG

Vor 70.000 Jahren begann der Homo ­Sapiens zu sprechen, was uns bis heute von allen anderen Arten unterscheidet. Diese Revolution hat uns geholfen, zusammenzuarbeiten, Informationen auszutauschen und letztlich komplexe soziale Systeme aufzubauen. Seit dieser Zeit häufen sich die Revolutionen in immer kürzer werdenden Abständen, sie reichen von der Landwirtschaft über Waffen, Kommunikation, Mobilität, Industrialisierung bis zur Digitalisierung.

Von der Entwicklung der Landwirtschaft bis zur ersten industriellen Revolution hat es ungefähr 10.000 Jahre gedauert. Von dort ist in den vergangenen 200 Jahren die Weltbevölkerung von einer Milliarde Menschen auf 7,8 Milliarden gewachsen und mit ihr das Wissen und alle technologischen Errungenschaften, die unser Leben heute ausmachen.

Die digitale Revolution begann in den 1960er-Jahren mit der Einführung von Großrechnern, in den 1980ern gefolgt von den Personal Computern (PC) und dem Internet in den 1990ern. Zu Beginn dieser Zeit haben sich auch die Abteilungen der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) gebildet.

Statt manuell mit Papier oder Mikrofilmen zu arbeiten, hat das Digitalisieren der analogen Informationen in EDV-Systeme eine immense Zeitersparnis bedeutet. Der Umgang mit den teuren Anlagen blieb aber einer kleinen Anzahl von Experten vorbehalten. Jeder andere war froh, sich nicht mit dieser neuen Technologie auseinandersetzen zu müssen. Die EDV-Mitarbeiter waren geschätzte Kollegen, die Probleme individuell für jeden gelöst haben.

Von der EDV- zur IT-Abteilung

Mit Einführung der E-Mail stand auf immer mehr Schreibtischen der PC. Dieser ist zum Hauptarbeitsmittel im Büroumfeld geworden. Aus den EDV- wurden IT-Abteilungen, die jetzt die vernetzte Infrastruktur bereitstellen mussten. Es ging vor allem um die Einführung von standardisierter Bürokommunikations- und Ressourcenplanungs-Software (ERP). Die individualisierte Lösung stand nicht mehr im Vordergrund, sondern die Automatisierung aller Arbeitsprozesse zu möglichst niedrigen Kosten. Aus Sicht des CIO war dies eine überschaubare und von der Komplexität beherrschbare Welt.

Automatisierung reicht nicht

Mit dem 2007 vorgestellten iPhone hat sich die Situation grundlegend geändert. Die Gesellschaft ist flächendeckend ausgestattet mit Computern und mobilen Endgeräten. Die Technologie findet Einzug in immer mehr Produkte wie Uhren, Fernseher, Autos und Häuser. Der Zugang zum Internet ist überall möglich.

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Dem CIO wird häufig bescheinigt, dass er unfähig sei, schnell auf den technologischen Fortschritt zu reagieren und die aus dem privaten Umfeld bekannten benutzerfreundlichen Lösungen und Endgeräte anzubieten. Den Unternehmen geht es heute auch nicht mehr primär um die Informationsverarbeitung und die weitere Automatisierung durch Digitalisierung von verbliebenen manuellen Prozessen. Das Ziel der digitalen Transformation ist die Schaffung eines Technologie-Unternehmens, wo alles elektronisch abgewickelt werden kann - mit einem ständig wechselnden Mix an neuesten digitalen Technologien.

Es ist nicht nur so, dass die Technologien sich in immer kürzeren Zyklen ändern, sondern auch das Sozialverhalten der Menschen, Wirtschaftsstrukturen und politische Kulturen. Gerade die Corona-Pandemie hat im Jahr 2020 sehr deutlich vor Augen geführt, wie unterschiedlich sich die gleiche Ausgangssituation global entwickeln kann, und zu welch großem Erfolgsfaktor Anpassungsfähigkeit geworden ist. Und dabei gibt es kein Zurück zum "Früher". Der sich permanent beschleunigende Wandel ist zu einem Dauerzustand geworden.

Kooperieren und Kommunizieren

Der Mensch ist evolutionsbedingt nicht auf diese Situation vorbereitet. Die Entwicklung des Homo Sapiens hat zirka 80.000 Jahre gedauert, und wir sind aus heutiger Sicht für ein extrem langsames, veränderungsarmes Leben optimiert. Die stetig steigende Komplexität ist also für einen einzelnen Menschen, geschweige denn eine einzelne Abteilung, gar nicht mehr zu bewältigen.

Das notwendige Wissen ist verteilt, aber wir verfügen über eine einzigartige Eigenschaft, die uns hier hilft, den Wandel zu gestalten. Der Mensch ist in der Lage, zu kooperieren und zu kommunizieren. So ist auch nach meiner Prognose die digitale Transformation eine Leistung des gesamten Unternehmens, der sich auch die IT-Abteilung unterwerfen muss, wenn sie nicht in der Bedeutungslosigkeit verschwinden will.

Die digitale Transformation ist das Schließen der Kompetenzlücke zwischen dem, wie ein Unternehmen heute funktioniert, und dem Ziel, mit digitalen Technologien ein nahtloses und unterbrechungsfreies Kundenerlebnis zu erreichen. Dazu bedarf es der Festlegung dieses individuell gewünschten Kundenerlebnisses und der dazu notwendigen Anforderungen an Mitarbeiter, Kultur und Führung, Prozesse, Daten und Technologien.

Und allen diesen Bereichen liegt die Vorbedingung zugrunde, dass wir uns in einer Welt der Unbeständigkeit, also des ständigen Wandels, entsprechender Unsicherheit, steigender Komplexität und Widersprüchlichkeit bewegen. Das Unternehmen braucht also die Fähigkeit, sich ständig mit hoher Geschwindigkeit immer wieder neu anpassen zu können.

Nahtloses Kundenerlebnis

In einer digitalen Welt muss die Kundeninteraktion nahtlos zwischen digitaler und realer Welt wechseln können. Wir kennen das von der Taxi-App, wo wir auf einer Landkarte anhand eines digitalen Taxis sehen, wo sich das physikalische Taxi gerade befindet. Wenn wir wissen wollen, ob es regnet oder die Sonne scheint, fragen wir Alexa oder schauen auf das Smartphone und nicht mehr aus dem Fenster. Die digitale Welt zeigt uns heute, ob und in welcher Menge unser Produkt verfügbar ist.

Wir können in Echtzeit verfolgen und sogar vorhersagen, wann es geliefert wird. Wir bewegen uns auch mehr und mehr in der realen Welt mit Hilfe einer augmentierten oder virtuellen (digitalen) Realität. Damit dieses nahtlose Kundenerlebnis funktioniert, bedarf es eines vollständigen digitalen Zwillings der physikalischen Welt über Unternehmensgrenzen hinweg.

Dabei nimmt die Anzahl von koexistierenden Schnittstellen, mit der beide Welten interagieren, ständig zu. Es gibt manuelle sowie mit Hilfe virtueller Assistenten sprach- und gestenge­steuerte Benutzereingaben an PC, Tablet und Smartphone. Neben E-Mail existiert eine immer größer werdende Anzahl von Messengern und Kollaborationslösungen. Maschinen kommu­­ni­zieren miteinander über elektronischen Da­ten­aus­tausch (EDI), API-Schnittstellen (Micro-Services) oder das Internet der Dinge beziehungsweise das Internet von Allem, das Personen, Dinge, Prozesse und Daten vernetzt.

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Erfolgsfaktor Kompatibilität

Vom Baby Boomer bis zur Generation Alpha und darüber hinaus hat jede Person eine andere digitale Vorbildung, Kommunikationspräferenz und Art der Interaktion. Das Risiko ist, dass die Veränderungs- und Anpassungsbereitschaft bei allen unterschiedlich ausgeprägt ist.

Während die einen Widerstand entwickeln, weil sie sich nicht anpassen wollen, wehren sich die anderen, weil es ihnen nicht schnell genug geht. Die Gefahr ist, dass man sich nicht mehr auf zueinander passende Lösungen einigen kann und so die Organisation in der Interaktion ständig inkompatibler wird.

Startups haben häufig den Vorteil, dass es sich bei den Mitarbeitern um Personen aus nahezu gleichen Generationen handelt, wo sich diese Probleme zunächst nicht stellen. Generell ist die Herausforderung aber, ein Angebot für die gesamte vielfältige Bandbreite an Menschen aus unterschiedlichen Generationen, Geschlechtern, Anschauungen und Ländern anzubieten. Dies bedeutet auf der einen Seite viel Schulungsaufwand und Kommunikation bis hin zum Coaching und auf der anderen Seite, trotz der Verwendung von unterschiedlichen Lösungen, Interaktion zwischen allen Beteiligten zu ermöglichen.

So kann etwa eine Nachricht, die über einen Messenger versandt wurde, als E-Mail empfangen werden. Ein anderes Beispiel ist, dass der gleiche Prozess entweder über die altbekannte Benutzeroberfläche des ERP-Systems oder über eine moderne App auf einem Smartphone bedient werden kann. Wichtig ist dabei, dass all diese Lösungen koexistieren können und kompatibel zueinander bleiben.

Nicht nur Technologien wandeln sich, auch das Sozialverhalten, Wirtschaftsstrukturen und die Politik. Bei der vorherrschenden Geschwindigkeit an Änderungen gibt es kaum mehr die Chance zu beobachten, was andere erfolgreich tun, um dies zu kopieren und zu optimieren. Das Prinzip des "Fast Followers" funktioniert nicht mehr. Nur der erste Platz zählt. Wenn man aber nicht weiß, was funktioniert oder was nicht funktioniert, braucht es eine Kultur des Ausprobierens und eine entsprechende Fehlertoleranz. Dazu wird aber möglichst viel Entscheidungskompetenz auf möglichst niedriger Ebene benötigt, weil lange Freigabewege über viele Hierarchien und Unternehmensgrenzen hinweg Geschwindigkeit wegnehmen.

Agile Organisationsformen

Für die Führungskräfte bedeutet das weniger direkten Einfluss. Auf der anderen Seite müssen sie aber in der Lage sein, den Wert der digitalen Technologien für die Zukunft der Organisation zu artikulieren. Sie müssen den entsprechenden Weitblick besitzen und die Visionen kommunizieren, wie das Unternehmen dem Kundenerlebnis und Mitarbeiteranforderungen gerecht werden will.

Eine Lösung für Kultur und Führung ist der Wandel in eine agile Organisationsform. Prozesse benötigen Daten und generieren selbst Daten. Technologien verarbeiten diese Daten und erwecken damit den digitalen Zwilling unserer realen Welt zum Leben. Die Komplexität und Anzahl an Prozessen, Daten und Technologien nehmen ständig zu und unterliegen einem stetigen Wandel. Entsprechend wichtig ist es, die Kontrolle über Prozesse, Daten und Technologien zu behalten sowie das Zusammenspiel untereinander zu beherrschen.

Disruption der IT-Abteilung

Die klassischen Aufgaben der IT sind die Bereitstellung von vernetzter lokaler Infrastruktur sowie die Anpassung und Programmierung von Bürokommunikations-, Planungs-, Verwaltungs- und auch E-Business-Anwendungen. Die bestehenden Lösungen entsprechen allerdings nicht mehr den Erwartungen der Mitarbeiter und Kunden. Es gibt Spezialisten auf dem Markt, die dies besser, schneller und günstiger anbieten können, was jeder täglich im privaten Umfeld erlebt.

Vor der vollständigen Übernahme durch diese Spezialisten schützt die IT-Abteilungen heute, dass viele Unternehmen den teuren und tiefgreifenden Wandel scheuen und damit auch die wachsende Unzufriedenheit von Kunden und Mitarbeitern in Kauf nehmen. Dies führt zur Disruption, entweder des Unternehmens oder, wenn es dann doch rechtzeitig darauf reagiert, der IT-Abteilung.

Was Unternehmen in Zukunft brauchen, sind digitale Zwillinge von Personen, Dingen und Prozessen über Unternehmensgrenzen hinweg. Daten, die die digitalen Zwillinge repräsentieren. Technologien, die sie zum Leben erwecken. Prozesse, Daten und Technologien müssen verwaltet, überwacht und deren Änderungen gesteuert werden. Um den Anforderungen einer vielfältigen Gesellschaft gerecht zu werden, benötigt man koexistierende Schnittstellen zwischen der physikalischen und der digitalen Welt, die jederzeit, überall und sicher eingesetzt werden können.

Der Mensch ist für ein veränderungsarmes Leben optimiert. Die Stärke der Menschheit ist aber, sich zu vernetzen, zu kommunizieren und zu kooperieren und somit die notwendigen Kompetenzen auf viele Personen zu verteilen. Eine einzelne Person oder Abteilung wird dies in Zukunft nicht mehr leisten können. Agile Organisationen, Weitsicht und Visionen bringen die notwendige Anpassungsgeschwindigkeit.

Manche IT-Abteilungen haben sich dabei schon in den vergangenen Jahren einem radikalen Wandel unterworfen. Viele sind agil geworden und tragen damit der Kultur der schnellen Anpassungsfähigkeit Rechnung. Dies ist aber sinnlos, wenn die gesamte Organisation nicht agil wird. Denn dann droht Inkompatibilität. Viel wichtiger ist, dass die Fachbereiche agil werden und die IT-Abteilung das unterstützt. In den Fachbereichen muss mit Prozessen, Daten und Technologien experimentiert werden, um sich immer wieder schnell an neue Rahmenbedingungen anpassen zu können.

Anpassen oder Auslagern

Meiner Einschätzung nach müssen sich die IT-Abteilungen entlang der gesamten digitalen Transformation gemeinsam mit den Unternehmen einem radikalen Wandel unterwerfen. Die Aufgaben der IT werden dabei die Verwaltung, Überwachung und Steuerung der Änderungen von Prozessen, Daten und Technologien werden. Die Technologien selbst kommen von den Spezialisten auf dem Markt.

Wichtig ist, die Kontrolle über die Kompatibilität und das Zusammenspiel der Lösungen zu behalten und den Fachbereichen ein breites Portfolio an Prozessen, Daten und Technologien anzubieten, die diese selbstständig und agil gestalten können. Damit dies funktioniert, braucht es intensive Beratung, Schulung und Unterstützung der Fachbereiche.

Ich wette daher, dass bis zum Jahr 2026 entweder viele IT-Abteilungen ausgelagert werden oder sich an die Anforderungen der digitalen Transformation anpassen werden.