Große Skepsis

Die HP-Umbaupläne im Urteil der Analysten

23.08.2011 von Werner Kurzlechner
PC-Sparte verkaufen, Tablets und WebOS eindampfen, Autonomy kaufen. Experten bewerten die Ankündigungen und Zukunft von HP äußerst kritisch.
Verkündet nicht zum ersten Mal strategische Visionen: HP-Chef Léo Apotheker.
Foto: HP

HP hat in der vergangenen Woche für mächtig Wirbel in der IT-Welt gesorgt. Dabei sind es bislang lediglich Absichten für die kommenden zwölf bis 18 Monate, die Konzernchef Léo Apotheker am Donnerstag verkündete. Aber diese Plänen haben es in der Tat in sich: Von der Sparte Personal Systems Group (PSG) will sich HP trennen. Der Weltmarktführer will sich wegen zu kleiner Gewinnmargen aus der PC-Produktion verabschieden.

Zugleich begräbt HP offenbar seine Ambitionen im Smartphone- und Tablet-Bereich und überlässt das Feld Apple, Google und Microsoft. Eigene WebOS-Hardware wie den erst vor zwei Monaten vorgestellten Tablet-Rechner TouchPad will HP künftig nicht mehr herstellen, nach Alternativen für das WebOS-Betriebssystem soll gesucht werden.

Stattdessen soll der von Branchenkennern auf 10 Milliarden US-Dollar geschätzte Kauf des britischen Datenanalyse-Spezialisten Autonomy den radikalen Umbau zum Software- und Service-Unternehmen krönen.

An der Börse plumpste der Wert der HP-Aktien nach diesen Bekanntmachungen erst einmal mächtig nach unten, Apotheker leistet deshalb momentan Beschwichtigungsarbeit. Aber welche Folgen haben diese Vorhaben für HP, den IT-Markt, die Wettbewerber und die Anwender?

Euphorisch klingen die Einschätzungen aus den Analysten-Häusern alles in allem nicht. Noch recht optimistisch liest sich auf den ersten Blick ein Statement von Ronald Paschen, Partner bei der Outsourcing-Beratung TPI Deutschland GmbH. „Meine Schlussfolgerung ist, dass dieser Schritt für HP zu einer langfristigen Rentabilität führen wird“, sagt Paschen.

Durch den weiteren Umbau in Richtung Dienstleistung könne sich HP in der Produktion auf Kernbereiche wie Drucker und medizinische Geräte konzentrieren. „Léo Apotheker trat seinerzeit mit dem Ziel an, den Software- und Servicebereich bei HP zu verstärken“, so der TPI-Analyst weiter. „Dies ist ganz klar ein erster wichtiger Schritt auf diesem Weg.“

Bedenkliche Symptome: Der Markt treibt HP

Soweit also eine HP bestätigende Deutung, die richtigen Schritte eingeleitet zu haben. Allerdings beobachtet auch TPI an den aktuellen Vorgängen im Markt Symptome, die bedenklich stimmen. „Es ist klar geworden, dass nicht HP den Markt bewegt, sondern der Markt HP“, erläutert Paschen. Der Rückzug des Unternehmens aus der Rechner-Herstellung werfe die Frage auf, wer dieses Geschäft überhaupt noch mit zufrieden stellenden Erträgen betreiben könne.

Paschen vermutet, dass Dell angesichts zuletzt schwacher Quartalszahlen und niedriger Zuwächse beim Rechner-Verkauf einen ähnlichen Weg wie HP einschlagen könnte: konsequenter Umbau in Richtung Software und Services sowie Spezialisierung auf Großkunden. Auf dem PC-Markt blieben dann nur die großen asiatischen Firmen übrig, während Apple die Rolle als ungestörter Platzhirsch bei den Smartphone- und Tablet-PCs genießen könnte.

HP-Tablets scheitern an fehlenden Apps

Der angedachte Abschied HPs von WebOS ist aus Sicht TPIs nur konsequent. Der Versuch, Apples Übermacht auf Basis einer Kombination aus Endgeräten und Betriebssystemen anzugreifen, sei schlichtweg an fehlenden Apps gescheitert. „Die Musik spielt immer bei den Anwendungen“, sagt Paschen. Gerade deshalb tangierten die HP-Vorhaben Apple auch kaum – der wohl bald verschwindende Konkurrent war sowieso zu schwach auf der Brust. Nach der Ankündigung der Übernahme von Motorola Mobility durch Google erwartet TPI in diesem Markt eine dauerhafte Dominanz von Apple einerseits und Android andererseits.

Prophezeit weitere Umbauten: TPI-Analyst Ronald Paschen.
Foto: TPI

Andere Analysten untermauern diese Sicht. „HP war der vierte Gaul in einem Drei-Pferde-Rennen“, formulierte gegenüber unserer amerikanischen Schwesterpublikation Computerworld Ezra Gottheil, Analyst bei Technology Business Research. Im Smartphone-Rennen mischt neben Apple und Android noch Microsoft mit, bei den Tablets ist Apple vorerst enteilt.

Weder Gottheil noch Chris Connery, Analyst bei DisplaySearch, gehen aber davon aus, dass die Apple auf Dauer uneinholbar enteilt sei. Nur: HP und WebOS taugten eben nicht als Herausforderer. Die Vorgänge in Apothekers Konzern fasst Gottheil in einem Bonmot zusammen: Im Zeitalter der „Konsumerisierung“ der IT „entkonsumerisiere“ HP sein Geschäft.

HP-Umbau könnte noch weiter gehen als bisher bekannt

TPI geht sogar davon aus, dass die Umbauten bei HP noch weiter gehen könnten als bisher bekannt. Der eigene Fieldservice, also der Vorort-Support bei Firmenkunden, sei für ein Großunternehmen wie HP im Grund längst nicht mehr lukrativ und von Wettbewerbern wie IBM oder T-System deshalb längst ausgelagert. Über kurz oder lang rechnet Paschen mit dieser Entwicklung auch bei HP. Bei Apothekers Ankündigungen fehlt dem Analysten indes die konkrete Vision, welche Geldbringer neben größeren Outsourcing-Deals und Software für Geschäftsprozesse „außer ein paar Druckern“ am Ende übrig bleiben.

Das offenbar auch auf Druck der Wall Street geplante Abstoßen des für satte 31 Prozent des HP-Konzernumsatzes verantwortlichen PC-Geschäfts erinnert Analysten zwar an den Verkauf der IBM-PC-Sparte an Lenovo vor einigen Jahren. Tenor ist aber auch, dass die Situation seither für ein derartiges Unterfangen schwieriger geworden sei.

Cloud-Computing ruiniert das Service-Geschäft

Forrester-Analyst John McCarthy verweist in seinem Blog darauf, dass seit Anbruch der Cloud Computing-Ära das Geschäft mit IT-Services ins Stocken geraten sei – was HP seit zwei Jahren am eigenen Leib spüre. Es werde immer mehr klar, dass IT-Abteilungen eine Cloud-Strategie als günstige Alternative zum Outsourcing bevorzugten – zumal sich die Prozesse auf diesem Wege weiterhin kontrollieren lassen.

Wafa Moussavi-Amin, Geschäftsführer IDC Deutschland und Schweiz, betrachtet Zeitpunkt und Art der Kommunikation als folgenschweres Eigentor: „Durch HPs Ankündigung, PSG abstoßen zu wollen, und das ohne klare Pläne oder einen potenziellen Käufer, läuft nun der Countdown für rentable PC-Geschäfte und der Wert sinkt“, so Moussavi-Amin. „Trotz anders lautender Aussagen von HP haben diese Bekanntmachungen den sowieso schon geringen Marktchancen von WebOS als mobiles Betriebssystem den Garaus gemacht.“

Mögliche Käufer der PC-Sparte: Samsung und Lenovo

IDC erwartet nun ein schnelles Abwandern der besten PSG-Mitarbeiter. Als potenzielle Käufer dieser HP-Sparte denkt Moussavi-Amin insbesondere an Samsung und Lenovo. „Das wäre in jedem Fall ein Riesending, egal wer nun letztendlich der Käufer ist“, so der Analyst. „Beide Hersteller verfolgen aggressive Wachstumspläne. Wenn diese umgesetzt werden, dann werden die Karten in der gesamten PC-Welt wohl neu gemischt.“

HP drohten in den kommenden Monaten schwere Einbußen insbesondere bei den Geschäftskunden. „Schafft es HP nicht, hier schnell eine Lösung zu finden, werden Großunternehmen, die von ihren Lieferanten klare Produkt-Roadmaps, ein stabiles Image und eine garantierte langfristige Verfügbarkeit für die Geräte fordern, zweifellos der HP-Konkurrenz den Vorzug geben“, argwöhnt der IDC-Deutschlandchef. Die Konkurrenz werde sich jetzt rüsten und aggressiv um das HP-Geschäft kämpfen, meint Moussavi-Amin.

Aus Sicht seiner Kollegen von IDC Europe, Douglas Hayward, Jane Doorly und Mette Ahorlu, gibt HP mit PSG die Kostenvorteile eines Marktführers aus der Hand – und damit auch die Macht, seinen Kunden Support und Service für die eigene Produktfamilie aufzudrücken. Firmenkunden eröffne das eine gute Gelegenheit, hart über diese Kostenstellen zu verhandeln. Zudem sei zu erwarten, dass sowohl beim PC-Segment als auch bei WebOS Großkunden langfristige Roadmaps und eindeutige Support-Garantien einforderten. Wie einst bei IBM/Lenovo sei davon auszugehen, dass HP auch einige Zeit nach einem PSG-Verkauf auf Basis eines Reseller-Agreements weiter PCs verkaufe.

HP-Tablets und WebOS: leichterftig verspielte Chance

Im Smartphone- und Tablet-Bereich verschenkt HP nach Einschätzung von IDC-Deutschland leichtfertig eine Chance. Da nach dem Google-Motorola-Deal Anbieter wie HTC, LG und Samsung auf der Suche nach einer Alternative zu Android seien, hätte HP WebOS jetzt gut als Lizenzgeber vermarkten können, so Moussavi-Amin: „Doch HP hat WebOS sozusagen erst einmal aufs Abstellgleis geschoben, bis über die Zukunft von PSG entschieden ist, und dem Betriebssystem damit den Todesstoß versetzt.“ Auf WebOS werde niemand warten, der Vorsprung von Apple und Android sei nahezu unaufholbar, so IDC. Und wenn von den aktuellen Entwicklungen ein Dritter profitiere, dann Microsoft. Dazu passen die Gerüchte, dass Microsoft bereits um WebOS-Mitarbeiter buhlen soll.

Den anvisierten Autonomy-Deal wertet John McCarthy von Forrester Research zwar als prinzipiell sinnvollen Ausbau von HPs Analytics-Portfolio. Allerdings kauften Konkurrenten wie IBM, Accenture und Deloitte beinahe wöchentlich Software-Firmen auf. Soll heißen: Der bisherige Hardware-Riese stürzt sich mit vollem Gewicht in einen Software-Kampf, für den sich Wettbewerber längst mit aller Macht rüsten. Hayward, Doorly und Ahorlu von IDC Europe weisen darauf hin, dass Autonomy eine der hochpreisigsten Web Content Management-Serien vertreibe.

Anwender sollten jetzt Preise neu verhandeln

Auch sehen sie eine gute Gelegenheit für Anwender, über die Preise zu verhandeln – zumal es um die Usability von Konkurrenz-Produkten nicht unbedingt schlechter bestellt sei. Für HP sei strategisch entscheidend, inwieweit man sich auf Basis von Autonomy, das seinen Umsatz derzeit zu fast zwei Dritteln im Cloud-Geschäft erwirtschafte, als starker Cloud-Service-Anbieter profilieren könne.

Aber kommt alles überhaupt so wie, wie es am vergangenen Donnerstag geklungen hat? Schließlich bemüht sich Apotheker ja seither um Beschwichtigung. Was also, wenn HP sein PSG-Sparte am Ende doch nicht verkauft? „Wenn das der Fall wäre, hat HP mit seinem Versuch, die Wall Street zu beruhigen, der PSG-Sparte wohl ernsthaften Schaden zugefügt und ihre zukünftige Rentabilität damit aufs Spiel gesetzt“, so IDC-Analyst Moussavi-Amin.