CIO der Zukunft

Die neue IT-Elite

04.03.2005 von Andreas Schmitz
Ein CIO darf nicht an seiner Macht festhalten, muss offen sein für Ideen von Kollegen, Wettbewerbern und Leistungsanbietern. Er holt sich Rat und Unterstützung von Sparringspartnern aus dem Business-Bereich, entwickelt ein Gespür für Fachbereiche und gibt seine Pläne klar und verständlich weiter. Blockierer haben ausgedient.

Manchmal etwas forcieren, ein wenig mehr Schwung, nicht übertreiben: Pianist und Sänger Torsten Ecke hält es mit seinen Musik-Bands so wie der langjährige Chef der Boston Consulting Group (BCG) John Clarkeson mit der Führungsphilosophie: "Ein gemeinsames Thema finden, Freiheiten lassen, Skills einfangen". Der Gründer der ersten BCG-Band und seit Anfang 2004 CIO des Düsseldorfer Energiekonzerns Eon Ecke sucht auch für sein IT-Programm "Operations 2008" den richtigen Rhythmus. "Deswegen nehmen wir uns dafür auch drei Jahre Zeit." In einer Zeit des Wandels will Ecke bei Eon nichts übers Knie brechen.

Gisela Wörner gab jahrelang als Nummer eins der IT bei Eon den Ton an. Da war Ecke noch CIO der Energie-Tochter Eon Energie des damaligen Mischkonzerns. Inzwischen hat der Vorstandsvorsitzende Wulf Bernotat das Energie - zum Kerngeschäft erklärt. Die Chemiesparte mit Degussa und Hüls, die Logistik mit Stinnes und der Handelszweig Klöckner gehören nun nicht mehr zur Holding. Der Konzern wurde entschlackt und fokussiert. Da ist es nur logisch, dass der Ex-Energie-CIO nun Gesamt-CIO ist. Ecke schlüpfte in eine neue Rolle - wie so viele CIOs in den letzten Jahren.

Karl Hecken von der Personalberatung Convenio in Rolandseck bei Bonn macht seit kurzem einen regelrechten Bruch in den Unternehmen aus: "Der Personalmarkt stagnierte völlig zwischen 2001 und Anfang 2003", sagt Partner Hecken, der mit seiner Gesellschaft jährlich über 200 Positionen in der ersten und zweiten Riege des IT-Managements neu besetzt. Doch jetzt kommt immer mehr Bewegung ins Spiel - die "Ersatzbeschaffung" sei heute ein vielgebrauchtes Wort in den Unternehmen. Ersatz für Manager, die in ihrem Bereich zu viel Macht ausleben, nur bedingt in Prozessen denken und über Prozess-Outsourcing nur die Nase rümpfen. "Bei der Ersatzbeschaffung geht es um besetzte Positionen", erläutert der Rheinländer, "doch sie passen nicht mehr in die Zeit."

Und tatsächlich gestehen IT-Verantwortliche in unserer Leserumfrage "State of the CIO" Fehler ein - und zeigen sich damit selbstkritisch. Auf die Frage nach den größten Hürden als CIO gab die Mehrheit der 143 im Dezember 2004 Befragten der "Unfähigkeit, Aufgaben zu delegieren, Kontrolle auf- und Macht abzugeben" die größte Bedeutung (siehe Grafik, rechts unten). "Die alte Rolle des IT-Chefs stand für Macht, die sich in einer Ansammlung von Unternehmensabhängigkeiten zeigte", so Hecken - "mit der Botschaft: Ihr braucht mich". Im Hinblick etwa auf das Auslagern von kompletten Business-Prozessen wie der Logistik, des Zahlungsverkehrs oder des gesamten HR-Bereiches, also von der Administration bis zur Abrechnung, baue der CIO der alten Generation "riesige Problemberge" auf. Bei vielen IT-Chefs spürt Hecken eine "Unbeweglichkeit, was die Aufstellung der IT angeht", ein Drittel sieht er gar als "absolute Blockierer", die sich dem Wechsel hin zum Prozess-CIO vehement in den Weg stellten - und dies, obwohl der CIO des neuen Zuschnitts weit mehr an Kompetenz gewinnt.

"Macht = Mitarbeiter" stimmt nicht mehr

Als Beispiel nennt Hecken Peter Gerard, der seinen Posten als CIO des krisengeschüttelten Handelshauses Karstadt-Quelle Anfang Januar aufgab. Nur wenige Tage später verkündete der Karstadt-Quelle-Vorstand, wesentliche Teile der Logistik an die Deutsche Post Tochter DHL abzugeben.

Heckens Ansicht trifft sich mit der von Frank Annuscheit, der seit September 2003 CIO der Commerzbank ist: "Die Macht ist nicht mehr unbedingt an der Zahl der Mitarbeiter oder direkten Budgets abzulesen", so der Banken-CIO, dem Netzwerke wichtig sind. Nicht direkte Kontrolle, sondern die Fähigkeit, sich zu vernetzen und unterschiedlichste Strömungen aufzugreifen, sei eine wesentlich Voraussetzung, seine Ziele zu erreichen. Die Konsequenz: Gefragt sei künftig ein weniger autoritärer und autokratischer Managertypus, der bestehende Strukturen zementiert, sondern ein integrierender und delegierender.

Sowohl innerhalb als auch außerhalb des Frankfurter Bankinstituts registriert Annuscheit eine klare Veränderung - weg von hierarchischen Beziehungen, hin zur Kooperation. Starre, vertraglich geregelte Kunden-Lieferanten-Beziehungen weichen Partnerschaften - mit großen IT-Dienstleistern und sogar Wettbewerbern. Annuscheit etwa trifft sich mehrmals im Jahr mit zehn IT-Verantwortlichen deutscher Großbanken, um neue Strategien zu erörtern. Auch innerhalb des Unternehmens, meint Annuscheit, seien hierarchische Strömungen nicht mehr entscheidend, sondern eine intensive "Quervernetzung" zwischen einzelnen Fachbereichen, also regelmäßiger Austausch. "Früher gab es das Selbstverständnis, Anwendungsentwicklung, Support und die Abwicklung wie etwa das Wertpapiergeschäft und den Zahlungsverkehr ausschließlich intern zu machen", blickt Annuscheit zurück. "Auch wenn die Commerzbank mit der gebotenen Sorgfalt mit dem Thema Outsourcing umgeht, wird inzwischen regelmäßig geprüft, ob der eine oder andere Prozessschritt nach draußen gegeben werden kann." Und zwar nicht nur von der Commerzbank. Der Grund: Ein Generationenwechsel in der Banken-CIO-Welt um die Jahrtausendwende - mit dem kamen etwa Hermann-Josef Lamberti zur Deutschen und Friedrich Wöbking zur Dresdner Bank.

"IT-Verantwortliche, die nicht an ihrem Bereich hängen und auf die Wertschöpfung achten, egal ob mit zehn oder 100 Leuten", ergänzt Katja Hollaender-Herr von Heidrick & Struggles, "sind auf dem richtigen Weg." Die CIO-Vermittlerin Hollaender-Herr registriert derzeit einen Anstieg der Vermittlerquote: "Jetzt geht es wieder los." Gefragt seien CIOs, die ihre Service-Delivery im Griff haben und transparent darstellen könnten sowie Prozesse im Fokus haben, meint Hollaender-Herr. Sie beobachtet bei ihren Kunden, dass operativ fähige CIOs oft bevorzugt werden: "Gegenüber rein strategischen CIOs sind die Kriterien klarer." Selbst Konzern-CIOs müssten operatives Know-how in ihrem Portfolio nachweisen.

CIOs sollten sich ständig erneuern

Die Autorinnen Marianne Broadbent und Ellen S. Kitzis vom Beratungshaus Gartner haben sich in dem Buch "The new CIO leader" (Harvard Business School Press, 2005, Boston, USA) damit auseinander gesetzt, was einen guten IT-Manager ausmacht. Er müsse die beiden Bereiche Demand und Supply abdecken, also zum einen Business-Kollegen zeigen, was aktuell möglich ist und morgen möglich sein soll, zum anderen die IT kostengünstig betreiben. Allerdings hängen die Nebenbedingungen von der jeweiligen wirtschaftlichen Situation des Unternehmens ab - "im Überlebenskampf" benötige das Unternehmen vor allem eine neue IS-Organisation, "im Verdrängungswettbewerb" eine funktionierende Governance, und "Unternehmen im Aufbruch" benötigen Visionen. Die Differenzierung lässt nur einen Schluss zu: "Sofern Sie sich nicht ständig selbst erneuern, sind Sie schon auf dem Weg, Ex-CIO zu werden. Die Anforderungen an einen CIO ändern sich ständig und sehr schnell", so die Autorinnen.

Eon-CIO Ecke stimmt zu. Eon im Jahr 2005 hat mit dem Konzern im Jahr der Fusion von Veba und Viag 2000 kaum noch etwas gemein. "80 Milliarden Euro wurden de- und reinvestiert", sagt Ecke. Aus dem Mischkonzern wurde ein Energiekonzern - ein 46 Milliarden Euro starkes Strom- und Gasgeschäft. Statt mehr als 100 000 Mitarbeitern 2002 arbeiten jetzt nur noch knapp 66 000 für Eon, das 2003 60 Prozent weniger investierte als noch im Jahr zuvor. Und Vorstandschef Bernotat rief Mitte 2003 das Projekt "On Top" aus. Darin eingebettet: "One IT" - das Umgestaltungsprogramm für die IT.

Seine Vorgängerin Gisela Wörner schuf unter dem Dach einer Mischkonzern-Holding einen - wie Ecke es nennt - Standard-Shop mit vereinheitlichten Systemen im Hinblick auf Microsoft und ERP oder Infrastrukturstandards. Zudem veranschlagte Wörner etwa die Hälfte ihrer Zeit für das Management der IT im Corporate Center. Nun gibt Eon-Boss Bernotat die Direktive aus: "Aus dem Corporate Center heraus aktiv führen, nicht nur lose wie eine Holding" - aber auch nicht wie einen mächtigen Zentralstaat. Es gibt zwar einen Gesamtbebauungsplan für die IT als Plattform für Harmonisierungen. "Die Prozesshoheit bleibt aber in den Märkten, und deren Anwendungen verantwortet ein lokaler CIO", sagt Ecke. Darauf setzt der neue CIO auf.

Seine Aufgabe sieht er darin, die Bereiche "Demand" und "Supply" quasi Gartner-konform konzernweit zu trennen (Ecke: "Bisher gab es das nur in Teilbereichen") und im Corporate Center die Fäden zusammenlaufen zu lassen. "Der CIO ist nicht länger der Produzent der IT, er muss ein hervorragender Einkäufer sein", erläutert Ecke. Konzernweite Services sollen durch einen internen Dienstleister, die IS:energy, aufgespürt und sämtlichen Einheiten als Shared Services zur Verfügung gestellt werden - etwa Collaboration- oder Infrastrukturanwendungen. Ecke findet sich in der neuen Rolle wieder: "Ich bin tief davon überzeugt, dass es richtig ist, die Prozesse in den Fachbereichen zu lassen", erläutert Ecke, "der CIO muss Partner sein, Verantwortung in den Fachbereichen lassen können." Der von Convenio-Mann Hecken ("Der Wechsel zum Prozess-CIO bricht über die Unternehmen herein") propagierte, zentral aufgestellte Chief Process Officer ist nicht sein Fall.

Peter Müller, Leiter des CIO Advisory Services beim Beratungshaus Deloitte, geht sogar noch einen Schritt weiter: "Eine reine Trennung von Supply und Demand mit zwei unabhängigen CIOs könnte das Zukunftsmodell für dezentrale Unternehmen werden", rüttelt Müller an Grundfesten der IT-Organisation. "Der CIO hat zwei Hüte auf: Einerseits muss er die Kosten im Griff behalten, andererseits Impulse für das Business geben", erläutert der Deloitte-Mann, dessen amerikanische Kollegen gerade den "CIO 2.0" ausgemacht haben.

Neu - und auch schon hier und da in der Praxis anzutreffen - seien CIOs, die auf dem Sprung sind, Business-Innovatoren zu werden:

- Sie haben einen Sparringspartner auf der Business-Ebene.

- Sie definieren sich nicht als reine Technologen, haben ein Gespür für die Fachbereiche.

- Sie sind im Unternehmen bereits in unterschiedlichen Funktionen rotiert.

- Sie sind in die strategische Planung eingebunden.

Und Gartner-Vice-President Martin Plessow ergänzt: "Der CIO sollte sich zum Relationship-Manager entwickeln, der mehr als bisher Kontakte pflegt - zu Kollegen, Vorgesetzen und Kooperationspartnern." Und er rät: Betriebswirtschaftliche Kenntnisse über einen MBA-Abschluss, ein externer oder auf Vorstandseben angesiedelter Coach wären sinnvoll, ebenso wie eine Betonung des seiner Meinung nach immer wichtiger werdenden Bereichs der Personalentwicklung - auch und besonders auf der zweiten Managementebene.

Von wegen "luftgetrockneter Konzernstratege"

Wie der Absolvent der Managementschmiede Insead Chittur Ramakrishnan (siehe Portrait Seite 70) von Energie-Konkurrent RWE hat auch Eons IT-Chef Ecke einen MBA und definiert sich ebenso wie Ramakrishnan als CIO in Konzernfunktion. Eckes Erfahrung in der IT-Umsetzung, Neuorganisierung von Rechenzentren und dem Rollout einer Konzernvernetzung würden ihn nicht dem "Vorurteil aussetzen, ein luftgetrockneter Konzernstratege" zu sein. Übrigens liegt es im Trend, mit Erfahrungen aus der Unternehmensberatung in Unternehmen CIO zu werden - das ergab die Umfrage State of the CIO. Demnach hatte die Mehrheit der Befragten die meiste Nicht-IT-Erfahrung in der Unternehmensberatung gesammelt (siehe Grafik Seite 20). Dennoch - und aller Erfahrung zum Trotz - liegt ihm daran, ein Netz an Sparringspartnern zu haben. "Das ist wichtig", so Ecke, der die Diskussion mit anderen "unbelasteten Leuten" schätzt. Auch der regelmäßige Austausch mit seinem Chef, Finanzvorstand Erhard Schipporeit, ist für ihn "essentiell für das Big Picture".

Zwei von drei CIOs gaben in der CIO-Umfrage an, dass nach dem "strategischen Denken und Planen" sowie dem "Verstehen von Geschäftsprozessen" die Fähigkeit "effektiv zu kommunizieren", ein wesentlicher Baustein für den Erfolg als CIO ist (siehe Grafik Seite 22) "Die Frage 'Wie funktioniere ich und wie funktioniert mein Gegenüber?' wird immer wichtiger", meint Gartner-Mann Plessow. Deshalb hat das Beratungshaus auch erstmals in seinem Self Assessment (www.cio.de/assessment) den Baustein "Communicate your performance" integriert. Ecke nennt das ein wenig anders: "Leute dazu bringen, zu tun, was sie eigentlich nicht wollen, und dann auch noch schneller, als sie wollen", sagt der Eon-Mann, der sich selbst als Promotor sieht, dem "das Zurückhalten schwer fällt". Die Gefahr des Übertölpelns dürfte Ecke allerdings auch bekannt sein - zu oft hatte er sich zum Abschluss der langen Band-Abende auf der Gitarre zu Rainhard Fendrichs Rattenfänger verausgabt. Der Star darin: ein Mann, der durch seine Flöte Macht und magische Kräfte zugesprochen bekommt. Und wie heißt es hier so schön: "Es gibt so viele Rattenfänger, auf amoi rennen's los und alle hinterher - wie die Lemminge ins Meer".