Facebook verboten

Die Social-Media-Strategie bei Continental

21.06.2011 von Alexander Freimark
Facebook und Twitter sind bei Continental verboten. Dafür führt CIO Ralf Brunken jetzt eine interne Social-Media-Plattform für 80.000 Mitarbeiter ein. Eine aktuelle KPMG-Studie bestätigt ihn in diesem Projekt.
Ralf Brunken, CIO, Continental Automotive: "Wir müssen die Menschen einfach machen lassen und ihnen Freiraum geben, und alle Beteiligten müssen sich auf viele kurze Lernzyklen einstellen."
Foto: Joachim Wendler

Ralf Brunken sieht gerne Tatort und kennt den Herrn der Ringe mit Vornamen. Der promovierte Maschinenbauer interessiert sich für Psychologie, Selbstorganisation und komplexe Systeme. Gelegentlich läuft er, oder er spielt eine Runde Golf. Das schreibt er in seinem privaten Facebook-Account. Dagegen hat der CIO der Automotive-Sparte von Continental den Zugriff vom Arbeitsplatz auf externe Dienste wie Facebook und Twitter gesperrt. In diesem Jahr führt Brunken jedoch eine interne Social-Media-Plattform für 80.000 Mitarbeiter ein. Mit dem Schritt ist der Automobilzulieferer vielen deutschen Unternehmen voraus.

Social Media hat das Zeug, auch im Enterprise-Umfeld das "nächste große Ding" zu sein. Dennoch tun sich viele Unternehmen schwer damit, das Potenzial rational zu bewerten. Die enge Bindung des Begriffs an Facebook, Twitter und Youtube hat zwar den Hype befeuert, doch die Akzeptanz in den Unternehmen leidet unter dem vermeintlichen Fokus auf das Persönlich-Banale. Hinzu kommt: Social Media erzwingt
Veränderungen und sorgt damit für Unsicherheit, macht im Unternehmen eine bereichsübergreifende Initiative erforderlich, und empirische Erkenntnisse zur Umsetzung liegen bislang kaum vor.

Social Media ist, um eines der privaten Interessen auf Facebook von CIO Brunken aufzugreifen, ein komplexes System. Das macht es auch so schwer, Grenzen zu erkennen und Chancen zu sehen, um eine fundierte Entscheidung zu treffen: Jetzt loslegen? Social Media ist nicht nur Facebook und Twitter mit ihren vermeintlich persönlichen Banalitäten. Es geht vorrangig um eine neue Struktur der Kommunikation. Insofern ähnelt Social Media Beton: Es kommt darauf an, was man daraus macht.

Unternehmenszahlen der Continental AG.
Foto: CIO.de

Der Stand der Dinge in großen deutschen Unternehmen ist derzeit: Ja, aber. Laut der aktuellen Untersuchung "Soziale Medien und Netzwerke in der Automobilbranche. Eine Analyse aus Sicht des CIO" von KPMG zusammen mit dem Institut für Marketing der Universität St. Gallen zeigt das Missverhältnis von beigemessener Relevanz und tatsächlicher Umsetzung. Von einer "strategischen Lücke" spricht beispielsweise Sebastian Paas, Partner bei KPMG und Studienverantwortlicher. Zwar lag der Schwerpunkt der Analyse auf dem Automotive-Sektor, doch ist Social Media beileibe kein branchenspezifisches Phänomen. Die Bedeutung wird von den befragten IT-Managern überwiegend als "mittel" bewertet, doch die Tendenz ist eindeutig: 86 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die Bedeutung von Social Media steigen wird. Nur magere zwei Prozent der befragten Automotive-Manager gehen davon aus, dass dem Hype der Sprit ausgeht.

Ralf Brunken(rechts) mit zwei Mitarbeitern von Continental.
Foto: Joachim Wendler, München

Doch die strategische Lücke lässt sich nicht wegdiskutieren: "Anwendungen und Prozesse für Social Media sind derzeit in der Automobilindustrie noch kaum implementiert", berichtet KPMG-Partner Paas. Wo bereits heute der Thematik eine hohe Relevanz beigemessen wird, tüfteln Organisationen an der Ausarbeitung einer Social-Media-Strategie. Gerade die Spannung zwischen fehlender Umsetzung und vermeintlich hoher Relevanz erzeugt einen Handlungsdruck, den einige Unternehmen aufnehmen wollen.

In den anderen beiden Teilgruppen, die Social Media zurzeit eine geringe oder mittlere Bedeutung attestieren, befinden sich die CIOs hingegen "vielfach noch in der Orientierungsphase", so Paas, die häufig von einer gewissen Unsicherheit geprägt sei: Was nützt mir das, was kostet das, wann soll ich handeln? So landet Social Media schnell in einer Schublade - verbunden mit der Hoffnung, dass sich eines Tages der Nebel gelichtet haben und die beste Entscheidung sichtbar wird.

Projekt

Social-Media-Plattform

Branche

Automotive

Zeitrahmen

03/2011 bis 12/2013

Mitarbeiter

zehn Conti-Mitarbeiter Vollzeit (IT, Kommunikation, HR, Quality) plus externe Berater (Konzept, Entwicklung)

Aufwand

30 Mannjahre

Produkte

IBM Connections, Sametime, Notes, Omnifind;
Microsoft SharePoint Foundations

Dienstleister

mehrere Beratungs- und Entwicklungspartner

Internet

www.conti-online.com

Zum Beispiel die Entscheidung, Social Media für die interne Kommunikation von 80.000 Continental-Mitarbeitern zu ermöglichen, also für gut die Hälfte der Gesamtbelegschaft. Geplant ist eine Plattform mit durchgängigen Kommunikationsprozessen, inklusive Collaboration, Instant Messaging, Profilen, Blogs und E-Mail sowie einem Dokumenten-Management-System. "Wir wollten nicht mehr abwarten, sondern sind einfach den Schritt gegangen", kommentiert Brunken das gemeinsame Projekt aus dem Hoheitsbereich seiner CIO-Kollegin Elisabeth Hoeflich von der Rubber-Group des Konzerns. "Offensichtliche Fragen" -Datenschutz, Datensicherheit - seien zuvor von Personalabteilung, Konzernkommunikation und IT geklärt worden. Bei den Inhalten müsse man nun beobachten, was passiert, schnell reagieren und vor allem lernen - "wie damals, als das Internet aufkam".

Die "low hanging fruits" ernten

Auch in der KPMG-Studie wurde die interne Kommunikation als erste Wahl für ein Social-Media-Projekt bezeichnet. Immerhin 78 Prozent der befragten CIOs nannten diesen Einsatzbereich, und auch CIO Brunken vermutet hier "low hanging fruits". Zudem könne man intern besser üben und die Medienkompetenz trainieren. "Soziale Medien bieten weitaus größere Chancen als die bisherigen Ansätze, um die Produktivität der internen Zusammenarbeit zu fördern", stimmt KPMG-Berater Paas zu. Schneller, einfacher und effizienter über funktionale und regionale Grenzen kommunizieren - das klingt verlockend. Andere Einsatzgebiete sind laut Untersuchung die Verbesserung der Markenwahrnehmung, der eigenen Innovationsfähigkeit sowie der Attraktivität als Arbeitgeber.

Social Media: Bewertung von Hypothesen zu Strategie und Konzepten.
Foto: CIO.de

Die technische Aufgabe, eine Social-Media-Initiative abzubilden, ist kein Hinderungsgrund für die Umsetzung und eignet sich schon gar nicht als Ausrede: "Das ist unser normales IT-Geschäft - wir stellen eine Plattform bereit und legen Wert darauf, dass die Usability sehr hoch ist", sagt Brunken. Bei Social Media ist der Umgang mit unstrukturierten Daten ein wichtiges Erfolgskriterium, was aber auch kein echtes Neuland ist. Das sich anbahnende Datenvolumen bezeichnet Brunken immerhin als "spannend" - welche Daten müssen archiviert werden, welche Informationen dürfen wann gelöscht werden, wie müssen die Sozialpartner und Datenschützer mit dem Prozess verbunden werden? Im Grunde genommen gehe es darum, Software mit Schnittstellen einzuführen und sicherzustellen, dass alles wie geplant funktioniert.

Verlustängste der Manager

Conti-CIO Brunken sieht die Rolle der IT als "integrierender Koordinator", nicht nur für Social-Media-Initiativen. Aufgabe der IT bei Continental sei es, durch Technologie die Standardisierung des Rahmenwerks über die Business-Units und Divisionen hinweg zu leisten. "Ohne diese Plattform sind sie global nicht netzwerkfähig." Das Continental-Management wählte hier den Vergleich mit den mittelalterlichen Geschlechtertürmen in Norditalien, die zum eigenen Ruhm und gegen die Nachbarn errichtet wurden.

Zur besseren Kommunikation werden nun Brücken zwischen den Türmen gezogen. Regionale Instanzen und geschäftliche Einheiten rücken näher zusammen, klassische Silos werden mithilfe der Kommunikation in Richtung einer Netzwerkorganisation entwickelt. "Social Media hat das Potenzial für eine hohe Effizienzsteigerung in der Kommunikation", sagt Brunken.

Natürlich gibt es auch Risiken, wie bei jeder gravierenden Veränderung. Über allem, das untermauert die KPMG-Studie, stehen Verlustängste der Manager - Verlust von geistigem Eigentum, Verlust von Daten, Verlust von Kontrolle, aber auch die Angst vor kritischen Äußerungen der Mitarbeiter sowie ein negativer Einfluss auf die eigenen Marken. "Durch die intensive Einbindung der Mitarbeiter wird die Verantwortung für die Sicherheit und die Qualität der Inhalte dezentralisiert", berichtet KPMG-Berater Paas aus der Praxis.

"Müssen wir künftig Medienkompetenz in die Ausbildung der Mitarbeiter aufnehmen?", fragt sich da nicht nur CIO Brunken. Der IT-Manager sieht noch ein anderes Risiko neben den in der Studie verzeichneten Punkten: "Auch die hohen Erwartungen an Social Media bergen Gefahren - man darf über den Hype nicht vergessen, dass dahinter immer noch solide Projektarbeit stehen muss."

Solide Projekte kosten Geld, ein nicht unwesentlicher Faktor in der Enterprise-IT. Die Rentabilität eines derartigen Projekts lässt sich jedoch kaum mit Fakten bestimmen - "aber bei E-Mail und Telefon rechnet ja auch keiner den wirtschaftlichen Nutzen für das Business nach", argumentiert Brunken. Diese Technologien würden nicht infrage gestellt, sie seien inzwischen selbstverständlich. "Ich bin fest davon überzeugt", sagt der Continental-CIO, "dass Social Media über die nächsten Jahre genauso eine Selbstverständlichkeit in Unternehmen wird."

Noch viele Diskussionen vor uns

Letztlich ist und bleibt Social Media ein kulturelles Phänomen, das sich nicht allein durch Technik in den Griff kriegen lässt. Nur wenn das Top-Management bereit ist, den Wandel zu unterstützen und anzutreiben, kann die Kommunikation auf eine neue Ebene gehoben werden. Hinzu kommt die Bereitschaft der Mitarbeiter zu Veränderungen - nicht jeder findet die neue Interaktion und Transparenz gut, im Gegenteil. Umdenken vom Management zu fordern ist die eine Sache, sich selbst zu verändern die andere; das gelingt nur selten auf Knopfdruck. "Wir müssen die Menschen einfach machen lassen und ihnen den nötigen Freiraum geben", argumentiert Brunken, "und alle Beteiligten müssen sich auf viele kurze Lernzyklen einstellen." Trotz des bereits erfolgten Startschusses für das Projekt bleibt der promovierte Maschinenbauer jedoch Realist: "Vor uns liegen noch viele Diskussionen und viel Arbeit."

Recht - Aufbewahrung und Mitbestimmung

Jan Geert Meents, Rechtsanwalt und Partner bei der Kanzlei DLA Piper.
Foto: DLA Piper

Jan Geert Meents, Rechtsanwalt und Partner bei der Kanzlei DLA Piper

Die zentrale Aufgabe bei der Einführung einer Social-Media-Plattform im Unternehmen besteht nicht in der technischen Umsetzung, sondern in der Ausgestaltung der digitalen Kommunikation. Zudem sind rechtliche Anforderungen zu beachten - auch bei Social Media.

Aufbewahrungspflichten ergeben sich insbesondere aus dem Handelsrecht (Handelsgesetzbuch) und dem Steuerrecht (Abgabenordnung). So müssen Bücher, Eingangs- und Ausgangsrechnungen, Buchungsbelege, Inventare, Bilanzen und Lageberichte zehn Jahre aufbewahrt werden, bei Handelsbriefen (ohne Eingangs- und Ausgangsrechnungen), Geschäftsbriefen, E-Mails und anderen digitalen Dokumenten, soweit diese für die Besteuerung wichtig sind, beträgt die Frist sechs Jahre.

Unternehmen, die Daten im Wesentlichen digital speichern, sehen sich mit einigen Problemen konfrontiert: Ein Wechsel von IT-Systemen oder die Löschung von online gespeicherten Daten muss sich an den vorstehenden Aufbewahrungsfristen orientieren. Die Daten müssen trotz Änderung der IT-Strategie über die gesamte Dauer der Aufbewahrungsfrist digital auslesbar bleiben. Im Ergebnis führt dies nicht selten dazu, dass Unternehmen die alte IT-Infrastruktur nur zu Zwecken der Datensicherung weiterbetreiben.

Soweit interne Chats und Mails steuerrelevante Informationen enthalten, sind sie wie andere Korrespondenz zu archivieren. Andernfalls unterliegen sie nicht den genannten Aufbewahrungspflichten.

Ohne die frühzeitige Beteiligung der Arbeitnehmervertreter lässt sich keine akzeptable Grundlage für eine unternehmensinterne Social-Media-Plattform errichten. Reine Empfehlungen und "gute Ratschläge" helfen im Streitfall nicht weiter. Zwar sind nicht alle Bestandteile einer Social-Media-Initiative mitbestimmungspflichtig, doch kann eine offizielle Betriebsvereinbarung dabei helfen, die Akzeptanz des neuen Mediums zu erhöhen und das Konfliktpotenzial zu senken.

Üblicher Regelungsinhalt einer solchen Betriebsvereinbarung kann beispielsweise die Trennung von beruflicher und privater Kommunikation, der Umgang mit Betriebsgeheimnissen, die Netiquette sowie arbeitsrechtliche Sanktionen bei Verstößen gegen Vereinbarungen und Richtlinien sein. In jedem Fall unterliegen die Leistungs- und Verhaltenskontrolle sowie die Frage, welchen Gruppen von Mitarbeitern ein Zugangsrecht zu Social Media gewährt wird, der Mitbestimmung des Betriebsrats.