Was Kunden des Walldorfer Software-Herstellers wissen sollten

Die Strategie von SAP verstehen

29.05.2008 von Nicolas Zeitler
SAP wird bis mindestens 2012 Enhancement-Packages für sein Produkt ERP weiterentwickeln. Diese Nachricht von der diesjährigen "Sapphire" dürfte viele Kunden der Walldorfer beruhigen, war die Weiterentwicklung bisher nur bis 2010 zugesagt. Doch wer erfolgreich mit SAP arbeiten will, sollte außer aktuellen Unternehmensnachrichten auch Grundsätzliches über den Kurs des Anbieters wissen. Schließlich kann Gelingen oder Scheitern eines ERP-Projekts über die weitere Karriere eines CIOs entscheiden.

Enterprise Resource Planning (ERP) kostet viel Geld -und schlimmstenfalls den CIO seinen Job. Das sagt Jim Shepherd, Analyst beim amerikanischen Beratungsunternehmen AMR. Aus seiner Sicht informieren sich zu viele IT-Verantwortliche nicht ausreichend über die Strategie des Anbieters SAP.

Die meisten SAP-Kunden suchten sich nicht im Sinne einer Best-of-Breed-Strategie die jeweils besten Produkte von verschiedenen Anbietern zusammen, sondern bänden sich mit millionenschweren Verträgen allein an den Walldorfer Software-Hersteller, schreibt Shepherd in einer Analyse unter dem Titel "The Five SAP Strategies That You Need To Understand". Bis eine SAP-Implementierung geldwerte Vorteile bringe, dauere es zudem meist Jahre. Vor diesem Hintergrund ist es für den Analysten unerlässlich, zu wissen, welchen Kurs das Dickschiff SAP fährt.

Zu beachten ist demnach zunächst die Release-Strategie. Bisher habe SAP meist im Abstand von fünf Jahren neue Produkte auf den Markt gebracht oder größere Änderungen eingeführt. Für die Anwender stand somit zweimal in einem Jahrzehnt eine größere Entscheidung an. Sie konnten entweder auf die Neuerungen verzichten, deren Entwicklung sie mit ihren Wartungsgebühren mitfinanziert hatten, oder ein Upgrade-Projekt einläuten, das viel Zeit und Geld kostete und zudem häufig unpopulär innerhalb des Betriebs war. Viele Unternehmen verzichteten lieber auf neue Software oder schoben den Umstieg auf.

Diese Haltung wird immer wieder deutlich, beispielsweise in einer Umfrage des Beratungsunternehmens PAC. Viele Anwender hielten sich demnach bis Ende 2006 mit SAP-ERP-Upgrades zurück, bis der Hersteller ankündigte, dass es vor dem Jahr 2010 keine größeren Änderungen an dem Produkt mehr geben solle. Und laut einer Befragung der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG) zu ERP 6.0 sind neue Funktionen ohnehin nur für ein Drittel der Unternehmen Grund für das Upgrade. Die Hälfte der Befragten will den Release-Wechsel hingegen vollziehen, weil die Wartung der bisher genutzten Lösung ausläuft.

Enhancement-Packages für ERP soll es laut neuesten Informationen nicht nur bis 2010 geben, sondern mindestens zwei Jahre länger.

Mit der Veröffentlichung von ERP 6.0 sind die Walldorfer Jim Shepherd zufolge nun auf eine neue Strategie umgestiegen. Statt im Fünfjahres-Abstand gäbe es nun kontinuierlich immer wieder Verbesserungen. Wer mit SAP ERP oder der SAP Business Suite arbeite, müsse wissen, dass es für die wichtigsten Anwendungen dieser Lösungen nunmehr in Abständen von sechs bis zwölf Monaten Verbesserungspakete geben werde. Der Software-Hersteller stellt sie den Kunden kostenlos zur Verfügung. Ob die Anwender die Updates installieren, bleibt ihnen überlassen.

Anwender zufrieden

Klar sei aber, dass die neue Strategie für die Kunden vorteilhaft sei, sagt Shepherd. Die meisten könnten ihre Systeme dadurch Schritt für Schritt verbessern, ohne den für bisherige SAP-Releases charakteristischen immensen Aufwand.

Die Anwender reagieren positiv auf die jüngste Ankündigung von SAP auf der Hausmesse "Sapphire" in Berlin, die Enhancement-Packages bis mindestens 2012 weiterzuentwickeln. "Dass wir diese Zusage jetzt bekommen haben, ist eine gute Nachricht", sagt Prof. Karl Liebstückel, Vorstandsvorsitzender der deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG).

Wachstumsstrategie beachten

Shepherd zufolge sollten die Kunden indes auch aus der Wachstumsstrategie von SAP die richtigen Schlüsse ziehen. Auch wenn das Software-Haus zunehmend darauf baue, sich neue Märkte zu erschließen wie etwa im Geschäft mit kleinen und mittleren Unternehmen, mache es den größten Teil seines Umsatzes noch immer mit der bestehenden Kundschaft. Die sollten aus Sicht des Anbieters bestenfalls nie damit aufhören, weitere Lizenzen zu kaufen. Für den Kunden kann das bedeuten: SAP drängt Anwender, die mit ERP arbeiten, dazu, doch gleich die gesamte Business Suite zu kaufen. Die Walldorfer wüssten, dass die Mehrzahl ihrer Kunden am liebsten auf einen einzigen Anbieter setzen, und verstünden es, aus dieser Haltung Kapital zu schlagen, betont Shepherd.

Im Zusammenhang mit der Einführung des Netweaver 2003 spricht Shepherd von einer "Plattform-Strategie" von SAP, die den Kunden ebenfalls bewusst sein sollte. Als Anwender müssten sie mit Netweaver arbeiten, weil sonst die SAP-Anwendungen nicht funktionieren. Mit der Zeit neigten die Kunden dann mehr und mehr dazu, auch optionale Komponenten einzusetzen - gerieten also immer enger ins Netz von SAP.

Für eine gute Zusammenarbeit mit SAP ist es nach Aussage von Shepherd wichtig, die Branchen-Strategie des Anbieters zu verstehen. Derzeit habe SAP 25 verschiedene Branchen-Lösungen im Angebot, von Software für die Industrie bis hin zu Programmen für den Bildungsmarkt. Große Marktanteile habe das Unternehmen in der Öl-, Gas-, Chemie- und Life-Science-Industrie. Neuerdings adressierten die Walldorfer verstärkt Branchen abseits des herstellenden Sektors, etwa den Handel, Versicherungen und Banken. Zu erwarten sei, dass SAP in den kommenden Jahren seine Aktivitäten vor allem auf diesen Märkten verstärken werde.

Kunden aus Branchen, in denen der Hersteller schon etabliert sei, müssten deshalb damit rechnen, dass ihren Verbesserungswünschen nicht die höchste Priorität eingeräumt werde. Anwender aus Märkten, auf denen SAP hingegen erst Fuß fassen will, hätten hingegen viel Verhandlungsspielraum und fänden mit ihren Wünschen Gehör.

Flaggschiff Business Suite

Was zuletzt die Produktstrategie von SAP angeht, ist Shepherd zuversichtlich, dass die derzeitige Business Suite noch lange Zeit das Flaggschiff der Walldorfer bleiben wird - und zwar auch über das Jahr 2013 hinaus, in dem die Wartung ausläuft. DSAG-Chef Liebstückel lobt in diesem Zusammenhang die neuen Benutzeroberflächen der Business Suite. Sie vereinfachten dem Anwender die Arbeit. "Er muss sich nicht mehr bei verschiedenen Anwendungen einzeln anmelden und hin- und herschalten", erklärt Liebstückel.

Dass der Hersteller in Kürze mit einem neuen ERP-Produkt aufwarte, ist aus Sicht von Analyst Shepherd indes nicht anzunehmen. Als Indiz dafür führt er an, dass schließlich viele Kunden noch nicht einmal das Upgrade von R/3 auf MySAP vollzogen hätten. Mit einem neuen Produkt würde SAP vor diesem Hintergrund nur seinen Kundenstamm unnötig verunsichern.

Zusammenführung bis 2011

Was die Zusammenführung des Produkt-Portfolios nach der Übernahme von Business Objects angeht, gibt es klare Ansagen von SAP. So soll die Integration und Abgrenzung der Produktlinien bis 2011 abgeschlossen sein, berichtet Karl Liebstückel aus Gesprächen auf der Sapphire. Der Fahrplan müsse zwar stellenweise noch verfeinert werden. Doch den Zeitplan könnten die Anwender als verbindlich ansehen. "Wenn die SAP eine Roadmap auflegt, kann man sich aus Erfahrung auch darauf verlassen."

Bereinigung des Angebots

Patrick Keller vom Würzburger Business Application Research Center (BARC) hat an der Produktstrategie von SAP grundsätzlich wenig auszusetzen. Die Bereinigung des Angebots nach der Übernahme von Business Objects ziele in die richtige Richtung. Außerdem sei SAP "sehr ehrlich" zu seinen Kunden. Dass Strategic Enterprise Management (SEM) nicht weiter entwickelt werden soll, sei zwar für Bestandskunden ärgerlich, aber immerhin habe SAP eine klare Aussage gemacht und lasse die Kundschaft nicht darüber im Unklaren.

Anders als Kar Liebstückel schätzt Keller allerdings die Zeitvorgaben in der Produkt-Roadmap ein. Wie realistisch diese seien, müsse sich erst noch zeigen.