Microsoft

Die Weltveränderer

03.09.2007 von Claus G. Schmalholz
Ein Job bei Microsoft verleiht Macht, erfordert aber die Bereitschaft zu permanentem Wandel. Denn beim Software-Champion steigt nur auf, wer beweglich bleibt. Dafür gibt es Prestige - und viel Geld.
Mister Money: Helmut Lutz ist der Chef-Finanzplaner von Microsoft.
Foto: Microsoft

Bislang ist es ein gewöhnlicher Nachmittag gewesen, am letzten Dienstag im Oktober vergangenen Jahres. Bis vor fünf Sekunden. Da stehen plötzlich zwei Prinzessinnen und ein Geist im Büro von Helmut Lutz (48) und rufen laut: "Süßes, sonst gibt's Saures". Und weil es nicht der erste Überfall dieser Art ist, hat er reichlich saure Drops und knackige Salzbrezeln parat.

Ein paar Augenblicke später ist Lutz die Quälgeister wieder los. Der Vater der Kinder steht zusammen mit seiner Frau in der Tür. Sie fangen ihren Nachwuchs wieder ein, um ihn ein paar Minuten später auf den nächsten ihrer Angestellten loszulassen. Es ist aber nicht irgendeine Familie, die da an Halloween durch die Gänge ihrer Firma geistert. Es ist die reichste Familie der Welt, Phoebe Adelle (4), Rory John (7), Jennifer Katharine (10), Melinda (42) und Bill Gates (51).

Seit 17 Jahren arbeitet Helmut Lutz für Microsoft . Er hat in der Finanzabteilung der Deutschland-Zentrale angefangen und ist inzwischen als Chef-Finanzplaner auf der Ebene unter dem Vorstand angekommen. Und weil der Software-Konzern damals einen Teil der Gehälter in Form von Aktienoptionen ausgezahlt hat, ist Lutz, der aus Villingen-Schwenningen stammt, heute Millionär. Man kann sagen, der Mann hat es geschafft.

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Lutz und seine weltweit über 71.000 Kollegen sind nicht einfach Teil der größten Software-Firma der Welt, sie arbeiten für einen Mythos - geliebt und gehasst gleichermaßen. Für die einen ist Microsoft das Start-up, das innerhalb von etwas mehr als zwei Jahrzehnten seinen Börsenwert von knapp 700 Millionen auf über 270 Milliarden Dollar steigerte; die Firma, deren Programmierer den Code schufen, ohne den bis heute kaum ein PC auf der Welt auskommt.

Für die anderen ist Microsoft das Empire of Evil; der Monopolist, der Konkurrenten wie Apple oder Netscape an die Wand drückte; der Konzern, der Milliarden von Dollar an die Konkurrenz überweisen musste, um Kartellstrafen zu vermeiden, weil sich das Management nicht an die Regeln halten wollte; der Moloch, dessen Übermacht Tausende Programmierer derart provoziert, dass sie ohne Bezahlung an Linux arbeiten, damit das Windows-Monopol für PC-Betriebssysteme endlich fällt.

Jobmaschine Microsoft

Seinen Mitarbeitern bietet Microsoft Ein- und Aufstiegschancen wie kaum ein anderes Unternehmen. Der Konzern gehört zu den weltweit größten Marketing-Firmen, ist eines der bedeutendsten Forschungslaboratorien der Software-Industrie, beschäftigt rund um den Globus Tausende von Grundlagenforschern und wächst weiter rasant. Seit 1996 stieg die Belegschaft von 20.500 auf 71.000. Und noch in diesem Jahr sollen weitere 10.000 Mitarbeiter eingestellt werden.

Talentierte Einsteiger erwartet neben guter Bezahlung und einem großzügigen Aktienprogramm vor allem das Gefühl, im tonangebenden Unternehmen der Branche die Trends der Zukunft mitzubestimmen. "Bei uns können die Mitarbeiter die Welt verändern", sagt Personalvorstand Lisa Brummel (47).

Wer es so weit nach oben schafft wie Helmut Lutz, bekommt an Halloween Besuch von Bill Gates persönlich. Der Preis ist der Verzicht auf die üblichen Insignien einer großen Karriere. Ein einfacher Eckschreibtisch füllt das Miniaturbüro von Lutz fast komplett aus.

Unterm Fenster lagern ein paar Kartons mit Akten, daneben ein niedriges Holzregal, obendrauf stehen 14 gerahmte Fotos seiner Familie. Seit gut einem Jahr führt er als Finanzchef ein Team von 92 Mitarbeitern, verplant und verbucht ein Umsatzvolumen von rund 44 Milliarden Dollar. Acht Quadratmeter für den Herrscher über 44 Milliarden.

Der drahtige 48-Jährige im schwarzen Rollkragenpulli schätzt vor allem die internationale Atmosphäre und den zwanglosen Umgang in der Konzernzentrale. Der Controller nebenan ist Brasilianer, ein paar Türen weiter sitzt Microsoft-CEO Steve Ballmer (51), der gern mal vorbeikommt, um dringende Fragen persönlich zu klären.

Roboter per Mausklick

Lutz hat offenbar ein Talent dafür, aus Tausenden von Zahlen die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Nach seinem ersten Job bei IBM baute er für Microsoft von München aus die Finanzabteilung auf und gründete parallel die Niederlassungen in der Schweiz, in Österreich, Ungarn, Polen, Tschechien und Russland. Nach zehn Jahren wollte er um den Jahrtausendwechsel herum noch einmal durchstarten: "Du bist jetzt 40, habe ich mir gesagt, was machst du mit dem Rest deines Arbeitslebens?"

American Style: Über 71.000 Angestellte arbeiten weltweit an mehr als 500 Standorten in campusartigen Flachbauten, wie hier in der US-Zentrale in Redmond.
Foto: Microsoft

Dank seiner Aktienoptionen war er jetzt in der Lage, ein eigenes Unternehmen mitgründen zu können - doch kein Business-Plan überzeugte ihn. Also griff Lutz zum Hörer, wählte die Nummer des damaligen Finanzchefs John Connors und fragte nach einem neuen Job.

Wenige Monate später wechselte Lutz in die US-Zentrale und organisierte den Finanzbereich einer Vertriebsabteilung neu. "Eigentlich musste ich nur die Spalten in den Excel-Tabellen etwas breiter machen, damit statt der in Deutschland üblichen Millionen die Milliardenbeträge des nordamerikanischen Vertriebs hineinpassen", flachst er.

Lutz und sein Team kalkulieren die finanziellen Vorgaben für die weltweit 71.000 Microsoft-Mitarbeiter. Zusammen mit den Führungskräften aus den verschiedenen Fachbereichen legt der Deutsche beispielsweise fest, in welchen Stückzahlen sich der MP3-Spieler Zune verkaufen muss und wo der Bereich Server-Software in drei Jahren stehen soll.

Grenzen des Wachstums sind bei Microsoft nicht zu spüren. Neben dem riesigen Firmenareal in Redmond entsteht derzeit ein weiterer Campus, auf dem Hunderte Entwickler arbeiten sollen. Sie werden in einen der typischen Flachbauten einziehen, in denen der Software-Entwickler Andreas Ulbrich (31) bereits seit zwei Jahren sitzt.

Zusammen mit zehn Kollegen arbeitet der aus Chemnitz stammende Informatiker an einem Programm, mit dem sich Roboter per Mausklick steuern lassen. Ulbrich und sein Arbeitsplatz sehen genauso aus, wie man es sich von einem Software-Ingenieur vorstellt: ein pausbäckiger Brillenträger in Jeans, der über seinem braunen T-Shirt ein offenes Hemd mit krummen Kragenenden trägt.

Ulbrich sitzt an einem mit Krimskrams übersäten Schreibtisch, vier Monitore vor sich, dazwischen drei halb volle Kaffeepappbecher, eine Dose Mineralwasser namens Talking Rain und das Modell eines Industrieroboters.

Mitarbeiter mit Leidenschaft für Technik gesucht

Ulbrich hat die typische Einsteigerbiografie eines Informatikers bei Microsoft hinter sich: Erst wollte er nie für diese Firma arbeiten, jetzt will er sie nie mehr verlassen. "Das ist der beste Job, den ich je hatte", schwärmt er.

Seine Software nutzen Forscher und Fertigungsexperten auf der ganzen Welt. "Das ist schon ein berauschendes Gefühl, wenn man sieht, dass Hunderttausende das Programm benutzen, das man geschrieben hat. Gleichzeitig ist der Druck riesig, gute Qualität zu liefern", sagt er. Was Ulbrich so begeistert, sind die unmittelbar spürbare Marktmacht des Unternehmens, die großen Freiheitsgrade in der täglichen Arbeit und die Rundumversorgung, die sich bis ins Privatleben erstreckt.

Als er nach einem Praktikum in Redmond anfing, organisierte und bezahlte Microsoft den kompletten Umzug, Flug und Apartment für den ersten Monat inklusive. "Das ist schon klasse", sagt Ulbrich, "man kommt auf einem anderen Kontinent an und kann mit seinen eigenen Sachen so weiterleben wie bisher."

Heute wohnt er im Vorort Kirkland in einem 85 Quadratmeter großen Zwei-Zimmer-Apartment. In der Mitte der Wohnanlage liegt der obligatorische Swimmingpool, zweimal pro Woche kommt der Gärtner. Zwischen zehn und elf Uhr betritt der Software-Ingenieur sein Büro, arbeitet in der Regel bis 20 Uhr und geht anschließend noch um die Ecke ins firmeneigene Fitnessstudio, das bis 23 Uhr geöffnet hat. Es läuft so gut, dass er in den USA bleiben will, die Greencard hat er bereits beantragt.

Ulbrichs Einstieg ist typisch für Microsoft. "Wir warten nicht, bis sich die richtigen Leute bewerben, wir fahnden selbst nach ihnen", sagt Personalchefin Brummel. Im Unterschied zu anderen Konzernen hat Microsoft keine Lieblingsuniversitäten, deren Absolventen man bevorzugt einstellt. "Wir erwarten von Bewerbern vor allem eine ausgeprägte Leidenschaft für die Technik und unsere Kunden", sagt Brummel.

Ein Summa-cum-laude-Abschluss gehört nicht zu den Einstellungsvoraussetzungen, wichtiger ist die Einstellung zum Job, die sich etwa durch außeruniversitäre Engagements belegen lässt: "Die Leute sollen Initiative zeigen."

Weil die Suche nach neuen lukrativen Geschäftsfeldern zum Geschäftsprinzip gehört, herrscht vor allem in den Entwicklungsbereichen eine Kultur, wie sie sonst nur in Start-up-Firmen zu finden ist. Die Entwickler sollen außerhalb der gängigen Schablonen denken.

Wie das Prinzip funktioniert, zeigt das Beispiel von Ralf Herbrich (32). Der promovierte Statistikexperte fing im englischen Forschungslabor in Cambridge als Grundlagenforscher im Bereich Maschinelles Lernen an. Seine Leidenschaft für PC-Spiele warf die Jobbeschreibung aber rasch über den Haufen. Herbrich, der sich in seiner Freizeit stundenlang durch virtuelle Welten kämpfen kann, entwickelte ein Konzept, das seine Lieblingsgames entscheidend verbesserte. Dank seiner True-Skill-Technologie können sich Fans der Microsoft-Spielkonsole Xbox 360 über das Internet gleichwertige Gegner suchen.

Nur ein paar Tage nachdem Herbrich die Vorschläge seinem Chef präsentiert hatte, kam das Okay, die Idee umzusetzen. In der Folge baute er mit seinem Kollegen Thore Graepel seine eigene Abteilung "Applied Games" auf, in der er bis heute arbeitet. Das Angebot, sich als Professor am Max-Planck-Institut in Saarbrücken zu bewerben, hat er abgelehnt: "Wo sonst kann ich das machen, was mir am meisten Spaß macht, und werde dafür auch noch gut bezahlt?"

Chancen dieser Art bietet Microsoft nahezu allen Mitarbeitern. Der Auf- und Umstieg innerhalb des Konzerns steht grundsätzlich jedem offen. Einsteiger arbeiten in der Regel eineinhalb bis drei Jahre an einer Aufgabe, ehe sie mit einem größeren Projekt beauftragt werden. Wer Management-Positionen anstrebt, muss ein Assessment-Center absolvieren und kann sich individuell coachen lassen. Ohne Trainings zu Mitarbeiterführung und -entwicklung wird bei Microsoft aber keiner Chef.

Einmal pro Jahr beurteilen die Vorgesetzten die Leistung jedes einzelnen ihrer Angestellten in einem konzernweit einheitlichen Verfahren. Wird ein Mitarbeiter fortlaufend unterdurchschnittlich bewertet, prüfen die Personaler zunächst, ob der Betroffene nicht am falschen Arbeitsplatz sitzt - und vor einer Trennung steht eine ganze Reihe von Fördermaßnahmen.

Auszeit mit Rückkehrgarantie

Häufig wechselnde Aufgaben an verschiedenen Orten sind typisch für eine Microsoft-Karriere, insbesondere in Management-Positionen. Auch Personalchefin Brummel, seit 1989 im Unternehmen, hat diesen Weg hinter sich. Sie vermarktete Mac-kompatible Windows-Produkte, entwickelte eine Geschäftsstrategie für die Microsoft-Hardware und leitete den Bereich für interaktive Medien.

Das leistungsbezogene, offene Karrierekonzept des Software-Konzerns bringt Brummel auf eine einfache Formel: "Microsoft ist ein Konzern, der sich nicht anfühlt wie ein Konzern." Die Mitarbeiter können zwischendurch sogar aussteigen, ohne fürchten zu müssen, dass die Karriereleiter blockiert wäre - wie der Werdegang von Angelika Gifford (41) zeigt, die seit kurzem den Bereich Public Sector in der Münchener Niederlassung leitet. Nach zehn Jahren Microsoft nahm die energische Schnellsprecherin 2002 eine Auszeit von mehreren Monaten, die sie zunächst damit verbrachte, wochenlang durch Australien zu touren.

"Angst, anschließend keinen adäquaten Posten mehr zu bekommen, hatte ich nie", sagt die Mutter eines Sohnes. Zu Recht, denn in ihrem ersten Microsoft-Jahrzehnt hatte sie eines gelernt: Diese Firma ist ständig in Bewegung, und deshalb tun sich auch immer wieder neue Job-Perspektiven auf.

Bill Gates stetig präsent

Die neue Aufgabe kam dann früher als erwartet. Nach der Hälfte der Auszeit von sechs Monaten - Gifford war für ein paar Tage in München zwischengelandet und wollte eigentlich nach Indien zu einer Freundin weiterfliegen - hatte sie der damalige Deutschland-Chef Jürgen Gallmann aufgespürt.

Ob sie die Neuorganisation der deutschen Niederlassung leiten wolle, fragte er. "Da hat es bei mir sofort Klick gemacht", erinnert sie sich. Am Donnerstag sprach sie mit Gallmann, am Montag darauf trat Angelika Gifford ihren neuen Job an. Die Freundin in Indien musste erst einmal warten.

Giffords Arbeitsethos sprach sich in der Branche herum, aber alle Angebote der Konkurrenz lehnte sie ab: "Wenn ich hier abends aus dem Büro gehe, weiß ich, dass ich etwas bewegt habe." Dass ihre Identifikation mit dem Unternehmen beinahe schon zu weit geht, räumt Gifford gern ein: "Wenn ich mit Freunden über meine Firma spreche, sagen die mir schon mal: Angelika, du redest, als ob du selbst Bill Gates wärst."

Tatsächlich ist der Geist des Gründers stets präsent, egal ob man mit Mitarbeitern in Amerika, England oder Deutschland spricht. Das Gefühl, im Gefolge jenes Mannes zu arbeiten, der die moderne Lebens- und Arbeitswelt wie kein anderer geprägt hat, scheint jedem Job bei Microsoft eine übergeordnete Bedeutung zu verleihen. Gates bleibt das Gesicht der Firma - obwohl er sich mittlerweile zurückgezogen hat und vornehmlich für seine Stiftung arbeitet.

Der Personenkult aber geht auch ohne Gates weiter. Nachfolger Steve Ballmer hat die mythenhafte Zuspitzung des Megakonzerns auf den Mann an der Spitze übernommen. Und deshalb gibt es nichts Größeres für einen Microsoft-Mitarbeiter, als von der Nummer eins persönlich gelobt zu werden.

Nur so lässt sich erklären, dass einer wie Walter Seemayer, ein gestandener Bayer von 48 Jahren und immerhin verantwortlich für die weltweite Vertriebsstrategie für den Bereich Mittelstand, in geradezu ehrfürchtigem Ton von einer seiner Begegnungen mit dem derzeitigen CEO berichtet.

Es war bei einem der Global Exchange Meetings, bei denen Ballmer alljährlich über 10.000 Mitarbeiter in einem Stadion zusammentrommelt, um ihnen die Zahlen des vergangenen Jahres und die Ziele des kommenden Jahres zu verkünden. Bei einem dieser Treffen in Orlando trat Ballmer auf die Bühne, nahm das Mikrofon in die Hand und sprach: "Dies war ein gutes Jahr, denn ich konnte mit Leuten wie Walter Seemayer zusammenarbeiten."

Und wenn Seemayer davon erzählt, reißt er beide Arme nach oben und sagt: "Also, das ist schon ein Gefühl, da kannst du nix anderes mehr sagen als Woooooooooow!"