Voice-Jahrestagung

Die Zukunft ist längst da

05.07.2018 von Rolf Röwekamp
Entwicklungen wie Digitalisierung und Demografie fallen nicht vom Himmel. Sie lassen sich früh erkennen, werden aber gerne verdrängt. Dabei können Unternehmen, Politik und CIOs sie mitgestalten.
  • Rund 100 Mitglieder trafen sich auf der Voice-Jahrestagung in Berlin.
  • Der Demografie-Experte Winfried Kösters warnte davor, klar erkennbare Entwicklungen wie Digitalisierung und Bevölkerungsentwicklung zu verdrängen.
  • Weiterbildungen müssen didaktisch an ältere Mitarbeiter angepasst werden.
  • Die Integration zugewanderter Menschen muss zur Daueraufgabe werden.
Der Publizist und Demografieexperte Winfried Kösters hielt die Eröffnungs-Keynote.
Foto: Voice e. V.

Im Jahr 2005 erschien eine Festschrift zum 200-jährigen Bestehen des Verlags F. A. Brockhaus. Dazu gehörte auch ein Faksimile-Druck der Jubiläumsschrift zum 100-jährigen Bestehen aus dem Jahr 1905, in der es ein interessantes Bild gibt. Eine Zeichnung aus dem Jahr 1905 zeigt, wie sich der Verlag die Lexikonproduktion im Jahr 2005 vorstellt. In der Mitte des Bildes ist ein Ungetüm von Druckmaschine zu sehen, das von einem Arbeiter mit einem schweren Manuskript gefüttert wird.

Einige Meter weiter rechts purzeln die fertigen Bände heraus. Ein anderer Arbeiter steht oben auf der Druckmaschine, schaut versonnen in die Luft und raucht. Vor der Maschine hocken drei Kollegen im Schneidersitz, spielen Karten und trinken Bier. Im Buchdruck sind Menschen überflüssig geworden, die gesamte Herstellung läuft vollautomatisch ab. Die Maschine "bewirkt alles selbsttätig", steht dort auf dem Bild geschrieben.

Die Zukunft ist längst da

Der Verlag hat also schon damals den Trend der Automatisierung erkannt und 100 Jahre weitergesponnen. Doch trotz der frühen Erkenntnis der Automatisierung war die disruptive Kraft des Internets für Brockhaus nicht absehbar: Seit einigen Jahren gibt es den Verlag und die Druckausgabe des Lexikons nicht mehr. Internet und Digitalisierung haben das alte Geschäftsmodell geschreddert. Der Verlag hat das Internet kommen sehen, aber keine passende Antwort gefunden.

Der Fall Brockhaus diente dem Publizisten und Demografieexperten Winfried Kösters auf der Jahrestagung des IT-Anwenderverbands Voice in Berlin als Warnung: Es sei gefährlich, klar erkennbare, disruptive Entwicklungen wie die Digitalisierung zu verdrängen. Die Zukunft sei längst da, auch wenn wir es nicht wahrhaben wollten.

Im Mittelpunkt stand für die rund 100 Teilnehmer wie immer das Netzwerken mit den Kollegen aus anderen Unternehmen.
Foto: Voice e. V.

Als Beispiel dafür, dass Wirtschaft und Gesellschaft ­ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen müssen, nannte Kösters die sich zuspitzende demografische Entwicklung. Schon vor 30 Jahren wussten wir, wie sich die klassische Alterspyramide auflösen wird. Auf den Fachkräftemangel hätten sich Wirtschaft und Politik also einstellen können.

Wir können heute auch schon sagen, wie sich die Bevölkerung in 30 Jahren zusammensetzen wird. Doch die absehbaren Probleme würden ignoriert, nach dem Motto: Was ich mir nicht vorstellen kann, wird auch nicht stattfinden. Fakt sei aber, dass sich weder der Lauf der demografischen noch der technischen Entwicklung ändern werde.

Weiterbildungen anpassen

So trifft die Digitalisierung auf eine zunehmend alternde Gesellschaft, der die Arbeitskräfte auszugehen drohen. Es läuft also darauf hinaus, dass wir alle länger arbeiten müssen, was angesichts der Qualifikation und Erfahrung älterer Mitarbeiter für Unternehmen gut sein kann, solange die gesundheitliche Verfassung der Beschäftigten gut ist. Weiterbildungen und Schulungen müssten aber didaktisch angepasst werden, weil ältere Menschen langsamer und anders lernen als jüngere.

Grundlegendes Ziel künftigen Handelns müsse es sein, die Menschen zu befähigen, die Technik im Alltag nutzbar zu machen. Auf der anderen Seite müssen Arbeitgeber in Zukunft mehr Engagement zeigen, um Mitarbeiter zu halten. Denn die Zahl derer, die nachrücken, wird von Jahr zu Jahr kleiner.

Ignorieren lässt sich auch nicht die Tatsache, dass künftig viele ältere Mitarbeiter aus Deutschland auf wenige junge Beschäftigte treffen werden, die häufiger einen Migrationshintergrund mitbringen werden. Die zugewanderten Menschen müssen integriert werden, was eine Daueraufgabe bleiben wird. Damit dieses Miteinander der Generationen und Kulturen gelingt, braucht es viel Toleranz. Wir müssen also lernen, mit der Vielfalt umzugehen, so wie es beispielsweise die Fußballnationalmannschaft vorlebt.

Die Anwendervereinigung Voice

Rund 100 Teilnehmer folgten den Ausführungen von Winfried Kösters auf der Voice-Jahrestagung, die Ende April in Berlin unter der Überschrift "IT at the Edge - Vernetzung, Technologie und Demografie" stand.

Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Voice-Kernmitglieder um 15 Prozent auf jetzt rund 400, wie Thomas Endres, Vorsitzender des Voice-Präsidiums, berichtete. Als Kernmitglieder bezeichnet der Verein Einzelpersonen und Firmen. Mitgezählt werden dabei aber nicht Mitglieder aus Tochterunternehmen von Mitgliedskonzernen.

Doch gerade bei den Tochtergesellschaften sei ein stärkerer Zuwachs an Mitgliedern zu verzeichnen gewesen. "Das ergibt sich als Folge der Dezentralisierungsstrategie der Unternehmen", erklärte Endres diesen Trend. Zähle man die Mitglieder von Tochterunternehmen größerer Konzerne hinzu, so komme der IT-Anwenderverband auf rund 800 Mitglieder.

In Workshops diskutierten die CIOs über Agilität, Organizational Intelligence und Security.
Foto: Voice e. V.

Welche Themen die CIOs im Alltag umtreiben, lässt sich an den Aktivitäten der Special Interest Groups (SIGs) ablesen. Bei diesen Ganztags-Workshops treffen sich im Lauf des Jahres Mitglieder zu bestimmten Themen. Unter den insgesamt 14 SIGs gehörten ganz klassische Themen zu den Favoriten. Dazu zählten die SIGs Innovations-Management, Projekt- und Portfolio-Management sowie Software-Asset-Management und Lizenz-Management. Darüber hinaus befassen sich viele IT-Manager mit Zukunftsthemen, wie das große Interesse an der SIG Artificial Intelligence/Predictive zeigt.

Wir können die Zukunft gestalten

Auch wenn heute niemand genau vorhersagen kann, welche Möglichkeiten Technologien wie künstliche Intelligenz oder auch Blockchain oder Quantencomputing noch eröffnen werden, gab Winfried Kösters den Teilnehmern doch eine gute Nachricht mit auf den Weg: "Auf diese Entwicklungen können wir uns einstellen. Sie fallen nicht vom Himmel, sondern sind absehbar und damit gestaltbar."

Gartner Hype Cycle for Emerging Technologies - 2005 bis 2017
2005
Bereits 2005 sieht Gartner das Thema "Augmented Reality" als ein mittelfristig wichtiges an und sagt voraus, dass es binnen fünf bis zehn Jahren - also spätestens 2015 - seinen Höhepunkt in der öffentlichen Wahrnehmung erreichen werde.
2006
Der Tablet-PC macht sich 2006 auf seinen Weg durch den Trend-Zyklus und verschwindet erst 2010, nachdem Apple das erste iPad vorstellt und ihn damit zu einem Massenprodukt macht.
2007
In diesem Hype Cycle taucht erstmals der 3D-Druck auf, der sich heute langsam auf dem Weg in die breite Anerkennung befindet.
2008
Es beginnt die Zeit des Cloud Computing - kaum ein anderer Begriff wird die IT-Branche in den folgenden Jahren so prägen. Heute - sechs Jahre später - ist die Wolke im "Tal der Desillusionierung" angekommen, wie auch der unten verlinkte Beitrag zeigt.
2009
Seit Jahren schon befindet sich das "Quantencomputing" im Bereich "Technology Trigger" mit der Aussicht, erst in ferner Zukunft wirklich relevant zu werden. Das war schon 2005 so und ist es bis heute.
2010
Das Internet-Fernsehen sollte diesem Hype Cycle nach bis spätestens 2020 ganz groß rauskommen. Mediatheken, Youtube und Streaming-Platformen befeuern diesen Trend, der sich derzeit auf dem Weg in die Massentauglichkeit befindet.
2011
Das Thema "Virtuelle Welten" beschäftigt Gartner seit dem Trend um Second Lífe in den Jahren 2007 und 2008. Ab 2012 hält es als "Virtual Reality" Einzug ins "Tal der Desillusionierung", wo es bis heute verharrt.
2012
Nachdem es viele Jahre lang eher ein nicht greifbarer Trend gewesen ist, sind die "Predictive Analytics" spätestens 2012 auf dem "Plateau der Produktivität" angekommen.
2013
In-Memory-Computing hat sich nach seinem Peak im Jahr 2011 aufgemacht, die überzogenen Erwartungen an die Datenverarbeitung direkt im Hauptspeicher ein wenig zu dämpfen - der produktive Einsatz kommt näher.
2015
Der Hype Cycle 2015 nimmt 37 Technologietrends unter die Lupe. Im Internet of Things bekommen CIOs nun künftig eine neue Kundengruppe: Dinge wie Roboter und smarte Maschinen. Big Data und In-Memory findet man allerdings nicht mehr in der Kurve, diese Technologien hält Gartner inzwischen für etabliert.
2016
Während sich Augmented und Virtual Reality im Jahr 2016 langsam in den Produktivbereich entwickeln, erlebt die Blockchain-Technologie einen rasanten Aufstieg. Machine Learning und Software-defined Security befinden sich auf dem Höhepunkt der übertriebenen Erwartungen.
2017
Die Blockchain spielt auch 2017 eine Rolle - allerdings geht es jetzt um die überzogenen Erwartungen an die neuartige Datenbank. Während es vor zehn Jahren (2007) noch um 3D-Druck ging, schreibt Gartner jetzt über 4D-Druck.
2018
2018 sieht Gartner den Hype Cycle im Mega-Trend Mensch und Maschine. Die Grenzen zwischen beiden verschwimmen, so die Analysten. Daher geht es etwa um Neuromorphic Hardware und Brain-Computer Interfaces.
2019
Das Zusammenspiel von Mensch und Maschine sowie die Einbindung Künstlicher Intelligenz stehen im Fokus von Gartners Hype Cycle for emerging Technologies 2019. Die US-Marktforscher geben für die kommenden zehn Jahre Prognosen für 29 Technologie-Trends ab.
2020
Im Hype Cycle for Emerging Technologies 2020 hat Gartner aus über 1.700 Technologien jene 30 herausgefiltert, die aus Sicht der Analysten das größte Transformationspotenzial für Gesellschaft und Wirtschaft bieten und einen hohen Nutzen versprechen. Dazu zählen in diesem Jahr unter anderem Technologien, die es Unternehmen erlauben, ihren Betrieb zu modularisieren, die das Vertrauen der Gesellschaft in Technologie wiederherstellen sollen und die den Zustand des menschlichen Gehirns verändern können.
2021
KI, Blockchain, digitale Menschen: Die Marktforscher von Gartner sagen, welche Technologien Gesellschaft und Wirtschaft in ein paar Jahren auf den Kopf stellen könnten.
2022
Zum Auftakt ihres IT Symposiums/Xpo in den USA haben die Analysten von Gartner die aus ihrer Sicht wichtigsten Technologietrends veröffentlicht, mit denen sich Unternehmen beschäftigen sollten.
2023
Dass KI ein Trendthema ist, ist uns allen bewusst. Für Gartner hat KI zudem das Potenzial in den nächsten zwei bis fünf Jahren einen transformativen Mehrwert zu erzielen.