Praxis-Erfahrungen von Webasto

Digital Factory trifft auf Smart Factory

13.07.2020 von Walter Huber und Daniel Weidel  IDG ExpertenNetzwerk
Industrie 4.0 ist auch bei der Webasto Gruppe angekommen. Digital Factory und Smart Factory sind dabei zentrale Themenkomplexe. Doch beide Begriffe führen oft zu Missverständnissen.
Der Webasto-Hauptsitz in Stockdorf.
Foto: Webasto Group

Die Webasto Gruppe hat weltweit mehr als 50 Standorte, an 30 davon werden Autodächer, Heiz- oder Kühlsysteme, Batterien oder Ladelösungen produziert. Werke und R&D-Abteilungen werden seit mehreren Jahren digitalisiert. Ziel des Unternehmens ist unter anderen ein durchgängiges Datenmanagement zur Verbesserung von Planungsqualität und Effizienz über alle Prozesse hinweg.

In Summe gilt es somit flexibler und gleichzeitig kosteneffizienter zu arbeiten. In der täglichen Arbeit und Diskussion mit Kollegen und Dienstleistern wird immer wieder klar, dass schon fast eine babylonische Begriffsverwirrung herrscht. Identische Begriffe wie Smart Factory und Digital Factory werden unterschiedlich interpretiert und verschiedene Begriffe haben die gleiche Bedeutung oder werden sogar als Synonym verwendet.

Die Veränderung vom analogen hin zu einem digitalisierten Unternehmen sind technologisch, organisatorisch und prozessual ohnehin sehr komplex. Werden englische Bezeichnungen unterschiedlich verstanden, verkompliziert dies die Transformation unnötig. Deshalb ist es wichtig ein gemeinsames Verständnis für Fachbegriffe unter den treibenden Mitarbeitern im Unternehmen zu schaffen.

Vorgehen

Um bei Webasto die Digitalisierung erfolgreich zu bestreiten, hat jeder Fachbereich sein Zukunftsbild 2025 aufgestellt und festgelegt, welche Business Capabilities (sog. Fähigkeiten) aktuell und zukünftig erforderlich sind. Dieser Zukunftsbilder wurden im Anschluss aufeinander abgestimmt. Bei Webasto hat sich herausgestellt, dass ein derartiges Vorgehen bestens geeignet ist, um ein Glossar zu definieren und Begriffe gleichzeitig in einen unternehmensweiten Kontext zu stellen.

Diese Business Capability Map besteht aus maximal fünf Ebenen mit zunehmender Granularität. Die oberste Ebene 0 repräsentiert die einzelnen Fachbereiche, wie Produktion und Fertigungstechnik, Qualität, Supply Chain oder etwa Beschaffung. Die zentrale IT-Einheit bildet die Fähigkeiten auf IT-Systeme ab, die jeweiligen Fachbereiche leiten ihrerseits die entsprechenden Technologien ab.

Smart Factory

In der Capability Map werden für die Produktion und Fertigungstechnik alle Aktivitäten von der strategischen Produktionsplanung bis hin zum Betrieb einer Fabrik und einzelner Linien abgebildet. Auch das bei Webasto stark gelebte Lean Management spiegelt sich in der Capabilty Map wider. Ein Auszug aus der Capability Map der Produktion und Fertigungstechnik ist in Tabelle 1 dargestellt.

Auszug aus der Business Capability Map für den Bereich Produktion und Fertigungstechnologie (Tabelle 1).
Foto: Webasto

Die Basis für die Capability Map ist das bereits angesprochene Zukunftsbild, siehe Abbildung 1. Im Zentrum stehen der digitale Arbeiter sowie intelligente Maschinen und Equipment.

Ein Zukunftsbild einer Smart Factory (Abbildung 1).
Foto: Webasto

Autonome Transportsysteme sind schon heute im Einsatz. Cloud-Ansätze und Maschinelles Lernen (ML) sowie die vertikale Integration von Wertschöpfungsbeiträgen finden ebenfalls Anwendung. Das Optimieren des Produktionsprozesses hin zu einer Null-Fehlerproduktion ist das Ziel. Machine Learning soll für alle Produktionsschritte genutzt werden, um verborgene Muster und Zusammenhänge zu erkennen. Bei allen Bestrebungen der Optimierung wird die Produktion auch in Zukunft nicht menschenleer sein. Somit wird auch zukünftig der Mitarbeiter eine zentrale Rolle spielen.

Ein papierloses Büro bei Webasto.
Foto: Webasto Group

Sein Arbeitsalltag und seine Aufgaben werden allerdings deutlich anspruchsvoller und digitaler sein als heute. Ein Beispiel ist der Einsatz von Smart Glases im Kontext von Augmented Reality. Diese Smart Devices unterstützen etwa bei der Instandhaltung oder bei der Inbetriebnahme neuer Maschinen und Anlagen. Unterstützung erhalten die Mitarbeiter in der Produktion auch durch neue Roboterkonzepte und Automatisierungsansätze.

In Summe entsteht eine Smart Factory die ohne Medien- und Prozessbrüche und papierlos auskommt. Automatisch generierte Dashboards und eine Kennzahlenpyramide helfen in der täglichen Arbeit. Repetitive Tätigkeiten zur Erstellung von Reports gehören somit perspektivisch der Vergangenheit an.

Digital Factory

Wichtig im Kontext einer Smart Factory ist eine klare Zielsetzung und Beschreibung inkl. welche Rolle hierbei die Digital Factory spielt. Vereinfacht gesagt, ist die Digital Factory die virtuelle Repräsentation der Smart Factory in ihren wesentlichen und bestimmenden Elementen. Webasto half bei internen Diskussionen insbesondere die VDI-Norm 4499 für eine klare Abgrenzung und funktionale Darstellung.

Eine Einordnung der Digital Factory in den Gesamtkontext (Abbildung 2).
Foto: Webasto

So konnte auch der Funktionsumfang der Digital Factory im Kontext des Produktentstehungsprozesses festgelegt werden, siehe Abbildung 2. Eine individuelle Anpassung und das Herausarbeiten von unternehmensspezifischen Schwerpunkten der VDI-Norm erfolgte zwangsläufig, siehe Abbildung 3. So werden etwa Stücklisten, wie auch in vielen anderen Unternehmen, durch das jeweilige Product Lifecyble Management Tool erzeugt und gepflegt. Die gegenüber der VDI-Norm bei Webasto aktuell weniger im Fokus stehenden Themen wurden ausgegraut.

Der Funktionsumfang der Digital Factory (Abbildung 3).
Foto: Webasto

Der Mehrwert einer digitalen Vorab-Repräsentation, in Form einer Digital Factory, ist unbestritten, schon allein, weil Webasto zahlreiche Produktionslinien unterschiedlicher Komplexität aufbaut und betreibt. Auch haben die jüngsten Entwicklungen, wie etwa die Corona-Pandemie, gezeigt, dass eine virtuelle Vorabdarstellung die Arbeit deutlich erleichtert. Gemäß den sehr heterogenen Anforderungen einer Produktionslinie kommen auch unterschiedliche Werkzeuge zu deren Planung zum Einsatz.

Wichtig ist, eine durchgängige Kopplung der jeweiligen IT-Systeme von der Entwicklung bis hin zur Produktion zu erreichen. Änderungen im Produkt lassen sich darüber systemgestützt entsprechend verfolgen. Konkretes Anwendungsbeispiel der Digital Factory ist die Planung von sogenannten Multiproduktlinien für Dachsysteme oder die Batterie-Fertigung. Umfangreiche Material- und Ablaufplanungen sind für eine optimale Systemauslegung wichtig. Dazu gehört auch die Ermittlung der optimalen Anzahl an fahrerlosen Transportsystemen je Werk.

Daneben gilt es, die Produktionsprozesse im Vorfeld zu verifizieren, ebenso wie die Erzeugung der erforderlichen Nummerischen-Steuerungsprogramme. Am Ende muss auf Basis dieser Vorarbeiten eine virtuelle Inbetriebnahme von einzelnen Maschinen und ganzen Linien sichergestellt werden. Die digitale Darstellung hilft auch in der Diskussion mit Kunden. Bei der Konzeption von Volumenlinien mit geringer Komplexität kommen deutlich einfachere Werkzeuge zum Einsatz.

Fazit

Als Produktions- und IT-Einheit ist es für die digitale Transformation wichtig, Konsens über die Definition der zentralen Begriffe zu erreichen. In Summe stellt eine Business Capability Map dafür ein wichtiges Kommunikations- und Diskussionsmedium dar. Darüber hinaus dient sie zur Aufstellung und Überprüfung der Roadmap im Bereich der Smart Factory. Bei allen Bestrebungen geht es darum, weniger das technisch machbare, sondern vor allem das wirtschaftlich Sinnvolle umzusetzen. Somit stehen hinter allen Aktivitäten und Projekten immer entsprechende Kennzahlen und wie diese durch geeignete Technologien verbessert werden können. (rs)