B2B-Geschäft

Digitalisierung treibt neue Prozesse vor sich her

21.04.2017 von Christoph Lixenfeld
Individuelle Lösungen statt Massengeschäft. Die Prozesse ändern sich grundlegend. Die Digitalisierung erreicht die konservative Chemie-Industrie mit voller Wucht.
  • Chemiemanager sehen bei der Digitalisierung in ihrer Branche noch erheblichen Nachholbedarf.
  • Durch wachsenden Innovationsdruck dürfte in den kommenden hier aber einiges passieren.
  • Größter Hemmschuh ist der Mangel an geeigneten Mitarbeitern.

Für die Chemiebranche gilt eine Reihe von Regeln, die sie von den meisten anderen unterscheidet: starke Abhängigkeit von Rohstoffen und ihren Preisen und von den Gesetzen der Chemie zum Beispiel, oder hohe Kapitalintensität und - daraus folgend - hohe Marktkonzentration.

Wichtige Kennzeichen der Chemieindustrie sind hoher Kapitalbedarf, hohe Branchenkonzentration und wuchtige Losgrößen.
Foto: Evonik Industries AG

Hinzu kommt, dass mehrere globale Chemie-Player schon über 100 Jahre am Markt sind - oder sogar noch deutlich länger. DuPont, die weltweite Nummer acht, wurde bereits 1802 gegründet.

Chemie-Branche ist konservativ

Auch wenn diese Schlussfolgerung nicht zwingend ist: Die Chemie-Industrie ist ziemlich konservativ. Veränderungen brauchen ihre Zeit - und das gilt auch für die Digitalisierung.

Wobei die Verzögerung bei diesem Thema ebenfalls mit einer Eigenart der Branche zusammenhängt: Die meisten Unternehmen leben fast ausschließlich vom B2B-Geschäft, das heißt für sie kommt es vor allem darauf an, große Mengen zu möglichst kleinen Kosten zu produzieren. Im Mittelpunkt vieler Investitionen steht also traditionelle Rationalisierung vulgo Prozessoptimierung.

Individualisierung erreicht B2B-Geschäft

Individualisierte Lösungen dagegen, erdacht und umgesetzt direkt für den Endverbraucher, waren bisher selten gefragt. Solche Individualisierungen sind es aber, die in vielen Branchen die Digitalisierung befeuern.

Und genau solche Individualisierung hält in jüngster Zeit auch im B2B-Geschäft Einzug. Darauf hatte Vir Lakshman, Partner und Head of Chemicals & Pharmaceuticals bei KPMG, in einem spannenden Blogbeitrag hingewiesen.

Personalisierte Lacke für Autos

Als Beispiel nennt er Automobilhersteller, die ihren Kunden personalisierte Lacke anbieten, was auch Einfluss auf die zuliefernde Chemie-Industrie habe: Einerseits erwarte die autobauende Kundschaft von ihr die Fähigkeit, bei dieser Art Individualisierung mitzuziehen, andererseits verschaffe Digitalisierung der Branche auch zunehmend die Möglichkeit dazu.

Vorausgesetzt, man investiert in dieses Thema und stellt dabei ausreichende Mittel bereit. Das ist allerdings bisher in Deutschland zu wenig der Fall, obwohl die Bedeutung von Digitalisierung in der Branche grundsätzlich erkannt wird.

Die Bayer AG ist, gemessen an der Mitarbeiterzahl, der weltweit zweitgrößte Chemiekonzern.
Foto: Bayer AG

Branche spürt den Innovationsdruck

Dieser Gegensatz ist ein zentrales Ergebnis der Studie "Zeit zum Aufblühen - digitale Transformation der chemischen Industrie" von KPMG.

Das Beratungsunternehmen hatte im vergangenen Jahr zusammen mit TNS Emnid deutschlandweit 75 Geschäftsführer, Inhaber, Vorstandsvorsitzende und Abteilungsleiter der chemischen Industrie zu ihrer Sicht auf die digitale Transformation befragt. Ziel war es, einen Überblick darüber zu gewinnen, wie sich Digitalisierung auf die Branche auswirkt, welche Vorteile sich für einzelne Unternehmen ergeben und wie die Branche mit dem steigenden Innovationsdruck umgeht. Federführend auf Seiten von KPMG war dabei neben dem bereits zitierten Vir Lakshman sein Kollege Sven Linden, Partner Operations Consulting.

Sechzig Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die eigene Branche bisher nicht im ausreichenden Maße Mittel und Kompetenzen bereitstellt, um die digitale Transformation erfolgreich voranzutreiben.

Mehr als die Hälfte setzt auf Analytics

Dass sich daran etwas ändern muss, ist den Machern ebenso klar wie die Tatsache, dass Veränderungen nur über den Erwerb von mehr Wissen und über zusätzliche Kompetenzen machbar sind. Die meisten haben sich auch schon damit beschäftigt, welche Kompetenzen das sind und wie sie diese erwerben können.

Die Top CIOs der Chemie- und Pharma-Branche
Markus Schümmelfeder
Seit April 2018 ist Markus Schümmelfeder neuer CIO des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim in Ingelheim am Rhein. Er war zuvor Corporate Vice President IT im Unternehmen. Schümmelfeder berichtet an seinen Vorgänger im CIO-Amt, den CFO Michael Schmelmer.
Martin Richtberg
Seit 1. Januar 2022 bekleidet Martin Richtberg die Position des Senior Vice President Information Technology, CIO und CDO von Wacker Chemie. Zuletzt war er dort Leiter des globalen Project-Engineering.
Annette Hamann
Annette Hamann ist seit 2020 CIO bei der Hamburger Beiersdorf AG. Ihre Vorgängerin Barbara Saunier ist im Ruhestand.
Dirk Ramhorst
Seit dem 1. Mai 2022 ist Dirk Ramhorst, ehemaliger IT-Chef von Wacker Chemie, CIO beim Spezialchemiekonzern Evonik. Seine Vorgängerin Bettina Uhlich ging in den Vorruhestand.
Michael Nilles
Henkel hat Michael Nilles am 1. Oktober 2019 zum Chief Digital & Information Officer (CDIO) ernannt. Er berichtet direkt an Carsten Knobel, CEO von Henkel. In seiner Position ist Nilles für die Bereiche Digital, IT, Geschäftsprozessmanagement und Corporate Venture Capital verantwortlich.
Abel Archundia-Pineda
Abel Archundia-Pineda ist seit Mai 2017 Head of IT Business Partnering Pharmaceuticals bei Bayer im Geschäftsbereich Pharma bei Bayer. Zuvor war er Head of IT for Novartis Technical Operations and Global CIO der Sandoz Division, Novartis AG.
Michael Jud
Michael Jud ist seit April 2017 Leiter IT beim Pharmahersteller InfectoPharm Arzneimittel und Consilium GmbH in Heppenheim im südlichen Hessen. Jud kommt vom Anlagenbauer Schenck Process in Darmstadt. Er berichtet bei seinem Arbeitgeber an den kaufmännischen Geschäftsführer. Neben dem Fokus-Thema IT-Sicherheit baut der gelernte Diplom Ingenieur SAP weiter aus und unterstützt das internationale Wachstum von InfectoPharm.
Alessandro de Luca
Alessandro de Luca war bisher Interims-Group CIO beim Pharmakonzern Merck. Der Konzern hat sich entschieden, de Luca dauerhaft in dieser Position zu beschäftigen.
Hermann Schuster
Seit 1. September 2021 ist Hermann Schuster Head of Information Technology bei der Lanxess AG. Er folgt auf Kai Finke. In seiner neuen Position will Schuster im Chemiekonzern ein Konzept für den Modern Workplace umsetzen und sich auf Cybersicherheit konzentrieren. Daneben steht der Rollout eines SAP S/4 Hana-Templates auf seiner Agenda. Schuster berichtet an den Lanxess-Finanzvorstand Michael Pontzen.
Bijoy Sagar
Bijoy Sagar ist ab Juni 2020 neuer Leiter IT und Digitale Transformation der Bayer AG. Er löst den bisherigen CIO und CEO der IT-Tochter Bayer Business Services (BBS) ab, der seine Konzernkarriere beendet. Die BBS wird aufgelöst. Sagar soll die Digitalisierung des Pharmakonzerns vorantreiben und die begonnene Neuaufstellung der IT ans Ziel führen. Er berichtet an den Finanzvorstand Wolfgang Nickl.
Martin Wiedenmann
Martin Wiedenmann ist seit Februar 2019 Head of Global IT/CIO der Atotech Group, einem weltweit agierenden Marktführer für Spezialchemie. Zuvor war er war seit Juli 2016 CIO bei Ledvance in München.
Andreas Becker
Andreas Becker ist seit April 2017 Vice President Information Technology/CIO beim Pharmakonzern Daiichi-Sankyo Europe in München. Im Oktober 2014 kam der Diplom-Kaufmann mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik & EDV als Head of IT Strategy & Service Delivery ins Unternehmen.
Sandeep Sen
Sandeep Sen ist CIO der Linde Group. In dieser Funktion hat er Büros in Singapur und München. Weltweit führt Sen rund 1.100 Mitarbeiter. Er kam 1993 zu Linde Indien (vormals BOC India). Zuvor war er in der IT auf dem Finance-Sektor tätig. Dabei arbeitete er sowohl in Indien als auch in Großbritannien.
Peter Buchmüller
Seit Mitte Juni 2017 ist Peter Buchmüller IT-Leiter der Aenova Group, einem pharmazeutischen Auftragshersteller mit Sitz in Starnberg bei München. Der genaue Titel lautet: Senior Vice President Corporate IT Aenova Group. Buchmüller wechselte von der Molkerei Meggle in Wasserburg, wo er zuvor als Leiter IT tätig war.
Berthold Kröger
Berthold Kröger hat im Juli 2015 die IT-Verantwortung bei der K+S AG in Kassel übernommen. Der neue Leiter Corporate IT berichtet an den Vorstand Thomas Nöcker. Der promovierte Informatiker hat sein Studium an der Universität-Gesamthochschule Paderborn absolviert. Er arbeitete danach mehr als drei Jahre im Forschungs- und Technologiezentrum der Deutschen Telekom und war später in verschiedenen Positionen bei der Hochtief AG und der Hochtief Solutions AG in Essen beschäftigt.
Alexander Bode
Im Juli 2014 hat Alexander Bode den CIO-Posten beim Farbenhersteller DAW SE angetreten. DAW (Deutsche Amphibolin-Werke) ist vor allem bekannt durch Farbenmarken wie Caparol und Alpina. Bode kommt vom Pharmahändler Celesio, wo er seit 2013 als Global Head of IT Governance tätig war. Davor arbeitete der Wirtschaftsinformatiker viele Jahre bei der Freudenberg-Gruppe, wo er auch seine berufliche Laufbahn 2002 begann. Zuletzt verantwortete er dort von 2008 bis 2013 als Director ERP Europe das SAP Competence Center von Freudenberg Sealing Technologies.
Torsten Müller
Seit November 2018 ist Torsten Müller Head of Information Technology (CIO) beim Pharma- und Laborzulieferer Sartorius AG mit Sitz in Göttingen. Zuvor war er Chief Digital Officer und Chief Information Officer sowie Mitglied der Geschäftsleitung der Versicherung Helvetia Deutschland in Frankfurt.
Stephan Heinelt
Stephan Heinelt ist seit September 2018 Group CIO beim Spezialchemiekonzern Altana AG mit Sitz in Wesel. Der Diplom-Wirtschaftsinformatiker Heinelt war zuletzt Leiter Service Management Global IT Services bei der Evonik Industries AG in Essen.
Martin Kinnegim
Martijn Kinnegim ist seit März 2019 CIO der STADA Arzneimittel AG mit Sitz im hessischen Bad Vilbel. Kinnegim arbeitete zuvor bei Jacobs Douwe Egberts (JDE). Dort war er als Global CIO tätig und leitete die Integration der Gesellschaften DE Masterblender 1753 und Mondelez International in den weltweit führenden Kaffeekonzern.
Walter Grüner
Walter Grüner ist seit Mai 2019 Head of Information Technology beim Chemie-Unternehmen Covestro in Leverkusen. Zuvor war Grüner seit 2013 als Group CIO bei der KION Group AG tätig, einem Anbieter von Gabelstapler und Lagertechnik.
Tobias Günthör
Der Pharmakonzern Stada hat mit Tobias Günthör seit Anfang April einen neuen IT-Chef. Der Titel des 53-Jährigen lautet CIO/Senior Vice President IT at Stada Group.
Carsten Priebs
Zum 01.01.2024 wurde Carsten Priebs zum Digitalchef der Biesterfeld AG berufen.

52 Prozent der Befragten setzen deshalb unter anderem auf Data & Analytics in Verwaltung und Produktion. Und erste Unternehmen haben dadurch ihre Prozesse bereits erheblich verbessert und Ressourcen eingespart. Außerdem erhöht sich durch den Einsatz von Analytics die Kalkulierbarkeit des geschäftlichen Umfeldes signifikant.

Wissen über Kunden wird zur zentralen Ressource

Für 55 Prozent der Befragten ist beim Ausbau der digitalen Vernetzung ihres Unternehmens die Anbindung an den Kunden und größere Nähe zum Kunden eine von drei Top-Prioritäten.

Wissen über die eigene Klientel wird also auch in der Chemieindustrie zur zentralen Ressource. Und das bedeutet, dass die Unternehmen ihre Prozesse stärker auf den Kunden ausrichten und entsprechende Potenziale an möglichsten vielen Stellen der Wertschöpfungskette heben müssen.

Auch die Chemiebranche braucht für einen nachhaltigen Kulturwandel junge, risikofreudige Mitarbeiter.
Foto: Kiselev Andrey Valerevich - shutterstock.com

Ohne Kulturwandel bei Mitarbeitern geht es nicht

Ein wichtiger Anknüpfungspunkt kann dabei das Schaffen von Plattformen für individualisierbare Zusatz-Dienstleistungen sein, etwa für Kunden aus der Landwirtschaft.

Gelingen kann all das, auch hier sind sich die Befragten ziemlich einig, nur mithilfe eines echten Kulturwandels. Praktisch bedeutet das unter anderem, dass sich Qualifikationsprofile von Mitarbeitern ändern müssen - weg von Routinetätigkeiten, hin zu kreativer Wissensarbeit. Das Topmanagement sollte dabei den Wandel quer über die gesamte Organisation vorantreiben und Mitarbeiter aller Hierarchiestufen einbinden.

Fehlende qualifizierte Mitarbeiter sind ein großes Problem

Vorausgesetzt, man hat die Mitarbeiter, die bei diesem Thema wie gewünscht mitziehen. 37 Prozent der von KPMG und TMS Emnid befragten Chemie-Manager sehen noch "Aufholbedarf beim Erlangen von Kompetenzen zur Beurteilung Technologiepotenzialen."

Oder anders gesagt: Sie bezweifeln, dass sie die für den Wandel notwendigen Mitarbeiter in der erforderlichen Anzahl und Qualität an Bord haben. Drei der fünf größten Hemmnisse bei der digitalen Transformation sehen die Befragten im Personalbereich.

Studie Analytics Readiness