Interview mit Matthias Hartmann

"Durch Geschäftsmodelle differenzieren"

31.05.2006 von Johannes Klostermeier
Innovative Produkte allein reichen nicht mehr. Künftig entscheiden Geschäftsmodelle über die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens. Das meint Matthias Hartmann, Geschäftsführer IBM Deutschland und Leiter der Global Business Services.

CIO.de: IBM hat eine Werbekampagne mit dem Thema Innovation gestartet.Was verstehen Sie darunter?

Matthias Hartmann: Wir haben gerade unsere CEOStudie veröffentlicht. Mehr als 760 Unternehmenschefs in aller Welt haben wir persönlich interviewt. Das wichtigste Ergebnis: Innovation ist das beherrschende Thema der Unternehmen in diesem Jahr. Innovation ist in diesen Zeiten mit hoch kompetitiven Märkten, wo Unternehmen in der Globalisierung ihre Position finden müssen, einer der wesentlichen Wege, um sich zu differenzieren und das Geschäft in der Folge wieder zum Wachstum zu bringen. Das Potenzial für Kostenreduzierung ist erschöpft. Deshalb fragen wir: Was macht Unternehmen so besonders, und wie heben sie sich vom Wettbewerb ab?

CIO.de: Wie definieren Sie das Thema Innovation?

Hartmann: Wir betrachten das Thema Innovation nicht nur aus der reinen IT-Sicht, wo Innovation natürlich auch eine wesentliche Rolle spielt, sondern aus der Perspektive des gesamten Unternehmens. Innovation umfasst für uns die Umsetzung neuer Ideen, die zu signifikanten Veränderungen führt. Dabei geht es nicht nur um Erfindungen, sondern um alle Aspekte des Geschäfts, wie etwa Geschäftsprozesse und auch völlig neue Geschäftsmodelle – und stets darum, Innovationen im Unternehmen anwendbar zu machen.

CIO.de: Wie kann IBM dabei helfen?

Hartmann: Wir sind mittlerweile eine Firma, die Unternehmen im geschäftlichen Kontext hilft, sich im Markt zu positionieren und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Für uns ist es elementar wichtig zu verstehen, wohin sich das Geschäft unserer Kunden entwickeln wird. Wir schauen natürlich, welche Rolle die Technologie spielt, um Unternehmen neu und innovativ auszurichten.Wir haben aber bewusst einen breiten Innovationsbegriff, der das Business mit der Technologie verbindet. Erst die Fusion dieser beiden Bereiche ermöglicht Unternehmenserfolg.

CIO: Es geht Ihnen also nicht nur um neue Technologie, um neue Server und Computer?

Hartmann: In der Vergangenheit wurde der Begriff Innovation vorwiegend mit Neuerungen im Produktbereich oder mit neuen Technologien assoziiert. IBM meldet etwa jedes Jahr Tausende von Patenten an. Nur deswegen allerdings zu behaupten, man sei ein innovatives Unternehmen, ist zu kurz gesprungen. Es geht um Innovation in einem größeren Zusammenhang: Darum, Innovation als Teil des Geschäftsmodells zu definieren, der für den Kunden neue Wettbewerbsvorteile generiert. Natürlich spielen dabei Technologie und Innovation in der Technologie eine Rolle, wichtiger ist aber die Verschmelzung von Technologie auf der einen und dem Verständnis von Märkten und der Positionierung des Kunden in einer globalisierten Welt auf der anderen Seite.

CIO.de: Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Hartmann: Nehmen Sie den digitalen Musikvertrieb: Die Musikindustrie hat sich viel zu lange gegen das Thema gewehrt, statt hier früh neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Oder die digitale Filmverwertung, wo sich Prozesse viel effizienter gestalten lassen. Oder Versicherungsunternehmen, die von IBM dabei unterstützt werden, nutzungsabhängige KFZ-Versicherungsprämien zu realisieren. Der Tarif sinkt, je weniger und je sicherer man fährt. Die Autonutzung lässt sich durch Satellitennavigation messen. Dies ermöglicht ein neues, innovatives Geschäftsmodell, mit dem sich eine Versicherung differenzieren kann.

CIO.de: Viele Firmen, auch viele CIOs, denken, sie seien per se innovativ. Es gibt aber viele Unternehmen, die Innovation zwar wollen, aber nicht erreichen.

Hartmann: Unsere Studie zeigt, dass die CEOs das Thema Innovation als starken Treiber erkannt haben, es jedoch eine Umsetzungslücke gibt. Die Unternehmen müssen in Bezug auf Innovation aufholen. Das zeigt sich gerade auch im deutschen und europäischen Kontext im Vergleich zu den USA oder den Märkten in Indien und China.Die Unternehmen werden immer stärker von den Märkten gezwungen, ihre Geschäftsmodelle zu verändern, um sich differenzieren zu können. „Produkte können kopiert werden, Geschäftsmodelle nicht“, sagte ein CEO in der Befragung.

CIO.de: Was sind die konkreten Ergebnisse Ihrer Studie dazu?

Hartmann: Zwei von drei CEOs erwarten kurzfristig signifikante Veränderungen in ihren Unternehmen. Es einen Druck, sich zu bewegen. Durch Themen wie Globalisierung und die wachsende Spezialisierung in den Märkten werden Unternehmenschefs zunehmend gezwungen, Dinge zu verändern. Dieser Trend ist weltweit erkennbar.

CIO.de: Wo liegen die Quellen für Innovation?

Hartmann: Die Innovation kommt nach den Ergebnissen unserer Umfrage im Wesentlichen von externen Innovationsquellen und nicht – wie oft gedacht – aus dem Entwicklungs- und Forschungsbereich eines Unternehmens. Innovation ist demnach ein Thema, das besonders stark von den externen Partnern, Kunden und auch von Beratern getrieben wird. Und hier kommt natürlich auch IBM ins Spiel. Wir wollen ja nicht nur im technologischen Bereich, sondern auch in den Geschäftsmodellen und Prozessen Impulse setzen und den Kunden beraten.

CIO.de: Wie erklären Sie sich diese Veränderung?

Hartmann: Die Unternehmen nehmen Abschied von rein monolithischen internen Strukturen. Externe Zusammenarbeit, strategische Partnerschaften und die Nutzung spezieller Anbieter in Unternehmensnetzwerken spielen eine immer größere Rolle.

CIO.de: Welche Bereiche sind dabei führend?

Hartmann: Vor allem in den Branchen Medien, Telekommunikation und Chemie kommen mehr als 50 Prozent der neuen Ideen von außerhalb. Interessant: Die Firmen, die verstärkt auf externe Partnerschaften setzen, sind auch beim Umsatzwachstum erfolgreicher als andere.

CIO.de: Welche Hindernisse für Innovation gibt es?

Hartmann: Traditionell ging es in der Vergangenheit immer um Innovationen in neue Produkte und Services. Prozess- und Geschäftsmodell-Innovationen sind in den Augen der CEOs inzwischen aber genauso wichtig: Wie führe ich mein Geschäft, wie differenziere ich mich am Markt mit strategischen Partnerschaften? Immer wichtiger wird auch Innovation in den internen Betriebsabläufen.

Der Fokus wird immer größer. Die Hindernisse liegen jedoch oft in der Firmenkultur: Wie gehe ich intern mit dem Thema Innovation um; wie kriege ich es in die DNA des Unternehmens eingebrannt? Extern bremsen der Umfrage zufolge oft gesetzliche und regulatorische Einschränkungen.

CIO.de: Sind die Deutschen dabei besonders zögerlich?

Hartmann: Wir können das ein Stück weit durch die Studie belegen. Die europäischen Länder, inklusive Deutschland, betonen externe Zusammenarbeit wesentlich weniger deutlich als die amerikanischen oder die asiatischen. Hier spüren Sie eine starke Zurückhaltung, und es gilt noch die klassische Sichtweise, dass Innovation aus dem eigenen Haus kommen muss.

CIO.de: Haben die Deutschen nicht gelernt zu scheitern?

Hartmann: Wie man damit umgeht, ist eben auch eine Frage der Kultur. Die befragten CEOs sagen, Innovation ist ein Thema, das von oben geführt werden muss. Aber nur 35 Prozent erklären: „Das ist genau meine Rolle, mein Kernthema.“ 27 Prozent der Befragten konstatieren, dass in ihrem Unternehmen niemand für das Thema zuständig ist.

CIO.de: Gibt es dabei einen Widerspruch zwischen CEOs und CIOs?

Hartmann: Die Rolle des CIOs ändert sich, da er im Unternehmen immer mehr das Verbindungsglied zwischen der geschäftlichen Strategie und der Innovation im Geschäftsmodell bildet. Gleichzeitig setzt er Innovationen mithilfe von Technologie um. Seine Rolle als Katalysator wird in diesem Kontext immer wichtiger. Es geht nicht mehr um die Frage, welchen Kostenbeitrag die IT für das Unternehmen leistet, sondern welchen Innovationsbeitrag.