Roadmap: 4 Schritte

Effekte der IT-Industrialisierung bleiben aus

24.04.2013 von Andreas Dietze und Alexander Türk
Industrialisieren, standardisieren, Prozesse automatisieren. Und was hat es gebracht? Wenig, konstatieren Andreas Dietze und Alexander Türk von Roland Berger in ihrer Kolumne. Unternehmen seien bisher nur die halbe Strecke gegangen. Die Berater zeigen die Potenziale von Virtualisierung sowie Cloud auf und stellen eine Roadmap vor.

1. Realitäten: Der Status quo der IT-Industrialisierung

Andreas Dietze ist Partner bei Roland Berger Strategy Consultants.
Foto: Roland Berger

Jeder CIO dürfte sich bereits seit geraumer Zeit mit der IT-Industrialisierung beschäftigten, der Standardisierung und Prozessautomatisierung bei der IT-Leistungserbringung. Ihr Zweck ist es, den Betriebsaufwand zu senken und Kapazitäten für die IT-Optimierung freisetzen. Nun haben Virtualisierung und Cloud-Computing den nächsten großen Schritt bei dieser Vereinheitlichung und Automatisierung versprochen.

Aber ist der von CIOs gewünschte Effekt wirklich eingetreten? Wir konstatieren: Nein, denn viele Unternehmen sind nur die halbe Strecke gegangen. Und so warten sie bis heute auf die versprochene Effizienzsteigerung.

Warum ist das so? In den meisten Fällen fehlt eine Industrialisierungsstrategie, die den Einsatz von Virtualisierung und Cloud-Computing gezielt vorantreibt. Beide Innovationen werden daher nur punktuell und isoliert genutzt, ihr mögliches Potenzial verpufft.

Schon Probleme bei der Virtualisierung

Denn häufig liegt ein Teil des Problems bereits in der Umsetzung der Virtualisierung. Zunächst entkoppelt sie das Betriebssystem von der Hardware. Da viele Applikationen eng mit dem Betriebssystem und seiner Konfiguration verwoben sind, wird die Applikation von der Hardware gelöst.

Alexander Türk ist Consultant bei Roland Berger Strategy Consultants.
Foto: Roland Berger

Das ermöglicht zum einen die Standardisierung der Hardware über Applikationen hinweg. Zum anderen reduziert es die benötigten Ressourcen, da die Applikationen die gemeinsam genutzte Hardware optimal auslasten können.

Um diese Vorteile zu realisieren, haben viele Unternehmen die bis dato vorhandenen physikalischen Server eins zu eins virtualisiert, die sogenannte Physical-to-Virtual-Virtualisierung (P2V-Virtualisierung). Allerdings hat sich an der Vielfalt der eingesetzten Betriebssysteme, der darüber liegenden Schichten oder an den Provisionierungsprozessen bisher nur wenig geändert.

Hybride Cloud wird nicht beachtet

Auch der Einsatz von Cloud-Servicemodellen erfolgt heute nur vereinzelt. Einzelne Services für Infrastruktur (IaaS), Plattformen (PaaS) oder Software (SaaS) werden von einem externen Anbieter aus der Public-Cloud bezogen. So werden Kosten eingespart und technologisch neueste Services eingeführt.

Bei der Entscheidung für oder gegen den Bezug aus der Public-Cloud werden allerdings meist die vollständig externe und die vollständig interne Leistungserbringung verglichen. Mischformen mit einer Verzahnung der internen und externen Leistungserbringung werden oftmals nicht betrachtet.

Virtualisierung und Cloud-Computing werden so schon heute in der IT-Leistungserbingung in vielen Unternehmen eingesetzt. Damit ist der halbe Weg bereits gegangen. Nun muss der nächste Schritt erfolgen, um das Effizienzpotenzial beider Innovationen voll ausschöpfen zu können.

2. Potenziale: Möglichkeiten der IT-Industrialisierung

I. Virtualisierung

Die Vorteile der Virtualisierung reichen über eine Standardisierung und Reduktion der Hardware hinaus. Hardwarekomponenten wie Server, Netzwerkverbindungen oder Router werden durch diesen Schritt zu Softwarekomponenten.

Sie bestehen dann aus einem Code, der auf einer standardisierten Virtualisierungsinfrastruktur ausgeführt wird. Dadurch lassen sich die in Software verwandelten Komponenten mit Methoden der Softwaretechnik weiterentwickeln. Sie können versioniert, modularisiert wiederverwendet und schließlich iterativ in einen unternehmensweiten Standard überführt werden.

Dazu muss für jede Komponente, für jedes Produktionselement der IT-Leistungserbringung der künftige Standard definiert werden. In der Zielarchitektur wird es dann eine definierte Anzahl an Routerkomponenten, Linux-Betriebssystemversionen und Versionen des Java-Stacks geben. Auf diese Weise entsteht ein interner Servicekatalog der Produktionselemente.

Spezialisierte Engineering-Teams entwickeln die einzelnen Komponenten weiter und bündeln sie in Form von Appliances neu. Sie stellen außerdem Scripte zur Verfügung, mit denen ihre Appliance automatisiert provisioniert und konfiguriert werden kann. Das Script gibt an, welche Serverkonfiguration benötigt wird und wie das Betriebssystem und die Applikation zu installieren sind. Auch QoS-Bandbreitenanforderungen (Quality of Service) lassen sich im Provisionierungsscript codieren.

Jetzt ist es möglich, den ERP-Applikationsserver auf Knopfdruck im Self-Service-Portal zu erstellen. Der Provisionierungsprozess ist vollautomatisiert. Bei einem Update wird die Appliance aus den aktualisierten Komponenten neu zusammengesetzt, getestet und im Anschluss auf der Virtualisierungsumgebung ausgeführt. Die alte Appliance schaltet sich im selben Moment ab. In der Architektur des Systems erfordert dies eine Trennung von Applikationslogik und Datenbestand.

Durch das strikte Ersetzen der Appliances im Updateprozess wird eine hohe Standardisierung bei gleichzeitiger Qualitätssteigerung erzielt. Neue Versionen können zuvor ausgiebig getestet werden. Abweichungen vom Standard, wie sie durch die individuelle Pflege von Servern beispielsweise durch Softwarewartungstools entstehen, werden reduziert.

II. Cloud

Den maximalen Nutzen des neuen Servicemodells "Cloud" wiederum werden Unternehmen nur erzielen können, wenn sie schon bei der Standardisierung ihrer IT-Produktionselemente Sourcing-Fragestellungen bedenken und anschließend die interne und externe Leistungserbringung optimal verknüpfen.

Webfarmen sind ein gutes Beispiel für dieses Prinzip. Werden bei der Architekturplanung ihrer Komponenten (zum Beispiel der Betriebssysteme, Applikationsserver oder Datenbanken) im Cloud-Markt verfügbare Standards berücksichtigt, können die entwickelten Appliances später problemlos zwischen der Private- und der Public-Cloud verschoben werden. So kann im Fall der Webfarm die Grundlast der Systeme intern verarbeitet werden, wohingegen für Spitzen in der Auslastung automatisiert Ressourcen externer Dienstleister zugekauft werden.

Szenarien mit solchen Spitzen treten etwa bei der Vorstellung neuer Produkte auf der Unternehmenswebseite oder beim Jahresabschluss in SAP auf. Wie die Verzahnung externer und interner Leistungserbringung bei optimierten Kosten aussehen kann, zeigt der Hybrid-Cloud genannte Ansatz auf exzellente Weise.

Roadmap: Der Weg zum Ziel

Was ist nun zu tun, um die unternehmenseigene IT weiter zu industrialisieren? Hier sind die CIOs gefragt. Wir schlagen ein Vorgehen in vier Schritten vor:

1. Erstellung eines internen Servicekatalogs

Jeder einzelne IT-Service basiert auf einer Vielzahl an Komponenten, den so genannten Produktionselementen. Der erste Schritt der IT-Industrialisierung muss daher sein, alle Services in ihre Produktionselemente zu zerlegen und gleichzeitig gemeinsam genutzte Elemente zu identifizieren.

Anschließend erfolgt eine Standardisierung der Produktionselemente. Auf diese Weise wird beispielsweise die Anzahl der Betriebssysteme und ihrer Konfigurationen auf ein Mindestmaß reduziert. Gängige Marktstandards sollen berücksichtigt werden, um Produktionselemente auf einfachem Weg extern beziehen zu können. Die zukünftigen Produktionselemente werden in einem internen Servicekatalog zusammengefasst und stehen künftig anderen IT-Teams zur Nutzung zur Verfügung.

Für jedes Produktionselement muss entschieden werden, ob die Leistungserbringung intern, extern oder hybrid erfolgen soll.

2. Toolauswahl

Als nächstes ist zu klären, wie die gewählten Produktionselemente künftig bereitgestellt werden sollen. Welche Tools sollen die Automatisierung der Prozesse im Lebenszyklus eines Produktionselements unterstützen? Die gute Nachricht: In den verschiedenen Service-Kategorien existieren bereits viele ausgereifte Tools, die sich für den Unternehmenseinsatz eignen.

In der Kategorie Infrastructure-as-a-Service sind dies beispielsweise der vCloud Director von VMware, Eucalyptus/OpenStack oder Citrix CloudStack. Bei den Platform-as-a-Service-Tools existieren Produkte wie RedHat OpenShift, Microsoft Azure und auch VMware vFabric. Auch für spezielle Anwendungen wie Telefonie, Desktopvirtualisierung, Application Streaming oder Monitoring gibt es ausgereifte Tools.

Je nach Wahl der Produktionselemente wird ein ganzer Werkzeugkasten benötigt, der im Rahmen eines RfI/RfP-Prozesses (Request for Information/Request for Proposal) ausgewählt wird. Zu beachten ist, dass in einigen Fällen mit der Toolauswahl auch gleichzeitig die Festlegung auf einen speziellen Anbieter für die externe Leistungserbringung erfolgt, wenn das gewählte Tool nicht frei am Markt verfügbar ist.

3. Transformation: Skills und Organisation

Die IT-Industrialisierung wird die Aufgaben der IT verlagern. Einfache, wiederkehrende Aufgaben wie Systemprovisionierungen werden durch anspruchsvollere Software-Engineering-Aufgaben ersetzt. Der Administrator von früher wird zum Ingenieur, der versionierte Produktionselemente weiterentwickelt und zu neuen Appliances kombiniert. Er muss die alte IT-Betriebswelt mit modernen Fertigkeiten der Software-Entwicklung verbinden.

Auch die Zusammensetzung der Teams wird sich im Rahmen der IT-Industrialisierung ändern. Die Standardisierung der Produktionselemente wird zum Verschwinden redundanter Fertigkeiten führen. Spezialisierte Teams übergeben als Ergebnis ihrer Tätigkeit versionierte Produktionselemente an andere Teams.

IT-Delivery-Prozesse müssen an die industrialisierte Welt angepasst werden. Prozesse für das Engineering der Komponenten müssen eingeführt und dokumentiert werden.

4. Festlegung technischer Maßnahmen

Schließlich müssen konkrete Maßnahmen zur technischen Umsetzung definiert werden. Die Bandbreite der möglichen Vorgehensweisen ist groß. Eine grundsätzliche Orientierung bietet die Leitlinie, die IT "von unten" zu industrialisieren, also mit P2V-Virtualisierung zu beginnen und sich dann schrittweise auf höhere Level bis zur Applikation vorzuarbeiten.

IT-Industrialisierung: Standardisierung und Automatisierung der IT-Prozesse durch Nutzung von Cloud- und "aaS"-Service-Modellen.
Foto: Roland Berger

Dafür sprechen zwei Gründe: Zum einen können Industrialisierungsmaßnahmen auf infrastrukturnahen Ebenen ohne aufwändige Applikations- und damit Businessanpassungen durchgeführt werden. Weiterhin ist der Markt für IaaS deutlich reifer als für PaaS oder gar SaaS. In letzterem sind nur für ausgewählte Anwendungen reife Lösungen verfügbar (Beispiel Salesforce).

Fazit

Mit einer konsequenten IT-Industrialisierungsstrategie können CIOs die Standardisierung und Automatisierung bei der IT-Delivery weiter vorantreiben. Sie profitieren auf diese Weise von den Vorteilen von Virtualisierung und Cloud-Computing - und zwar weit über die bereits erzielten schnellen Teilerfolge hinaus. So ist eine Kapazitätsverlagerung vom Betrieb des Status quo hin zur Optimierung der IT möglich.

Andreas Dietze ist Partner bei Roland Berger Strategy Consultants, Alexander Türk ist Consultant bei Roland Berger Strategy Consultants.