Enterprise Resource Planning

ERP in Zeiten der Digitalisierung

30.09.2016 von Martin Bayer
Mit der Digitalisierung steigen die Anforderungen an das Enterprise Resource Planning (ERP). Wer seine Systeme auf Vordermann bringen möchte, muss den richtigen Plan dafür haben und das Ganze strategisch angehen.
Systeme für das Enterprise Resource Planning (ERP) bilden nach wie vor das Herzstück in der IT vieler Unternehmen.
Foto: Mathias Rosenthal - shutterstock.com

Erfolg und Misserfolg hängen oft maßgeblich daran, wie gut oder schlecht die ERP-Applikationen funktionieren. Schließlich bilden sie die Schaltzentrale für fast alle Kernfunktionen rund um Finanzverwaltung, Kunden-Management, Produktionsplanung, Logistik sowie die Verwaltung und Steuerung sämtlicher wichtiger Ress­ourcen im Unternehmen. Läuft dieser Softwaremotor nicht rund, gerät auch der Geschäftsbetrieb schnell ins Stocken.

Gerade in großen Konzernen sind Heerscharen von Controllern, Account-Managern und Analysten damit beschäftigt, Klarheit in allen finanziellen Dingen des Unternehmens zu schaffen - um Investoren zufriedenzustellen, Steuern und Abgaben pünktlich und richtig zu begleichen und überhaupt alle finanziellen Reglements und Aufgaben zu erfüllen.

Das ist allerdings kein Selbstläufer und macht oft Schwierigkeiten. Grund sind veraltete Systeme, die mit ungenauen Daten arbeiten und entsprechend unsaubere Reports produzieren. Dabei wäre genau das die Kernaufgabe eines gut funktionierenden ERP-Systems. Denn auch wenn sich immer noch viele Entscheider auf ihr Bauchgefühl verlassen, wirklich fundierte Entscheidungen lassen sich nur auf Basis korrekter Finanzdaten treffen. Was also erwarten die Finanz-Manager von ihren Systemen?

Flexibilität: ERP-Applikationen müssen beispielsweise mit der wachsenden Komplexität innerhalb der Firmenstrukturen mithalten können. Gerade im Zuge von Akquisitionen beziehungsweise Veränderungen im Geschäftsmodell kann es passieren, dass ein älteres ERP-System mit einem Mal nicht mehr zur veränderten Si­tuation des Unternehmens passt.

"Der frühere Ansatz in Sachen ERP sah so aus, dass man feste Prozesse in Unternehmen in Software gepresst hat", erläutert Keith Mattioli, Analyst von KPMG. Das habe über viele Jahre hinweg funktioniert. Doch nun verändere sich die Welt. Diese fest im ERP zementierten Prozesse funktionierten nicht mehr ohne zusätzliche ergänzende Prozesse, die darum herumgestrickt werden müssten.

Korrektheit: Obwohl die Unternehmen jedes Jahr viel Geld in ERP- und andere Business-Software stecken, werden etliche - auch unternehmenskritische - Finanz­angelegenheiten immer noch mit Excel-Sheets erledigt. Makros und Tabellen laufen in aller Regel unter dem Radar der IT-Abteilungen. Entsprechend fehlt das eigentlich notwendige Qualitäts-Management. Das kann zu gewaltigen Problemen führen. Finanzexperten von F1F9 wollen herausgefunden haben, dass neun von zehn Excel-Tabellen Fehler beinhalten - auch in großen Unternehmen, die es eigentlich besser wissen müssten.

Erst 2014 hatte "The Telegraph" berichtet, dass Milliarden-verluste der Investment-Bank JP Morgan in erster Linie auf fehlerhafte Excel-Tabellen zurückzuführen seien. Viele Finanzchefs hätten mittlerweile erkannt, dass ihre aktuellen Prozesse und Tabellen nicht so recht zu den Anforderungen moderner Finanzsysteme passten, sagt Mattioli: "Manuelle Prozesse stellen auch immer ein Risiko für die eigene Finanz-Compliance dar."

Orientierung: Von einem Chief Financial Officer (CFO) und seiner Abteilung wird erwartet, dass sie Budgets genau planen, neue Geschäftschancen identifizieren und exakte Berichte abliefern. Das alles basiert auf korrekten Daten sowie deren solider Verarbeitung und Analyse. So weit die Theorie. In der Praxis stammen die Daten der Finanzabteilungen meist aus den unterschiedlichsten Quellen und variieren daher in den Erhebungsgrundsätzen wie auch in der Qualität. Neue ERP-Systeme können dabei behilflich sein, die Qualität der für die Analysen herangezogenen Daten zu ver­bessern. Das schafft eine solide Ausgangsbasis für Auswertungen und damit die Entscheidungsfindung. Und davon hängt letztlich das Schicksal eines jeden Unternehmens ab.

Neue ERP-Optionen ausloten

Wer sich jetzt überlegt, sein ERP-System durch ein neues abzulösen beziehungsweise die bestehende Software auf den neuesten Stand zu bringen, sollte strategisch vorgehen und das Projekt genau planen. Das beginnt schon mit der Diskussion in der eigenen Finanzabteilung. Dafür sollte man den richtigen Zeitpunkt abpassen. Um Rückendeckung für ein größeres ERP-Projekt zu bekommen, sollten die IT-Verantwortlichen nicht genau dann beim Finanzchef vorstellig werden, wenn dieser gerade in der heißen Phase für den Quartals- oder Jahresabschluss steckt. Hier ist Gefühl für das richtige Timing gefragt.

Hat man das Go, müssen sich die Verantwortlichen überlegen, wie sie ihr ERP auf Vordermann bringen wollen. Dabei können auch Cloud- und Software-as-a-Service-(SaaS-)Angebote eine überlegenswerte Alternative bilden. Die geringen Anfangsinvestitonen seien beispielsweise ein großer Vorteil von Cloud-ERP, erläutert Eric Kimberling, Managing Partner beim auf ERP-Beratung spezialisierten Unternehmen Panorama Consulting Solutions. Allerdings verwendeten derzeit vor allem kleinere Firmen entsprechende Cloud-ERP-Lösungen: "Ich sehe eine große Zahl kleiner Firmen, die Cloud-ERP einsetzen, aber nur eine kleine Zahl großer Firmen, die das tun."

Ein Grund, warum gerade große Unternehmen noch davor zurückschrecken, ihre Finanzsysteme der Cloud anzuvertrauen, sind Sicherheitsbedenken, sagt KPMG-Mann Mattioli. Diese bildeten den Kern jedes Unternehmens und dürften daher unter keinen Umständen ausfallen, beschreibt der Analyst die noch verbreitete Skepsis gegenüber Cloud-Lösungen. Falsche oder verlorene Finanzdaten könnten schließlich jede Firma in Konflikt mit regulatorischen Vorschriften bringen. Dem Gesetz zufolge müssen die verantwortlichen Manager dafür geradestehen und wandern für Fehler im schlimmsten Fall sogar ins Gefängnis.

Cloud-ERP: Einsatz und Pläne
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Cloud-Lösungen von vornherein als potenzielle Risiko­faktoren zu verteufeln sei jedoch falsch, warnt ERP-Spezialist Kimberling. Für die Anbieter entsprechender Lösungen besitze die Sicherheit der Kundendaten höchste Priorität: "SaaS-Provider können ihr Geschäft dichtmachen, wenn sie keinen sicheren Service liefern", so der Analyst. Der Anreiz, verlässlichen Service zu erbringen, sei also hoch.

Tatsächlich forcieren viele Softwarehersteller ihre Aktivitäten rund um Cloud-ERP - gerade auch die großen Softwarekonzerne, die in den vergangenen Jahrzehnten ihr Geschäft vor allem mit klassischen On-­Premise-Produkten gemacht haben. Beispielsweise hat Oracle jüngst bekannt gegeben, für 9,3 Milliarden Dollar das Unternehmen Netsuite übernehmen zu wollen, einen Spezialisten für Cloud-ERP-Lösungen, die vor allem für kleinere und mittelgroße Firmen konzipiert sind.

Microsoft hat kürzlich mit Dynamics 365 ein integriertes SaaS-Angebot für ERP und CRM geschnürt. Und SAP bemüht sich geraumer Zeit, neben seinem auf die Belange kleiner und mittelgroßer Kunden zugeschnittenen Cloud-ERP-Paket Business ByDesign auch den Nachfolger der Business Suite, S/4HANA, in der Cloud in Position zu bringen.

Der Markt für Cloud-ERP-Lösungen birgt noch großes Potenzial, konstatiert Oliver Giering, Analyst der Experton Group, und verweist auf die Vorteile der SaaS-Angebote. Kunden verständen immer häufiger die Dringlichkeit, interne Systeme an externe Datenquellen beziehungsweise Systeme anzudocken, um bei der Wert­schöpfung alles im Blick zu haben und keine Silos aufzubauen. Dies gelinge nur über eine "Cloudifizie­rung" von bestehenden Lösungen beziehungsweise den Einsatz nativer Cloud-Lösungen. Paul Hamer­man von Forrester Research verweist darauf, dass sich die Verbreitung von Cloud-ERP zwischen 2012 und 2014 von sechs auf 16 Prozent mehr als verdoppelt habe.

Dazu kämen weitere 19 Prozent, die den Einsatz eines ERP-Systems aus der Cloud konkret planten. 2012 waren es erst sechs Prozent. Der Forrester-Analyst räumt zwar ein, dass sich ein Cloud-ERP nicht automatisch für jeden Einsatz eigne, aber in vielen Fällen durchaus Vorteile biete, beispielsweise wenn es darum gehe, neue Geschäftsfelder oder -einheiten zügig zu unterstützen beziehungsweise in die Jahre gekommene, heterogene ERP-Landschaften abzulösen.

ERP-Wertbeitrag herausarbeiten

Wichtige Vorteile, die ein neues oder überarbeitetes ERP-System bringen kann - sei es nun aus der Cloud oder klassisch on Premise -, sind mehr Flexibilität, Agilität und zusätzliche Analysemöglichkeiten. Allerdings sei es auch wichtig, diese Pluspunkte offensiv herauszustellen und regelrecht zu vermarkten, mahnt Mattioli.

Das bedeutet aber auch, dass die IT-Verantwortlichen den Eintritt eines neuen ERP-Systems in die Organisation des Unternehmens begleiten und unterstützen müssen. Dazu zählt beispielsweise ein funktionierendes Datenqualitäts-Management. Denn wenn die Finanzabteilung von Anfang an schlechte Daten in das neue ERP kippt und infolgedessen auch schlechte Ergebnisse damit erzielt, wird man in erster Linie das ERP dafür verantwortlich machen.

Die IT-Verantwortlichen sollten daher sorgfältig prüfen, wie das eigene Unternehmen in Sachen Daten organisiert ist. Dabei helfen können Visualisierungs-Tools wie beispielsweise Tableau, rät ERP-Experte Kimberling. Damit lasse sich dem Management klar vor Augen führen, wie sich Datenanomalien auswirkten.

Darüber hinaus sollten die IT-Verantwortlichen auch ihr Wissen und Know-how über die eigenen Prozesse ausspielen. Schließlich ist es seit Jahren ihre Aufgabe, die Abläufe mit IT zu unterlegen. Es gelte, die Mitarbeiter in den Finanzabteilungen an die Hand zu nehmen und ihnen genau zu zeigen, wie sie mit IT-Unterstützung bessere und genauere Berichte für das eigene Geschäft produzieren könnten. Analysten empfehlen der IT auch, damit zu punkten, dass sie die Sicherheit und Nachvollziehbarkeit der mit dem ERP-System erzeugten Berichte gewährleistet.

Mittels eines Identity- and Access-Managements (IAM) lasse sich beispiels­weise genau nachverfolgen, wer wann an welchen Versionen bestimmter Reports und Zahlen gearbeitet hat. Ein solches Tracking von Entscheidungen werde immer wichtiger. Auditoren seien wenig beeindruckt, wenn man ihnen achselzuckend sage, dass im System nicht nachzuvollziehen sei, wie bestimmte Zahlen zustande gekommen seien.

Fazit

Um zielsichere Entscheidungen zu treffen, muss sich das Management auf die Informationen aus den Finanzsystemen verlassen können. Die IT-Verantwortlichen sollten daher ihr Hauptaugenmerk darauf richten, die Anforderungen und Probleme der Finanzabteilungen möglichst genau zu verstehen. Auf die dortigen Kollegen zu hören und von ihnen zu lernen, hilft letztlich auch der IT, mit am Tisch zu sitzen und Gehör zu finden, wenn es um Entscheidungen über ERP-Systeme und andere Technologien geht.