Fusion ohne Konfusion

01.04.2002 von Marita Vogel
Bei fast jeder zweiten Fusion gilt die IT als Integrationsbremse. In ihren Konsequenzen oft unterschätzt, sind IT-Merger eine große Herausforderung. CIOs verschiedener Branchen schildern, wie sie die Aufgabe gelöst haben.
Es war wichtig, dass in den Integrationsteams Degussa- und SKW-Mitarbeiter an einem Strang zogen. Dirk Ventur, Ex-CIO Degussa.

WERNER-JÜRGEN SCHMITT ist nicht zu beneiden. Nach monatelangem Übernahmekampf musste der CIO von FAG Kugelfischer im Herbst erleben, wie sein Arbeitgeber unfreiwillig von der INA Holding Schaeffler geschluckt wurde. Zwar soll FAG als Teil des neuen Konzerns selbstständig und das Führungsteam an Bord bleiben; doch dass nach der IT-Umstrukturierung tatsächlich zwei IT-Chefs benötigt werden, bezweifeln die Kollegen bei FAG. "In Schmitts Haut möchte ich jetzt nicht stecken" heißt es im Schweinfurter Unternehmen.

So wie Schmitt geht es zurzeit vielen IT-Leitern in Deutschland. Der Trend zur Fusion ist ungebrochen: 2170 Unternehmen wagten vergangenes Jahr - oder machten gezwungenermaßen - den Schritt in die Firmenehe. Laut M &A Review und dem Institute for Mergers & Acquisitions sind das zehn Prozent mehr als noch 2000. Nachdem die großen Hochzeiten gefeiert waren, gingen nun vor allem mittelständische Unternehmen zusammen, sagt Stephan Jansen, Gründer des Institute for Mergers & Acquisitions an der Universität Witten/Herdecke.

Mehr als die Hälfte der Firmenzusammenschlüsse scheitert; das ergab eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey. Und daran ist die IT nicht unschuldig: "In 58 Prozent der fusionierten Firmen gibt es Probleme mit der IT - sie kann die Gesamtintegration massiv behindern" hat Johannes Gerds beobachtet, der als Senior Manager der Beratungsgesellschaft Accenture die Post- Merger-Strategien von 120 Fusionspartnern untersuchte. "Die IT-Barrieren werden vollkommen unterschätzt."

Dirk Ventur braucht sich diesen Schuh nicht anzuziehen; ihm war die Schwere seiner Aufgabe wohl bewusst. Als CIO musste er die Anwendungen und Systeme von Degussa-Hüls und der SKW Trostberg zur IT des neuen Spezialchemiekonzerns Degussa zusammenführen. Das ist geschehen, aber Ventur ist nicht mehr da.

Abgang nach Fusionserfolg

Der Reihe nach: Überraschend kam der Merger samt ITFolgen nicht. Er stand bereits 1999 im Raum, nachdem die Degussa-Hüls-Mutter Veba und die SKW-Eignerin Viag unter dem neuen Familiennamen Eon die bis dato größte deutsche Konzernehe eingegangen waren.

Nach der offiziellen Bekanntgabe der Fusion wurden sehr schnell die künftigen IT-Aufgaben verteilt: Jochen Gintzel, CIO von Degussa-Hüls, übernahm die Aufgabe, den hauseigenen IT-Dienstleister Its-On aufzubauen. Ventur, damals CIO von SKW Trostberg, wurde zum Senior Vice President IT-Strategy. "Spielchen haben wir nicht" erinnert sich Ventur, "dafür hatten wir gar keine"; Zudem war bereits im Juni 2000 - etwa vier Wochen nach dem ersten Treffen der beiden Manager - klar, wer welche Aufgaben übernimmt.

Der zweite Glücksfall war, dass bei der sofort erfolgten Inventur der IT-Struktur starke Überschneidungen deutlich wurden. "Wir nutzten zu etwa 90 Prozent die gleichen Systeme" sagt der 42-jährige Ventur. Doch zunächst wurden verschiedene Integrationsteams mit insgesamt 35 Mitarbeitern gebildet - kleine, schlagkräftige, gemischte Mannschaften mit je einem Projektleiter von Degussa und SKW an der Spitze.

Diese Teams sollten in den Arbeitsbereichen Kommunikation, E-Mail, SAP, Standards, Verträge und Sicherheit optimale Integrationslösungen entwickeln. "Deshalb war bei der Besetzung der Teams wichtig, dass sowohl Degussa- als auch SKW-Mitarbeiter dabei waren und dass sie bei der Integration an einem Strang zogen. Dabei sollten möglichst schnell praktikable Lösungen gefunden und umgesetzt werden - was auch voll erreicht wurde."

Als größtes Problem der Anfangsphase, "fast wie ein Glaubenskrieg" stellte sich laut Ventur das E-Mail- System heraus: SKW nutzte Outlook, Degussa-Hüls Lotus Notes. Und obwohl Ventur selbst Outlook-Anhänger ist, fiel die Wahl - ganz pragmatisch - auf Lotus Notes als Konzernstandard: "Damit arbeiteten einfach mehr Mitarbeiter."

Zeitversetzte Integration von 500 Töchtern

Um die IT arbeitsfähig zu halten, entschied sich Ventur für das Prinzip "lose Kopplung der Systeme" mit zeitversetzter Integration. Die jeweils eigenen IT-Teile sollten so lange arbeitsfähig bleiben, bis ein übergreifender Standard gefunden war. Keine unproblematische Aufgabe - schließlich mussten 500 Unternehmensteile von Brasilien über Kanada bis China zusammengeführt werden. Zudem stand zu Beginn der Umstrukturierung nicht einmal fest, wie die IT aufgestellt sein sollte. "Der Prozess lief - parallel zur Entwicklung der gesamten Organisationsstruktur des Unternehmens - bis Februar 2001", erinnert sich Ventur.

In dieser Situation hatten auch die Degussa-Fusionisten mit einem Problem zu kämpfen, auf das fast alle IT-Manager in Merger-Situationen treffen: mangelnder Informationsfluss. "Für die Konzernspitze ist die IT-Integration zumeist abgeschlossen, sobald die Systementscheidung steht. Danach liegt der Vorstandsfokus woanders, und die IT muss selbst sehen, wie es weitergeht", urteilt Accenture-Berater Gerds.

Nachdem bei Degussa die Organisationsstruktur feststand, konnte Ventur die IT-Strategie entwickeln. "Wir wussten nun, was da war und wohin das Unternehmen wollte. Dann mussten wir klären, wohin wir wollten."

Die wesentliche Frage in dieser Phase war, wie die verschiedenen SAP-Systeme vereinheitlicht werden sollten. "Das war eine Heidendiskussion" erinnert sich Ventur. Schließlich entstanden fünf SAP-Cluster, die sich an den Anforderungsprofilen der weltweit 22 Business- Units orientierten. 80 Prozent aller R/3-Anwendungen, so Ventur, seien mit diesem Portfolio standardisierter Programme abgedeckt.

Ventur hat seinen Job gemacht: Die IT bei Degussa steht - allerdings künftig ohne ihn. Zum 31. März hat er den Konzern verlassen; ein Nachfolger stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. Wie sich etwa der SAP-Pilot SEM (Strategic Enterprise Management) und der weitere Ausbau der Portale entwickeln werden, beobachtet Ventur nur noch aus der Ferne. "Ich möchte jetzt gern aktiver gestalten", sagt er diplomatisch.

Herausforderung kulturelle Integration

Wie diese Aussage zu interpretieren ist, wissen Insider genau: Bei dem Merger prallten zwei Unternehmenskulturen aufeinander, die unterschiedlicher kaum sein konnten - zumal eigentlich vier Firmen zusammenfinden mussten. 1999, kurz vor der Degussa-SKW-Fusion, hatte der Chemieriese die Firma Hüls geschluckt; im selben Jahr hatte sich SKW Trostberg relativ reibungslos die Essener Firma Goldschmidt einverleibt. Und während das Traditionsunternehmen Degussa den Ruf eines schwerfälligen, behäbigen Monolithen hat, gelten die SKWler als flexible, hemdsärmelige Macher, die Probleme schnell angehen und beheben.

Einfach ist die kulturelle Integration nie. "Etwa zwei Jahre benötigen fusionierte Firmen, bis das Herz einigermaßen im Gleichtakt schlägt" beobachtet Brigitte Winkler, Unternehmensberaterin und Autorin des Buchs "Fusionen überleben" (siehe Kasten Seite 22). Sie weiß, wovon sie spricht: Als Direktorin für Personalentwicklung begleitete sie die Fusion von Hypo- und Vereinsbank. Als Beraterin und Partnerin von A47 Consulting berät sie fusionierende Konzerne. In der ersten Zeit sei das Risiko des Scheiterns besonders hoch: Steigende Kündigungsraten, weil die Besten zuerst gehen, sinkende Arbeitsmoral, permanente Nabelschau und Grabenkämpfe zwischen den Managern schwächten beide Partner.

Diese Probleme hatte die erst seit Juni 2001 bestehende Firma "Walter Bau AG vereinigt mit Dywidag" nicht. "Die Fusion ist unkompliziert verlaufen, die verschiedenen Kulturen haben wir schnell in den Griff bekommen" sagt der IT- und kaufmännische Vorstand Peter Kern. Schließlich war es eine Fusion der Schwesterunternehmen Walter Bau und Dyckerhoff & Widmann (Dywidag). Fusioniert fährt der Konzern vier Milliarden Euro Umsatz ein und ist - gemessen an der Bauleistung im Inland - das größte deutsche Bauunternehmen.

Walter Bau: 30 Prozent bei der IT einsparen

Rosig ist die Stimmung unter den Managern trotzdem nicht. Die schwache Konjunktur führte 2000 zu rund 50 Millionen Euro Verlust, die Aktienkurse stürzten ab. Die Fusion wurde vor dem Hintergrund der Baukrise vorgenommen, um Synergien und Kostenreduzierungen zu erreichen. Es wird mit rund 40 Millionen Euro Merger- Kosten kalkuliert, die Einsparungen sollen bei 75 Millionen Euro liegen. Im Inland baute Walter von rund 15000 Stellen etwa 2600 ab.

Die harten Vorgaben betrafen auch die IT. Kern: "Hier lassen sich 20 bis 30 Prozent Einspareffekte realisieren." Erreicht werde dies vor allem durch die "Anpassung ans ohnehin reduzierte Bauvolumen in Deutschland". Zudem müssten nicht mehr alle Systeme und die Infrastruktur doppelt betrieben werden. Entlassungen in der IT seien jedoch nur "ganz gering" angefallen. Wie man`s nimmt: "Etwa 15 bis 20 Prozent der Mitarbeiter mussten gehen" räumt Kern ein, darunter auch einer der beiden IT-Leiter.

Bleiben durften die Vorstände der zehn Konzerntöchter. "Das verlief wirklich problemlos. Wir haben uns zusammengesetzt und alles mit Aufsichtsratschef Ignaz Walter geregelt" sagt Kern, der zuvor als kaufmännischer Vorstand bei Walter Bau tätig war. Mit seinem Kollegen von Dywidag teilt er sich nun die Aufgaben.

In der IT nutzten die Walter-Manager die Fusion, um die Organisation auf neue Beine zu stellen. Der Service wird derzeit in eine eigenständige Gesellschaft ausgegliedert, in der die verbliebenen Mitarbeiter mit neuen Arbeitsverträgen unterkommen. Vier Kollegen bleiben in der Augsburger Zentrale, sie erfüllen Koordinationsaufgaben. Zusätzlich sind knapp 30 IT-Mitarbeiter an den verschiedenen Standorten des Konzerns aktiv.

Bei der IT-Integration erwarten die Baumeister laut Kern keine allzu großen Probleme. Zu etwa 80 Prozent sind die Systeme zumindest technisch bereits identisch, weil sich die Manager schon vor Jahren nicht nur auf SAP als Konzernstandard, sondern auch auf Standard- Software im Bau- und Planungsbereich geeinigt haben.

Winterthur: Kampf um Eigenentwicklungen

Frühzeitige Zusammenarbeit machte sich auch bei der Fusion der Winterthur-Versicherung mit der Credit Suisse bezahlt. Den Merger im Blick, stimmten sich die Schweizer Finanzdienstleister bereits 1997 im Bereich IT-Architektur für das E-Business und in der PC-Bewirtschaftung ab. "Das war sehr förderlich" erinnert sich Winterthur-CIO Rudolf Brühwiler. Statt in die Rolle des Aufgekauften zu geraten, lernten sich die Mitarbeiter kennen und schätzen. "Da entstand sehr schnell eine Art sportlicher Ehrgeiz.". Die IT-Organisation wurde nach dem Merger nicht zusammengeführt. Es wurde eine Lead-Organisation Technology and Services für alle Geschäftsbereiche geschaffen und eine klare Aufgabenzuteilung vorgenommen. So wurde der PC-Einkauf zentralisiert, der Field-Service für die PC-Bewirtschaftung in der Schweiz an den Marktführer abgegeben und das Netzwerk zusammengelegt. Die Versicherungen behielten ihre eigenen branchenspezifischen Anwendungen und ihr Rechenzentrum mit einem Outsourcing-Vertrag mit IBM.

Angst um seinen Job habe er nicht gehabt, sagt Brühwiler - obwohl er im Rahmen der Fusion einen Teil seiner Verantwortung abgeben musste. Da sich die IT-Organisationen nach den Business-Organisationen richten, wurden der neuen Organisation für das Lebensversicherungsgeschäft auch die dazu notwendigen Mittel zugewiesen. "Aber auch diese Abspaltung ist gut gelaufen: Mein Stellvertreter hat die Rolle des neuen CIOs übernommen. Also auch hier kein Problem."

Angst vorm Jobverlust als Karrierekiller

Bei Fusionen kommen immer auch menschliche Aspekte zum Tragen; IT-Führungskräfte und ihre Mitarbeiter sind davon nicht ausgeschlossen. Häufigste Regung: Angst vor Jobverlust oder Karriereknick. Doch genau Angst und Unsicherheit seien die Karrierekiller Nummer eins, hat Consultant Brigitte Winkler beobachtet. Beides vermindere Belastbarkeit und Kreativität, obwohl die besonders in einer Fusionssituation wichtig seien. Vor allem gebeutelten IT-Fachleuten gilt das Mitgefühl der Ex-Bankerin: "Für Informatiker ist es schlimm, wenn die Entscheidung gegen das eigene EDV-System fällt. Über Jahre erworbene Kompetenzen werden anscheinend überflüssig. Das geht ans Selbstbewusstsein." Um die Frustration aufzufangen, rät sie zum intensiven Austausch darüber, warum die Entscheidung so getroffen wurde. "Eine Aufgabe für den IT-Leiter, die er für seine Mitarbeiter leisten muss."

Doch was sollen CIOs selbst unternehmen, wenn die neuen Herren auftauchen? Winkler: "Auf keinen Fall abtauchen oder Frust zeigen." Um frühzeitig Einfluss zu nehmen, ist Eigeninitiative gefordert. „Man sollte sich sofort darum bemühen, in eine wichtige Integrationsprojektgruppe hineinzukommen - so kann man sein Gesicht zeigen, Argumente vorbringen, fachliche Kompetenz ausstrahlen, Entscheidungen früh beeinflussen und die neuen Entscheider kennen lernen."

Viel versprechend sei es auch, schnell Kontakt zum neuen Konterpart aufzunehmen. Mit dem könne man sich vielleicht auch inoffiziell über die Unterschiede der IT-Systeme austauschen. "Jede Information hilft, bessere Argumente vorzubringen." Grundsätzlich seien zwei Einstellungen wichtig: "Sich offen und konstruktiv mit der neuen Situation auseinander setzen und gleichzeitig sich selbst in wichtigen persönlichen Werten und Handlungsweisen treu bleiben." Diesen Rat dürfte Ex-CIO Ventur befolgt haben - er gönnte sich nach seinem Abschied eine Auszeit und tauchte erst mal für drei Wochen vor der indonesischen Küste ab.