Fachkräftemangel

Gamification - der Schuss kann nach hinten losgehen

25.09.2013 von Kriemhilde Klippstätter
Unter dem Schlagwort "Gamification" schaffen Unternehmen zusätzliche Anreize für die Generation Y, die mit digitalen Geräten und Spielen aufgewachsen ist. Wer nicht aufpasst, kann dabei große Fehler machen.

Firmen suchen händeringend nach qualifizierten und jungen IT-Mitarbeitern. Dadurch verändern sich auch die Anreize: Routine und Automatismen, die es Mitarbeitern erlauben, "eine ruhige Kugel zu schieben", sind der neuen Generation ein Gräuel. Auch monetäre Anreize oder gute Aufstiegschancen motivieren nur bedingt. Die Digital Natives wollen herausfordernde Aufgaben gepaart mit Spaß und Abwechslung.

Gamification: Darunter versteht man ganz allgemein die Anwendung von Spielelementen in spielfremden Kontexten.
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Das gewährleisten zum Beispiel Mechanismen, die aus Computerspielen bekannt sind. Das Motto "Work hard and play hard" impliziert nicht die strikte Trennung von Berufs- und Privatleben. Techniken aus dem Spielebereich finden Eingang in die Welt der Arbeit, ein Trend, der unter dem Schlagwort "Gamification" zusammengefasst wird. Darunter versteht man ganz allgemein die Anwendung von Spielelementen in spielfremden Kontexten.

Analysten sind optimistisch

Der Markt für Gamification soll laut Angaben des US-Forschungsinstituts M2 Research 2012 mit rund 242 Millionen Dollar mehr als doppelt so groß wie 2011 gewesen sein. Für 2016 liegen die Prognosen bei 2,8 Milliarden Dollar. Den starken Anstieg erklären die Marktforscher damit, dass sich Gamification-Ansätze nicht mehr nur in spielaffinen Branchen wie der Entertainment- oder der Medienwelt ausbreiten, sondern auch in Industrieunternehmen, im Gesundheitswesen und im Bildungsbereich.

Die deutsche IT-Industrie spielt diesmal an vorderster Front mit. IBM und die Deutsche Notes User Group nahmen bereits im vergangenen Jahr den Vortrag "Gamification zur Steigerung der IBM Connections Akzeptanz" ins Konferenzprogramm auf. SAP nutzt den Spieleansatz in seinem Community Network. IDS Scheer Consulting gewann den zweiten Platz im "SAP HANA Partner Race" mit einem Planungswerkzeug, das zusammen mit dem deutschen Spieleanbieter Crytek entwickelt wurde. Die Frankfurter steuerten für die Gestaltung der Benutzeroberfläche die "Cry Engine3" bei, die bei Computerspielen für realistische Szenarien sorgt. Jens Echtermeyer, Vice President von IDS Scheer und Verantwortlicher für den HANA-Bereich, betont die Benutzerfreundlichkeit: "Aus einem Benutzen müssen wird ein Benutzen wollen."

Christian Dyck, Scout24 Services: "Das Kernprodukt muß natürlich überzeugen."
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Professionell zum Einsatz kommt Gamification bereits bei Scout24 Services, einer Tochter der Scout24-Gruppe, die sich unter anderem auf die Förderung von Startups spezialisiert hat. Dort nutzt man spielerische Elemente zur Motivationssteigerung der Website-Nutzer. "Das Kernprodukt muss natürlich überzeugen. Zusätzlich aber lässt sich die Attraktivität über gamifizierte Ergänzungen steigern, die den Besuchern Spaß machen", erklärt Christian Dyck, Vice President Products bei Scout24 Services. "Das klappt allerdings nur, wenn beides zueinander passt und Mehrwert für den Nutzer entsteht."

Das Marktpotenzial und den Trend vor Augen bilden auch die Universitäten entsprechende Fachleute aus, etwa die TU München, die seit dem Wintersemester 2011/12 im Fachbereich Informatik den Studiengang "Games Engineering" anbietet. Dabei geht es nicht nur darum, den Bachelor-Studenten Fähigkeiten zum Design von Computerspielen zu vermitteln, vielmehr sollen sie auch "seriöse Spiele" für unterschiedlichste Branchen und Bereiche - Banken, Logistik, E-Learning, Marketing - entwerfen lernen.

Mitarbeiter spielerisch motivieren

Nach Angaben der amerikanischen Consulting-Firma Blessing White fühlen sich derzeit nur 33 Prozent aller US-Mitarbeiter aktiv in ihre Arbeitsprozesse eingebunden. Ähnliches erbrachte eine Gallup-Untersuchung. Danach sind in den USA nur 30 Prozent aller Angestellten mit Eifer bei der Arbeit, 19 Prozent fühlen sich unwohl am Arbeitsplatz und verhalten sich entsprechend. Die Mehrheit der Befragten - 51 Prozent - verhalten sich "wie Schlafwandler" und trotten uninspiriert und nicht engagiert durch den Arbeitstag.

Arbeiten in der digitalen Welt
In einer repräsentativen Umfrage kommt der ITK-Branchenverband Bitkom zu interessanten Erkenntnissen. Mobile Erreichbarkeit und das Arbeiten in Netzwerken heben die strikte Trennung von Arbeits- und Privatleben auf.
Neue Technologien in der Arbeitswelt
Für die Studie wurden 505 Berufstätige und 854 Unternehmen befragt.
Nutzung privater Geräte im Job ist weit verbreitet
Nur knapp ein Drittel aller befragten Berufstätigen nutzen keine privat angeschafften Geräte für die tägliche Arbeit.
Computer und Handy gehören zur Standardausstattung
Arbeit ist selten an einen festen Platz gebunden
55 Prozent der Befragten arbeiten auch "von unterwegs" mithilfe eines Handys, Smartphone oder mobilen Computers.
Home Office ist weit verbreitet
Ein Drittel aller Berufstätigen arbeitet regelmäßig zu Hause.
Arbeit zu Hause versöhnt Job und Familie
Ansichten der Berufstätigen zum Thema Home Office
Unternehmen sehen positive Effekte flexibler Arbeitsmodelle
Ansichten der Personalverantwortlichen in Unternehmen zum Thema Home Office
Always on
77 Prozent der befragten Beschäftigten sind auch nach Büroschluss erreichbar.
Viele Beschäftigte checken dauernd ihre E-Mails
Ein Viertel der Befragten ruft auch nach der Arbeit noch regelmäßig die geschäftlichen E-Mails ab.
Unternehmen verlangen Erreichbarkeit
Zwei Drittel der befragten Unternehmen sind der Meinung, dass die Mitarbeiter auch außerhalb der regulären Arbeitszeit für Kollegen, Vorgesetzte oder Kunden per Handy bzw. E-Mail erreichbar sein sollten.
Erreichbarkeit in der Regel nicht geregelt
Doch kaum ein Unternehmen verfügt über klare Regelungen zur Erreichbarkeit der Mitarbeiter außerhalb der regulären Arbeitszeit.
Was Unternehmen für die Work Life Balance tun
Berufstätige sehen das Teilen von Wissen positiv
Soziale Medien verändern die interne Kommunikation
Nur noch 32 Prozent der befragten Unternehmen nutzen keine Social-Media-Tools
5 Regeln für Arbeitgeber
4 Regeln für Beschäftigte

Abhilfe schaffen sollen unter anderem Ideen aus der Spieleindustrie, wie Gartner-Analyst Brian Burke postuliert: "Gamification hat gezeigt, dass es - sofern richtig geplant wird - dazu taugt, Mitarbeiter zu stärkerem Engagement zu bringen, ihr Verhalten zu ändern, Fähigkeiten zu entwickeln oder Probleme zu lösen."

Die polnische Agentur SoInteractive mit Niederlassung in München hat ein komplettes Framework rund um die "Spielefizierung" des Arbeitsplatzes aufgebaut. Mit zahlreichen Modulen, die vom Erstellen eines Benutzerprofils über Spielefortschritt, Punkte und Wettbewerb bis zu Rankings reichen, sollen Mitarbeiter motiviert werden. Ein veränderbares Verwaltungs-Panel erlaubt die Anpassung an unternehmensspezifische Bedürfnisse. Gedacht ist das System nicht nur, um die Beziehungen zwischen Mitarbeiter und Unternehmen zu festigen, sondern, um beispielsweise als Arbeitgeber attraktiver zu werden. Laut Hersteller eignet sich das Spiele-Framework auch dazu, die Einstellungsverfahren zu optimieren und später die Lernbereitschaft im Unternehmen zu fördern. Ähnliches prophezeit Gartner in seinem "Gamification Research": Mitarbeiter könnten leichter dazu gebracht werden, sich zu engagieren und weiterzuentwickeln.

Mögliche Kehrseite der Medaille

Anfänglicher Begeisterung folgt oft die Phase der Ernüchterung, zumindest, wenn man dem "Hype Cycle" von Gartner traut. Die Analysten glauben, dass das Thema Gamification schon bald den höchsten Punkt der Euphorie erreicht hat und sich demnächst - aufgrund nicht erfüllter, weil unrealistischer Erwartungen - in der Abwärtsbewegung wiederfinden wird. Dazu Analyst Burke: "Wir erwarten, dass 2014 rund 80 Prozent der derzeitigen gamifizierten Anwendungen die Erwartungen der Business-Bereiche nicht erfüllen werden, hauptsächlich wegen des schlechten Designs der Applikationen."

Beispielsweise warnt Gartner die Unternehmen davor, "bedeutungslose Knöpfe, Bonuspunkte oder Ranking-Listen" auf ihre Websites zu stellen. Vielmehr sollten sinnvolle Anreize die Zielgruppe zur Teilnahme bewegen. Zudem gehe es per se nicht um die bloße Teilnahme von Kunden und Mitarbeiter am Spieleprogramm, sondern es sollen die Geschäftsinteressen der Firma befördert werden. Eine kritische Analyse darüber, wie diese mit den geplanten Gamifizierungs-Maßnahmen zu erfüllen sind, sei somit unerlässlich.

Manfred Holler, Uni Hamburg: "Gamification beutet den Spieltrieb des Menschen aus."
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Gerade das erscheint Manfred Holler, emeritierter Volkswirtschaftsprofessor an der Universität Hamburg, problematisch: "Gamication beutet den Spieltrieb des Menschen aus." Generell sieht er den Nutzen solcher Techniken hauptsächlich darin, den Absatz von Waren zu steigern: "Gamification verschiebt Angebot und Nachfrage zugunsten des Angebots."

Wird Gamification als Führungsinstrument eingesetzt, dann erinnert ihn das an die Bewegung "Humanisierung der Arbeit", die vor 40 Jahren Einzug in die Arbeitswelt hielt: "Konzepte wie die teilautonomen Arbeitsgruppen dienten mehr dem Unternehmen als dem Mitarbeiter, weil sich die Gruppen freiwillig unter Erfolgsdruck setzten und schwächere Kollegen ausgrenzten." Für ihn ist die Gamifizierung eine Fortführung dieser Strategie und eigentlich nur alter Wein in neuen Schläuchen: "Das Bewusstsein von Ort und Zeit geht beim Spiel verloren. Man steht im Wettbewerb mit sich selbst: Heute schaffe ich mehr als gestern." Von dieser verschärften Konkurrenz profitiere in erster Linie der Arbeitgeber.

Was Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts noch als Utopie galt, könnte sich jetzt bewahrheiten. Bereits 1981 beschrieb Holler, was passieren könnte: "Die Transformation der Arbeit in ein Spiel scheint ein mögliches Konzept, die tägliche Arbeit als eine ,Quelle des Glücks` zu gestalten. Vielleicht müssen wir eines Tages Eintritt zahlen, um arbeiten (spielen) zu dürfen."

Sieben Trends zur Arbeit von morgen
Die Studie "Evolving Workforce Research" von Dell und Intel beschreibt, wie die Arbeit von morgen aussehen könnte und nennt sieben Trends.
1. Crowd-Sourcing
In der Arbeitswelt von morgen arbeiten Menschen in <b>virtuellen Teams</b> zusammen, oft ohne sich zu kennen. Diese Teams werden kurzfristig zusammengestellt und sind über moderne Kommunikationsmittel verbunden. Anders als in vielen heutigen Projekten definiert sich diese Crowd vor allem funktional und weniger durch Hierarchien. Pervasive IT und Cloud Computing bieten dafür eine technische Grundlage. Die Mitarbeiter in solchen virtuellen Teams gehen oft <b>kein festes Beschäftigungsverhältnis</b> ein, sind flexibel und daran gewöhnt, mit stark schwankenden Einkommensverhältnissen zurechtzukommen. Das kann zwar kurzfristig zu einer Steigerung der Produktivität führen, langfristig können Unternehmen aber auch Schwierigkeiten bei der Bindung von Spezialisten bekommen.
2. Das Ergebnis muss stimmen
War die Arbeitswelt bisher primär über die vertraglich geregelte Arbeitszeit organisiert, so rückt jetzt das <b>Arbeitsergebnis</b> in den Fokus. Da sich die Produktivität der Arbeitsprozesse gerade unter den Bedingungen des Crowdsourcings nur unzureichend über die Anzahl aufgewendeter Stunden erfassen lässt, werden zunehmend <b>Output-orientierte Messmethoden</b> eingeführt.
3. Einsatz von mobilen Geräten
In Unternehmen werden <b>unterschiedliche Endgeräte</b> und Betriebssysteme verwendet, die auf die jeweiligen Einsatzbereiche abgestimmt sind. Cloud Computing bietet dafür eine Fülle von Möglichkeiten, da die jeweiligen Endsysteme damit auf einen <b>praktisch unbegrenzten Vorrat</b> an Daten und Anwendungen zugreifen können. Kompatibilität, Interoperabilität und Datensicherheit sind dabei entscheidende Faktoren. Nur solche Systeme werden sich durchsetzen, die sich nahtlos in die IT-Landschaften integrieren lassen.
4. Generationenkonflikte
Die Generationen sind einen <b>unterschiedlichen Umgang</b> mit IT und mit Kommunikationstechnik gewohnt. Das kann zu Spannungen zwischen erfahrenen und jüngeren Mitarbeitern führen. Letztere sind vielleicht Digital Natives, haben aber nicht den Erfahrungsschatz ihrer älteren Kollegen. Generell werden die <b>Arbeitsteams künftig heterogener</b> zusammengesetzt sein, nicht nur hinsichtlich des Alters, sondern auch was den kulturellen oder ethnischen Hintergrund betrifft. Erfolgsentscheidend wird auch sein, ob es gelingt, den Wissensaustausch zwischen Generationen und Gruppen voranzubringen.
5. Werte versus Regeln
Die IT gibt Unternehmen Möglichkeiten, die Leistung ihrer Mitarbeiter umfassend zu analysieren. Arbeitsprozesse werden auf dieser Basis reglementiert und kontrolliert. Da ein gutes <b>Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer</b> elementar ist, müssen beide Seiten einander vertrauen. Zukunftsorientierte Firmen könnten daher eher auf ein werte- als auf ein regelbasiertes Modell bauen.
6. Innovative Mitarbeiter
Innovationen werden künftig weniger vom Management eingebracht als von Mitarbeitern, die ihre privaten Geräte und Anwendungen auch im beruflichen Umfeld nutzen. Diese Beschäftigten sind mit IT sozialisiert und wollen ihren selbstbestimmten Lebensstil beibehalten, wozu der <b>Gebrauch von privaten Notebooks, Smartphones</b> ebenso gehören kann wie Social-Media-Aktivitäten. Die Mitarbeiter sind mit den Systemen in der Regel bestens vertraut und können mit ihnen effizient arbeiten, so dass Restriktionen von Seiten der Unternehmen kontraproduktiv wären. Sie müssen daher <b>Verfahren entwickeln</b>, um diese privaten Systeme in ihre IT-Strukturen zu integrieren.
7. Neue Aufgaben für die IT
Mit dieser Consumerization entstehen <b>neue Anforderungen</b> an die IT. Sie muss die Entwicklungen und die Bedürfnisse der Mitarbeiter aufgreifen und dabei bedenken, dass sich neue Mitarbeiter bewusst wegen der <b>Verfügbarkeit moderner Systeme</b> für einen Arbeitgeber entscheiden. Die IT-Verantwortlichen sollten solche über herkömmliche IT-Themen hinausreichenden Aspekte in ihren Aufgabenkatalog aufnehmen.
Fazit
Da der Wandel durch die rasante Entwicklung der Kommunikationstechnik vorangetrieben wird, sollen Arbeitgeber den Hebel an dieser Stelle ansetzen und <b>individuelle Konzepte</b> zum Umgang damit entwickeln. Die <b>Integration der sozialen Medien</b>, die Bereitstellung einer umfassenden Kommunikationsstruktur und die Einbindung privat genutzter Geräte bieten Chancen, um Arbeitnehmer an ein Firma zu binden und die Arbeit effektiv zu gestalten.

"Nutzer ist nicht manipulierbar"

Christian Dyck von Scout24 Services ist anderer Ansicht: "Ich glaube nicht, dass man einen Nutzer manipulieren kann. Genau deswegen muss das Ausgangsprodukt an sich erfolgreich und das Gamification-Konzept genau darauf abgestimmt sein." Das deckt sich mit den Erwartungen von Gartner-Analyst Burke: "Gamification wird auf lange Sicht einen signifikanten Einfluss auf das Geschäft erringen und ein wichtiges Mittel für ein tieferes Engagement der Adressaten werden." (hk)

Gamification-Einführung

Kriemhilde Klippstätter ist Coach und freie Autorin in München.