CIOs schreiben selbst

Gedanken zur Reform des deutschen E-Governments

20.10.2006 von Harald Lemke
Kein verantwortlicher Politiker ist damit zufrieden, dass in Bund, Länder und Kommunen ein bunter Flickenteppich inkompatibler Inselsysteme entstanden ist. Die Politik will ihre Verwaltung modernisieren und erwartet, dass Informationstechnik ihre Zielsetzung unterstützt. Die Erfahrung zeigt auch, dass Politik bereit ist, Informationstechnik mit Geld und Prioritäten zu fördern, wenn "die Story stimmt".

Was wäre also zu tun, damit die politisch gewollte ebenenübergreifende Modernisierung der deutschen Verwaltung durch eine passende IT-Strategie unterstützt wird?

Qualifizierte CIO’s als Teil des politischen Systems in Bund, Länder und Kommunen können - wo es sie gibt - eine Scharnierfunktion zwischen Politik und Verwaltung wahrnehmen. Analog zur Wirtschaft hat ein politischer CIO die Aufgabe, durch IT-Strategie sicherzustellen, dass Informationstechnik sich konsequent an den politischen Zielen ausrichtet. Da keine Verwaltungsebene mehr als Insel arbeitsfähig ist, wären die CIO’s auch für die strategische Koordination untereinander verantwortlich.

Dass politische Gegensätze und Kooperation sich nicht ausschließen, kann man am Beispiel der
Wirtschaft sehen, wo z.B. Konkurrenten in der Finanzwirtschaft gemeinsam genutzte Infrastrukturen betreiben und selbstverständlich ihre IT-Standards abstimmen. Ein anderes Beispiel sind die USA, wo jeder Bundesstaat einen CIO hat, der in den meisten Fällen vom Gouverneur ernannt wird und wo sich die CIO’s in der NASCIO (National Association of State CIO’s) koordinieren. An dieser Stelle sei angemerkt, dass das problemorientierte Risiko-Management der Informationstechnik über die Datenschutzbeauftragten in Deutschland sehr gut organisiert ist.

Fakt ist jedoch, dass der CIO als Teil der politischen Führung in Deutschland noch die Ausnahme darstellt und es keine Anzeichen gibt, dass in den nächsten Jahren die Ausnahme zur Regel wird. Vor diesem Hintergrund hätte ein Verband deutscher Regierungs-CIO’s eine sehr überschaubare Mitgliederzahl und keine Chance, eine Strategiediskussion mit bundesweiter Relevanz zu führen.

Vor dem CIO kommt der Bedarf des CEO nach seiner IT-Strategie

Die Forderung nach Regierungs-CIO’s in Bund und Ländern wäre vor diesem Hintergrund zwar konsequent, dürfte aber weitgehend auf Unverständnis treffen. In Wirtschaft wie Politik gilt: Ein CIO bleibt erfolglos, wenn der CEO nicht weiß, wofür er ihn eigentlich braucht. Solange eine Regierung keinen eigenen Bedarf für eine politisch kompatible IT-Strategie hat, braucht sie auch niemanden, der sie entwickelt und durchsetzt. Dass der Ruf zuerst vom Regierungschef oder der Regierungschefin kommen muss, liegt auf der Hand: Gerade die Ministerien, die ihre Informatik-Inseln gegen Konsolidierung und Standardisierung verteidigen, empfinden einen CIO zunächst als Bedrohung und Einmischung. Daher sind kaum Referentenvorlagen zu erwarten, mit der eine politische Instanz gefordert wird, die später in den eigenen Beritt hineinregiert.

Wer also Verwaltung ebenen- und ressortübergreifend modernisieren will, wer das IT-Management in der deutschen Verwaltung mit politischen Zielen synchronisieren will, muss
zunächst den Bedarf nach einer politisch motivierten IT-Strategie wecken. Nur wenn Politik den
Wert strategischer IT richtig einschätzen kann, dann hat IT-Strategie eine Chance, als politische
Disziplin anerkannt zu werden. Profitieren würden davon alle:

CIO - Governance im föderalen System

Diese Ausführungen machen deutlich, dass der Weg zu einer CIO-Organisation in der deutschen Verwaltung noch lang und ungewiss ist. Ob dieser Weg zum Ziel führt, wird davon abhängen, ob sich im politischen Raum ein Bewusstsein entwickelt, dass Informationstechnik eine Schlüsseltechnologie ist, die auch in der öffentlichen Verwaltung eine chancenorientierte politisch-strategische Steuerung braucht, um ihr Nutzenpotenzial zu entfalten.

Dieser politische Meinungsbildungsprozess kann inhaltlich und zeitlich beeinflusst werden. Diejenigen, die eine chancenorientierte IT-Politik wollen, müssen in Gesprächskreisen, Kongressen und Veröffentlichungen darauf hinwirken, die Informatik aufgrund ihrer gravierenden Auswirkungen auf Gesellschaft, Wirtschaft und Verwaltung nicht nur als technischorganisatorische, sondern auch als politisch verstandene Disziplin zu etablieren.

Genau so wichtig wie die öffentliche Diskussion ist jedoch die pragmatische Entwicklung einer CIO-Governance durch diejenigen, die in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Forschung für das Thema E-Government Verantwortung tragen. Wir brauchen ein minimales Regelwerk, mit dem wir strategische IT-Themen in unserem föderalen Staat identifizieren und dann so treiben, dass in vernünftigen Zeiträumen konkrete Ergebnisse erzielt werden.

Ein solches Regelwerk muss einerseits föderale Strukturen berücksichtigen, anderseits aber auch
pragmatische Wege aufzeigen, die in absehbaren Zeiten zu mehr Interoperabilität und Standardisierung führen. Dabei muss die Erfahrung berücksichtigt werden, dass es immer wieder die verhängnisvolle Kombination von zwei Risiken ist, die Pragmatismus und Geschwindigkeit gefährden: Die Organisation von Unzuständigen oder Unwilligen, die sich noch meist als Geleitzug formieren, in dem der Langsamste das Tempo vorgibt. Vor diesem Hintergrund ist man gut beraten, zunächst auf informelle Netzwerke zu setzen, in denen diejenigen ein gemeinsames Regelwerk abstimmen können, die hierfür Willens sind und dann auch in der Lage sind, dieses im eigenen Bereich durchzusetzen.

EU - Initiative i2010 als Anlass

Es gibt einen zeitlichen und inhaltlichen Anlass, sich sehr schnell und intensiv mit dieser Frage zu beschäftigen: i2010, der neue strategische Rahmen der Europäischen Kommission, mit dem die großen politischen Leitlinien für die Informationsgesellschaft und die Medien definiert werden. In diesem Rahmen wurde im April 2006 ein E-Government-Aktionsplan beschlossen, der folgende Kernpunkte umfasst:

Nun mag man über die Wirksamkeit von EU-Aktionsprogrammen und das E-Government-Ranking unterschiedlicher Auffassung sein, folgende Fakten müssen jedoch berücksichtigt werden:

Wenn Deutschland das Ziel hat, sein E-Government-Ranking nachhaltig zu verbessern, müssen zunächst alle Anstrengungen darauf abzielen, die EU-weiten Erfolgskriterien so zu definieren, dass die Vergleichsmaßstäbe stimmen. Ohne die anerkennenswerten Leistungen Maltas im E-Government
zu schmälern, aber die Verwaltungsinformatik eines Staates mit 370.000 Einwohnern auf der Fläche von Bremen kann sicher nur bedingt mit der eines föderalen Landes wie Deutschland verglichen werden.

Vor diesem Hintergrund muss 2006 genutzt werden, in der EU darauf hinzuwirken, dass die verfassungsmäßigen Rahmenbedingungen der Mitgliedstaaten bei der Bewertung ihrer IT-Strategie
angemessen berücksichtigt werden. Die deutsche Ratspräsidentschaft 2007 bietet gute Gelegenheiten, in dieser Richtung Initiative zu ergreifen und politisches Interesse für die Verwaltungsinformatik zu wecken.

i2010 als Kern der Deutschland-Online-Strategie

Das Engagement des Bundes in Brüssel wird aber nur dann erfolgreich sein, wenn dieses in enger Abstimmung mit den leistungsstärksten E-Government-Akteuren in Bund, Länder und Kommunen geschieht. Es kommt hier darauf an, dass die Themen des E-Government-Aktionsplans so koordiniert werden, dass gegenüber der EU ein repräsentatives Deutschlandbild kommuniziert wird, das Einzelleistungen der Besten als strategisches "Big-Picture" darstellt.

Die strategischen Magistralen der föderalen Strategie deutlich machen

Deutschland-Online muss als Dachmarke ausgebaut werden, unter der das E-Government von Bund, Länder und Kommunen zu einem virtuellen föderalen Gesamtsystem zusammenwachsen können. In der politischen Präsentation dieses Gesamtsystems in Brüssel kommt es entscheidend darauf an, die strategischen Magistralen der föderalen Strategie deutlich zu machen, z.B.:

Wichtig ist, diese Themen horizontal (Ressorts) und vertikal (Bund, Länder und Kommunen) darzustellen, um gegenüber den meinungsbildenden EU-Gremien deutlich zu machen, dass wir unsere föderale Verfassung nicht als Problem, sondern als vorgegebene Rahmenbedingung verstehen, an der wir unsere IT-Strategie ausgerichtet haben.

In dieser Reihe ist bereits folgender Artikel erschienen: Gedanken zu einer deutschen E-Government-Strategie - Teil 1

Harald Lemke ist Staatssekretär und Bevollmächtigter für E-Government und Informationstechnik im Hessischen Finanzministerium.