Analysten-Kolumne

Global Delivery ist die Zukunft

05.10.2005 von Pascal Matzke
Offshoring ist möglicherweise nur der erste Schritt zur Nutzung global verfügbarer Services: Die Geschäftsmodelle der etablierten IT-Dienstleister und der indischen Offshoring-Anbieter nähern sich zunehmend an. Außerdem wächst das Angebot an potentiellen Offshoring- und Nearshoring-Lokationen, hiesigen Unternehmen bieten sich durch Serviceprovider in Osteuropa und Russland neue Perspektiven.

In den vergangenen zwei Jahren entwickelte sich Outsourcing zu einer gängigen Vorgehensweise in Europa. Selbst in traditionell konservativeren Märkten wie Deutschland und Frankreich öffnen sich Entscheider zunehmend diesem Service-Modell. Verstärkt wird Outsourcing als Chance gesehen, sich auf die Kernkompetenzen zu konzentrieren, die Produktivität zu erhöhen und Kosten zu senken.

Wird aber hingegen Offshore-Outsourcing einer näheren Betrachtung unterzogen, so ist zu erkennen, dass hinsichtlich seiner Akzeptanz und Nutzung nach wie vor erhebliche länderspezifische Unterschiede existieren.

Grundsätzlich ist auch hinsichtlich Offshoring ein erhebliches Wachstum in Europa zu verzeichnen. Von Forrester erhobene Daten zeigen jedoch auf, dass das größte Wachstum in diesem Bereich in Großbritannien zu verzeichnen ist. Unternehmen auf dem europäischen Kontinent tun sich hingegen schwer.

Offshoring-Aktivitäten noch die Ausnahme

Bei ihnen herrscht weiterhin große Skepsis und Unentschlossenheit, wenn sie vor der Entscheidung stehen, ein Angebot von Offshore-Anbietern aus Indien zu nutzen. Auch wenn große Offshoring-Aktivitäten wie die von AXA Tech, ABN Amro, ThyssenKrupp und Philips große Aufmerksamkeit – auch der Medien – auf sich ziehen, so sind sie doch nach wie vor die Ausnahme und nicht die Regel.

Die konservative Einstellung deutscher und anderer kontinentaleuropäischer Entscheider verhindert derzeit noch, dass indische Dienstleister größere und bedeutendere Projekte gewinnen. Dennoch hat Offshore-Outsourcing einen Reifegrad erlangt, der ihm zukünftig eine noch bedeutendere Rolle zuweisen wird.

Ein Markt im Umbruch

Die wachsende Bedeutung spiegelt sich auch in dem Umbruch wieder, in dem sich der Markt auf der Anbieterseite derzeit befindet: Zunehmend erweitern international aktive Outsourcer wie IBM, EDS oder HP, aber auch lokale Größen wie SBS oder T-Systems, ihre Offshoring- und Nearshoring-Ressourcen. In erster Linie geschieht diese Verlagerung in die Niedriglohnländer zum Schutz der weiterhin sinkenden Margen im Servicegeschäft.

Zusätzlich wird damit aber auch der wachsenden Nachfrage an kosteneffizienteren - durchaus auch globalen Services – entsprochen. Den etablierten Anbietern kommen dabei insbesondere ihre bereits entwickelten Kundenbeziehungen zu Gute. Entscheider in europäischen Ländern wie Deutschland, Italien oder Frankreich setzen bevorzugt Offshoring-Projekte mit Anbietern um, die sie kennen und zu dem bereits Geschäftsbeziehungen bestehen.

Indische Anbieter positionieren sich neu

Dieser Herausforderung stellen sich indische Dienstleister wie Infosys, Wipro, Satyam oder TCS, indem sie ihre Go-to-Market-Strategie fundamental ändern. Sie versuchen das Image der „billigen“ COBOL- (Common Business Oriented Language) Programmierer abzulegen.

Vielmehr bieten sie zunehmend komplexe End-to-End-Lösungen, die einen umfassenden und positiven Einfluss auf die Geschäfte ihrer Kunden haben. Indem sie vertikale Geschäftsbereiche und lokale Consulting-Teams aufbauen, übernehmen die Anbieter vom Subkontinent die Unternehmensstrategien und Strukturen traditioneller Anbieter wie IBM oder Accenture.

In dem Bestreben, das Vertrauen potentieller Kunden und die lokale Präsenz zu erhöhen, sind indische Outsourcer in den vergangenen Monaten weiter dazu übergegangen, Nearshore-Center in Osteuropa zu etablieren. Wipro ist sogar noch einen Schritt weitergegangen und hat ein Entwicklungszentrum in München eröffnet.

Offshore-Outsourcing - ein konvergenter Markt

Lokales Outsourcing und Offshoring wachsen zusammen. Diese Entwicklung wird auch von den jeweiligen Regierungen und IT-Anbietern in Osteuropa, Russland, dem Mittleren Osten, Südamerika oder Südafrika unterstützt, die um ausländische Investoren und Kunden werben.

Diese Regionen bieten talentierte Fachkräfte und geringe Kosten. Im Gegenzug bauen große Anbieter ihre globale Präsenz weiter aus, indem sie größere Offshoring- und Nearshoring-Ressourcen in immer mehr Ländern etablieren. Ziel ist es, ihre Global-Delivery-Kapazitäten weiter auszubauen.

Auch wenn es derzeit noch zu früh ist, beurteilen zu können, ob dieser Ansatz in einer höheren Zahl von Vertragsschlüssen resultieren wird, so lässt sich bereits folgendes sagen: Da traditionelle Outsourcer zunehmend auch Offshoring betreiben und Unternehmen aus Regionen wie Indien vermehrt die Strukturen der traditionellen Outsourcer übernehmen, verschwimmen die Grenzen in einem zuvor differenzierten Markt.

Von Offshoring zu Global Delivery

Wenn diese Entwicklung weiter fortschreitet, werden sich Unternehmen weniger zwischen Offshoring- oder inländischen Projekten entscheiden, sondern zwischen einer breiten Spanne an Services und Geschäftsmodellen.

Zukünftig werden universell angesetzte Global-Delivery-Modelle das Offshore-Gleichgewicht absorbieren. Es wird dabei ein Angebot am Markt entstehen, bei dem sich Kunden weltweit die für sie besten Services und Angebote aussuchen können, ganz unabhängig von der Lokation des Anbieters und seiner Historie.

Pascal Matzke ist Principal Analyst bei Forrester Research.