Die wöchentliche CIO-Kolumne

Herkules kann noch nicht laufen

17.11.2003 von Johannes Klostermeier
"IT-Stab" mit "IT-Direktor", das "IT-Amt" der Bundeswehr und der "Gründungsstab IT-Gesellschaft" stehen bereit: Herkules, die Public-Private-Partnership zwischen Bund und Industrie für die Bundeswehr, steckt aber immer noch in den Vertragsverhandlungen fest. Absurde Forderungen der Ministerialbürokratie und die Komplexität des Auftrags erschweren das Zusammenkommen der Partner. Und nach den Verhandlungen muss das gesamte Paket noch durch Haushalts- und Verteidigungsausschuss sowie durch den Deutschen Bundestag. Ein Fall für Zeitgenossen mit eisernem Nervenkostüm.

"Herkules", das hört sich groß und mächtig an. Doch was die IT der Bundeswehr endlich auf Vordermann bringen soll, ist bisher noch ein kleines, quengeliges Baby. Auf dem "Forum mit Ausstellung" der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik in der Stadthalle Bonn Bad-Godesberg zum Thema "Informationstechnik - Netzwerk-basierte Fähigkeiten des IT-Systems der Bundeswehr" war das "Wort mit H" ein Tabu. Nur am Rande und als Witz kam vor, was eigentlich im Vordergrund einer IT-Tagung über die Bundeswehr stehen müsste. So sagte der IT-Direktor des Bundesverteidigungsministeriums, Gerhard van der Giet, am Schluss seiner Rede: "Es ist mir gelungen einen Vortrag zu halten, ohne das Wort Herkules auch nur einmal zu erwähnen."

Am Stand von SAP auf der Tagung will man sich "nur mit dem Kunden zusammen" äußern und verweist zudem darauf, dass die Einführung von SAP R/3 bundeswehrweit nicht direkt zu Herkules gehöre. Das Programm läuft unter dem Namen "SASPF - Einführung einer Standard-Anwendungs-Software-Produkt-Familie". Doch der Betrieb der SAP-Anwendungen soll später der IT-Gesellschaft unterliegen, die erst nach der Herkules-Vertragsunterzeichnung ihre Arbeit aufnehmen kann. Ursprünglich sollte das bereits im Frühjahr dieses Jahres der Fall sein. Tatsächlich beginnen die ersten Roll-outs erst in diesem Dezember, und zwar im Human-Resources-Bereich der Armee. Vorsichtshalber werden sie jedoch nur als "Test- und Probephase" bezeichnet.

Von EADS, zusammen mit CSC Ploenzke und Mobilcom zum Gewinner-Konsortium gehörend, war "leider niemand hier, der etwas mit Herkules zu tun hat". Die beiden anderen Firmen waren auf der Forums-Ausstellung gar nicht vertreten.

Aber alle auf der Tagung kennen den Artikel des "Spiegel" zum Thema: Hier war herbe Kritik zu lesen und der Sachstand, wie er unter Experten seit längerem bekannt ist beklagt und analysiert. Die Zeitschrift schrieb: "Die Beteiligten auf beiden Seiten sind von Umfang und Komplexität des Projekts offensichtlich überfordert. Beamte und Politiker träumen von Kontrolle, neuester Technik und minimalen Kosten - die Wirtschaft erwartet gesicherte Profite für überschaubare Leistungen."

Pikant für Bundesregierung und Industrie: Auch die LKW-Maut ist bekanntlich ein großes Public-Private-Partnership-Programm. Was dort bereits zu Stillstand und Chaos geführt hat, darf sich bei Herkules unter keinen Umständen wiederholen. Deshalb sind alle Beteiligten jetzt überaus vorsichtig. Klar ist: Wer von den Konsortionalpartnern zurzeit ein falsches Wort in der Öffentlichkeit sagt, der provoziert damit - ob gewollt oder ungewollt - das Scheitern der Verhandlungen. Klar ist auch: Die Entscheidung für das erstplazierte Konsortium ist noch nicht der Zuschlag. Wenn die Verhandlungen in letzter Minute scheitern sollten, käme das zweite Konsortium zum Zuge. Diese Gruppe, bestehend aus Deutsche Telekom, SBS und IBM, hat das allergrößte Interesse, an dem 6,5-Milliarden-Euro-Auftrag des Bundes, verteilt auf zehn Jahre, doch noch beteiligt zu werden.

Doch die Öffentlichkeit wird sich über kurz oder lang auch für das IT-Projekt der Bundeswehr interessieren. Wer dann sich, wie der Geschäftsführer des Toll-Collect-Konsortiums Michael Rummel, wundert, warum Medien und Bürger Details wissen wollen, "obwohl das doch nur ein IT-Projekt ist", hat nicht viel verstanden. Und Rummel ist bekanntlich seit letztem Monat nicht mehr im Amt.

Die Öffentlichkeit wird auch fragen, warum das Projekt Herkules so lange dauert. Mit der Materie vertraute Unternehmer erzählen jedenfalls interessante Details über das Bemühen des Bundes, sich auf Kosten der privaten Partner abzusichern. So sollten diese etwa unterschreiben, fünf Jahre lang die Munition der Bundeswehr zu versichern. "Da finden Sie doch nie eine Versicherung, die das Risiko abdeckt", sagt der Insider und wundert sich über das Ansinnen.

Die größten Bremser für die IT-Reform sehen Bundeswehr-Vertreter in der Ministerialbürokratie . Denn diese würde mit der Auslagerung von Diensten am meisten an Macht und Bedeutung verlieren. Doch es gibt auch viele, die geradezu die Öffentlichkeit suchen, weil sie verstanden haben, dass mit der Modernisierung der Informationstechnologie sich neue Möglichkeiten einer modernen Armee realisieren lassen. Das US-Schlagwort dafür lautet: Network Centric Warfare, zu Deutsch: "vernetzte Operationsführung". Die Idee dahinter: Durch die optimale Nutzung des Faktors Information soll die Schlagkraft der Streitkräfte insgesamt wesentlich erhöht werden.

Am 30. November 2001 gaben die Konsortien ihre Angebote ab; bereits viel früher hatte der Bund seine Anforderungen fixiert. Niemand sollte sich etwas vormachen: Bei der Schnelllebigkeit der IT läuft der Bund Gefahr, zwar möglicherweise ab 2004 modernere IT zu bekommen - allerdings auf dem Stand von 1999. Wenn Herkules nicht bald kommt, bedeutet das, dass die verfügbaren Haushaltsmittel der Bundeswehr im Bereich IT ausschließlich für den Erhalt der Altsysteme eingesetzt werden müssten. Das sagt kein übelwollender Außenseiter, sondern der IT-Direktor im Bundesverteidigungsministerium, van der Giet.

Herkules ist ein enorm komplexes Projekt, mit dem die Bundeswehr nach eigener Aussage eine Vorreiterrolle für die gesamte öffentliche Verwaltung übernommen hat. Aber erstmal muss Herkules selbst seine ersten eigenen Schritte machen. Und das kann noch dauern.