Preise, Verträge und CIO-Rolle

IBM: Outsourcing-Trends bis 2017

10.05.2012 von Nicolas Zeitler
Selbstbedienung wird fester Bestandteil von Cloud Computing, sagt Geschäftsführer Christian Noll von IBM. CIOs seien dadurch aber nicht gefährdet.
Outsourcing wird business-freundlicher, sagt Christian Noll von IBM voraus.
Foto: IBM

Seit September 2011 ist Christian Noll für das Dienstleistungsgeschäft der IBM in Deutschland verantwortlich. Im Interview gibt er Auskunft, welche Entwicklungen er in den nächsten Jahren auf dem Outsourcing-Markt erwartet.

IBM hat unlängst seine Quartalszahlen veröffentlicht. Bei der Vorstellung hat ihr CFO Mark Loughridge von moderatem Wachstum in Deutschland gesprochen. Welchen Anteil daran hat speziell das Services-Geschäft?

Christian Noll: Wir haben in diesem Bereich Wachstum erzielt und sehen großes Potenzial im Markt, insbesondere auch bei Wachstumsthemen wie Cloud Computing.

Loughridge hat davon gesprochen, dass sich der gesamte Markt in Europa wieder stabilisiere. Spürt man das in Deutschland stärker als in anderen europäischen Ländern, und speziell im Outsourcing-Geschäft?

Noll: Ja. Dass der deutsche Markt wächst, sagen nicht nur die Analysten. Wir spüren das bei IBM auch.

Unternehmenskritische Daten in die Private Cloud

Woran merkt man das? Welche Bereiche entwickeln sich besonders stark?

Noll: Gerade im Cloud Computing sehen wir riesiges Potenzial. Die Cloud beinhaltet Erfolgsfaktoren wie kein anderes Sourcing-Modell zuvor - neue Geschäftsmodelle können eingeführt und Geschäftsprozesse schnell und effektiv verändert werden. Viele Unternehmen stellen sich gerade jetzt neu auf. Im Moment geht derTrend noch stark zur Private Cloud, gerade bei unternehmenskritischen Daten. Wir sehen uns da gut aufgestellt mit unserer jahrelangen Erfahrung mit Kunden aller Branchen. IBM investiert weltweit in Milliardenhöhe in Sicherheitskonzepte und Akquisitionen im Bereich Security und beschäftigt weltweit alleine 3500 Security-Services-Experten. Auch damit positionieren wir uns gut für Cloud Computing.

Auch Sicherheit ist für uns ein Feld mit starker Entwicklung, das sehen wir bei unserer Sparte Security Consulting – die Nachfrage ist immens. Ich stelle immer die Frage: Wenn der Aufsichtsrat fragt: Sind wir sicher? – Wie kann ein CIO die Frage beantworten? Erster Punkt dabei ist das „Wir“: Unternehmen hören ja heute nicht auf an den Grenzen eines Konzerns, sondern Sie müssen ja auch Security-Konzepte externer Supplier überprüfen. Zweiter Punkt ist die Definition von „sicher“. Entscheidend dabei ist die IT-Governance. In der Beschäftigung mit diesen Fragen bewegt sich die Rolle des CIO eindeutig weg vom früheren Technologie-Fokus.

Ziel: Business-orientiertes Service Measurement

Wie wirkt sich das aufs Outsourcing aus?

Noll: Die Zeiten des Konzepts „Your mess for less“ sind vorbei. Wir reden jetzt vom „Transformational Outsourcing“, das Unternehmen verändert. Da geht es nicht mehr nur darum, den Serverbetrieb auszulagern. Es gibt völlig neue Modelle, Service Level Agreements werden anders gestaltet.

Können Sie das mit einem Beispiel veranschaulichen?

Noll: Bei den SLA geht die Entwicklung in Richtung End-to-End-Service-Levels. Den Endnutzer interessiert nur, ob eine Anwendung funktioniert, nicht ob der Router oder ein Server laufen. Eine Middleware kann zu 99,93 Prozent verfügbar gewesen sein, aber wenn mein Service nicht funktioniert hat, bin ich sauer. Deshalb will ich hin zur End-to-End-Überwachung. Heute ist ein business-orientiertes Service Measurement gefragt. Wir als IBM stehen mit dem CIO ja im Service des Business.

Zurück zur großen Nachfrage nach Cloud Computing, die Sie angesprochen haben. Ist ein Haupttreiber für Cloud Computing immer noch Kostensenken?

Noll: Nicht nur. Natürlich wollen die Kunden sparen, sie sehen die Cloud aber auch immer mehr im Zusammenhang mit einer kürzeren Time-to-Market. Der Ansatz des Self Provisioning bringt ihnen eine Cycle time redcution, das wiederum senkt Kosten und bringt Effizienz. Mit Cloud Computing lassen sich im Nu Server aufstellen. Wir leben in einer „I-want-it-now“-Welt. Keiner hat heute mehr sechs Wochen Geduld, auf einen neuen Server zu warten. Dass sich die Sichtweise auf Cloud Computing verändert, spiegelt sich auch in den Ergebnissen unserer jüngsten CIO-Studie wider: Immer mehr Unternehmen wollen mit Cloud Computing ihre Geschäftsmodelle neu gestalten.

Haben Sie für diese Erwartungshaltung ein Beispiel?

Noll: Eines der Potenziale von Cloud Computing ist, Dinge tun zu können, die sonst undenkbar wären, gerade wenn es um Skaleneffekte geht. Mit einem Life-Sciences-Institut in Zürich haben wir so etwas getan. Es ging um eine Protein-Analyse on demand. Der Kunde hat die Anwendung, sie kommt in eine Server-Cloud. Wir fahren mit einem Schlag 1000 Blade-Server hoch, er macht die Analyse, dann fahren wir die Server wieder herunter. Der Kunde zahlt natürlich nur für seine unmittelbare Nutzung.

Die Analysen liefen nicht in einem Rechenzentrum, da waren Serverkapazitäten rund um den Erdball eingeschaltet, in Deutschland, Kanada oder den USA. Ohne ein Cloud-Konzept wäre das undenkbar. Grundsätzlich lassen sich ähnliche Vorhaben über Self Provisioning angehen – das heißt, die Kunden schalten die benötigten Ressourcen selbst zu.

"Eine Cloud ohne Self Provisioning ist keine Cloud"

Welche Kunden sind das, die offen für diesen Ansatz sind? Die Vorbehalte gegenüber der Cloud sind doch gleichzeitig immer noch da.

Noll: Eine gute Frage. Das wird sich mit der jungen Generation immer weiter verbreiten. Heute will doch keiner mehr einen Brief an einen Administrator schicken. Der Vergleich passt nicht ganz, aber meine Kinder machen doch auf Facebook auch alles selbst. Sie bitten niemanden, für sie ein Foto hochzuladen. Eine ähnliche Erwartung ist auch auf dem Markt da.

Unsere Entwickler zum Beispiel können mittlerweile auch selbst einen Testserver hoch- und herunterfahren, ohne im Rechenzentrum anzurufen. Den Wunsch sehe ich auch bei Kunden, gerade in Forschung und Entwicklung. Ich gehe sogar so weit zu sagen: Wenn eine Cloud nicht das Prinzip des Self Provisioning dabei hat, ist sie eigentlich keine Cloud. Es muss nicht unbedingt der User sein, der etwas hochfährt, aber jemand in der Kette. Das ist der Unterschied von Cloud Computing zu E-Business on demand oder Shared Infrastructure.

Vorhin haben Sie vom CIO als Partner des Business gesprochen. Wenn Nutzer oder Fachbereiche alles selbst machen, gefährdet das doch seine Rolle.

Noll: Nein, das sehe ich anders. Der CIO ist in diesen Szenarien der Enabler. Er gestaltet die Architektur, die Rahmenbedingungen, unter denen Anwender Dinge selbst tun. Das heißt noch lange nicht, dass der CIO nicht „in charge“ ist. Am Anfang all dessen steht ja erst einmal die Entwicklung einer Cloud-Strategie, dort hat er großen Einfluss.

Wie entwickeln sich denn die Vertragsmodelle im Cloud Computing? Laut einer aktuellen Forrester-Studie wollen bis 2014 sieben von zehn Unternehmen ihre Verträge mit Dienstleistern auf ergebnisbasierte Modelle umgestellt haben.

Noll: Das sehe ich so wie Forrester, passieren wird es aber nicht von heute auf morgen. Wir sind da auf einer Reise. Mit einigen Kunden, gerade in sich entwickelnden Märkten, haben wir schon heute sehr innovative Risk-sharing- und business-orientierte Vertragsmodelle aufgebaut. Die sind oft an den Erfolg des Business geknüpft. Das kommt auch in den reifen Märkten verstärkt in die Diskussion. Abrechnungsmodelle nach Storage pro Petabyte werden wir trotzdem noch länger sehen.

Der nächste Schritt ist dann Transaction Pricing, danach kommt dann eine Abrechnung, die an Business Outcomes angedockt ist. Wir sind ganz vorne dabei bei solchen Vertragskonstrukten, aber sie passen nicht zu jedem Unternehmen. Im Telko-Bereich haben wir schon einige solche Verträge, schwieriger ist das aber vor allem im öffentlichen Dienst – da gibt es ja das Konzept des Revenue nicht in derselben Form wie in der freien Wirtschaft.

Outsourcing "wird business-freundlicher"

Solche neuen Abrechnungsmodelle gibt es also bei IBM noch nicht von der Stange?

Noll: Richtig, aber so etwas muss auch individuell zugeschnitten sein.

IBM hat vor kurzem die neue Produktfamilie Pure Systems vorgestellt. Was ist von diesen Systemen zu erwarten?

Noll: Die Lösungen von Pure Systems bringen Hardware, Middleware und Anwendungen zusammen, plus ein Service-Management. Wir bauen diese integrierten Systeme im Outsourcing in unser Service-Konzept mit ein. Wenn ein Kunde zum Beispiel ein neues Portal oder eine Internet-Anwendung einrichten möchte, kann er die nötige Infrastruktur mit Pure Systems schneller und wesentlich einfacher aufbauen als bisher.

Wer kann davon profitieren? An welche Unternehmen richtet sich das Angebot?

Noll: Unter den Early Adopters sind Mittelständler ebenso wie riesige, internationale Firmen – ich kann aber keine namentlich nennen.

Wenn Sie sich den Outsourcing-Markt in fünf Jahren vorstellen: Wie wird er sich bis dahin verändert haben?

Sourcing-Konzepte werden sich weiter auf Business-Modelle zu bewegen. Wir werden künftig häufiger sehen, dass man beim Outsourcing ein Business Outcomes Measurement verankert. Outsourcing wird generell business-freundlicher, auch was die Verträge angeht.

Gleichzeitig wird die Globalisierung der Kunden dazu führen, dass die Herausforderungen auch international größer werden. Und zwar betrifft das nicht nur große Konzerne, sondern auch Mittelständler. Eine typische Anfrage könnte sein: Ich habe als Mittelständler eine Firma in Polen gekauft, will dort aber keinen eigenen IT-Betrieb aufmachen. Also fange ich an, über ein Sourcing-Konzept nachzudenken.

Eine dritte Entwicklung ist das, was ich vorhin schon mit dem Begriff „Transformational Outsourcing“ angedeutet habe. Es wird stärker um umfassende Konzepte von Anwendung bis Infrastruktur gehen, die eine Business-Transformation unterstützen. Der Treiber ist immer das Business. Wir als IBM sind dabei der Technologie- und Transformations-Partner. Die Veränderungen beim Kunden können im Extremfall bis hinein in die Business-Prozesse gehen. Wir merken schon jetzt, dass auch der Geschäftsbereich wächst, in dem wir Business-Prozesse übernehmen - das Global Process Outsourcing.

Weltweit aufgestellte Teams als Mittel gegen Fachkräftemangel

Wie betrifft IBM der viel diskutierte Fachkräftemangel? Kommt irgendwann der Punkt, wo Sie Kundenaufträge zurückweisen müssen, weil hochqualifizierte Mitarbeiter fehlen?

Noll: Als global aufgestelltes Unternehmen kommen wir nicht an diesen Punkt. Als ich in den 1980ern zu IBM kam, waren wir noch ziemlich lokal aufgestellt, auch viele der heutigen Kommunikationsmöglichkeiten gab es noch nicht. Mittlerweile sieht das völlig anders aus. Wir haben ein Konzept der global agierenden Teams und weltweit agierende Centers of Excellence, in denen die Expertise zu bestimmten Themengebieten gebündelt ist. Das heißt, Mitarbeiter von mir in Deutschland arbeiten auch für Kunden in anderen Ländern, und umgekehrt.

Damit das klappt, brauchen wir globale Prozesse - egal ob in China, Taiwan oder Deutschland: Überall wird auf dieselbe Weise gearbeitet. So können wir Mitarbeiter in Projekte einspielen, wenn ein Kunde zum Beispiel für ein Großprojekt kurzzeitig riesigen Bedarf hat. Manchmal bewegen wir Leute dann physisch, manchmal binden wir sie einfach elektronisch ein. Zurzeit fahren wir ein Projekt mit einer Test-Organisation rund um die Welt. Rund um die Uhr wird in den Zentren in Deutschland, China oder Südamerika getestet. Der eine übergibt nahtlos an den anderen. Das geht nur mit einheitlichen Prozessen.

Aber es gibt doch sicher Regionen mit einem Mangel an Fachkräften, während in anderen das Angebot größer ist?

Noll: Glauben Sie mir, wir sind auf der ganzen Welt gut aufgestellt. Die Centers of Excellence sind jeweils dort angesiedelt, wo es Sinn macht. Die weltweite Expertise rund ums Automobil sitzt in Deutschland, die für Eisenbahn zum Beispiel in China. Für Karrieren innerhalb des Unternehmens gibt es einen Global Opportunity Market Place. Dort können sich Mitarbeiter auf international ausgeschriebene Stellen bewerben.

Danke für das Gespräch.