Pfizer und Biontech

Wie IT die Impfstoffentwicklung revolutioniert

09.08.2021 von Jürgen  Hill
Bislang dauerte die Entwicklung eines Corona-Impfstoffs bis zu zehn Jahre. Konsequentem IT-Einsatz verdanken es Pfizer und Biontech, dass sie schon nach zehn Monaten am Ziel waren.
Dank konsequenter Digitalisierung konnte Pfizer gemeinsam mit seinem Partner Biontech einen Corona-Impfstoff zur Praxisreife entwickeln.
Foto: Pfizer Deutschland GmbH

Tagtäglich verfolgen wir in den Medien den Fortschritt der Corona-Impfkampagne und verknüpfen dies mit der Hoffnung auf eine Rückkehr zur Normalität. Dass wir überhaupt wieder, etwas mehr als ein Jahr nach dem Ausbruch der Pandemie, daran denken können, verdanken wir unter anderem einem der Teilnehmer am diesjährigen DIGITAL LEADER AWARD: Pfizer, mit seiner deutschen Länderorganisation - der Pfizer Deutschland GmbH. Dank konsequenter Digitalisierung bewältigte das Unternehmen gemeinsam mit seinem Partner Biontech in zehn Monaten einen Job, der sonst zehn Jahre dauert: Die Entwicklung eines wirksamen und sicheren Impfstoffes bis zu seinem Einsatz in der Praxis.

Den Grundstein dafür, dass die Digitalisierung einen so entscheidenden Beitrag zu diesem Erfolg leisten konnte, legte Pfizer-CEO Albert Bourla vor etwas mehr als zwei Jahren als er die Stelle des CIO in die Position des "Chief Digital & Technology Officer" umwandelte und diesen in den Konzernvorstand berief. Gleichzeitig wurden die Bereiche IT und Digital in einem Ressort als Pfizer Digital gebündelt.

Damit erhielt die Digitalisierung strategische Priorität im Konzern und dank des Platzes im Vorstand war Pfizer Digital von Anfang an in alle Phasen der Impfstoffentwicklung involviert. Pfizers zentrale Strategie bei der Pandemiebekämpfung lautet dabei "Science will win". Mikael Dolsten, Chief Medical Officer des Konzerns, ergänzte diese Vision um den Leitspruch "and Digital will help us to win faster".

Zwischen Kontinuität und Innovation

Auch bei der Herstellung (Blick in das Werk im belgischen Puurs) läuft ohne Digitalisierung nichts mehr.
Foto: Pfizer Deutschland GmbH

Im Gegensatz zu vielen anderen Unternehmen sah sich die Pfizer-Digital-Mannschaft im Frühjahr 2020 gleich mit zwei Herausforderungen konfrontiert: Zum einen musste sie die Kontinuität des Business gewährleisten. Über Nacht mussten mehr als 80 Prozent der Mitarbeiter (über 90.000 Kolleginnen und Kollegen) ins virtuelle Office umziehen. Zum anderen galt es, mit digitalen Innovationen die Impfstoffentwicklung zu beschleunigen. Und zwar sowohl in Forschung und Entwicklung, Produktion und Logistik als auch in Marketing und Vertrieb.

Dabei setzte Pfizer Digital gleich auf eine ganze Klaviatur modernster IT-Technik: KI mit Machine Learning, Real Time Analytics, Automation der Datenerfassung mit der eigenen Conform-Plattform, Smart Data Query, Medical Dashboards, Digital Operations Center, Augmented Reality, GPS-Tracking etc. Und für die an der Impfstoffentwicklung beteiligten Kollegen wurde von der IT noch ein VIP-Support eingeführt, der rund um die Uhr an sieben Tage der Woche Hilfe bot.

Geschwindigkeit durch Digitalisierung

Supply-Dashboards ermöglichen Real-time-Einblicke in die Logistikdaten.
Foto: Pfizer Deutschland GmbH

Wie man bei Pfizer in der Praxis konkret von der Digitalisierung profitierte, verdeutlichen einige Beispiele. Dauerte etwa die digitale Skalierung klinischer Studien (Testen der Systeme etc.) bislang rund vier Tage, so konnte diese Zeit jetzt auf unter sechs Stunden reduziert werden. Dabei konnte mit Hilfe der Conform-Plattform die Datenerfassung automatisiert werden und gleichzeitig die Datenqualität mit Einführung von Metadatenstandards verbessert werden.

Die Top CIOs der Chemie- und Pharma-Branche
Markus Schümmelfeder
Seit April 2018 ist Markus Schümmelfeder neuer CIO des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim in Ingelheim am Rhein. Er war zuvor Corporate Vice President IT im Unternehmen. Schümmelfeder berichtet an seinen Vorgänger im CIO-Amt, den CFO Michael Schmelmer.
Martin Richtberg
Seit 1. Januar 2022 bekleidet Martin Richtberg die Position des Senior Vice President Information Technology, CIO und CDO von Wacker Chemie. Zuletzt war er dort Leiter des globalen Project-Engineering.
Annette Hamann
Annette Hamann ist seit 2020 CIO bei der Hamburger Beiersdorf AG. Ihre Vorgängerin Barbara Saunier ist im Ruhestand.
Dirk Ramhorst
Seit dem 1. Mai 2022 ist Dirk Ramhorst, ehemaliger IT-Chef von Wacker Chemie, CIO beim Spezialchemiekonzern Evonik. Seine Vorgängerin Bettina Uhlich ging in den Vorruhestand.
Michael Nilles
Henkel hat Michael Nilles am 1. Oktober 2019 zum Chief Digital & Information Officer (CDIO) ernannt. Er berichtet direkt an Carsten Knobel, CEO von Henkel. In seiner Position ist Nilles für die Bereiche Digital, IT, Geschäftsprozessmanagement und Corporate Venture Capital verantwortlich.
Abel Archundia-Pineda
Abel Archundia-Pineda ist seit Mai 2017 Head of IT Business Partnering Pharmaceuticals bei Bayer im Geschäftsbereich Pharma bei Bayer. Zuvor war er Head of IT for Novartis Technical Operations and Global CIO der Sandoz Division, Novartis AG.
Michael Jud
Michael Jud ist seit April 2017 Leiter IT beim Pharmahersteller InfectoPharm Arzneimittel und Consilium GmbH in Heppenheim im südlichen Hessen. Jud kommt vom Anlagenbauer Schenck Process in Darmstadt. Er berichtet bei seinem Arbeitgeber an den kaufmännischen Geschäftsführer. Neben dem Fokus-Thema IT-Sicherheit baut der gelernte Diplom Ingenieur SAP weiter aus und unterstützt das internationale Wachstum von InfectoPharm.
Alessandro de Luca
Alessandro de Luca war bisher Interims-Group CIO beim Pharmakonzern Merck. Der Konzern hat sich entschieden, de Luca dauerhaft in dieser Position zu beschäftigen.
Hermann Schuster
Seit 1. September 2021 ist Hermann Schuster Head of Information Technology bei der Lanxess AG. Er folgt auf Kai Finke. In seiner neuen Position will Schuster im Chemiekonzern ein Konzept für den Modern Workplace umsetzen und sich auf Cybersicherheit konzentrieren. Daneben steht der Rollout eines SAP S/4 Hana-Templates auf seiner Agenda. Schuster berichtet an den Lanxess-Finanzvorstand Michael Pontzen.
Bijoy Sagar
Bijoy Sagar ist ab Juni 2020 neuer Leiter IT und Digitale Transformation der Bayer AG. Er löst den bisherigen CIO und CEO der IT-Tochter Bayer Business Services (BBS) ab, der seine Konzernkarriere beendet. Die BBS wird aufgelöst. Sagar soll die Digitalisierung des Pharmakonzerns vorantreiben und die begonnene Neuaufstellung der IT ans Ziel führen. Er berichtet an den Finanzvorstand Wolfgang Nickl.
Martin Wiedenmann
Martin Wiedenmann ist seit Februar 2019 Head of Global IT/CIO der Atotech Group, einem weltweit agierenden Marktführer für Spezialchemie. Zuvor war er war seit Juli 2016 CIO bei Ledvance in München.
Andreas Becker
Andreas Becker ist seit April 2017 Vice President Information Technology/CIO beim Pharmakonzern Daiichi-Sankyo Europe in München. Im Oktober 2014 kam der Diplom-Kaufmann mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik & EDV als Head of IT Strategy & Service Delivery ins Unternehmen.
Sandeep Sen
Sandeep Sen ist CIO der Linde Group. In dieser Funktion hat er Büros in Singapur und München. Weltweit führt Sen rund 1.100 Mitarbeiter. Er kam 1993 zu Linde Indien (vormals BOC India). Zuvor war er in der IT auf dem Finance-Sektor tätig. Dabei arbeitete er sowohl in Indien als auch in Großbritannien.
Peter Buchmüller
Seit Mitte Juni 2017 ist Peter Buchmüller IT-Leiter der Aenova Group, einem pharmazeutischen Auftragshersteller mit Sitz in Starnberg bei München. Der genaue Titel lautet: Senior Vice President Corporate IT Aenova Group. Buchmüller wechselte von der Molkerei Meggle in Wasserburg, wo er zuvor als Leiter IT tätig war.
Berthold Kröger
Berthold Kröger hat im Juli 2015 die IT-Verantwortung bei der K+S AG in Kassel übernommen. Der neue Leiter Corporate IT berichtet an den Vorstand Thomas Nöcker. Der promovierte Informatiker hat sein Studium an der Universität-Gesamthochschule Paderborn absolviert. Er arbeitete danach mehr als drei Jahre im Forschungs- und Technologiezentrum der Deutschen Telekom und war später in verschiedenen Positionen bei der Hochtief AG und der Hochtief Solutions AG in Essen beschäftigt.
Alexander Bode
Im Juli 2014 hat Alexander Bode den CIO-Posten beim Farbenhersteller DAW SE angetreten. DAW (Deutsche Amphibolin-Werke) ist vor allem bekannt durch Farbenmarken wie Caparol und Alpina. Bode kommt vom Pharmahändler Celesio, wo er seit 2013 als Global Head of IT Governance tätig war. Davor arbeitete der Wirtschaftsinformatiker viele Jahre bei der Freudenberg-Gruppe, wo er auch seine berufliche Laufbahn 2002 begann. Zuletzt verantwortete er dort von 2008 bis 2013 als Director ERP Europe das SAP Competence Center von Freudenberg Sealing Technologies.
Torsten Müller
Seit November 2018 ist Torsten Müller Head of Information Technology (CIO) beim Pharma- und Laborzulieferer Sartorius AG mit Sitz in Göttingen. Zuvor war er Chief Digital Officer und Chief Information Officer sowie Mitglied der Geschäftsleitung der Versicherung Helvetia Deutschland in Frankfurt.
Stephan Heinelt
Stephan Heinelt ist seit September 2018 Group CIO beim Spezialchemiekonzern Altana AG mit Sitz in Wesel. Der Diplom-Wirtschaftsinformatiker Heinelt war zuletzt Leiter Service Management Global IT Services bei der Evonik Industries AG in Essen.
Martin Kinnegim
Martijn Kinnegim ist seit März 2019 CIO der STADA Arzneimittel AG mit Sitz im hessischen Bad Vilbel. Kinnegim arbeitete zuvor bei Jacobs Douwe Egberts (JDE). Dort war er als Global CIO tätig und leitete die Integration der Gesellschaften DE Masterblender 1753 und Mondelez International in den weltweit führenden Kaffeekonzern.
Walter Grüner
Walter Grüner ist seit Mai 2019 Head of Information Technology beim Chemie-Unternehmen Covestro in Leverkusen. Zuvor war Grüner seit 2013 als Group CIO bei der KION Group AG tätig, einem Anbieter von Gabelstapler und Lagertechnik.
Tobias Günthör
Der Pharmakonzern Stada hat mit Tobias Günthör seit Anfang April einen neuen IT-Chef. Der Titel des 53-Jährigen lautet CIO/Senior Vice President IT at Stada Group.
Carsten Priebs
Zum 01.01.2024 wurde Carsten Priebs zum Digitalchef der Biesterfeld AG berufen.

Das eingesetzte Smart Data Query - eine Anwendung für maschinelles Lernen - zur schnellen Qualitätsprüfung ermöglichte es, 24 Stunden nach dem letzten Probandenbesuch eine Datenbankfreigabe für die Studie zu erteilen. Und mittels KI-Algorithmen konnte im Rahmen der mit über 44.000 Teilnehmern einer der bisher größten von Pfizer durchgeführten Phase-III-Studien relativ schnell die Analyse bzw. Mustererkennung von Millionen Datenpunkten zum COVID-19-Impfstoff vorgenommen werden.

Digital gestützte Produktion

Nicht nur in der Forschung, auch in der Produktion ging bei der Herstellung des Corona-Impfstoffes ohne Digitalisierung nichts. Um eine Übersicht über die End-to-End-Produktions- und Lieferleistungsdaten zu erhalten, sowie in der Lage zu sein, Probleme vorherzusagen und Anpassungen in Echtzeit vorzunehmen, wurde ein Digital Operations Center aufgebaut - in zwei Wochen statt wie sonst üblich in zwei Jahren. Ursprünglich für 2.500 Benutzer an elf Standorten geplant, nutzten Ende 2020 bereits 8.500 User an über 30 Standorten das Tool.

Um die Produktion aufrechterhalten zu können, ohne dass Experten zu den einzelnen Standorten reisen müssen, nutzt das Unternehmen Augmented Reality in den Produktionsstätten und Labors für die Diagnose und Reparatur von Geräten. Pfizer benutzt dazu ein Tool, das es ermöglicht, Anweisungen über Pfeile oder geschriebenen Text auf den Bildschirm des Kollegen zu übertragen. Als Geräte werden dazu mobile Devices und Smart Glasses verwendet.

Intelligente Logistik

Per GPS-Tracking wurde das Monitoring der Kühlkette umgesetzt.
Foto: Pfizer Deutschland GmbH

Den Überblick über die Menge an produzierten Impfdosen, ihren Lieferstatus, Auftragseingang etc. liefern sogenannte COVID-19-Supply-Dashboards. Sie ermöglichen Real-time-Einblicke in Logistikdaten und fördern so die rechtzeitige und zielorientierte Lieferung des Impfstoffs. Dazu zählt auch ein Monitoring der Kühlkette, das per Echtzeit-GPS-Tracking umgesetzt wurde. Auf diese Weise ist Pfizer in der Lage, die Temperatur der Sendungen überall auf der Welt nachzuverfolgen und die notwendige Kühlung sicherzustellen.

Erste Impfung im Dezember 2020

Unter dem Strich war es so durch den konsequenten Einsatz moderner Technologien sowie die Anpassungen existierender IT-Prozesse über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg möglich, einen Impfstoff in Rekordzeit zu entwickeln, zu produzieren und zu verteilen. Der Lohn dieser Digitalisierungsanstrengungen: Als erster Mensch der Welt wurde die mittlerweile 91-jährige Britin Margaret Keenan am 8. Dezember 2020 mit dem Corona-Impfstoff von Pfizer und Biontech geimpft.