Digitalisierung und Innovation

Innovations-Management bei der Porsche Holding

07.09.2017 von Horst Ellermann
Europas größtem Autohändler geht es prima – Dieselskandal hin oder her. Das schafft Raum für Innovation: Manfred Immitzer und Rainer Trischak, die Geschäftsführer der Porsche Informatik, erklären, wie und wo die Porsche Holding neue Ideen generiert.
  • Die drei Voraussetzungen für Innovation sind: eigene IT-Wertschöpfung, modulare agile Architektur und Organisation sowie Bi-Modale IT-Governance
  • Digitalisierung und Innovation klappt nicht mit Outsourcing
  • Manfred Immitzer und Rainer Trischak nennen sechs Quellen für gute Ideen
  • 2 Speed IT funktioniert nicht wirklich - aber Bi-Modale IT Governance ermöglicht disruptive Projekte
  • CDO Immitzer spricht bei Beyond über Innovations-Management
CDO und Geschäftsführer Manfred Immitzer (li.) zusammen mit seinem Geschäftsführerkollegen Rainer Trischak von der IT-Tochter Porsche Informatik.
Foto: Porsche Informatik

Vorweg zum Namenswirrwarr: Die Porsche Holding ist nicht die Porsche SE und auch nicht die Porsche AG. Letztere bastelt mit viel Liebe Luxus-Autos, und ist Teil des Volkswagen-Konzerns. Die Porsche SE hält die Mehrheit der Stammaktien an der Volkswagen AG. Die Porsche Holding wiederum vertreibt als größer Autohändler Europas alle Marken der Volkswagen-Gruppe und gehört zu hundert Prozent der Volkswagen AG. Und die Porsche Informatik ist eine hundertprozentige IT-Tochter der Porsche Holding. So viel zur Verwaltungswissenschaft.

Zum Vergleich: Die Porsche AG hat im ersten Halbjahr 2017 knapp 130.000 Autos gebaut. Porsche Holding hat große Teile der gut fünf Millionen Autos verkauft, die die Volkswagen-Robots im gleichen Zeitraum über die Bänder geschoben haben - mehr als im Vorjahr übrigens. Und die Porsche SE wird vermutlich bis Ende 2017 rund drei Milliarden Euro verdienen. Mehr als die Hälfte davon konnten die Eigentümer-Familien Mitte des Jahres bereits sicher verbuchen.

In Salzburg laufen die Dinge so ganz anders

Manfred Immitzer, Chief Digital Officer (CDO) und einer der Geschäftsführer der Porsche Informatik, sagt, er habe selbst ein Weilchen gebraucht, um die Zusammenhänge im Volkswagen-Konzern zu verstehen. Seit 2016 leitet er jetzt zusammen mit dem Geschäftsführerkollegen Rainer Trischak die IT-Tochter der Porsche Holding. Und er freut sich, dass in der Firmenzentrale im österreichischen Salzburg die Kultur sowie Innovations- und Umsetzungskraft besten Voraussetzungen für eine digitale Transformation bieten.

Zum Beispiel beim Ideen-Management. "In einer klassischen Kultur kann nachhaltige Innovation in der digitalen Welt nicht passieren", konstatiert Immitzer: "Und mit nur drei Townhall-Meetings kriegen Sie auch keinen Change hin." Der amerikanische - oder auch israelische - Ansatz "fail fast, learn fast" funktioniere eben nur in einer Firmenkultur, wo Scheitern kein Stigma hinterlässt - wie das in deutschen oder japanischen Unternehmen leider häufig der Fall ist.

BEYOND - Manfred Immitzer spricht
Manfred Immitzer
Foto: Porsche Informatik

Manfred Immitzer war lange in verschiedensten Führungspositionen bei Siemens, dann CIO von Nokia Networks und später Konzern-CIO von Nokia. Als solcher hat er 2013 den "Global Exchange Award" in München und den "Global Telecom Business Innovation Award" in London gewonnen. Der promovierte Physiker fühlt sich jetzt wohl als Geschäftsführer der Porsche Informatik im kleinen Salzburg.

Am 25. Oktober wird er auf Gut Ising am Chiemsee mehr über das Innovations-Management der Porsche Holding erzählen. Im Rahmen der Veranstaltung BEYOND beraten 50 Executives, wie sie gute Ideen schnell und nachhaltig in ihre Unternehmen tragen. Mehr Infos finden Sie hier: www.beyond.idg.de

Die Basis für Innovationen

Um nachhaltig innovativ zu sein, nennen Immitzer und Trischak drei Voraussetzungen:

  1. Die eigene IT-Wertschöpfung muss hoch sein (klappt nicht wirklich in Outsourcing-Strukturen)

  2. Die IT braucht eine modulare agile Architektur und Organisation (klappt nicht mit einer 2-Speed-IT)

  3. Die IT-Governance muss disruptive Themen steuern können, um über einen gemanagten "Ideen-Funnel" schnell zu lernen, welche Ideen funktionieren und welche nicht (klappt nicht mit herkömmlichen IT Governance-Strukturen)

1. IT-Wertschöpfung

Zu 1: Selbermachen sei besser als einkaufen, meint Immitzer. Die Porsche Informatik hat nie auf Outsourcinggesetzt. "Woanders machen hunderte Mitarbeiter nichts anderes als Architektur, Requirement-Management und Providersteuerung", unkt Immitzer. "Hier programmieren fast alle selbst. Und wir gestalten den gesamten Stack: Vom Geschäftsmodell runter bis zum Code - darin liegt die wahre Kraft unseres Systems." Die Informatik der Porsche Holding habe gar kein klassisches Supplier-Management. Das sei auch gut so, denn: "Digitalisierung ist kein Massen-, sondern ein Boutique-Geschäft", meint Trischak: "Das war bei Musik so, das ist bei Reisen so, und das wird bei Autos auch so sein."

Wer also digitalisieren will, tue gut daran, IT nicht an Dienstleister auszulagern, nur weil sie das Massengeschäft besser beherrschen. "Aus meiner Telekom-Vergangenheit kann ich sagen: Das Auto wird auch zu einem Bestandteil einer digitalen Servicekette", sagt Immitzer. Und um diese Servicekette sinnvoll zu erweitern, brauche es eben Services, die die anderen Auto-Anbieter nicht oder erst später haben.

Mit Standard-Paketen von IT-Dienstleistern lässt sich das schwerlich erreichen, zumal sich der Automarkt gerade dramatisch ändert: "Unsere IT-Services waren früher händlerzentriert", sagt Trischak: "Jetzt wird unser Feld zunehmend auch ein Endkundenmarkt." Das sei ein klarer Trend in der ganzen Automobilbrache, nicht nur bei der Porsche Holding Salzburg.

2. Architektur und Organisation

Zu 2: Wenn der Endkunde nun schon Boutique-mäßig umworben werden soll, dann geht das am besten mit einer agilen Entwicklung. "Die letzten 15 Jahren waren ERP-geprägt", sagt Immitzer - da möge Entwicklung ja noch mit dem Wasserfall-Ansatz gegangen sein. Aber in einer "Data Driven Economy" sei dieser Ansatz und alle seine Weiterentwicklungen (wie zum Beispiel "Waterfall-Scrum") viel zu langsam. Immitzer und Trischak streben ein Leben in Co-Creation und ohne Pflichtenhefte an: "Wir wollen den Kunden in den Mittelpunkt stellen, wie bei nativen digitalen Plattformen. Der Schlüssel ist, so schnell wie möglich beim Kunden zu sein, um sein kontinuierliches Feedback für die Weiterentwicklung zu nutzen."

Konzernschaufenster der Porsche Holding mit Hauptsitz in Salzburg.
Foto: Porsche Holding

Ein paar Mal ist das schon geglückt: Über die "Service App" der Porsche Informatik übernimmt das "connected Car" die Servicevereinbarung, -abwicklung und -bezahlung mit der Werkstatt - die Kunden brauchen lediglich via App vom Wohnzimmer aus vorgeschlagene Termine bestätigen oder zusätzliche Mängelbehebungen freigeben. Bei "connected" Neuwagen ist die Voraussetzung dazu gegeben. "Die nächsten sieben Jahre werden wir aber noch mehr als 50 Prozent ältere Fahrzeuge auf den Straßen haben", sagt Trischak. Für diese Fälle hat die Porsche Holding die "DiBox" vorgesehen, ein Nachrüst-Set für die OBD-Schnittstelle (On-Board-Diagnose). "Eine App zu bauen ist dabei das Einfachste", sagt Immitzer: "Die Abbildung des gesamten transaktionalen Prozesses und die Einbindung der entsprechenden Altsysteme ist der eigentliche Kunstgriff."

Sollten Entwickler dabei bi-modal arbeiten - also nach dem Gartner-Modell der zwei Geschwindigkeiten? Immitzer verneint. Ähnlich wie der BMW-CIO hält er eine Splittung der IT-Teams für kontraproduktiv. Wenn überhaupt, dann sei das Schlagwort bi-modal nur im Innovationsmanagement sinnvoll, wo sich die Projekte tatsächlich in zwei Schubladen sortieren lassen:

3. IT-Governance

Zu 3: Innovation braucht die richtige Governance. Die Porsche Holding hat dafür einen "Ideentrichter" gebaut, bei dem am Ende nur wenige, und zwar die richtigen Innovationen herauströpfeln. 30 Prozent des gesamten Innovationsprozesses darf dieser Trichter kosten. Das ist relativ viel, gemessen an der Tatsache, dass dann nur noch 70 Prozent für die Weiterentwicklung der wirklich guten Ideen bleiben. Immitzer und Trischak halten das trotzdem für den richtigen Ansatz, denn am Anfang stehen bei der Porsche Holding jede Menge guter und diversifizierter Ideengeber. Diese systematisch abzugreifen, erfordere halt den entsprechenden Aufwand.

6 Quellen für innovative Ideen

Als Quellen guter Ideen für die Porsche Holding führen Immitzer und Trischak auf:

  1. Die eigenen Mitarbeiter: 35.600 waren es in der Porsche Holding Ende 2016, rund 500 bei der Porsche Informatik, wovon über 450 Software entwickeln. "Wenn ich wegen jedem Java-Entwickler zu meinem Provider gehen muss, bin ich voll ausgeliefert - so aber sind wir extrem schnell und umsetzungsstark", bekräftigt Immitzer seine Einstellung zum Outsourcing in digitalen Ökosystemen.

  2. Universitäten: "Wir arbeiten stark mit der Uni Salzburg und FH Salzburg zusammen, manchmal auch mit Wien", sagt der geborene Österreicher. "Im Sommer ist ein dreiwöchiges Seminar "Speculativ Design Workshop" angesetzt, bei dem Gesellschaft sowie Energie- und Verkehrskonzepte in Jahrzehnten voraus gedacht werden - nicht nur mit Informatikern.

  3. Hackathons: Porsche Holding macht das einmal im Jahr. In der sogenannten "Innovation Engine" beschreiben Vertreter aus Business und IT ihre Anforderungen. Eine Agentur betreibt dann das Scouting nach geeigneten Teilnehmern. Geografisch beschränkt sie sich dabei auf Europa und Israel. Zwei erfolgreiche Apps sind aus den Hackathons bereits entstanden: Bei "Car Snap" wird die Straße zum Verkaufsraum. Der User knipst ein Auto, und das System sagt ihm, was das für ein Auto ist und wo er es neu oder gebraucht kaufen kann. Bei "Smart Driver" misst die App, wie ökonomisch (und ökologisch) ein Fahrer sein Auto beschleunigt und bremst oder auch in die Kurven fährt - Grundlage einer fahrverhaltensabhängigen Versicherung.

  4. Das eigene Partner-Ökosystem: Gemeint sind die Zulieferer, bei denen Immitzer und Trischak vor allem auf zwei Entwicklungspartner setzen, die ihnen einmal im Quartal über innovative Themen auch aus anderen Branchen berichten - etwa aus der Luftfahrt oder Raumfahrt. Sie nennen all diese Ideenquellen ihr "Korallenriff".

  5. Lokale Startups: Neben den Hackathons versucht die Porsche Holding mit den lokalen Startups in Kontakt zu bleiben. Beispiel: Ein österreichischer Startup hat die Erkennung von handschriftlichen Rechnungskorrekturen perfektioniert - basierend darauf wurden jetzt automatisierte Korrekturen erweitert bzw. optimiert.

  6. Kunden: Gemeint sind hier nicht nur die Endkunden, sondern Werkstätten. Durch ihre Nähe zum Endkunden entstünden dort wertvolle Ideen, die allerdings keine einzelne Werkstatt je sinnvoll umsetzen könnte.

Egal, welche der sechs Quellen gerade die beste Idee liefert: Mit "Digital Ecosystem Management" wollen Immitzer und Trischak auch neue Plattform-Geschäfte schaffen - das bekannte Prinzip der Digital Giants. Zu Apple und Co fällt dem CDO übrigens noch ein: "End User-Ökosysteme gegen Google oder Amazon aufzubauen, macht natürlich keinen Sinn. Es gilt der alte Grundsatz: if you can´t beat them, join them."

Porsche Holding Salzburg | Der größte Autohändler Europas

Früher ging der Kunde im Durchschnitt sieben Mal zum Händler, bevor er ein Auto gekauft hat – heute nur noch ein- oder zweimal. Die Porsche Holding Salzburg begleitet diesen Wandel in 26 Ländern in Europa, Asien und Südamerika. Mit 35.600 Mitarbeitern und 21 Milliarden Euro Umsatz ist die Porsche Holding der größte Autohändler Europas.

Sie vertreibt alle Marken der Volkswagen Gruppe. Die IT-Tochter Porsche Informatik wird geführt von Rainer Trischak, zuvor Geschäftsführer von Porsche Rumänien, und Manfred Immitzer, zuvor in verschiedenen CIO-Positionen bei Siemens und Nokia.

Manfred Immitzer wird auf unserer Veranstaltung BEYOND am 25. Oktober auf Gut Ising am Chiemsee über das Innovations-Management bei der Porsche Holding. Mehr Infos unter: www.beyond.idg.de