VILLEROY & BOCH

IT-Controlling mit Augenmaß

28.01.2002 von Horst Ellermann
Thomas Ochs muss sparen. Fünf Prozent soll der IT-Leiter von Villeroy & Boch dieses Jahr weniger ausgeben. Das tut weh, bereitet dem gelernten Controller aber weniger Probleme als einem CIO, der seine Ausgaben erst noch transparent machen muss.

BLAUE KACHELN pflastern seinen Weg. Thomas Ochs, IT-Leiter des Geschirr- und Keramikherstellers Villeroy & Boch, hastet durch das Treppenhaus des Firmensitzes in Mettlach an der Saar. Was wie der Eingang zu einem Schwimmbad aussieht, führt zu kleinen Räumen mit niedrigen Decken - keine Umkleidekabinen, sondern die Büros der zentralen IT-Abteilung .Hinter einer Tür aus Verbundglas mit dem Aufkleber „Sparen Sie Licht!“ stellt der 39-Jährige seinen Koffer ab und beginnt von einem Mitarbeiter zu erzählen, den er gerade in der Luxemburger Niederlassung besucht hat: „Guter Mann“, sagt Ochs, der in den ausländischen Werken CIO genannt wird; „allerdings jetzt im Rentenalter und nicht zum Weiterarbeiten zu bewegen.“ Ochs hat dadurch ein paar Euro mehr in der Kasse, aber echte Freude überkommt ihn deshalb nicht. Die minimale Personalreduzierung trägt kaum dazu bei, die Sparauflage von fünf Prozent im IT-Budget von 17,5 Millionen Euro zu erfüllen.

Wer zurzeit als CIO Kosten senken muss, kann nicht auf das Ausscheiden älterer Kollegen warten. Er wird die IT-Mitarbeiter mit dem Thema Controlling konfrontieren müssen - „control“ im englischen Sinn von steuern und lenken, nicht von kontrollieren. Das ist alles andere als einfach: In ihre Arbeit lassen sich die technikverliebten IT-Füchse nicht gern reinreden. Müssen sie aber, sagt Ragnar Nilsson, stellvertretender Vorsitzender im Controller Verein und bis Herbst letzten Jahres CIO beim Pharma-Konzern Aventis. „Die hohen Investitionskosten in der IT kann man nicht einfach laufen lassen. Jeder CIO, der über einen Etat von mehr als 15 Millionen Euro verfügt, sollte IT-Controlling betreiben.“

So hat denn auch Ochs mit dem Rechnen angefangen. Seit er 1999 an die Spitze der IT-Abteilungen trat, sind die Ausgaben in diesem Bereich um zwanzig Prozent gesunken. Die Hosts hat er durch eine Client-Server-Struktur ersetzt, die Mitarbeiterzahl von 145 auf 110 reduziert und mit der zehnköpfigen Abteilung „Telekommunikation“ verschmolzen. Auf solche Zentralisierungseffekte kann er dieses Jahr zwar nicht hoffen, denn die größten Einsparpotenziale im ersten der drei klassischen Controlling-Bereiche - dem strategischen Controlling - sind damit erschöpft. Doch es bleiben ihm ja zwei weitere Kostenbremsen: das operative Controlling und das Projekt-Controlling.

Strategisch, operativ oder Projekt-Controlling

Diese Dreiteilung der Ausgabensteuerung erklärt Eberhard Schwarz von der Maschinenbaufirma Niehoff in Schwabach wie folgt: „Strategisch bedeutet: die richtigen Dinge tun; operativ bedeutet: die Dinge richtig tun; Projekt bedeutet: tun.“ Der Generalbevollmächtigte des 600-Mann-Betriebs betreut in Personalunion die Bereiche IT und Controlling - im Mittelstand ein weit verbreitetes Phänomen, wie ein Sprecher des Controller Vereins bestätigt. Schwarz beschäftigt zwei Controller, die etwa zehn Prozent ihrer Zeit mit IT-Controlling verbringen. „Wichtig ist im Mittelstand aber nicht die Zahl der Controller. Das macht der Geschäftsführer zur Not auch allein“, sagt Schwarz. „Wichtig ist, dass die Mitarbeiter ein Verständnis von Controlling haben.“

Ochs hat denn auch keine Controller in seiner Abteilung, sondern lässt vom zentralen Controlling prüfen, ob er die Dinge richtig tut. Doch auch auf diesem zweiten Sparweg, dem operativen IT-Controlling, ist der CIO die weiteste Strecke bereits gegangen: Ochs weiß, was in seiner Abteilung wie viel kostet - und einbringt. Jedes Jahr im September gehen seine Key-Accounter zu den Fachabteilungen, wo sie den neuen Leistungskatalog mit den aktuellen Preisen vorlegen. Im vergangenen Jahr konnten die Kostenstellen-Verantwortlichen dabei aus 61 IT-Artikeln wählen. „Wenn man so will, haben wir hier eine eigene Vertriebsabteilung“, sagt Ochs.

Ein Notebook der Klasse „Standard“ preisen deren Verkäufer für 141 Euro im Monat an; das R3-Modul „Logistik Info“ können die Leiter der Fachabteilungen für 189 Euro pro Arbeitsplatz und Monatmieten. „CPU-Minuten verkaufen wir gar nicht mehr“, so der IT-Leiter. „Darunter kann sich ohnehin kein Kostenstellen-Verantwortlicher etwas vorstellen.“ Wie ein hausinterner Application Service Provider hat Ochs die Kosten für Betreuung und Rechenzentrumskapazitäten in die Produktpreise eingerechnet. „Das Berichtswesen ist durch die monatlichen Rechnungen an die Fachabteilungen gut geregelt“, sagt der IT-Leiter; „da braucht man am Ende kaum noch etwas zu checken.“

Erschrocken über die Kosten eines PCs

Und trotzdem hält das operative Controlling immer wieder Überraschungen bereit. „Wenn man sich anschaut, was ein PC tatsächlich kostet, ist man schon erschrocken“, sagt Ochs, der beim Nachrechnen erfahren musste, dass die Anschaffung bei einem gewöhnlichen Computer gerade einmal fünf bis acht Prozent der Gesamtkosten ausmacht. Die Ausgaben entstehen mehrheitlich durch Installation, Betreuung und Netzwerk-Management. „Wenn Sie da etwas einsparen wollen, dann müssen Sie mehr machen, als die Hardware-Preise zu drücken.“

Potenzielle Kostensenker stecken auch in der weiteren Ausdifferenzierung des Produktkatalogs. So hat Ochs im vergangenen Jahr festgestellt, dass die Fachabteilungen immer die besten Kräfte aus der IT-Abteilung anfordern. Grund: Im IT-Katalog gibt es nur einen einzigen Tarif für Beratung und Entwicklung, und der beträgt lediglich 372 Euro pro Tag. Es fehlt also der Anreiz, sich mit Junior-Consultants zufrieden zu geben. Ebenso zahlt momentan niemand angemessen dafür, wenn er Datenmüllhalden auf den zentralen Rechnern anhäuft. Im IT-Katalog sind die einzelnen R3-Arbeitsplätze nur nach zwei Nutzungsintensitäten aufgeteilt: Es gibt operationale User und solche, die nur Einsicht nehmen können. Ochs analysiert jetzt, wie sich dieser Punkt genauer differenzieren lässt.

Ohne Projekt-Controlling geht nichts

Bleibt das Projekt-Controlling. „Das ist das Wichtigste. Da werden die Dinge schnell doppelt so teuer“, sagt Meinhard Holle, CIO der Unternehmensgruppe Tengelmann. Best-Practice-Anleitungen zur Software-Entwicklung (CMM von der Carnegie Mellon University inPittsburgh, Bootstrap aus Fremont in Kalifornien, Spice von der ISO) und zur Durchführung von IT-Projekten allgemein (PMBOK vom Project Management Institute in Pennsylvania, APM97 von der britischen Association for Project Management, COBIT vom internationalen Verband der IT-Prüfer ISACA) gibt es zwar reichlich; ihre große Zahl ist allerdings auch symptomatisch für den Bedarf. „Wenn jemand bei einem Projekt 25 bis 50 Prozent über den Kosten liegt, dann wird das häufig noch als Punktlandung verstanden“, lästert Holle.

Bei Tengelmann hat er deswegen eine so genannte Projekt-Assurance nach dem Vorbild von IBM eingeführt. Neben den fünf Controllern in der 300 Mann starken IT des Unternehmens leistet sich der CIO drei Stellen für erfahrene Projekt-Manager. Die Mitarbeiter vom Rang eines Hauptabteilungsleiters sind bei Verhandlungen der Fachabteilungen mit externen Unternehmensberatern zugegen und weisen auf Fallstricke hin. Sie können die Verkaufstricks der Berater leicht aufdecken, da sie sie selbst lange genug angewendet haben.

Villeroy & Boch leistet sich eine solche Projekt-Assurance nicht. Wenn demnächst das Business-Warehouse von SAP im Unternehmensbereich „Bad und Küche“ eingeführt wird, dann schickt Ochs keinen Extrastab an die Einsatzstelle. Er vertraut darauf, dass seine Mitarbeiter die Controlling-Instrumente selbst richtig einsetzen und das Volumen von einer halben bis dreiviertel Million Euro nicht überschreiten. Ochs sieht hier, bei den Projekten, die größten Chancen, die Sparvorgaben von fünf Prozent zu erfüllen. Er wird an fremden Beratern sparen. „Einige Projekte müssen nicht zwingend mit externen Leistungen beschleunigt werden“, sagt Ochs; und: „Ein Projekt, das sein Budget überschreitet, ist ein nutzloses Projekt.“

Ochs hat es weitestgehend geschafft, die Informationstechnik für das zentrale Controlling transparent zumachen. Die ehemaligen IT-Leiter aus den vier Unternehmensbereichen und an den 22 Standorten vonVilleroy & Boch haben dabei an Einfluss verloren. Einer habe das Unternehmen im Zorn verlassen, einige seien altersbedingt ausgeschieden. Für viele habe es aber verträgliche Lösungen gegeben, sagt Ochs.

Torten und Balken fürs Management

Es scheint sich bestätigt zu haben, dass einige EDV-Mitarbeiter vom alten Schlag eben kein Controlling mögen. Jochen Michels, Berater und passionierter Sammler von Rechenzentren-Benchmarks, erklärt das so: „Die eine Hälfte hat Angst, und die andere Hälfte ist einfach arbeitsscheu.“ Preisspreizungen von bis zu tausend Prozent für die gleichen Warenkörbe will er in Rechenzentren beobachtet haben.

Beträge von mehr als zehn Millionen Euro auf einer Kostenstelle kennt auch Martin Herrmann, der an der Münchner Controller Akademie Kurse für IT-Leiter anbietet. Dabei verstecke sich hinter den Globalsummen nicht immer der böse Wille, Transparenz zu verhindern; es fehle einfach die Einsicht, dass es nützlich sein kann, die eigene Leistung quantifizierbar zu machen. Man wisse ja, was man leistet. Sollen die anderen doch bitte zur Kenntnis nehmen, dass man sein Bestes gibt.

Die verbliebenen ITler bei Villeroy & Boch haben mittlerweile das Selbstbewusstsein, dass sie sich nicht persönlich in Frage gestellt fühlen, wenn der Chef ihre Leistungen mit Benchmark-Daten von Herstellern wieSAP oder Unternehmensberatern wie Compass vergleicht. Zweimal pro Woche trifft sich Ochs mit dem Leiter des zentralen Controlling. „Insgesamt investiere ich 10 bis 15 Prozent meiner Arbeitszeit für Controlling.“ Drei- bis viermal im Monat marschiert er mit strategischen Fragen direkt zum Finanzvorstand, der dann mit Excel aufgepeppte Daten aus SAP zu sehen bekommt. Aufwendigere Tools nutzen andere CIOs meist auch nicht. Holle von Tengelmann bestätigt: „Es reichen Torten oder Balken. Das Management liebt es, wenn die Informationen stets in derselben Form dargestellt werden.“

Auf dem Flur vor Ochs’ Büro, gegenüber vom Feuerlöscher, hängen auf eine Spanplatte geklebte Kacheln mit Pfauen als Motiv. Das Exponat zeigt, womit das Unternehmen Villeroy & Boch seit 1748 beständig gewachsen ist. „Kacheln“ heißt der Unternehmensbereich, der genau wie „Küche und Bad“ und „Tischkultur“ rund 300 Millionen Euro Umsatz bringt. In den Präsentationsräumen des Hauses sind diese Lifestyle-Produkte schön zu sehen - im Büro des IT-Leiters nicht. Dort regiert der Charme von 1970 - und die Idee des Shareholdervalue aus dem Jahr 1990, als Villeroy & Boch an die Börse ging. Ochs hat damit kein Problem: „Bei uns redet niemand mehr darüber, dass die IT zu teuer sei. Über Outsourcing können wir jetzt sehr abstrakt sprechen.“