Pro und Kontra IT-Auslagerung: Babcock Borsig, Eon, Hochtief

IT rausgegeben - erleichtert oder ausgehöhlt?

28.01.2002 von Heinrich Seeger
Wer soll den IT-Job heutzutage machen? Anbieter von Outsourcing-Dienstleistungen raten: besser uns Experten fragen!
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ACHTZIG BIS NEUNZIG PROZENT der IT-nahen Tätigkeiten, so behauptet Peter Chylla, Geschäftsführungsvorsitzender von Thyssen Krupp Information Services (TKIS), seien zum Auslagern geeignet. Der Outsourcing-Manager sieht besonders bei Banken und Versicherungen Nachholbedarf. Große Sparpotenziale seien nicht ausgeschöpft, weil noch sehr wenig Standard-Software eingesetzt werde. „Das riecht stark nach Outsourcing“, freut sich Chylla.

Gerade deutsche Unternehmen zieren sich jedoch oft noch, dem Werben der Outsourcer nachzugeben, obwohl die sich bei Preisverhandlungen zunehmend nachgiebig zeigen. Anders als in den an vielfältige Services gewöhnten USA misstrauen hierzulande offenbar viele IT-Entscheider weitergehenden Eingriffen in ihre Entscheidungsautonomie. Und meist können die Skeptiker gute Gründe dafür vorbringen, dass sie das Ruder in der Hand behalten wollen.

Lothar Dietrich zählt zu den Vorsichtigen. Schon die Art, wie der CIO des Oberhausener Konzerns Babcock Borsig auftritt, macht deutlich, dass er es hasst, nicht die Kontrolle zu haben - über sich selbst wie über seinen Zuständigkeitsbereich. Dietrich ist seit Anfang letzten Jahres dafür verantwortlich, dass der Energieanlagen- und Schiffbaukonzern mit seinen mehr als 30.000 Mitarbeitern über IT-Operations verfügt, die die seit Mitte der Neunziger laufende Modernisierung der Unternehmensgruppe unterstützen.

Kontrollfreund Dietrich fürchtet nichts mehr als die Aushöhlung des Unternehmens durch die Auslagerung von Kernkompetenzen. Als Outsourcing-Gegner möchte er trotzdem nicht verstanden werden. „Ich fahre da eine ganz klare Strategie: Für reproduzierbare Leistungen gibt es kostengünstige externe Spezialisten, mit denen ich detaillierte Service Level Agreements vereinbare.“ Die Firma Axis ist für den PC-Support zuständig, hinter dem User-Helpdesk sitzt IBM; mit dem Rechenzentrumsbetrieb hat Dietrich IBM und die Firma Info beauftragt; das Corporate Network für die Sprach- und Datenkommunikation zwischen Niederlassungen und Baustellen in aller Welt wird von Debis betrieben; die Web-Anwendungen liegen auf den Servern von T-Systems.

Das ergibt für die Outsourcer ein beträchtliches Auftragsvolumen, räumt Dietrich ein. Er will aber keine Zahlen nennen, verrät nur, dass durch die Standardisierung der Clients die Kosten für den PC-Support halbiert werden sollen. Die Zahl unterschiedlicher Installationen will er in Kooperation mit den Fachbereichen von früher 2000 auf „eine kleinere zweistellige Zahl“ drücken, was einen Standardisierungsgrad von achtzig bis neunzig Prozent ergäbe. Entscheidend ist für ihn jedoch, „dass keine der outgesourcten IT-Funktionen strategisch ist. Was mit den Geschäftsprozessen zu tun hat, bleibt im Haus“, steckt der CIO die Grenze zwischen Out- und Insourcing ab.

PC-Standardisierung spart Support-Kosten

Wichtigstes Insourcing-Projekt ist die seit Anfang 2000 laufende Einführung von SAP R/3. Hier hat Dietrich das Ruder in der Hand. Hewlett-Packard und die Info AG sind als Partner an Bord; achtzig Mitarbeiter aus den Fachbereichen sind außerdem beteiligt. Ziel ist es, einen Teppich von R/3-Standardanwendungen („Templates“, sagt Dietrich) im Konzern auszurollen, der siebzig Prozent des Bedarfs abdeckt. „Die restlichen dreißig Prozent lassen sich nicht standardisieren; da geht es um Dinge wie Einzel- oder Kleinserienfertigung“, sagt Dietrich. „Ende Januar wollen wir im gesamten Bereich Energietechnik R/3 eingeführt haben“, sagt er, „ein Jahr später im Schiffbau.“ Hier, bei der Tochter HDW, läuft im Übrigen gerade ein weiteres Insourcing-Projekt: die Einführung der Konstruktions-Software Catia. Etwas länger dürfte das R/3-Projekt bei den anderen Beteiligungsgesellschaften - vorwiegend aus dem Maschinenbausektor - dauern, weil das Template-Konzept in der heterogenen Landschaft nicht greife, so Dietrich.

Das künftige Schicksal des Konzerns ist eng mit dem R/3-Projekt verbunden. Die IT-Landschaft bei Babcock Borsig war nämlich noch vor zwei Jahren auf dem Stand von vor zehn Jahren. Die Prozesse wurden, wenn überhaupt zentral, mit dem SAP-Oldie R/2 gesteuert. „Die IT war nicht zukunftsfähig“, konstatiert ein Ex-Mitarbeiter. Dietrich räumt das ein; aber es ist für ihn Vergangenheit. „Der Mensch sollte jetzt mal vorbeikommen. In den vergangenen zwei Jahren ist hier extrem viel passiert“, sagt der Projektverantwortliche stolz.

Gisela Wörner, Bereichsleiterin IT-Koordination im Eon-Konzern, hat - wie Dietrich - gern alles im Griff. Gegen Total-Outsourcing argumentiert die für ihren resoluten Pragmatismus bekannte IT-Chefin: „Die Informationstechnik ist so eng mit den Geschäftsprozessen verzahnt, dass beide sich nicht voneinander lösen lassen, ohne das Business zu schädigen.“ Die Planung und der Aufbau ganzer Geschäftsprozesse samt IT, wie sie große Unternehmensberatungen im Outsourcing anbieten, ist ohnehin keine Option für Wörner: „Das macht man vielleicht mal kurzfristig, um die Bilanz zu entlasten. Aber dabei trennt man sich nicht von strategischen Prozessen.“

Eon: Anwendungen spiegeln Geschäftsmodell

Nicht gelten lässt sie auch das branchengängige Pro-Outsourcing-Argument, demzufolge man damit teure Stellen für IT-Experten einsparen könne: „Wir bilden in den Anwendungen unser gesamtes Geschäftsmodell ab. Die Anwendungen müssen weiterentwickelt werden. Dafür brauchen wir eigene Ressourcen; das kann man nicht nach außen geben.“

Die Frage „Make or buy?“, konkretisiert Wörner, stelle sich höchstens in Bezug auf administrative Funktionen, etwa die Finanzbuchhaltung. Aber das sei nur dann sinnvoll, wenn es ein Outsourcer billiger erledigen könne als die internen IT-Fachleute. Wörner: „Wir machen das nicht.“

In Sachen Rechenzentrumsbetrieb vertritt sie dieselbe Position. Wenn ein Unternehmen groß genug sei, um Skaleneffekte realisieren zu können, gebe es keinen Grund, das Rechenzentrum nicht selbst zu betreiben. Kleinere Unternehmen, räumt Wörner ein, hätten da oft aus Kostengründen keine Wahl. Sie müssten aber damit rechnen, mit einem ausgelagerten Rechenzentrum nicht mehr so schnell reagieren zu können. Ein Vorteil für den Konzernriesen Eon (4000 IT-Mitarbeiter), den sie schätzt: „Wenn man im RZ sehr kurze Innovationszyklen abbilden muss - neue Produkte, neue Märkte, neue Konditionen, neue Preisstellungen -, sollte man das selbst erledigen.“

Hochtief: keine IT-Trennungsängste

Frank Schroeder, Bereichsleiter IT-Management beim Essener Baukonzern Hochtief, ist dagegen zufrieden, dass er seine IT losgeworden ist. Im Juli letzten Jahres wurde die 250 Mann starke Tochter Hochtief Software (HTS) aus der Muttergesellschaft aus- und unter dem Dach von Cap Gemini Ernst & Young (CGEY) wieder eingegliedert. Trennungsängste empfindet er nicht beim Outsourcing auch der wichtigsten Anwendungen: „Für Hochtief ist die IT keine Kernkompetenz, sondern nur ein Vehikel. Das muss geschickt gefahren und die Geschäftsprozesse müssen bedient werden“, sagt er bündig.

Ohnehin gebe es für ihn keine Alternative: „HTS war gut positioniert, aber zu klein, um mit der Internationalisierung des Konzerns Schritt zu halten.“ Um etwa PC-Benutzer in aller Welt versorgen zu können, hätten beim User-Helpdesk von HTS Fremdsprachenkenntnisse und ein zeitzonenübergreifender Schichtdienst aufgebaut werden müssen, so der Informationstechnik-Verantwortliche.

Seit 1993 hatte Hochtief in personelle und technische Ressourcen für die Eigenentwicklung einer Software-Lösung auf der technischen Basis von SAP R/3 investiert, weil es im Standardrepertoire von SAP keine Lösung für das Baugewerbe gab. Der Skalierungseffekte wegen lagerte man damals die Mannschaft und die Technologie in die neu gegründete Hochtief Software aus, die sich fortan um die IT-Belange des Konzerns kümmern, aber auch am freien Markt agieren sollte.

Für den Anfang reichte diese interne Lösung aus. Der Konzern hat jedoch im Verlauf seines Wachstums eine dezentrale Struktur mit einer ebenfalls stark diversifizierten IT-Landschaft ausgebildet, so Schroeder. Inzwischen gehören zum Hochtief-Portfolio neben großen Unternehmen aber auch kleine Einheiten, die zudem nicht im Kerngeschäft Hoch- und Tiefbau operieren. „Wir brauchten einen IT-Partner, der unseren gestiegenen internationalen Ansprüchen gerecht wurde“, resümiert Schroeder die Gründe für das sehr weit gefasste Outsourcing.

Untypisch ist, dass Hochtief seine IT in dem CGEY-Deal von oben beginnend delegiert hat. Die meisten Outsourcing-Kunden trennen sich zuerst von Support- und Helpdesk-Aufgaben für die PCs der Endbenutzer. Ausgerechnet das macht Hochtief im Kern heute noch selbst - aus historischen Gründen: „Für Office-Anwendungen waren die Tochtergesellschaften bisher selbst zuständig“, erklärt Schroeder. Er denke jedoch darüber nach, die Desktop-Services auszulagern, um effizienter zu werden.

Cap Gemini ist verantwortlich für den Betrieb des Enterprise Resource Planning (SAP R/3) samt benachbarter Anwendungen. Dazu kommen das Corporate Network, sowie das Server- (Windows 2000) und das E-Mail-System. Zusätzlich plant Schroeder, ein Konzept zur „sinnvollen Verbindung der heterogenen Systemlandschaft“ durch Middleware-Komponenten mit CGEY zu entwickeln.

Auch in den IT-Gremien ist Cap Gemini vertreten. Bei Bedarf hinzugezogen wird der Outsourcer im Steering Committee, wo der „Bogen zwischen IT und den Geschäftsprozessen geschlagen wird und das an der Wirtschaftlichkeit orientiert ist“, erklärt Schroeder. Auch bei den Sitzungen des CIO-Komitees, das aus den IT-Chefs und Fachabteilungsvertretern der sieben Tochtergesellschaften besteht und wo es um Themen mit „informationstechnischer Bodenhaftung“ geht, sei CGEY „themenorientiert“ vertreten. Bilateral tauschen sich die Partner im Strategiegremium aus, das sich mit der Geschäftsbeziehung generell befasst. Außerdem gibt es Fachgremien, die bewerten müssen, ob CGEY einen guten Job macht. Das geschieht anhand von zwölf „Leistungsscheinen“, mit denen sich kontrollieren lässt, ob Service Level Agreements eingehalten werden, wie es um die Verfügbarkeit, Performance und Antwortzeiten der IT-Systeme bestellt ist und ob Fehler schnell genug behoben werden. Schroeder bewertet die Arbeit von CGEY bisher positiv. Das Ziel, „stets marktfähig“ zu sein, habe man durch ständiges Innovations-Management im Blick.

Dennoch: So eine enge Bindung an einen Dienstleister birgt Risiken; das ist Schroeder klar. Deshalb will er im Rahmen des IT-Controlling auch externe Kompetenz dazuholen. Dabei gehe es darum, den Vertrag zwischen Hochtief und CGEY kontinuierlich weiterzuentwickeln. Ständiges Nachjustieren ist angebracht, sagt Schroeder; „wir sind noch in einer Übergangsphase.“