Evonik-CIO über IT-Organisation

IT-Trends in der Prozessindustrie

24.04.2012 von Alexander Freimark
IT-Organisationen der chemischen Industrie harmonisieren, globalisieren und konsolidieren. Auch Evonik-CIO Jochen Gintzel strebt nach exzellenten Prozessen.

Nur wer das Pflichtprogramm beherrscht, kann in der Kür glänzen. Das gilt auch für den Essener Spezialchemiekonzern Evonik Industries AG und seinen CIO Jochen Gintzel. Der IT-Manager sieht es als seine Pflicht an, "effiziente transaktionale Services zu erbringen". Die Kür hingegen sei eine eigene Prozessorganisation, die in den vergangenen Jahren gemeinsam mit den Fachbereichen entwickelt und implementiert worden ist - als Schnittstelle von Business und IT.

Vor dem Hintergrund der starken Konsolidierungsaktivitäten in der Chemiebranche sei die Priorität für einheitliche Lösungen etwa im ERP-Bereich viel höher als in der Vergangenheit: "Mit der Prozessorganisation sind das Verständnis und die Akzeptanz für gemeinsame, harmonisierte Best-Practice-Prozesse deutlich gestiegen", so Gintzel.

Interne Kunden sind leidenschaftslos

Norbert Skubch, CEO der JSC Management- und Technologieberatung: "In fünf Jahren wird der Anteil externer IT-Kosten in den meisten Unternehmen auf deutlich über 50 Prozent steigen."
Foto: JSC Management- und Technologieberatung

"Interne Kunden sind relativ leidenschaftslos - in erster Linie muss die IT zuverlässige, sichere und kostengünstige Services bereitstellen", bestätigt Norbert Skubch, CEO der JSC Management- und Technologieberatung AG aus Eltville. Der Berater hat zusammen mit dem Arbeitskreis IT des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) die langfristigen strukturellen Trends in den IT-Organisationen der Chemiebranche untersucht.

Der Tenor: Das "Pflichtprogramm" in Verbindung mit einer Ausrichtung der Anwendungsarchitektur an den Herausforderungen global agierender Geschäfte und Funktionen erlaubt es der IT, einen echten Wertbeitrag für das Unternehmen zu liefern. "Nur so wird sie als gleichberechtigter Partner akzeptiert", sagt Skubch, "und nur so kann sie im Wettbewerb mit Dritten langfristig bestehen."

Eine effiziente IT-Plattform und weltweit geordnete Abläufe - rassiger Hype klingt anders. Aber darum geht es in der Compliance-dominierten Prozessindustrie mit ihren vielen Mergers, Acquisitions und Carve-outs derzeit gar nicht: "Allein mit guten Ideen für Innovationen wird ein IT-Verantwortlicher im Top-Management kaum ernst genommen", sagt Evonik-CIO Gintzel. "Er muss auch in der Lage sein, zuverlässige und Benchmarkfähige Infrastruktur-Services zu erbringen."

Studie: Outsourcing - Heute und in fünf Jahren.
Foto: JSC Management- und Technologieberatung

So zeigt die Studie von JSC, dass die großen Unternehmen der chemischen Industrie hier eine hohe Übereinstimmung aufweisen. "Die grundsätzliche Bedeutung von IT-Governance und IT-Demand-Management für die Steuerung von Effektivität und Effizienz der IT ist zwischenzeitlich allgemein akzeptiert. Damit verbundene Aufgaben sowie die organisatorische Einbindung beider Einheiten werden nahezu identisch gelöst - Nuancen gibt es lediglich in den Details", bestätigt Berater Skubch.

Wann Prozessexperten aus der IT gefragt sind

Diese Schnittstelle zu internen Kunden und ihrem Bedarf hat auch CIO Gintzel ganz oben auf der Agenda, etwa für den Abgleich des IT-Projektportfolios und der IT-Ressourcen. Einerseits geht es darum, mittelfristig die Generierung von Werten perspektivisch mitverfolgen zu können, andererseits ist das kurzfristige Troubleshooting bei Eskalationen Thema. "Wenn Projekte der Restrukturierung, Konsolidierung und Integration aufeinanderprallen, sind immer wieder Prozessexperten aus der IT gefragt", berichtet Gintzel aus der Praxis.

Zweiter Schwerpunkt ist laut Gintzel der Bereich IT-Service-Delivery in Verbindung mit IT-Sourcing: "Wie nachhaltig und gleichzeitig flexibel kann die Organisation auf Veränderungen in Technik und Service reagieren?"

Noch Unsicherheit bei Cloud und Mobile Devices

Unsicherheit sieht der Evonik-CIO hier vor allem bei zwei Themen: "Cloud Computing und Mobile Devices werden sich in den kommenden zwei Jahren so stark weiterentwickeln, dass Sie die Punkte erst dann nachhaltig und sicher in einem Outsourcing-Vertrag abbilden können." Angesichts der fehlenden Planungssicherheit sei es "gut begründet, jetzt keine Schnellschüsse abzugeben", folgert der IT-Manager. Er setzt auf Flexibilität beim Sourcing - was lässt sich künftig verlagern und was muss ich heute organisatorisch leisten, damit ich mir keine Türen durch voreilige Entscheidungen versperre?

Jochen Gintzel, CIO von Evonik: "Allein mit guten Ideen für Innovationen wird ein IT-Verantwortlicher im Top-Management kaum ernst genommen."
Foto: Evonik

Daher gibt sich Gintzel derzeit beim Thema Outsourcing "zurückhaltend". Der Konzern habe im Jahr 2011 eine IT-Sourcing-Strategie entwickelt, erklärt der IT-Manager: "Dabei ging es nicht nur um die konventionelle Frage, was wir selber machen und was wir auslagern, sondern zusätzlich um eine Definition der Services und eine Zuordnung der Serviceanteile in eine globale, regionale und lokale Delivery."

Bereiche mit heterogenen Providern sollten zuerst harmonisiert werden, "um mittelfristig auf einer Basis konsolidierter Services über die externe Beschaffung zu entscheiden". Nach dieser Übergangsphase "werden wir das Thema zur Bewertung des Outsourcings 2014 wieder auf die Agenda setzen", sagt Gintzel.

Anteil externer IT-Kosten steigt auf über 50 Prozent

Andere Branchenvertreter hingegen setzen ungebrochen auf das IT-Outsourcing, das hat die Untersuchung der Beratungsgesellschaft JSC ergeben. "In fünf Jahren wird der Anteil externer IT-Kosten in den meisten Unternehmen auf deutlich über 50 Prozent steigen", prognostiziert Skubch. Der Zuwachs resultiert nicht nur aus Vorhaben in der klassischen IT-Infrastruktur, sondern wird auch durch neue Möglichkeiten in der Cloud wie Software-as-a-Service (SaaS) oder Platform-as-a-Service (PaaS) befördert. Die Gründe für das ungebremste Interesse am Outsourcing sieht der Berater in der fortgesetzten Notwendigkeit zur Kostensenkung sowie im Anspruch, Kostenstrukturen langfristig zu flexibilisieren - hier steht die IT der chemischen Industrie erst am Anfang.

Überraschende Einigkeit herrscht bei der Frage einer potenziellen Drittmarkterschließung, die auch Gegenstand der Untersuchung war: "Das Drittgeschäft für die eigene IT können wir alle erster Klasse beerdigen", bilanziert Skubch. Was einst eine Motivation für IT-Spin-offs war, habe sich nicht bewährt, nicht entwickelt und folglich auch keine Zukunft. "In der Dynamik der chemischen Industrie haben die IT-Organisationen schließlich genug damit zu tun, ihre Kernleistungen den Kunden bereitzustellen und die Veränderungen des Unternehmens wie Carve-outs und Zukäufe zeitnah abzubilden." Den Anteil des Drittgeschäfts an den IT-Kosten beziehungsweise am IT-Umsatz beziffert Skubch aktuell auf "deutlich weniger als zehn Prozent - mit rückläufiger Tendenz".

4 Erfolgsfaktoren

Auch beim globalen Setup der IT werden Gemeinsamkeiten in den Strukturen sichtbar: Eine zentrale Steuerung global verteilter Competence Center ist das präferierte Modell - hiermit gibt die IT eine angemessene Antwort auf die weltweite Präsenz ihrer Kunden, ohne jedoch kulturelle Unterschiede in den Regionen zu nivellieren. "Lokale Einheiten, die von der zentralen Führung der IT unabhängig sind, gehören weitestgehend der Vergangenheit an", sagt der Berater. Auch für Evonik-CIO Gintzel ist die Globalisierung der IT-Organisation einer von vier maßgeblichen Erfolgsfaktoren, neben Outsourcing/Cloud, der professionellen Integration von akquirierten Geschäften - und der internen Nutzung von Social Media, einem echten Hype-Thema.

"Die interne Infrastruktur einer Collaboration-Lösung ist bereits vorhanden, und bis 2013 will unsere internationale IT-Community ein Referenzbereich für die Nutzung von Social Media werden", sagt Gintzel. So lerne man auch, andere Pilotprojekte sowie deren Implementierung im Konzern kompetent zu unterstützen.

Evonik Kennzahlen

Unternehmen

Evonik Industries AG

Hauptsitz

Essen

Umsatz

14.540 Millionen Euro (2011)

Mitarbeiter

33.000

It-kennzahlen

IT-Benutzer

22.000

Laufende Projekte

Prove - Process & Value Excellence, Collaboration-Projekte Plattform- & Mobile-Devices-Strategie, IT-Compliance-Projekte

"Derartige Vorhaben sind gerade in den traditionellen Unternehmen der Chemieindustrie eine wesentliche Voraussetzung dafür, künftig nicht nur als Infrastrukturdienstleister, sondern auch als Prozessberater und Innovator wahrgenommen zu werden." Und ein starkes Pflichtprogramm sowie eine überzeugende Kür sind ja nicht nur im Interesse der IT-Organisation.