Stammdaten-Projekt bei BayWa

Keinen Überblick mehr gehabt

21.07.2010 von Riem Sarsam
Die BayWa Technik hat Stammdaten zu 500.000 Artikeln erfasst, angereichert, bereinigt und stellt sie aus einer zentralen Quelle bereit. Davor hatte der Konzern seine Kataloge einmal pro Jahr in Datensammlungen bereit gestellt. Nun erhalten Mitarbeiter wie Kunden konsistente, aktuelle und vor allem umfangreiche Produkt-Informationen.
Der BayWa-Konzern erwirtschaftete im Jahr 2009 einen Umsatz von 7,2 Milliarden Euro.

November 2009: Die BayWa Technik öffnet einen Webshop mit 40.000 Produkten. Dass dahinter eine gehörige Portion Arbeit stand, ist für den Kunden nicht zu erkennen. Dabei ist der Internet-Verkauf nur ein Resultat einer umfangreichen Datensammlung und -aufbereitung. Innerhalb von vier Jahren hat die Technik-Sparte einer der weltweit größten Vertriebs- und Serviceorganisation für Land- und Forsttechnik daran gearbeitet, die Qualität ihrer Stammdaten zu verbessern. Noch bis 2005 hatte der Konzernzweig von seinen damals über zehn Millionen Artikeln nur die wichtigsten 4.000 in einer jährlichen Datenblattsammlung zusammengefasst.

Diese Sammlung diente, neben den Ersatzteilkatalogen der Maschinenlieferenten, als alleiniges Verkaufsinstrument. Mit anderen Worten: Die Kunden hatten keine Möglichkeit, das gesamte Produktprogramm zu überblicken. Über mehrere Jahre hat die BayWa die heterogenen Rohdaten zu ihren wichtigsten Produkten vervollständigt, bereinigt und stellt sie nun aus einer zentralen Quelle bereit. Nicht nur der Webshop bedient sich der sauberen Stammdaten. Neben dem Konzern profitiert auch das gesamte BayWa-Netz aus Kunden und Lieferanten von der neugeschaffenen Ordnung.

Die BayWa Technik bietet landtechnischen Betrieben, Agrargenossenschaften und Kommunen Maschinen, Geräte und Ersatzteile für Landbestellung und Viehzucht. Das Unternehmen bezieht seine Produkte und Teile von rund 3.000 Herstellern, darunter zirka 300 Hauptlieferanten.

Vor dem Stammdatenprojekt: Brauchten die Kunden eine Ersatzschraube, ein neues Häckselmesser oder einen Traktor, ließen sie sich in der nächsten BayWa-Servicestelle oder -Werkstatt beraten. Dort konnten sie auch in besagter Datenblattsammlung blättern. Diese stellte das Unternehmen einmal im Jahr aus den Daten zusammen, die im ERP-System bereitstanden, indem sie sie manuell ergänzte. Eine wenig umfassende und außerdem reichlich aufwändige Vorgehensweise.

2005 entschied der Konzern, seine Artikel-Stammdaten zentral zu managen. Die RI Solution GmbH, IT-Dienstleister des BayWa-Konzerns wurde mit der Auswahl eines geeigneten Systems und mit der Umsetzung beauftragt. Helmut Baumann, Leiter Business Relationship Management Deutschland der RI Solution, erinnert sich: "Wir brauchten ein Werkzeug, das unseren Mitarbeitern, Partnern und Kunden einen Überblick über alle Produkte und Artikel verschafft. Doch schon damals waren das über zehn Millionen. Ein gigantischer Datenberg lag vor uns." Ein Großteil der Produkte sind Ersatzteile. Da Traktoren oft mehr als 30 Jahre in Betrieb sind, ist die Summe der verschiedenen Ersatzteile und damit der zugehörigen Stammdaten enorm.

Millionen Ersatzteile zentral erfassen

Eine weitere Hürde: Über die Jahre haben sich Artikelnummern vieler Produkte und Ersatzteile mehrfach geändert. Dennoch sollte jedes Produkt auffindbar und eindeutig identifizierbar sein. Wie lassen sich Millionen von Ersatzteilen zentral erfassen? Zunächst musste ein Überblick geschaffen werden: Von den Millionen Artikeln forderten die Kunden nur etwa fünf bis zehn Prozent regelmäßig an. Daher wurden zunächst alle verfügbaren Daten in eine Vorratsdatenbank geladen. Da die Datensätze unvollständig waren bearbeitete die RI Solution sie weiter, komplettierte sie und machte sie so für diverse Zwecke verfügbar.

Dies erfolgt heute zu 99 Prozent mit einem selbstentwickelten Konvertierungsprogramm, das die verschieden gelieferten Daten in einheitlichen Formaten ablegt. Über ein weiteres Programm können die Mitarbeiter von der Verkaufstheke aus Artikel im ERP anlegen und auflisten. Durch die Verknüpfung der Strukturen gelingt es auch, alle relevanten logistischen Daten - verkaufs- wie einkaufsseitig - automatisch zu ergänzen.

Die am meisten genutzten rund zehn Prozent der ERP-Daten wiederum werden im SAP (heute ECC 6.0) gekennzeichnet und über eine Schnittstelle an das Product-Information-Management-(PIM-)System übergeben. Als neutrale Datenbasis entschied sich RI Solution für die Plattform "Step" von Stibo Systems aus.

Das PIM ermöglicht unter anderem eine automatische Übernahme in ein zuvor angelegtes Modell, prüft Plausibilitäten und erkennt diverse Standards wie Eancom (ein Subset des Edifact-Standards) oder e-class (Standard für Produkt- und Dienstleistungsspezifikationen). Es berücksichtigt auch verschiedene Artikelnummern für ältere Ersatzteile, da zahlreiche Verknüpfungen innerhalb des Systems die genaue Identifizierung ermöglichen.

In das neue System pflegte die BayWa jeden Artikel mit maximal 25 Attributen ein. Bei einer Schraube sind das zum Beispiel die Attribute DIN, Durchmesser, Stärke, Länge Härte, Material, Oberfläche, Gewindesteigung, Kopfform und Schaftlänge. Bei einem Rasenmäher werden aber andere Attribute erfasst wie Typ, Fabrikat, Leistung in KW und PS, Treibstofftyp, Arbeitsbreite, Antrieb und Startertyp.

900 Attribute

Das führte dazu, dass insgesamt fast 900 unterschiedliche Attribute zum Tragen kommen. Um die Informationen besser verwendbar zu machen, unterschied der Konzern beim Einpflegen zwischen reinen Produktinfos, umweltrelevanten oder logistischen Elementen. Auch wurde im Datenmodell definiert, welche Teile darin publikationsrelevant sein sollen.

"Für uns ist ein Stammdatensatz gut, wenn er nicht nur viele Informationen in sich trägt, sondern diese gut strukturiert sind. Gegenseitige Abhängigkeiten müssen auf den unterschiedlichen Ebenen definiert sein", erklärt Baumann. Nach knapp zwei Jahren war die erste große Hürde genommen: Rund 60.000 der aktiven Datensätze werden seit 2007 ausschließlich und zentral über das PIM-System gesteuert. Nach und nach soll das Programm alle 650.000 aktiven Datensätze managen.

Trotz der Unterstützung durch das PIM war der manuelle Aufwand für die Datenbeschaffung groß. Hier war die BayWa Technik auf ihre rund 300 Händler angewiesen. Eine wesentliche Aufgabe des Projekts bestand darin, diese zu überzeugen, dass die Bereitstellung vollständiger Stammdaten für alle an der Prozesskette Beteiligten zukunftsweisend ist. "Wir haben immer wieder das Gleiche gepredigt wie der Pfarrer in der Kirche: Wir brauchen vollständige und aktuelle Stammdatensätze", erinnert sich Baumann. Unter den 300 Lieferanten sind nur wenige Konzerne, die meisten mittelständische bis kleine Hersteller.

Nur wenige Partner schickten ihre Daten vollständig, pünktlich, im richtigen Format, geschweige denn regelmäßig. Viele hielten ihre Daten in unterschiedlichen Formaten vor, teilweise sogar zu einem einzigen Produkt. Erst schrittweise vervollständigte sich der digitale Überblick. Ein entscheidender Vorteil dabei war die Kooperation innerhalb der einzelnen Bereiche der genossenschaftlich organisierten BayWa. Diese drängten die Geschäftspartner, ihre Daten nach denselben Anforderungen zu liefern. Immerhin war der Aufwand einmalig für alle Teilmärkte und nicht zuletzt konnten auch die Lieferanten von sauberen Datensätzen profitieren.

"Unsere Durchsetzungskraft hat sich innerhalb der letzten vier Jahre drastisch erhöht", bilanziert Baumann. Er sieht die Ziele zu 90 Prozent erreicht. Auf Grundlage der aussagefähigen und aktuellen Stammdaten stellt die BayWa Technik ihre Kataloge nun automatisch her. Höchstens vier Mitarbeiter sind für sieben verschiedene Kataloge mit mehreren hundert Seiten pro Jahr zuständig. Das gesamte Marketing ist kreativer, zielgerichteter, schneller und zugleich kostengünstiger. Die Flexibilität ist gewachsen: Ein Weihnachtkatalog mit Modellspielzeugen kann aus dem Stand heraus ohne zusätzliches Personal produziert werden.

Endlich einheitliche Informationen

Wie gesagt: Seit November 2009 hat die BayWa Technik auch ihr neuestes Verkaufsinstrument, den Webshop www.tecparts.com, in Aktion. Rund um die Uhr können B2B- und Endkunden im Online-Shop Ersatz- und Verschleißteile und Zubehör für die Landtechnik bestellen. Das zentrale Datenmanagement stellt sicher, dass alle Verkaufskanäle mit einheitlichen Informationen versorgt werden. Dass der ROI aus der damaligen Investition in die zentrale Stammdatenmanagement-Plattform schon lange erreicht ist, steht für Baumann außer Frage.

Statt sich auf den Erfolgen auszuruhen, hat sich die BayWa für die nächsten zwei Jahre neue Ziele gesteckt. Denn die Kunden-Anforderungen wandeln sich auch in der Agrarbranche schnell. Informieren und einkaufen im Internet ist für die meisten Kunden inzwischen normal geworden. Im B2B-Geschäft will die BayWa Technik einen Großteil des Verkaufs über den Webshop abwickeln.

Bis Ende 2011 soll die Anzahl der Stammdatensätze daher von derzeit gut 60.000 auf etwa 80.000 erhöht werden. Auch die Qualität der Daten soll weiter gesteigert werden. Mit dem Step-System lassen sich unter anderem die Stammdatensätze mehrsprachig pflegen. "Wir wollen besonders unsere internationalen Kunden besser erreichen", erläutert Baumann. Teilweise sollen die Datensätze erweitert werden, um genaue Informationen zum Versand und Warenlagerung. Er glaubt, dass viele Unternehmen das Thema Stammdaten-Qualität noch unterschätzen: "Wir bereiten uns heute darauf vor, dass der Datenfluss gerade über die Unternehmensgrenze hinaus zunimmt, und die internen und externen Anforderungen an die Qualität der Daten weiter wachsen werden."

Das Unternehmen

Der BayWa-Konzern hat seinen Schwerpunkt in den Bereichen Groß- /Einzelhandel und Dienstleistungen. Hauptsitz der 1923 gegründeten Muttergesellschaft BayWa AG ist München. Die Geschäftsaktivitäten teilen sich auf in die Segmente Agrar, Bau und Energie. Weitere Beteiligungsgesellschaften befassen sich mit Konsumgüterproduktion und Autohandel.

Der Konzern hat inklusive Franchise- und Partnerfirmen mehr als 2400 Vertriebsstandorte in acht europäischen Ländern. Die Hauptvertriebsgebiete liegen in Deutschland, Österreich und Osteuropa. 2009 erwirtschaftete das Unternehmen mit über 16.000 Mitarbeitern einen Umsatz von rund 7,2 Milliarden Euro. Die RI-Solution mit Sitz in München und Wien ist über eine Ausgliederung der IT entstanden und betreut mit ihren rund 200 Mitarbeitern innerhalb des BayWa-Konzerns über 14.000 Arbeitsplätze, darunter rund 10.000 SAP-Anwender.

BayWa / Stammdaten-Management

Branche

Handel

Zeitrahmen

ab 2005

Produkte

Step (Stibo Systems)

Dienstleister

RI Solution GmbH

Umfang

60.000 Datensätze (bislang)

Internet

www.baywa.de