Investitionen

McKinsey: SCM-Digitalisierung sträflich vernachlässigt

24.04.2017 von Werner Kurzlechner
Die digitale Transformation kostet eine Menge an potenziellem Umsatz- und Gewinnwachstum. Behaupten können sich Unternehmen, wenn sie sich schnell an die Fersen der digitalen Disruptoren heften.
  • Defizite herrschen besonders bei der Digitalisierung der Lieferkette
  • Im Bereich der Ökosysteme fehlt vielen Firmen objektiv die Gestaltungsmacht
  • Wer keine strategischer Vorreiter sein will, braucht umfassende digitale Reife
  • Die klassenbesten Unternehmen investieren auf breiter Front
  • Diese Firmen haben auch unternehmenskulturelle Hürden abgebaut
Diese Grafik zeigt, wie stark die Digitalisierung bei voller Entfaltung auf das Wachstum von Umsätzen und Gewinnen drücken wird. Und wie sehr es das jetzt schon tut.
Foto: McKinsey

Kühne Strategien zahlen sich bei der Digitalisierung aus. Wer sich hingegen zaghaft verhält, droht zum Opfer der dramatischen Auswirkungen auf Umsätze und Gewinne zu werden. Das geht aus dem Artikel "The case for digital reinvention" hervor, der unlängst in McKinsey Quarterly erschienen ist. Das Autorentrio aus dem Hause McKinsey arbeitet darin unter anderem heraus, dass sich insbesondere Investitionen in die Digitalisierung der Lieferkette lohnen könnten.

12 Prozent Minus bei durchschnittlichem Gewinnwachstum

Die Berater Jacques Bughin, Laura LaBerge und Anette Mellbye fassen in ihren Artikel Ergebnisse diverser McKinsey-Studien zum Thema zusammen. Das Resultat liest sich wie das Gegenteil einer Schönwetteranalyse. "Unsere Ergebnisse bestätigen, was viele Vorstände bereits argwöhnen", schreiben die Drei. "Indem ökonomische Brüche abgebaut werden, ermöglicht die Digitalisierung einen Wettbewerb, der das Wachstum von Umsätzen und Gewinnen unter Druck setzt."

Basis aller Ausführungen ist also die Annahme, dass die Digitalisierung auf heftige Weise die durchschnittlichen Wachstumserwartungen senkt. Bei den Umsätzen dämpft diese Entwicklung laut McKinsey schon jetzt das Wachstum um 6 Prozent, bei voller Entfaltung der Digitalisierung wird das Minus 12 Prozent betragen. Bei den Gewinnen mit dem EBIT als Kenngröße liegt der negative Effekt aktuell bei 4,5 Prozent und wird sich laut Prognose auf 10,2 Prozent steigern.

Scheitern trotz Investitionen

Das bedeutet im Klartext eine Verschärfung des Konkurrenzdrucks, dem das schlafmützige Viertel der Firmen nach Einschätzung der Berater zum Opfer fallen dürfte, während das konsequenteste Viertel mit überdurchschnittlichen Gewinnen rechnen darf. Das Tückische daran: Bislang drohen selbst Unternehmen zu scheitern, die durchaus aktiv in ihre digitale Transformation investiert haben.

"In sämtlichen Branchen gilt: Manche Spieler fahren immense Profite ein, während bei vielen anderen das Ergebnis unterhalb ihrer Kapitalkosten bleibt", heißt es im Artikel. Der ROI ist demnach in 23 Prozent der Unternehmen negativ, in einem weiteren Viertel liegt er unter 10 Prozent.

Firmen investieren oft an falscher Stelle

"Die Ergebnisse zeigen an, dass manche Firmen an der falschen Stelle investieren oder dass sie zu viel (oder zu wenig) an der richtigen Stelle investieren - oder schlichtweg, dass ihre Erträge auf digitale Investitionen vom Wettbewerb aufgefressen oder an die Kunden weitergegeben werden", kommentieren die Berater. Dabei gebe es allerdings in jeder Branche Unternehmen, die stark von ihren digitalen Investitionen profitieren.

Dem vor diesem Hintergrund offenkundig virulenten Problem der digitalen Zielrichtung widmet McKinsey deshalb auch einen großen Teil der Ausführungen. Die Berater unterscheiden fünf Ebenen der Digitalisierung, auf denen von Anwenderseite ein höchst unterschiedliches Augenmerk liegt.

Im Fokus der Digitalisierungsstrategie vieler Firmen steht das Marketing. Die Lieferkette hat nur in zwei Prozent der Unternehmen Priorität.
Foto: McKinsey

Marketing und Distribution ist demnach bei 49 Prozent der Unternehmen im Fokus der digitalen Strategie. 21 Prozent haben bei der Digitalisierung vor allem Produkte und Services im Blick, 14 Prozent Prozesse, 13 Prozent Ökosysteme und nur 2 Prozent die Lieferkette.

Löwenanteil der Verluste bei Umsatz- und Gewinn entfällt auf die Supply Chain

Der digitale Reifegrad variiert von 60 Prozent bei Produkten und Services bis lediglich 43 Prozent bei der Lieferkette. Wie McKinsey herausarbeitet, entfällt allerdings der Löwenanteil der prognostizierten Verluste beim Umsatz- und Gewinnwachstum just auf die Supply Chain. Die anderen vier Ebenen werden im Mittel demnach nicht mehr für wirklich dramatische Einbußen sorgen. Ratsam dürfte also in jedem Fall sein, dass Thema Digitalisierung der Lieferkette ernst zu nehmen.

Die Autoren tasten sich auf dieser Grundlage an einige pauschale Urteile heran. Dass nur wenige Anwender in die Digitalisierung von Ökosystemen investieren, erscheint verständlich angesichts der Plattform-Offensiven von Giganten wie Google, Amazon, Alibaba und Tencent in diesem Bereich - die im Übrigen durchaus mit Kollateralschäden in diversen Branchen verbunden sind.

Die Digitalisierung von Marketing und Verkaufskanälen steht wie angemerkt weit oben auf der Agenda der Anwender. Aus Sicht von McKinsey ist sie schlichtweg alternativlos, wenn man im Wettbewerb weiterhin mitmischen will. "Im Abseits Stehen ist keine Option", so die klare Ansage.

Digitale Lieferkette birgt die größten brachliegenden Potenziale

Bei der digitalen Lieferkette liegen die größten brachliegenden Potenziale. Beispiele für ihre Aktivierung liefern laut McKinsey spektakuläre Fälle wie Airbnb und Uber. Diese zapften machtvoll bisher brachliegende Angebotsquellen - Mitwohn- und Mitfahrgelegenheiten - an und aktivierten diese für den Markt.

Wie genau einzelne Unternehmen ihre digitalen Aktivitäten strategisch anlegen sollten, lässt sich freilich nicht wirklich verallgemeinern. "Insgesamt schaffen jene Unternehmen mehr Werte und liefern höhere Gewinne an ihre Shareholder, die ihre Ressourcen strategisch verschieben", heißt es im Aufsatz. "Diese allgemeine Aussage könnte sich umso mehr bewahrheiten, je stärker die Digitalisierung voranschreite."

Was die Klassenbesten anders machen

Konkretisieren lässt sich das durch einen Blick darauf, was das bei der digitalen Transformation besonders erfolgreiche Viertel anders macht als der Rest. Diese Digitalisierungsgewinnler verzahnen laut McKinsey besonders häufig ihre digitale Strategie mit jener für das gesamte Unternehmen. Sie sind deutlich stärker bereit, angesichts der Herausforderung ihre Unternehmensstrategie signifikant zu verändern. 49 Prozent der Klassenbesten investieren erkennbar mehr in die Digitalisierung als andere Unternehmen - und die Investitionen erstrecken sich oftmals auf alle der genannten fünf Ebenen.

Unternehmenskultur, Mentalität und Verhalten entscheidend wichtig

Untermauert werden diese Aktivitäten in der Regel durch besondere Stärken der Unternehmenskultur. Konkret heißt das, dass Mentalität und Verhalten weniger in Silostrukturen gefangen sind und dass die Sicht auf den Kunden nicht mehr fragmentiert ist.

Diese Übersicht zeigt, was digitale Top-Unternehmen anders machen als der Rest. Die Klassenbesten sind dunkel eingefärbt.
Foto: McKinsey

"Eine starke Unternehmenskultur ist aus mehreren Gründen wichtig", stellen die Autoren fest. "Sie verbessert die Fähigkeit, digitale Bedrohungen und Chancen zu erkennen, sie vergrößert den Handlungsspielraum für Antworten auf die digitale Herausforderung und sie unterstützt die koordinierte Ausführung dieser Aktionen über Funktions-, Abteilungs- und Geschäftseinheiten-Grenzen hinweg."

Spannend ist eine weitere Perspektive der Untersuchung. Sie zeigt wie eingangs erwähnt, dass kühnes Agieren besonders erfolgreich sein kann. Daneben gibt es eine ausgewogenere Überlebensstrategie - mit allerdings kleineren Gewinnmargen.

Nettoeffekt von 4,3 Prozent für disruptives Agieren

Ausgangspunkt der Überlegungen ist die bereits angeführte Prognose, dass die Digitalisierung bei voller Entfaltung 12 Prozent des Umsatzwachstums zu schlucken droht. McKinsey fragt sich nun jenseits der einzelnen Digitalisierungsebenen, wie einzelne Firmen diesen Verlust überkompensieren können. Geschehen kann dies demnach auf zwei Wegen.

Zwei mögliche Reaktionen auf Digitalisierung

Die erste und profitabelste Herangehensweise ist das Fahren einer disruptiven Strategie, was nach Rechnung von McKinsey alleine bereits 12,3 Prozent an Umsatzzuwachs bringt. Selbst eine durchschnittliche Ausführung bringt weitere 4 Prozent an Wachstum, so dass am Ende ein Plus von 4,3 Prozent netto steht.

Das Problem daran: Bei aller Bewunderung für die Plattformen, die Google, Amazon, Alibaba und Tencent geschaffen haben, können wohl nur wenige Firmen dieses Spiel auf dem Level der Ökosysteme erfolgreich mitspielen. Ein Alternative ist also gefragt.

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Diese besteht aus dem Verfolgen einer Fast-follower-Strategie, also dem schnellen Anwenden erfolgsversprechender Ansätze, die die Konkurrenz vorgemacht hat. Bringt laut McKinsey immerhin 5,3 Prozent an Zuwachs. Bei hervorragender Ausführung sind weitere 7,1 Prozent drin, so dass sich netto immerhin ein kleines Plus von 0,4 Prozent ergibt.

Dieses Profil beinhalte mehr Spielraum für strategische Fehler, so McKinsey: "Man muss seine Wetten nicht ganz so präzise platzieren." Außerdem steige die Prämie für die Exzellenz der Ausführung. Einfach ist es dennoch nicht, auf der Siegerseite der Entwicklung zu stehen.

"Um eines klar zu sagen", warnt McKinsey. "Dieser Ansatz verlangt Agilität auf Vorreiterniveau, um bei allen operativen und organisatorischen Aspekten der digitalen Reife herausragen zu können."