IT-Manager wetten

Mensch und AI gehen Hand in Hand

14.08.2019 von Markus Sontheimer
Markus Sontheimer wettet, dass im Jahr 2024 AI-Anwendungen bei den etablierten Playern, nicht nur in der Logistikbranche, so selbstverständlich zum Tagesgeschäft gehören werden wie heute Word oder Excel.
Markus Sontheimer ist CIO/CDO und Mitglied des Vorstands der Schenker AG.
Foto: Schenker AG

Im vorherigen Jahrbuch 2018 wurden an dieser Stelle Thesen zum Thema künstliche Intelligenz oder AI (Artificial Intelligence), vorgestellt. In den Ausführungen wurde postuliert, dass AI-Anwendungen einen tiefgreifenden Einfluss auf die Mitarbeiter und Produkte von Industrieunternehmen haben werden. Den Anwendungsgebieten von AI sind dabei nahezu keine Grenzen gesetzt. Erste Entwicklungen, die anhand unterschiedlicher Beispiele für die kommenden Jahre vorhergesagt wurden, werden bereits heute sehr konkret in der Logistik implementiert.

Die Kernaussage, dass Mensch und Maschine in Zukunft Hand in Hand arbeiten werden, kann ich mit Blick auf die konkreten Anwendungsfälle, die wir in der Logistikbranche identifiziert haben, nur unterstreichen. Die Transformation hin zu einer AI-gestützten Arbeitswelt, die bereits begonnen hat, und die Veränderungen in der Arbeitsrealität des Einzelnen vollziehen sich aber auf andere Weise, als es die Kritiker dieses Technologiezweigs prophezeien. AI bedeutet nicht die Schaffung eines allwissenden und alles kontrollierenden Computers, der den Menschen in der Arbeitswelt über kurz oder lang überflüssig macht.

Vielmehr ist AI ein Sammelbegriff für Forschungsfelder, die sich mit der Generierung menschenähnlicher Intelligenzleistungen durch Maschinen befassen. Maschinelles Lernen ist dabei ein Teilgebiet der AI. Dahinter stehen hoch­spezialisierte Algorithmen, die mit sachbezogenen Datensätzen trainiert und für die Zielanwendung kalibriert werden, um letztlich die Fähigkeit zu erlangen, selbständig Entscheidungen zu treffen.

Ein Kommissionierroboter stellt Pakete in der zuvor berechneten optimalen Reihenfolge auf eine Palette.
Foto: Schenker AG

Revolution in der Logistik

In meinem Ausblick auf die kommenden fünf Jahre, den ich hier geben möchte, liegt mein Augenmerk auf der konkreten Umsetzung dessen, was nicht weniger als eine Revolution in der Logistik bedeutet. Um die Zukunft dieser Branche zu verstehen, muss man sich zunächst mit ihrer Vergangenheit befassen. Die Wertschöpfung von Logistikunternehmen bestand in der Vergangenheit darin, die für Außenstehende intransparenten Prozesse im Transportmarkt zu überblicken und die zahlreichen Akteure zu koordinieren und zusammenzubringen.

Durch eine fortschreitende Digitalisierung, die schrittweise für eine wachsende Transparenz im Transportmarkt sorgt, kann dieses Geschäftsmodell heute so nicht mehr funktionieren. Diese Entwicklung wird wesentlich durch drei unterschiedliche Unternehmenskategorien vorangetrieben: traditionelle Logistikunternehmen, innovative Startups und Technologieunternehmen, die sich mit der flächendeckenden Verbreitung des Internets etabliert haben.

Die Treiber der Entwicklung

Die alteingesessenen Logistikunternehmen etablieren zahlreiche technische Lösungsansätze, die Transportprozesse durch beispielsweise Tracking- und Tracing-Anwendungen für ihre Kunden sichtbar gemacht haben. Die neuen technischen Möglichkeiten durch den zunehmenden Vernetzungsgrad, den die Kunden dabei in nahezu allen Wirtschaftsbereichen vorfinden, erzeugen einen Nachfragesog, den es zu bedienen gilt.

Zweitens entstanden in den vergangenen Jahren Hunderte von Startups, die sich ebenfalls auf die Digitalisierung und die Erhöhung der Transparenz von Logistikprozessen spezialisiert haben.

Und drittens rücken die großen Technologieunternehmen, darunter Google und Alibaba, in diese für sie neuen Tätigkeitsbereiche vor. Sie interessieren sich generell für die Digitalisierung großer Märkte, vor allem wenn diese heute noch zum größten Teil manuell bedient werden - so wie der Logistikmarkt.

Als Schlüsseltechnologien finden in allen drei Unternehmenskategorien ausgefeilte Algorithmen, Verfahren zur Datenanalyse und AI-Anwendungen ihren Einsatz. Im Folgenden möchte ich betrachten, wie sich durch AI und AI-gestützte Technologien die Bereiche Routenoptimierung/ETA (Estimated Time of Arrival), die antizipative Logistik (Fourth Party Logistics/4PL) und das "Lager der Zukunft" entwickeln werden.

Die vielleicht älteste Herausforderung in der Planung von Logistikprozessen ist die Streckenoptimierung. Dabei muss die zeitlich günstigste Route für beispielsweise eine Lkw-Fahrt gefunden werden, über die alle Kunden einer Auslieferungstour in einem vordefinierten Zeitraum angefahren werden. Für dieses mathematische Problem gibt es bereits seit den 1930er- Jahren Lösungsansätze, deren Genauigkeit mit dem Aufkommen und der Weiterentwicklung der Computertechnologie stetig verbessert werden konnten.

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Foto: CIO.de

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AI krempelt Logtik um

Die verwendeten Rechenmodelle fußen dabei auf größtenteils statischen Daten und Restrik­tionen wie beispielsweise Straßenkarten. Unter Einbeziehung von Erfahrungswerten lassen sich solche Optimierungsmodelle erweitern, so dass sich beispielsweise saisonale Schwankungen durch Urlaubszeiten oder Feiertage berücksichtigen lassen. Diese Art von Optimierung wirkt sich auf den Einsatz wertvoller Ressourcen aus und hat somit nicht nur monetäre, sondern auch ökologische Vorteile.

Durch die Anwendung von AI ergeben sich Möglichkeiten der Optimierung, die jedoch noch viel weiter gehen. Spezielle Algorithmen des maschinellen Lernens erkennen Muster und Trends, die der menschlichen Intelligenz verborgen bleiben. Sie berücksichtigen zusätzliche Faktoren wie aktuelle Verkehrs- und Wetter­daten oder Arbeitsprozesse im Ziellager, die für die Optimierung der Route während der Fahrt in Echtzeit genutzt werden können. In Zukunft werden Fahrer nicht mehr mit einer festgelegten Route starten, sondern dynamischen Hinweisen eines AI-gestützten Navigationssystems folgen. Die Fahrer können so nicht nur Staus vermeiden, sondern auch Wartezeiten vor den Lagern verkürzen.

IoT und AI optimieren SCM

Kundenseitig liegt der Vorteil in dieser Entwicklung zunächst darin, dass die Zuverlässigkeit der geschätzten Ankunftszeit (Estimated Time of Arrival) sich erheblich verbessert. Immerhin wird die Routenplanung in die Prozesse der Kunden integriert. In fünf Jahren wird sich das Anwendungsgebiet hier noch wesentlich vergrößern: Als Experten im Bereich Supply-Chain- Management (SCM) werden Logistikunternehmen ihren Kunden unter dem Begriff Fourth Party Logistics Leistungen anbieten, die weit über die reine Güterdistribution hinausgehen. Selbstlernende Algorithmen werden es Logistikunternehmen ermöglichen, die gesamte Supply Chain ihrer Kunden, also sowohl den reinen Transportprozess als auch die internen Betriebsabläufe, zu analysieren und zu optimieren.

Die Grundlage dafür liefert das Internet of Things (IoT), das mit Hilfe von zahlreichen Sensoren alle nötigen Daten erfasst und mit anderen Umgebungsdaten wie beispielsweise GPS- und Wetterdaten verknüpft. In fünf Jahren werden die IoT-Sensoren so weit geschrumpft sein, dass sie bereits in frühen Stufen des Produktionsprozesses direkt in den Produkten verbaut werden können.

Am Ende entsteht die volle Transparenz im Produkterstellungs-Prozess bis hin zur Möglichkeit, den gesamten Produktlebenszyklus zu analysieren und zu optimieren. Durch den Einsatz von AI beginnt Logistik mit dem Antizipieren des Kundenbedarfs auf der einen und der Vorhersage der Lagerabsatzmengen auf der anderen Seite. In den Lagern ergeben sich außerdem weitere Herausforderungen, bei denen AI zum Einsatz kommen wird.

Lagerlogistik automatisieren

Heute werden in Lagern Waren so lange zwischengelagert, bis Händler oder Endkunden sie daraus abrufen. Das Wachstum im E-Commerce wird auch in den nächsten Jahren nicht abnehmen; in den Innenstädten dominieren über kurz oder lang die Show-Rooms. Somit steigt der Bedarf an Fläche in den Warenlagern enorm. Gleichzeitig klettern mit der Population in den Ballungsräumen die Preise für stadtzentrumsnahen Wohn- und eben auch Lagerraum.

Einerseits entsteht so Bedarf an kleinen zen­tralen Lagerflächen, sogenannten Microhubs, mit einem hohen Warendurchsatz. Andererseits verlassen größere Lager die Städte und werden auf dem Land errichtet. Beides führt zu einer größeren Komplexität in der Belieferung von Kunden innerhalb eines Stadtgebiets. Die Abläufe in den Lagern müssen daher eng an die Transportwege zum und vom Lager gekoppelt werden, um effizient zu sein.

In diesem Bereich wird daher die Bedeutung von Automatisierungskonzepten zunehmen. Bereits heute werden Güter mit Hilfe von kleinen Robotern automatisch transportiert und Abrufmengen durch algorithmische Verfahren vorausberechnet. Auch der Einsatz von Drohnen für den Transport innerhalb von Hallen ist längst keine Zukunftsmusik mehr. Zukünftig werden der Transport in den Lagern und die Be- und Entladungen der Lkw mit allen Arten von sich autonom bewegenden Flurförderzeugen wie beispielsweise Gabelstaplern erledigt. Auch der Lkw, der die Waren bringt oder abholt, fährt autonom zur Rampe und wird dort automatisch entladen. Gleichzeitig fahren auf dem Gelände des Logistikers autonome Umsetzfahrzeuge, die leere und volle Ladungsträger bewegen.

Neue Brückentechnologien

Die Ware wird daher komplett automatisch vom Lagerplatz in den nachfolgenden Verkehrsträger geladen, der anschließend autonom das Gelände verlässt, um die Sendung an seinen Bestimmungsort zu bringen. Bevor solche Automatisierungskonzepte vollumfänglich zum Einsatz kommen, ist es erforderlich, die dafür benötigte AI zu trainieren.

Daher werden die Menschen, die heute in den Lagern arbeiten, in den nächsten fünf Jahren verstärkt mit Brückentechnologien wie Wear­ables, Datenbrillen und -handschuhen oder Exoskeletten bei ihrer Arbeit unterstützt. Kameras im Lagerhaus schauen den Lagerarbeitern buchstäblich über die Schulter und lernen dabei, wie die Arbeit erledigt werden kann. Im Lauf der Zeit greift die AI dann zunehmend in die Abläufe ein: Zunächst beispielsweise durch die Optimierung der Laufwege von Lagerarbeitern, später über die proaktive Anforderung von Waren und schließlich durch den Einsatz von vollautomatisierten Lagern.

Nur weil theoretisch die Möglichkeit dazu besteht, wird es jedoch keine vollumfängliche Automatisierungslösung für alle Anwendungsfälle geben: Abhängig vom Einsatzgebiet bieten sich unterschiedliche AI-gestützte Anwendungen an. In stark frequentierten Lagern, wie beispielsweise im E-Commerce, werden hochautomatisiert

Lösungen zum Einsatz kommen. Bei komplexen Fertigungsprozessen wie im Maschinen- oder Flugzeugbau werden AI-Anwendungen eher weiter darauf abzielen, dem Menschen bei seiner Arbeit unterstützend unter die Arme zu greifen.

Jetzt anfangen

Alle genannten Beispiele führen uns deutlich vor Augen, dass wir heute die Weichen für die Technologien von morgen stellen. Wer heute noch die Diskussion führt, ob AI schon so weit ausgereift ist, dass ein Einsatz sinnvoll ist, der hat das zugrunde liegende Konzept nicht durchdrungen.

Damit in den nächsten fünf Jahren einsatzfähige AI-gestützte Dienste und Produkte eine Veränderung in der Art und Weise, wie wir leben und arbeiten, herbeiführen können, müssen wir bereits heute mit dem Einsatz beginnen. Die Daten, auf deren Grundlage der Einsatz von AI-gestützten Anwendungen basiert, müssen möglichst ab sofort gesammelt, aufbereitet und ausgewertet werden.

Autonome Fahrzeuge bewegen sich frei in der Halle und fahren praktisch überall hin. Sie steuern ihre Ziele direkt an und folgen keiner starren Linienführung mehr.
Foto: Schenker AG

Die Stoßrichtung, wo uns AI in Zukunft hin­führen wird, ist klar. Die Frage bleibt, ob das Know-how etablierter Unternehmen auf AI-Anwendungen übertragbar ist und bestehende Ge-schäftsmodelle somit weiterentwickelt werden können. Möglicherweise etablieren sich neue Unternehmen mit innovativen, bisher unbekannten Ansätzen und verdrängen damit die etablierten Logistiker.

AI wird Tagesgeschäft

Bei näherer Betrachtung der zugrunde liegenden Methoden wird schnell deutlich, dass es sich hier nicht um eine komplizierte Wissenschaft handelt, deren Beherrschung einen uneinholbaren Technologievorsprung bedeutet. Es handelt sich bei AI eher um ein Werkzeug zur Datenanalyse und Entscheidungsunterstützung. Um dieses Tool sinnvoll nutzen zu können, braucht es das tiefe fachliche Wissen über das entsprechende Anwendungsgebiet.

Meine Prognose lautet daher, dass im Jahr 2024 AI-Anwendungen bei den etablierten Playern, nicht nur in der Logistikbranche, so selbstverständlich zum Tagesgeschäft gehören werden wie heute Word oder Excel. Dennoch ist zum erfolgreichen Einsatz dieses Werkzeugs immer noch die Erfahrung in dem jeweiligen Anwendungsgebiet und somit das Wissen um die Mechanismen innerhalb einer Branche entscheidend. Fürchten wir also nicht die eine AI, die unseren Alltag dominiert, sondern freuen wir uns auf ein breites Spektrum an Möglichkeiten, das uns für die verschiedensten Anwendungsfälle zur Verfügung stehen wird.

CIO-Jahrbuch 2019
Foto: CIO.de

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