Larry Ellison setzt auf Fusion

Merger-Maschine Oracle

02.06.2008 von Eva Müller
Wie besessen kauft Oracle-Gründer Larry Ellison Firmen auf. Dennoch funktioniert der wuchernde Software-Konzern erstaunlich gut.
Oracle CEO Larry Ellison
Foto: Oracle

Ein "Nein" als Antwort akzeptiert Larry Ellison (63) einfach nicht. Der Oracle-Gründer setzt seinen Kopf durch - koste es, was es wolle. 8,5 Milliarden Dollar zum Beispiel. So viel will der Chief Executive Officer (CEO) des zweitgrößten Software-Konzerns der Welt für BEA Systems zahlen. Monatelang hatte sich das Unternehmen gegen eine feindliche Übernahme durch Oracle gesträubt. Doch Larry ließ nicht locker.

Der Pionier des Silicon Valley aktivierte sein weitverzweigtes Beziehungsnetz - schließlich hat schon fast jeder Top-Manager im Umland von San Francisco irgendwann einmal für den Egomanen gearbeitet. Er drohte, schmeichelte, taktierte und bot schließlich mit 19,375 Dollar pro BEA-Aktie deutlich mehr als ursprünglich geplant.

Nicht zum ersten Mal. In den vergangenen 38 Monaten kaufte der hyperehrgeizige Unternehmer 39 Software-Firmen zu Spitzenpreisen - darunter gegen erbitterten Widerstand ehemalige Rivalen wie Peoplesoft und Siebel. Insgesamt investierte er weit mehr als 30 Milliarden Dollar - alles für ein einziges Ziel: den Erzrivalen SAP auszustechen.

Dieser Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung von manager-magazin.de.
Foto: manager-magazin.de

Schnell kaufen, erfolgreich integrieren. Was den meisten Unternehmen schon bei einer einzigen Übernahme misslingt - laut einer Studie von Ernst & Young scheitert jede zweite Akquisition -, schafft Ellison am laufenden Band. "Oracle hat die Integration von Firmen zu einer wahren Wissenschaft entwickelt", erklärt Michael Fauscette, Chefanalyst des Marktforschers IDC, die Kalifornier zum Vorbild für alle kauffreudigen Konzerne - nicht nur in der Technologieszene.

Die Zahlen jedenfalls stimmen. Der Oracle-Umsatz hat sich knapp verdoppelt - von 9,5 Milliarden Dollar im Geschäftsjahr 2003 (zu Ende Mai) auf fast 18 Milliarden Dollar 2007. Der Gewinn litt mitnichten unter den normalerweise üblichen Assimilationswehen, sondern zog im gleichen Zeitraum von 2,3 auf 4,3 Milliarden Dollar an. Damit wächst Oracle sehr viel schneller als SAP. Auch die Gewinnmarge liegt mit 24 Prozent über der der Walldorfer (19 Prozent) - auch wenn die Deutschen beim weltweiten Marktanteil deutlich vorn liegen.

Reichtum interessiert Oracle-Gründer Ellison nicht

Das wuchernde Konglomerat Oracle funktioniert offenbar erstaunlich gut. Denn hinter dem auf den ersten Blick blinden Kampf um die Vorherrschaft stecken eine durchdachte Strategie und eine akribisch ausgefeilte Methode.

So ausgeflippt Ellison mit seinem japanischen Landgut, dem Jagdbomber, der nach ewigem Leben forschenden Gesundheitsstiftung und der Kitschromane schreibenden Viertgattin auch wirken mag - seine Fähigkeiten als visionärer Geschäftsmann hat er in den vergangenen 30 Jahren eindrucksvoll bewiesen. Seit er 1977 in einem IBM-Papier über eine neuartige Form der Datenorganisation einen riesigen neuen Markt witterte, kennt seine Karriere kaum Grenzen. Der Bartträger baute sein Unternehmen, das den Markt für Datenbanken dominiert, zu einem der erfolgreichsten der Welt auf. Lange schon zählt er zu den reichsten Menschen auf dem Globus - einmal nahm er sogar kurz die Topposition ein.

Doch Reichtum interessiert den Branchenguru nicht: "Was ist schon Geld? Nicht mehr als eine Methode, vorn zu bleiben." Ellison muss unbedingt siegen - und diesen Willen verfolgte er stets äußerst aggressiv, aber auch extrem systematisch.

Der Kämpfergeist des jungen Lawrence, der bei Adoptiveltern aufwuchs, wo er dem Vater kaum etwas recht machen konnte, beherrscht den Konzern. Obwohl Ellison, früher ein notorischer Großsprecher, der Öffentlichkeit und seinen mittlerweile 75.000 Mitarbeitern gegenüber seit einiger Zeit kaum noch Angebersprüche macht - Oracle hält er fest im Griff. Ellison formuliert die Vision, bestimmt die Strategie und trifft alle wichtigen - und manchmal auch weniger bedeutsamen - Entscheidungen.

Das lästige Tagesgeschäft allerdings - der Segelfan will schließlich auch den America's Cup gewinnen - halten ihm seine zwei Topleute vom Hals, Chief Financial Officer (CFO) Safra Catz (46) und President Charles Phillips (48).

Die Finanzchefin gilt als engste Vertraute des CEOs. So soll die gut vernetzte Ex-Investmentbankerin ihrem Chef die Idee eingeimpft haben, die Softwarebranche zu konsolidieren. Sie entwickelte die Systematik für die Übernahmen und managt die Integration der gekauften Firmen.

Phillips, der Oracle bis 2003 als Analyst bei Morgan Stanley verfolgte, kümmert sich um Vertrieb und Marketing. Der ehemalige Marineoffizier sorgt für Disziplin in der gobalen Matrixorganisation, die eine Vielzahl an Regionen, Industrien und Produktlinien koordiniert und durch die ständigen Zukäufe immer komplexer wird.

Klare Strategie, eingespieltes Führungsteam und saubere Methodik - Oracle hat das Kaufen von Unternehmen zu einer perfekt geschmierten Übernahmemaschine gemacht. "Akquirieren, das können sie wirklich toll", zollt selbst Léo Apotheker, Co-Vorstandschef des deutschen Konkurrenten SAP, Respekt - freilich nicht, ohne seinen größeren Marktanteil zu betonen.

Die enorme Professionalität hat Bhashkar Gorti (41) am eigenen Leib erfahren: "Von den ersten Verhandlungen bis hin zur vollständigen Integration läuft ein minutiös abgestimmtes System von fest definierten Einzelschritten ab." Im Juli 2006 kaufte Oracle sein auf Abrechnungs-Software für die Kommunikationsindustrie spezialisiertes Unternehmen Portal Software. Heute sind dessen Produkte Teil eines breiten Angebots für die Telefonbranche. Der ehemalige Portal-CEO steht mittlerweile der aus etlichen weiteren Akquisitionen gebildeten Geschäftseinheit Kommunikation vor.

Das Beispiel ist symptomatisch für die Vorgehensweise von Catz. Im ersten Schritt analysiert die Finanzerin, ob und wie der anvisierte Neuzugang das Portfolio ergänzt. Sie interessiert sich nur für Unternehmen, die entweder einzelne Branchen mit Spezialangeboten bedienen - wie etwa auch die auf den Einzelhandel fokussierte Retek, die Oracle 2005 SAP vor der Nase wegschnappte. Oder die Firmen offerieren zusätzliche Funktionen für unternehmensinterne Computersysteme - von der Datenbank über die sogenannte Middleware, die unterschiedlichste Programme verknüpft (BEA, Januar 2008), bis hin zu Anwendungen etwa für Personalverwaltung (Peoplesoft, Januar 2005), Kundenbetreuung (Siebel, Januar 2006) oder intelligente Datenauswertung (Hyperion, März 2007).

Software-Hersteller richten Produkte an Oracle aus

Ziel der Übung: Der Konzern soll alle Software-Anforderungen eines Unternehmens bedienen und sich so einen möglichst hohen Anteil an dessen IT-Budget sichern. Oracle bietet deshalb ein viel breiteres Spektrum an als die auf betriebswirtschaftliche Programme spezialisierte SAP .

Als Nächstes checkt Finanzchefin Catz gemeinsam mit den Entwicklern, ob die Produkte der Kaufobjekte mit der Oracle-Technologie harmonieren. "Unsere Produkte bauten von Anfang an auf Oracle auf, deshalb war die technische Integration sehr einfach", schildert Gorti den typischen Fall. Da der Konzern rund 50 Prozent Anteil am Markt für Datenbanken hält - eines der grundlegenden Elemente der IT-Infrastruktur eines Unternehmens -, richten die meisten Software-Hersteller ihre Produkte zumindest teilweise auf die Kalifornier aus.

Jetzt muss der Kandidat nur noch das letzte und alles entscheidende Kriterium erfüllen. Sein Geschäft muss kontinuierlich Gewinne erwirtschaften, damit er als Teil von Oracle sein Scherflein zur Steigerung der Marge beiträgt. Sofort nach Vertragsabschluss setzt die Übernahmestrategin dann ihre Integrationstruppen in Marsch. Nach einem exakten Leitfaden übertragen Experten aus der Zentrale und aus den zuständigen Geschäftsbereichen die Oracle-Methodologie auf das Übernahmeobjekt.

Die berüchtigten HQ-Apps zum Beispiel, die total standardisiert alle Abläufe im Unternehmen regeln. Für jeden Vorgang - von Berichten über Kundenkontakte bis zur Genehmigung von Rabatten - existiert ein Formular im internen System. An diesen Workflow hat sich jeder Mitarbeiter zu halten. Ob Sachbearbeiter oder Top-Manager: Jeder muss die geforderten Informationen in den Computer tippen und auf die zugehörigen Bestätigungs-Mails warten. Das können schon mal 300 Stück am Tag sein, deren Bearbeitung regelmäßig ein bis zwei Stunden Zeit erfordert.

Wem das strikte Reglement nicht gefällt, der verlässt seinen neuen Arbeitgeber besser gleich. Denn Catz vollzieht in typisch amerikanischer Manier unmittelbar nach Vollzug der Übernahme die notwendigen Grausamkeiten. Widerspenstige Führungskräfte müssen gehen. Jobs, die durch Synergien in der Verwaltung überflüssig werden, werden innerhalb kürzester Zeit abgebaut. Die Entwickler und Vertriebskräfte aber versucht Oracle mit allen Mitteln zu halten, damit Fachwissen und persönliche Kundenkontakte nicht verloren gehen.

Globale Standardisierung

Gnadenlose Assimilation und harte Disziplin, solch harsches Regiment mag manch einer - wie SAP-Vorstand Apotheker - als "barbarisch" empfinden. Deutschland-Geschäftsführer Jürgen Kunz (47) aber fühlt sich durch die globale Standardisierung entlastet: "Ich muss vor Ort nicht Prozesse optimieren, sondern kann mich voll auf die Kunden konzentrieren."

Allerdings muss der Landeschef seine Aufmerksamkeit auch wirklich voll der Klientel widmen. Schließlich sollen die durch die Übernahmen akquirierten Kunden bei der Stange bleiben. Oracle will einerseits an den Wartungskosten für deren installierte Software verdienen. Andererseits sollen die Verkäufer der Kundschaft möglichst noch weitere Produkte aus dem Portfolio des Konzerns schmackhaft machen.

Um Abwanderungsgefahren zu begegnen, garantierte Außendienstleiter Phillips den Besitzern von Software übernommener Firmen, dass ihre vertrauten Programme nicht nur weiter gepflegt, sondern auch technisch fortentwickelt werden. Diese Zusage führte tatsächlich zu weitgehender Treue der Kunden.

Gleichzeitig jedoch entstand bei Oracle eine fast unüberschaubare Palette unterschiedlicher Produkte und Marken - inklusive Doppelt- und Dreifachangeboten zum gleichen Thema. Ordnung im Vertrieb dieses chaotischen Gebildes schafft der Ex-Marine mit militärischer Präzision. Sein Wort ist Befehl - im absolut zentralistisch ausgerichteten Marketing wie bei den Verkäufern in den Regionen.

Die Quoten, die Phillips mit großem Geschick so setzt, dass sie die Oracle-Vertriebler motivieren, alle - also auch die neuen - Produkte anzupreisen, sind nicht verhandelbar. Einmal im Monat werden die vorher in Scorecards festgelegten Leistungsindikatoren überprüft - und wehe, die Zahlen stimmen nicht.

Strenge Disziplin in der Routine, Freiheit in der Kreativität

Der Mann, der zu Beginn einer Hausmesse schon mal eine Gedenkminute für die Veteranen der US-Armee einlegen lässt, legt Wert auf Drill. Seine gefürchteten Feueralarmübungen bringen so manchen Mitarbeiter an seine Grenzen - etwa wenn er übers Wochenende alle Interessenten für ein Finanzprodukt in Südeuropa zusammenstellen soll.

Einmal pro Quartal müssen Phillips' Offiziere aus aller Welt in den türkis schimmernden Türmen rund um den künstlichen See "Larry's Lagune" in der Oracle-Zentrale in Redwood City aufmarschieren. Anderthalb Tage lang debattieren die Regionalverantwortlichen mit der obersten Heeresleitung über ihre Pläne und Wünsche - im freien Gespräch und in Arbeitsgruppen. Folienschlachten und langatmige Präsentationen sind verpönt, dafür wird die Zusammenarbeit von Vertretern aus den verschiedensten Ländern gefördert.

Die Ergebnisse aus den Foren zeitigen schnell Konsequenzen. "Gut begründete Vorschläge werden ratzfatz umgesetzt", schwärmt ein Teilnehmer: "Das gibt mir das Gefühl, im Unternehmen wirklich etwas bewegen zu können. "Strenge Disziplin in der Routine und weitgehende Freiheit im Kreativen - in dieser ungewöhnlichen Kombination scheint das Geheimnis der Organisation Oracle zu liegen.

Jetzt allerdings will CEO Ellison so etwas wie ein technisches Wunder vollbringen. All die unterschiedlichen Programme, die er zusammengekauft hat, sollen zu einem harmonischen Ganzen zusammenfinden.

Projekt "Fusion" nennt sich die Herkulesaufgabe, die der Technikfan seinen Programmierern unter Leitung von Charles Rozwat (60) gestellt hat. Eine innovative Architektur soll das Beste aus dem Software-Sammelsurium zu einer Einheit verschmelzen und zugleich einen eleganten Übergang von den alten Produkten in die neue Welt schaffen.

Ellison hat das komplizierte Vorhaben zur Chefsache erklärt. Ständig mischt er sich ein, agiert als oberster Prüfer der Testversionen. Rund um die Uhr hält er die Entwickler mit seinen Ideen auf Trab. Wer nicht spurt, fliegt - so etwa im vergangenen Herbst der zuvor hoch gelobte Chef der Anwendungsentwicklung, John Wookey (49).

2009 soll die gesamte Suite auf den Markt kommen. Die Branche, die dem Produkt schon den Spitznamen "Konfusion" verliehen hat, bleibt aber skeptisch. "Gesehen hat Fusion bislang noch niemand", bringt SAP-Vorstand Apotheker die Zweifel auf den Punkt.

Die internationalen Investoren indes scheinen - allen technischen Risiken zum Trotz - von der Leistungsfähigkeit Oracles überzeugt. Sie honorierten die erfolgreiche Übernahmestrategie, die dem Konzern starkes Wachstum bei steigenden Gewinnen bescherte, mit einer Kursrally.

Die Aktie des Konglomerats hat seit Beginn des Kaufrauschs ihres Gründers 2004 um rund 45 Prozent zugelegt. Das SAP-Papier büßte dagegen trotz der unbestrittenen Marktführerschaft der Deutschen im gleichen Zeitraum sechs Prozent an Wert ein.