Frank Annuscheit, CIO Commerzbank

Netzwerker im Bankenviertel

02.12.2004 von Andreas Schmitz
Ende 2003 hatte Frank Annuscheit das Outsourcing-Geschäft mit IBM platzen lassen – gegen den damaligen Trend in der Branche. Doch hat der 42-jährige CIO der Commerzbank IBM trotzdem an Bord gehalten – als Berater für die "interne Optimierung" des betreffenden Investment-Geschäfts. Ein Indiz für sein Verhandlungsgeschick.

FRANK ANNUSCHEIT hätte sein Büro auch im 49. Stock des Commerzbank-Tower im Frankfurter Bankenviertel haben können. Hier hätte er die Konkurrenz gut im Blick gehabt – die DZ-Bank, die Dresdner, seinen langjährigen Arbeitgeber, die Deutsche Bank. Doch der CIO der Commerzbank zieht es vor, an der Basis zu sitzen – im Erdgeschoss des Dienstleistungszentrums, etwa 500 Meter von der repräsentativen Zentrale des Finanzkonzerns entfernt, allerdings stets mit Blick auf den mehr als 250 Meter hohen Giganten. Zwei Mal am Tag spaziert Annuscheit sowieso zu Meetings hinüber. Hier traf er Ende 2003 gemeinsam mit dem IT-Vorstand der Bank Andreas de Maizière jene spektakuläre Entscheidung, die ihm wenige Monate nach seinem Einstieg bei der Commerzbank zunächst den Ruf eines Enfant Terrible eingebracht hat, das einen rigiden Anti-Outsourcing-Kurs fährt. Der Grund: Die Commerzbank lagerte das Investment-Banking nicht an IBM aus, sondern baute zunächst die IT-Organisation um. Die Entscheidung fiel gegen den damaligen Trend, so Annuscheit, der in der Entscheidung kein Desaster entdecken kann. Outsourcing ist ein wichtiges Instrument, aber kein Allheilmittel. Prozesse, die ausgelagert werden, müssen jederzeit wieder reinzuholen sein – sämtliche Schnittstellen im Haus bleiben. Das Problem bei der Auslagerung des Investment-Geschäfts: Sowohl die Anwendungsentwicklung (Annuscheit: Unbestritten eine Kernkompetenz) als auch die Infrastruktur sollten an IBM gehen.

Ein solches Vorgehen hatte bei der Commerzbank noch 2003 organisatorisch Sinn gemacht. Damals verantwortete ein Bereichsleiter beide Sektionen, während im Commercial Banking je ein Verantwortlicher für die Infrastruktur, die Anwendungsentwicklung und das Transaktions-Banking zuständig war. Jetzt entscheiden drei statt fünf. Annuscheit verkürzte die Entscheidungswege und berief je einen Entscheider für die Anwendungsentwicklung, die Infrastruktur und das Transaktionsgeschäft. Deren Verantwortung liegt nun zugleich im Investment- wie im traditionellen Commercial Banking-Geschäft. In dem Zuge koppelt der IT-Chef die getrennten Infrastrukturen des Investment- Geschäfts und der Restbank. Bei dieser Optimierung berät die geschasste IBM nun die Bank.

Outsourcing unter Argusausgen

Dass Annuscheit das Auslagern von Prozessen und Systemen nicht durchweg ablehnt, sondern von Fall zu Fall abwägt, zeigt der knapp drei Monate später von ihm abgeschlossene 20-Millionen-Euro-Vertrag mit Siemens Business Services. Der Münchener Dienstleister betreibt und konsolidiert in den kommenden drei Jahren die Serverlandschaft an 750 Standorten.

Der 42-jährige Mann mit der markanten Brille strahlt Ruhe aus. Nicht das hektische Höher, schneller, weiter ist Annuscheits primärer Antrieb, sondern Kooperation – mit Führung auf Augenhöhe. Die Dynamik des Marktes, die Bandbreite vom Investment- bis zum Commercial-Banking, Mitarbeiter nicht nur in Deutschland, sondern auch in London, Tokio und Singapur – da gibt es zu einem kooperativen Führungsstil keine Alternative, sagt der CIO, der in freien Stunden schon mal zur Bibliothek hinübergeht und sich bei alten Philosophen Tipps abholt: Das heißt nicht, dass man nicht auch in der Lage sein muss, zentral Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen. Seinem Führungsstil kommt entgegen, dass sich auch die Branche gewandelt hat. Während vor wenigen Jahren noch eher geheimniskrämerisch agiert wurde, tauschen sich deutsche Großbanken inzwischen stetig untereinander aus, so der gelbe Banken-CIO, der ständigen Kontakt zu Banken und Dienstleistern pflegt. Aufgrund der hohen Dynamik muss man schnell umdenken und entscheiden können. Dafür ist die Vernetzung sehr wichtig. Hinzu kommen nach Annuscheits Ansicht die angespannte Wirtschaftslage sowie der Generationenwechsel im Management. Nicht Konkurrenz also belebt das Geschäft – neu entdeckte Gemeinsamkeiten helfen gewissermaßen über Wirtschaftsflauten hinweg.

Ein Beispiel für die Auflockerung im Banksektor: Die Postbank will den Transaktionsverkehr der Deutschen und Dresdner Bank abwickeln – ein Szenario, das vor wenigen Jahren undenkbar gewesen war. Zwar hat Annuscheit vergleichbare Geschäfte noch nicht abgeschlossen, doch begrüßt er sie, sofern sie aus Business- Sicht Sinn machen. So steht er stellvertretend für einen neuen Typ CIO, den die Wirtschaftskrise geschaffen hat – den des Netzwerkers, der zusammen mit Wettbewerbern neue gangbare Wege der Zusammenarbeit sucht und über Managergenerationen hochgezogene Mauern nach und nach niederreißt. Sachte greift Annuscheit in bestehende IT-Strukturen ein. Der CIO möchte nicht von einer neuen Bescheidenheit der IT-Top-Manager sprechen. Doch gibt es bei ihm keine Projekte ohne Business Case. Kein Budget, ohne dass das Projekt das Architektur-Board und den IT-Ausschuss passiert und ab einer besonderen Größenordnung das Okay aus dem Vorstand bekommen hat – gesicherte Projekte mit Rückendeckung also.

Bislang hat Annuscheit im 500-Millionen-Euro-ITEtat wenig Spielraum für Investitionen. Bisher fallen 450 Millionen Euro für die Wartung und für regulatorische Anforderungen an (etwa die Vorgaben für die Kreditvergabe-Richtlinien Basel II und die Mindestanforderungen an das Kreditgeschäft von Kreditinstituten, MAK). Zudem nehmen die Aufwendungen für Sicherheitsvorkehrungen ständig zu, auch wenn uns das nicht gefällt, so Annuscheit. 2004 werden etwa zwei Prozent des Budgets davon verschlungen. Für 2005 erwartet der CIO einen Anteil von bis zu fünf Prozent. Nur zehn Prozent des IT-Etats sind frei verfügbar für neue Projekte – ein Anteil, der dem CIO zu klein ist.

Nearshore: Rufe aus Osteuropa

Aktuell stehen etwa Nearshore-Projekte in Osteuropa auf der Agenda. In einer Zwei-Standort-Strategie will die Commerzbank in Prag und in Warschau Business Process Outsourcing betreiben. Für die Bearbeitung der Überweisungsbelege im Transaktions-Banking setzt Annuscheit derzeit 30 Mitarbeiter ein, schon bald sollen es 60 bis 70 sein. Zudem sollen in Prag Funktionen für die nichtdeutschen europäischen Rechenzentren zentralisiert werden. Annuscheit ist sich über die Vorteile von Nearshore im Klaren, steigt dennoch gewohnt sachte in ein unbekanntes Gebiet ein. Es gibt in Tschechien ein gutes Ausbildungsniveau, die Löhne sind nur halb so hoch wie in Deutschland, und es gibt keine Zeitzonenproblematik, so Annuscheit.

Annuscheit will seinen Mitarbeitern viel Freiheiten einräumen und Verantwortung übertragen. Zwischendurch müssen Sie natürlich mal eine Tiefenbohrung machen, sagt der gelernte BWL-ler mit dem besonderen Schwerpunkt Informatik. Da kommt es dem Manager nun zugute, dass er sein Studium mit IT-Basisarbeit finanziert hat – Bänder einlegen, Software schreiben, das ganze Programm. Zwar hat der Manager mit dem Tüfteln an Programmcodes heute nichts mehr zu tun, doch hilft es ihm, mit den Anwendungsentwicklern über neue Lösungen zu diskutieren: Nur so entstehe der nötige Respekt, so Annuscheit.

An den kontinuierlichen Treffen mit anderen Bänkern geht für den gelben CIO kein Weg vorbei – etwa mit Ex-Kollegen der Deutschen Bank 24 zu Mittag im Restaurant Oscar's. Direkt gegenüber dem Commerzbank- Tower – im Erdgeschoss.