Zwang zur Digitalisierung

Öffentliche Verwaltungen unter Druck

25.09.2013 von Axel Drengwitz und Florian Menhorn
Bis 2022 müssen die Gerichte ihre Prozesse digitalisieren. Doch Richter und Anwälte können nicht dazu verpflichtet werden, elektronische Medien auch zu nutzen. Deswegen braucht die Justiz besonders einfach zu bedienende Software und smarte Hardware, sagen Axel Drengwitz und Florian Menhorn von Steria Mummert in ihrer Kolumne.
Axel Drengwitz ist Principal Consultant bei Steria Mummert Consulting und Experte für E-Government, Open Government und E-Justice.
Foto: Steria Mummert

Am 1. August 2013 ist das lang erwartete E-Government-Gesetz in Kraft getreten. Es setzt öffentliche Verwaltungen unter Druck, ihre Prozesse so weit zu digitalisieren, dass sie elektronische Dokumente annehmen können. Doch auch für die deutsche Justiz soll das "Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten" Rechtssicherheit in der digitalen Kommunikation schaffen.

Das Ziel ist es, den elektronischen Rechtsverkehr auszuweiten und durch die stufenweise Einführung der elektronischen Akte Effizienzpotenziale auch bei der elektronischen Bearbeitung zu erschließen. So sollen Rechtsanwälte künftig nur noch den elektronischen Postweg nutzen, Akten können auf elektronischem Wege eingesehen werden und gerichtliche Bekanntmachungen erfolgen online. Die Bestimmungen sollen schrittweise von der Verkündung bis 2022 umgesetzt werden.

2016 soll das E-Anwaltspostfach fertig sein

Das klingt zunächst nach viel Zeit. Doch der Schein trügt. Denn noch sind die Regale der deutschen Gerichte voll mit Akten und Papier, oft in mehrfacher Ausfertigung, Bürokratie und papierbasierte Arbeitsprozesse bestimmen den Alltag. Anwälte tragen zum Teil Papierberge herum. Bereits bis 2016 soll jedoch das elektronische Anwaltspostfach eingerichtet werden. Nach dem Gesetz können Rechtsanwälte somit bereits in weniger als drei Jahren auf dem elektronischen Wege mit den Gerichten kommunizieren.

Idealerweise sollten Gerichte bis zu diesem Zeitpunkt ihre Systeme umgestellt und auch elektronische Aktensysteme umgesetzt haben. Spätestens dann, wenn die Pflicht zur elektronischen Einreichung 2022 kommt, wird es notwendig sein, eine elektronische, medienbruchfreie Bearbeitung bei Gerichten umgesetzt zu haben.

Grundbuch und Handelsregister - Der Anfang ist gemacht

Zum Glück gibt es bereits Vorreiter. In bestimmten Bereichen der Justiz - wie etwa dem elektronischen Grundbuch - ist das alles nicht neu. Hier läuft schon vieles elektronisch und medienbruchfrei ab und kann sukzessive um eine elektronische Aktenführung erweitert werden. Eine Erfolgsstory ist auch die Schaffung des elektronischen Handelsregisters, das die Registergerichte deutlich entlastet hat.

Papierwüste Zivilgericht

Florian Menhorn ist Consultant Analyst bei Steria Mummert Consulting und berät in den Bereichen IT-Governance und IT-Service-Management.
Foto: Steria Mummert

Doch in vielen weiteren Bereichen liegt die deutsche Justiz noch hinter den technischen Möglichkeiten zurück. Etwa in den Zivilgerichten sind bis heute Papierakten das führende und rechtsverbindliche Medium. Das elektronische Einreichen von Schriftsätzen liegt noch in weiter Ferne. Eine elektronische Bearbeitung beschränkt sich meistens auf die IT-Unterstützung durch Fachverfahren. Elektronische Aktenführung und Archivierung stehen dort ganz oben auf der To-do-Liste.

Auf die Softwareergonomie kommt es an

Gerade in den Zivilgerichten wird es bei der Ausweitung des elektronischen Rechtsverkehrs neben den IT-Aspekten vor allem auf die Softwareergonomie ankommen. Eine ergonomische Software ist benutzerfreundlich und auf den Arbeitsplatz zugeschnitten. Die häufig nur mit grundlegenden Computerkenntnissen ausgestatteten Mitarbeiter der Gerichte müssen von einer solchen Software überzeugt werden.

Das betrifft insbesondere die Richterschaft, die neben fachlichen Aspekten auch hohe ergonomische Anforderungen an zum Beispiel elektronische Aktensysteme stellt. Hier entscheidet die Anwenderakzeptanz in besonderem Maße über den Erfolg. Oft sind dies ganz grundlegende Dinge, wie z. B. ermüdungsfreies Arbeiten mit der elektronischen Akte.

Keine Pflicht, elektronisch einzureichen

Denn anders als in Behörden und Unternehmen sind Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Bisher ist die Papierakte noch führend in den Gerichten und prägt die gewohnte und bewährte Arbeitsweise. Der elektronische Datenverkehr wurde bisher vernachlässigt. Wenn überhaupt, lag der Fokus auf der Umsetzung des elektronischen Rechtsverkehrs, jedoch nicht auf der internen Bearbeitung. Insbesondere viele der professionellen Einreicher, wie Rechtsanwälte konnten gesetzlich nicht dazu verpflichtet werden, elektronisch einzureichen.

Gerade Richter sind bedingt durch ihre Profession eher bewahrend und konservativ. Sie benötigen einen umfassenden Sachverhaltsein- und Überblick. Welche elektronischen Medien besitzen heute diese uneingeschränkte Eigenschaft, die Papier, nebst ergänzenden elektronischen Medien, seit Jahrzehnten täglich beweist?

Scheu vor neuen Medien und mehr Arbeitslast

Zudem mag mancher Entscheider fürchten, mit der elektronischen Bearbeitung Aufgaben übernehmen zu müssen, die genau das Wesentliche, nämlich die Sachverhaltsermittlung einschränken. Zu der Scheu vor neuen Arbeitsmedien kommt also auch die Sorge um mehr Arbeitslast.

Wie die Software aussehen sollte

Ihnen und ihren Mitarbeitern sollte die Umstellung also so leicht wie möglich gemacht werden. Eine geeignete Software ist übersichtlich, sortiert und verfügt über aufgeräumte Menüs. In vielen Fachverfahren finden sich doppelt so viele Menüs, wie sie bei einer marktgängigen Textverarbeitung sichtbar sind. Klare Gliederungen sind hier zwingend erforderlich.

Die komplexe Fachlichkeit muss auf ein überschaubares Niveau reduziert werden. Die Schriftgrößen sollten gut lesbar, die Oberflächen intuitiv bedienbar sein und zum Versand muss im Idealfall nur noch auf einen Knopf gedrückt werden.

Großer Bildschirm stört den Sichtkontakt im Gerichtssaal

Neben der Software spielt die Hardware eine wichtige Rolle. Viele Richter verfügen noch über Arbeitsplatz-PCs, die dafür gedacht waren, Fachverfahren abzuwickeln - bei denen aber noch niemand an beispielsweise elektronische Aktenführung gedacht hat. Es sind auch besondere Voraussetzungen zu bedenken. Beispielsweise der Verhandlungssaal, in dem ständiger Blickkontakt zu den Parteien durch einen großen Bildschirm nur behindert wird. Hier können neue Technologien, wie variable Touchscreen-Monitore und Tablet-PCs die ergonomischen Vorteile der elektronischen Bearbeitung verdeutlichen.

Es fehlen Geld und Standards

Natürlich kosten diese Innovationen Geld und sind bei planmäßig sinkenden Etats schwer zu realisieren, wurden doch in den vergangenen Jahren große Beträge zur Ertüchtigung und Modernisierung der Justizfachverfahren verwendet. Doch gerade die Software- und Hardwareausstattung sind das entscheidende Erfolgskriterium für ein erfolgreiches E-Justice. Die Akzeptanz entsteht erst, wenn der praktische Mehrwert von allen Beteiligten gesehen und gefördert wird.

Ein weiteres, bremsendes Element kommt aber hinzu: Solange es keine Standards und einheitlichen Architekturen geben wird, läuft man Gefahr, eine Ausweitung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Aktenbearbeitung nur mit dauerhafter Mehrarbeit insbesondere bei den Gerichten und Anwälten umzusetzen.

Einheitliche IT-Architektur in den Bundeländern schaffen

Seit vielen Jahren entwickeln Landesjustizverwaltungen Fachverfahren. Diese unterstützen beispielsweise die Führung des Grundbuchs, die Verwaltung des Handelsregisters oder die Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Insbesondere für solche, die in Länderverbünden entwickelt werden, müssen einheitliche Mechanismen umgesetzt werden, um eine Anbindung an elektronische Versand- und Aktensysteme zu gewährleisten.

Bei der Integration der elektronischen Akte besteht daher die größte Aufgabe darin, den in Entwicklungsverbünden organisierten Bundesländern diesen zentralen Mehrwert zu verdeutlichen. Die bestehende und zukünftig hierfür zu schaffende IT-Gesamtinfrastruktur und -architektur muss zukunftsfähig und hinsichtlich der Fachverfahrensentwicklung integrativ sein.

SOA kann Schnittstellenprobleme lösen

Eine mögliche Lösung hierfür kann die Nutzung einer serviceorientierten Architektur (SOA) sein. Mit SOAs können Schnittstellenprobleme zwischen unterschiedlichen IT-Anwendungen gelöst werden und die Anpassung an neue Gegebenheiten ist flexibler möglich.

Manche Bundesländer haben bereits SOAs umgesetzt, andere noch nicht. Das Problem dabei ist, dass eine SOA zum einen nicht einfach fertig am Markt zu kaufen ist und zum anderen mit vorhandenen Architekturparadigmen kollidiert. Klar ist allerdings schon heute: Welches Paradigma im Einzelfall führend wird, muss schleunigst entschieden werden.

Gute Ansätze in Großbritannien

Möglicherweise können hier pragmatische Ansätze, wie sie in Großbritannien gewählt wurden, Lösungsansätze bieten. Ein auf die föderalen Verhältnisse der Bundesrepublik Deutschland übertragener zentraler Betrieb einer gemeinsamen IT-Infrastruktur, der eine teilweise Standardisierung und Integration in den genannten Bereichen ermöglicht. Dies ließe Modeerscheinungen und vermeintliche technologische Trends wie Big Data oder Cloud Computing in einem völlig neuen Licht erscheinen.

Fünf Tipps für den Erfolg von E-Justice-Projekten

  1. Nutzerorientierte und praxisbewährte Lösungen haben Vorrang.

  2. Basistechnologien dienen zur Vereinheitlichung und Standardisierung.

  3. Der Fokus liegt auf der Lösung praxisorientierter Anwendungsprobleme.

  4. Soft- und Hardware müssen realistischen ergonomischen Anforderungen entsprechen.

  5. Moderne Vorgehensmodelle des Rapid Application Developments helfen, nutzerorientierte Implementierungsprojekte umzusetzen.

Axel Drengwitz ist Principal Consultant bei Steria Mummert Consulting und Experte für E-Government, Open Government und E-Justice.

Florian Menhorn ist Consultant Analyst bei Steria Mummert Consulting und berät in den Bereichen IT-Governance und IT-Service-Management.