Software-basiertes Performance-Management

Richtige Mitarbeiterführung am Beispiel von SAP

29.01.2007 von Eva Müller
Lernen von den Besten - wie es dem Software-Konzern SAP gelingt, im weltweiten Kampf um Toptalente ganz vorn zu liegen.

Umer Mir (30) hätte überall auf der Welt einen Job bekommen können. Der Pakistani ist Sohn eines Bankers aus Islamabad. Er spricht lupenreines Oberklassen-Englisch, und seinen MBA schloss er in England mit 24 Jahren und hervorragenden Noten ab.

Heute lebt Mir nicht in Islamabad, nicht in London und auch nicht in Kalifornien. Der Finanzmarktexperte zog ins nordbadische Walldorf. Seit sechs Jahren arbeitet der Betriebswirt dort für SAP . "Ich wollte nicht nur einen Job, ich wollte eine Karriere", begründet er seine Entscheidung für den Softwarekonzern aus der Kleinstadt.

Mir, der seine Frau aus Pakistan nachgeholt hat, will bei SAP bleiben: "Hier bekomme ich ständig Gelegenheit, mich weiterzuentwickeln."

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Begeisterung für den Job, Spaß an der aktuellen Tätigkeit, Identifikation mit dem Arbeitgeber - wie Mir zeigen sich viele SAP-Mitarbeiter hoch motiviert. Während sich nach einer Gallup-Studie von 2006 in den meisten Unternehmen nur ein Drittel der Mitarbeiter als hoch engagiert bezeichnet, nimmt das mehr als die Hälfte der SAPler für sich in Anspruch.

Daran hat der rasante Umbau von einem Gründerunternehmen in einen straff organisierten Weltkonzern nichts geändert. Auch wenn mancher den Zeiten vor der Jahrtausendwende hinterhertrauert, als das Unternehmen von Hasso Plattner und Dietmar Hopp beinahe wie ein Start-up geführt wurde.

Das Geheimnis von SAP

SAP gelingt, was viele andere deutsche Großunternehmen vergebens anstreben. Der Weltmarktführer bei betriebswirtschaftlicher Software kann hoch qualifizierte Mitarbeiter aus aller Welt für sich gewinnen, sie permanent zu besonderem Engagement anspornen und langfristig an sich binden.

Im Kampf um die besten Kräfte bestehen die Walldorfer auch gegen die harte Konkurrenz der globalen IT-Industrie. Nicht nur Nachwuchstalente entscheiden sich gegen Unternehmen wie Microsoft , IBM oder Oracle und für SAP. Auch gestandene Manager wechseln von den US-Branchenriesen zu den Deutschen. Der Ex-Siebel-Mann Bill McDermott etwa brachte das USA-Geschäft der Walldorfer auf Vordermann. Und erst im vergangenen Oktober kam John Hanley, der bei Oracle den Großkundenservice leitete.

Wer einmal bei SAP gelandet ist, will häufig nicht mehr weg. Die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit liegt bei 5,3 Jahren - und das, obwohl der Großteil der 37.700 Mitarbeiter erst in den vergangenen zehn Jahren angeheuert wurde. Die Fluktuationsrate liegt im langfristigen Durchschnitt unter zwei Prozent. Dabei sind die SAP-Experten am internationalen Arbeitsmarkt hochbegehrt.

"Wir bieten keine konventionellen Schornsteinkarrieren, sondern identifizieren für jeden einzelnen Mitarbeiter individuelle Entwicklungschancen", erklärt Vorstandsmitglied Claus Heinrich (51) den Erfolg seiner Personalpolitik, die SAP bereits zum zweiten Mal den Titel "Bester Arbeitgeber Deutschlands" eintrug. Seine Strategie zur Förderung aller Mitarbeiter besteht aus vier Elementen:

Bei SAP gilt das Personal-Management als essenzieller Teil der Unternehmensstrategie. Der Vorstand richtet die Human-Resources (HR) -Strategie an der Konzernplanung aus - was nach einer Untersuchung der Unternehmensberatung Accenture in Deutschland nur sehr selten geschieht. Die Entlohnung der Führungskräfte bemisst sich zu einem wesentlichen Teil danach, wie erfolgreich sich ihre Mitarbeiter entwickeln.

Vorstandschef Henning Kagermann (59) meint es also ernst, wenn er proklamiert: "Wissen und Innovation sind der einzige Rohstoff und das Kapital, von dem die wirtschaftliche Entwicklung der SAP abhängt." Oder kurz: Mensch schlägt Maschine.

Verschlungene Karrierepfade

Damit die wertvollen Wissensträger SAP treu bleiben, offeriert ihnen die Personalabteilung Entwicklungswege als Manager, Experte oder Projektleiter. So kann bei SAP auch Karriere machen, wer keinen Aufstieg mit Personalverantwortung anstrebt - wie viele Naturwissenschaftler oder Ingenieure.

So steht Software-Ingenieuren, die einfach nur besser programmieren wollen als jeder andere, die Fachkarriere offen. In der kann ein Entwickler bis zum Chief Development Architect avancieren, der die grundlegende Struktur eines großen Programms konstruiert.

Gefördert werden solche Mitarbeiter mit Kursen, die ihre technische Kompetenz erweitern. Dazu kommen Wechsel zwischen Projekten mit unterschiedlichsten Inhalten.

Dirk Rohdemann (41) etwa arbeitet seit zehn Jahren bei SAP. Zunächst tüftelte der Umweltexperte an einem Modul zur Steuerung von Gefahrgütern in der Chemie. Dann weitete er seine Aufgabe auf Rezepturen in der Prozessindustrie aus und schwenkte später auf die zentrale Verwaltung von Stammdaten um.

Andernorts würde eine solche Laufbahn womöglich als Stagnation empfunden. Für SAP ist sie typisch - und der Wirtschaftswissenschaftler fühlt sich "total glücklich und hoch geschätzt". Seinen jüngsten Job als Projekt-Manager in der Forschung sieht Rohdemann als "eine ungemein spannende Aufgabe, die genau meinen Wünschen entspricht".

Die Projektkarriere

Solche Wechsel zwischen Entwicklungspfaden - seit 2002 besteht als dritte Option die Projektkarriere - sind bei SAP nicht nur möglich, sondern ausdrücklich erwünscht. Das offene System soll es jedem Mitarbeiter ermöglichen, seine Neigungen und Stärken zu erkennen und auszuleben.

Die Chance, ihre "Träume zu realisieren", steigere gerade für Topkräfte aus den USA oder Asien die Attraktivität von SAP enorm, behauptet David Kaput (41). Der Amerikaner mit japanischer Mutter leitet seit gut einem Jahr die globale HR-Praxis des Konzerns, mit deren Hilfe die Walldorfer gezielter als bisher Mitarbeiter in aller Welt anwerben wollen.

Mit Geld allein ließen sich die besten Leute nicht locken, konstatiert der Kosmopolit. Und an Goldgräbern sei SAP auch nicht wirklich interessiert: "Hohe Gehälter ziehen Söldner an. Wir aber suchen engagierte Kreative."

Gehälter-Strukturen

Für ihre Einkommen müssen sich die SAPler dennoch nicht schämen - unabhängig davon, ob sie als Entwickler, Projektmanager oder konventionelle Führungskraft Karriere machen. Ein Berufsanfänger steigt mit 40- bis 45.000 Euro Jahresgehalt ein.

Auf der höchsten Stufe verdient ein Chefarchitekt oder der Leiter eines wichtigen Projekts locker so viel wie der Leiter einer Landesorganisation oder ein Senior Vice President auf der ersten Ebene unter dem Vorstand - tief im sechsstelligen Bereich. Auch stehen ihm wie einem Top-Manager die üblichen Insignien der Macht zu - vom Dienstwagen bis zur Sekretärin.

Allerdings nicht zwangsläufig für immer. "Bei SAP herrscht Flexibilität, weder Einkommenshöhe noch Privilegien sind für die Ewigkeit", erklärt Personalvorstand Heinrich. Ein großer Bestandteil der SAP-Gehälter besteht aus variablen Zahlungen, die bis zu 80 Prozent des Grundlohns ausmachen können.

So werden die Mitarbeiter nach ihrer aktuellen Leistung und nicht nach Hierarchie bezahlt. Wobei die Flexibilität durchaus auch nach unten gilt. Wer seine Ziele nicht erfüllt, erhält keine Bonuszahlungen. Wer in seinem Job überfordert ist, für den wird im Konzern nach einer passenden Aufgabe gesucht - auch mit geringerem Gehalt.

Klare Leistungskriterien

Welchen Beitrag die SAPler jeweils zum Erfolg des Konzerns liefern, stellt das software-basierte Performance Management System fest. Mindestens zwei Mitarbeitergespräche führt jeder Angestellte mit seinem Vorgesetzten pro Jahr - mit Zielfestlegung zu Beginn, Überprüfung im Sommer sowie Beurteilung und Gehaltsaussage zum Ende.

So weit, so gewöhnlich. Außerordentlich allerdings fällt der Aufwand aus, den die Manager in diese Gespräche stecken. "Sobald ich merke, dass bei einem Kollegen die Leistung nicht stimmt, analysieren wir gemeinsam, was schiefläuft", erzählt Teamleiter Jürgen Zimmermann (36).

Fehlt es an Wissen, zickt ein Zulieferer, stimmt die Chemie im Team nicht? Die Lösung für den betroffenen Mitarbeiter kann eine Schulung sein, eine Veränderung der Mannschaft oder Hilfestellung durch einen erfahrenen Mentor.

Zimmermanns Engagement kommt nicht von ungefähr. Seine Leistung als Manager bewerten nicht nur seine Vorgesetzten, sondern auch seine Untergebenen. In der Management Excellence Evaluation - kurz ME2 - beurteilen online und anonym Mitarbeiter, gleichrangige Kollegen sowie Chefs, wie gut die Führungskraft ihr Team bildet, die Konzernstrategie vermittelt, Probleme bewältigt oder Mitarbeiter fördert.

"Das tut schon weh, wenn man Versäumnisse vorgehalten bekommt", gesteht Zimmermann. Um gleich begeistert zu erzählen, wie sehr ihm ein auf herbe Kritik folgendes Training geholfen habe: "Ich habe meine Stärken erkannt und mich extrem weiterentwickelt."

Das Vorgehen hat Methode. Auf allen Ebenen dienen die Beurteilungen nicht nur als Grundlage für die Gehaltsberechnung. Sie bilden auch die Basis für die individuelle Karriereentwicklung. Welche Kurse ein Mitarbeiter aus dem riesigen Angebot der hauseigenen Fortbildungsstätte SAP University wählt, welche Projekte oder Aufgaben er neu übernimmt, sprechen Manager, die sich mehr als Coaches denn als Weisungsbefugte verstehen, regelmäßig mit ihm ab.

Die Mitarbeiterförderung läuft bei SAP aber nicht auf einer Einbahnstraße. Nicht allein die Chefs suchen nach neuen Herausforderungen für ihre Untergebenen. Die müssen sich auch selbst überlegen, in welche Richtung sie gehen wollen. Dieser Holschuld kämen die SAPler allerdings meist freudig nach, berichtet Personalchef Heinrich: "Sie sind ganz heiß drauf, öfter mal was Neues zu machen."

Systematische Talentsuche

Individuelle Karriereentwicklung, leistungsgerechte Entlohnung und harte Managerbeurteilungen - was nach Lehrbuch für Personalmanagement klingt, praktiziert SAP schon lange. Neu hingegen ist die gezielte Jagd auf internationalen Topnachwuchs - auch in den Revieren der amerikanischen Konkurrenten.

Seit gut einem Jahr wirbt Personal-Manager Kaput unter dem Motto "Ambitionen in Resultate wandeln" weltweit für den Arbeitgeber SAP. An den amerikanischen Eliteuniversitäten von Harvard bis Stanford, aber auch am Insead in Fontainebleau buhlt er mit einem speziellen MBA-Rekrutierungsprogramm um die Spitzenabsolventen. Schon konnte er diverse Topstudenten für eine 18-monatige Tour durch drei Vorstandsbereiche gewinnen.

Im Herbst startete eine Tournee von Vorständen durch zehn Spitzenunis in Europa, mit der die jeweils zehn besten Studenten des Instituts eingefangen werden sollen. Auch plant Kaput ein sogenanntes SAP Ambition Camp, in dem 30 bis 50 hochbegabte Studenten ein Arbeitsprogramm mit verschiedenen SAP-Topleuten absolvieren.

Doch mit dem Anwerben des Spitzennachwuchses ist die Fahndung nach den Besten längst nicht abgeschlossen. Sogenannte Talent Review Boards evaluieren ständig, welche Mitarbeiter für Führungsaufgaben geeignet sein könnten. Bis zu acht Entscheider aus benachbarten Bereichen checken dabei gemeinsam die Bewertungen ihrer fähigsten Mitarbeiter - der High Potentials - und filtern die Begabtesten heraus.

Danny Pannicke (32) zum Beispiel wurde in diese "Hi-Po"-Gruppe befördert. "Mein Chef forderte mich auf, nach neuen Herausforderungen zu suchen", erinnert sich der Wirtschaftsinformatiker: "Sollte sich mein Vorschlag als interessant für SAP erweisen, würde er mir meinen Wunsch erfüllen."

Der höchst individuelle Ansatz ist typisch SAP. Statt nach passenden Kandidaten für eine formalisierte Jobbeschreibung zu suchen, wird für vielversprechende Mitarbeiter eine Position maßgeschneidert. Entwickler Pannicke etwa sah seine größten Fähigkeiten in Kommunikation und Organisation. Nun darf er 10 bis 15 Prozent seiner Arbeitszeit für ein Projekt nutzen, das die Einrichtung eines internen Coaching-Pools vorsieht. "Dabei waren die Ingenieure zuerst vehement gegen das Psychogelaber", sagt der Nachwuchspersonaler.

Auch abwegig klingende Ideen zu verwirklichen gehört zu dem ungewöhnlichen Konzept der Talentförderung. Ein Selbstläufer indes ist die bevorzugte Behandlung der Hi-Pos nicht. Wer die selbst gestellten Anforderungen nicht erfüllt, tritt wieder ins Glied zurück. Häufig steigen die Nachwuchstalente sogar freiwillig aus der Förderung aus. "Vielen ist die ständige Herausforderung zu anstrengend", weiß Pannicke, der nebenbei ein Hi-Po-Netzwerk pflegt: "Auch ich habe mühsam gelernt, Job und Privatleben ins Gleichgewicht zu bringen."

Persönliche Freiheit

Den gesunden Ausgleich zwischen der anstrengenden Denkarbeit bei SAP und dem privaten Leben fördert Personalvorstand Heinrich. "Wer sich wie ein Hamster im Laufrad fühlt, bringt keine großartigen Leistungen", begründet der vierfache Vater sein Engagement für Work-Life-Balance. Ständig bis spät in die Nacht zu arbeiten ist bei SAP nicht en vogue. 14-Stunden-Tage zu Projektschluss oder Wochenendschichten, wenn es beim Kunden brennt, werden regelmäßig ausgeglichen.

Auch kann sich jeder SAPler seine Arbeit nach Wunsch einteilen - zwischen 10 und 90 Prozent existieren alle denkbaren Teilzeitmodelle. Die Umwandlung von variablen Gehaltsteilen in Freizeit etwa als Sabbatical, für eine Promotion oder eine Weltreise ist ebenso Usus wie das Führen von Lebensarbeitszeitkonten, die im Alter einen früheren Ausstieg aus dem Job ermöglichen.

Die Entscheidungsfreiheit, die Heinrich den SAPlern bei der Gestaltung ihres Arbeitslebens einräumt, gönnte er sich auch selbst. Als Ende April sein jüngster Sohn geboren wurde, nahm der Vorstand drei Wochen Babyurlaub.

Vereinbarkeit von Familie und Beruf schreibt SAP ganz groß, etwa durch Hilfe bei der Kinderbetreuung. Christine Hiller (45), Mutter eines heute zwölfjährigen Sohnes, gelang in den vergangenen acht Jahren auch deshalb ein bemerkenswerter Aufstieg. Dank eines von SAP vermittelten Au-Pairs avancierte sie trotz Kleinkind von der Produktmanagerin zur Leiterin einer 30 Mann starken Forschungsgruppe. Ihre Arbeitszeit steigerte sie von anfangs 40 auf heute 80 Prozent. "SAP ist ein Superarbeitgeber", schwärmt die Informatikerin: "Ich kann mir vorstellen, die nächsten 20 Jahre hierzubleiben."

Wieviel Erfahrung bei SAP zählt

Ihr für die Software-Branche fast schon greisenhaftes Alter stört Hiller bei der Lebensplanung nicht. Sie weiß, dass bei SAP Erfahrung gewürdigt und der ältere Mitarbeiter gezielt gefördert wird.

Betriebsärztin Natalie Lotzmann (44) entwarf ein Konzept, wie die Leistungskraft über 45-jähriger Mitarbeiter für das Unternehmen erhalten werden kann. Dazu gehört nicht nur das allfällige Gesundheitsangebot von Arbeitsorganisation bis Yoga, sondern auch ein Rotationsmodell, in dem alte Hasen ihr Know-how in andere Geschäftsbereiche als den gewohnten einbringen. Im Mentoringprogramm kümmern sie sich um junge Kollegen. Zu Think-Tank-Sitzungen werden sie bevorzugt eingeladen.

Von der Wiege bis zur Bahre - fast scheint es, als vertrete die SAP-Führung diese altmodische Auffassung von Fürsorge für die Mitarbeiter. Im Prinzip ist Claus Heinrich damit auch einverstanden. Er formuliert die Grundlage seiner Arbeit aber lieber weniger altbacken: "Wer erstklassige Arbeit will, muss exzellente Leistungen bieten."