Über das Internet wird geredet, an der Warenwirtschaft gearbeitet

Rückblick: Der CIO im Handel im Jahr 2007

28.12.2007 von Riem Sarsam
Keine Frage - am Internet kam der Handel in diesem Jahr nicht vorbei. Wer sind die Kunden, was wollen sie, wie verhalten sie sich und welche Maßnahmen versprechen Erfolg? Mit diesen Fragen setzten sich das Marketing und die Medien auseinander. CIOs haben dieser Analyse nur mit einem Ohr zugehört. Sie waren vollauf damit beschäftigt, ihre Kernanwendungen am Laufen zu halten.

"Natürlich schauen wir uns Innovationen an", dieser Satz fällt auch imHandel. Kaum einer, der keineProjekte zu E-Commerce, RFID, Web 2.0 hat. Doch intensiv beschäftigen dürften sich damit allerdings vor allem jene Händler, deren Brot- und Buttergeschäft sie berühren. Das sind in erster Linie der Versand- und der reine Internethandel.

Der Großteil der IT-Ausgaben im Handel geht nämlich für den alltäglichen Betrieb und die Wartung der Systeme drauf, die im Branchenschnitt 70 bis 80 Prozent der gesamten IT-Kosten verursachen. Um sich aus diesen Fesseln zu befreien, bemüht sich das Gros der Unternehmen zunächst um Verbesserungen und damit auch um Einsparungen in ihren Kernsystemen. Und so kommt es nicht von ungefähr, dass der CIO im Handel 2007 mit der Warenwirtschaft und der Anbindung an die Filialen ausreichend beschäftigt war.

Apollo Optik: IT-Integration nach Übernahme

Beispiel Apollo Optik. Nachdem das Unternehmen im vergangenen Jahr den Mitbewerber Krane mit 88 Filialen übernommen hatte, stand für die IT vor allem die Integration der Systeme auf dem Programm. "Damit hatten wir alle Hände voll zu tun", berichtet Erich Ehbauer, IT-Leiter der Optiker-Kette. Um die Expansion zu schaffen, verzichtete die IT sogar auf die Weiterführung einer Reihe von Projekten.

Die neuen Geschäfte hat Ehbauers Team in die Apollo-eigene Lösung eingebunden. Der Optik-Spezialist arbeitet mit einem selbstentwickelten System, bestehend aus Warenwirtschaft, Auftragsverwaltung, Kasse und Management-Information, die auf Basis von Lösungen der Software AG läuft (dem Datenbank-Managementsystem Adabas und der Programmiersprache Natural). Mit diesem, System lassen sich beispielsweise die Aufträge schon direkt vor Ort in die Systeme einpflegen - im Gegensatz zur Kranes-Lösung, die erst eine spätere Erfassung im Backoffice erlaubte.

Parallel schaffte es Ehbauer, auf rund 4.000 Clients noch in diesem Jahr einen Intranet-Launch abzuschließen. Damit arbeitet er auch technisch an der Weiterentwicklung einer neuen Systemstruktur. "Wir wollen unsere Systeme SOA-fähig machen", so Ehbauers Begründung. Damit zeichnen sich auch die Aufgaben im kommenden Jahr ab. Schritt für Schritt werden die entsprechenden Vorbereitungen getroffen. Das Intranet beispielsweise wird künftig an Gewicht gewinnen. Etwa bei der Vorhaltung der Kundeninformationen oder dem Ersatzteilebestand.

Zwar stehen die Daten bereits heute zur Verfügung, bislang allerdings in zwei verschiedenen Anwendungen, wobei die Daten aus den Filialen auch nur vor Ort abrufbar sind. Diese Systeme sollen nun integriert werden. Die Mitarbeiter können so unabhängig vom Standort alle Informationen abgreifen, ohne zu merken, ob die Daten vom lokalen Server kommen oder über das Intranet aus dem zentralen Datawarehouse.

Wie viele Unternehmen aus dem Handel arbeitet auch Apollo mit einer eigenen Warenwirtschaft. Dennoch ließ sich gerade in diesem Jahr der Trend zum Standard zu beobachten. In Deutschland besteht dieser aus genau drei Buchstaben: S A P.

Wal Mart: Produkte von SAP im Einkaufswagen

SAP ist nun auch bei Wal Mart im Einsatz.

Nach dem Spott, den SAP nach der misslungenen Übernahme von Retek über sich ergehen lassen durfte, waren die Abschlüsse im Jahr 2007 sicher auch von einer gewissen Genugtuung begleitet. So entschied sich beispielsweise der weltgrößte Einzelhandelskonzern Wal Mart Stores, seine Finanzprozesse mit SAP ERP Financials zu mehr Flexibilität und besserer Skalierbarkeit der globalen, unternehmensweiten Geschäftsprozesse zu entwickeln. Den Austausch der Altsysteme und die Integration in die bestehende IT-Landschaft will Rollin Ford, Executive Vice President und CIO des Handelskonzerns, im Jahr 2010 abgeschlossen haben.

Edeka: Nur noch SAP

Auch in Deutschland konnten die Walldorfer einen großen Wurf landen. Nach monatelangem Ringen entschied sich Edeka für SAP als konzernweit einheitliche Lösung. Künftig sollen wesentliche Bereiche der Gruppe mit den Lösungen gesteuert werden, darunter das Großhandelsgeschäft sowie der Einzelhandel. Länger als ein Jahr hatte die Unternehmensgruppe darum gestritten, im Oktober wurde schließlich die Unterzeichnung des Vertrags mit einem Volumen von rund 200 Millionen Euro bekannt gegeben.

Um ihre IT-Aktivitäten zu konsolidieren wird eine eigene Gesellschaft gegründet - die in Bielefeld ansässige Lunar GmbH, die gemeinsam von einem SAP- und einem Edeka-Manager geleitet wird. Ziel ist es, Einsparpotenziale im dreistelligen Millionenbereich zu realisieren. Neben Funktionen aus der Branchenlösung "SAP for Retail" werden auch die Unternehmensanwendung SAP ERP sowie die SAP-Net Weaver-Plattform zum Einsatz kommen.

Karstadt: SAP-Standardsoftware erweitert

Bei Karstadt sollen bald nur noch fünf SAP-Module mit 136 Schnittstellen zum Einsatz kommen.

Was Edeka noch vor sich hat, lässt sich schon bei Karstadt beobachten. In dem viel beachteten Entwicklungsprojekt "Forward" haben die Essener die Standardsoftware "SAP for Retail" zusammen mit SAP um Funktionen für den Textilhandel mit seinen schnell wechselnden Saisonartikeln erweitert. Statt 30 heterogener Lösungen mit über 30.000 Schnittstellen gibt es bei Karstadt künftig nur noch fünf SAP-Module mit 136 Schnittstellen.

Bereits seit vergangenem Jahr steuern einzelne Bereiche des Konzerns ihre Sortimente mit der neuen Warenwirtschaft. Mit dem Planungssystem wurden auch neue Prozesse eingeführt, die die Entscheidungen der Mitarbeiter im Einkauf strikt an die Kapazitäten des Vertriebs binden werden. Damit konnten bereits die Bestände signifikant reduziert und der Lagerumschlag erhöht werden.

In diesem Jahr ging es bei Karstadt vor allem um die Erweiterung des Einsatzes. Seit Herbst 2007 arbeiten auch die Bereiche Sport und Mode komplett mit dem neuen SAP-System. Andere Karstadt-Sortimente sollen sukzessive aufgeschaltet werden. Aufgrund der bisherigen positiven Erfahrung könnte die Software sogar früher als geplant für die Konsumfelder "Living und Personality" (Wohn-Accessoires und Parfüm) eingeführt werden, heißt es.

Die Aktivitäten einiger großer Player sind jedoch nur die Spitze dessen, was flächendeckend noch zu erledigen ist. Besonderer Nachholbedarf bestehe beim Thema Warenwirtschaft, schrieb PAC-Analystin Lynn-Krystin Thorenz im Oktober. Doch obwohl der Bedarf für neue, flexible und offene Systeme immens sei, "tun sich viele Händler schwer mit der Entscheidung ein neues System einzuführen." Insbesondere der gehobene Mittelstand und die Großunternehmen haben jahrelang ihre Lösungen selbst entwickelt und an ihre Bedürfnisse angepasst. Die Frage "make or buy" werde hier auch in nächster Zeit die Unternehmen weiter beschäftigen und sich als stärkste Konkurrenz für Software-Anbieter zeigen.

OBI: Warenwirtschaft erneuert

"Make!" lautete die Antwort bei OBI, genauer, dem IT-Dienstleister des Baumarktes, der GfD. Deren Chef Jens Siebenhaar musste die Warenwirtschaft nach mehr als 15 Jahren Betrieb erneuern. Entgegen dem Trend und eigentlich ungewollt entschied er sich nicht für eine Standardlösung. Denn trotz gründlicher Evaluation konnte das Unternehmen kein System finden, dass den Ansprüchen genügte. Siebenhaar holte sich die Gebit Solutions GmbH an Bord, die gemeinsam mit seinem Team eine Java-basierte Lösung entwickelte und die IT-Mitarbeiter, die bislang in Foxpro programmiert hatten, umschulte. Mit einigem Mut integrierte Siebenhaar auch noch die Kassensoftware - insgesamt ein Projekt, für das die Jury den IT-Manager unter die Top-Ten des diesjährigen Wettbewerbs zum CIO des Jahres 2007 wählte.

Die SB-Kasse kommt

Nicht nur in diesem Jahr, auch 2008 werden sich IT-Leiter in der Handelsbranche mit dem Thema "Kassensysteme" beschäftigen. Zur Verbesserung der Kassenabwicklung werde in Zukunft verstärkt in Self-Checkout und Self-Scanning Systeme investiert, fand das Kölner EHI in seiner Studie "IT-Investitionen im Handel 2007" heraus. Demnach planen 28 Prozent der Retailer, in den nächsten Jahren SB-Kassen einzuführen. Zudem bestehe ein starkes Interesse an Cash-Management-Systemen, die den Bezahlvorgang mit Bargeld automatisieren und damit beschleunigen sollen. Über Informationssysteme am POS (LCD- oder Plasma-Screens) denken 30 Prozent der befragten Händler nach.

Darüber hinaus, und das ist nicht unbedingt spezifisch für den Handel, steht für viele Unternehmen die Internationalisierung auf der Tagesordnung. Die Produktion und Beschaffung wandert zunehmend in andere Länder - ganz reibungslos läuft es jedoch noch längst nicht. Wie aus einer Studie der TU Berlin, die im Auftrag der Bundesvereinigung Logistik (BVL) erstellt wurde, hervorgeht, erzielen deutsche Unternehmen bei der globalen Warenbeschaffung in Schwellenländern wie China, Indien, Taiwan oder Korea oft nicht die gewünschten Kosteneinsparungen. Es gebe Probleme bei der Produkt- und Lieferantenqualität sowie bei der Logistik, die zu ungeplanten Mehrkosten führen. Und das trifft nicht wenige, denn immerhin beschaffen 43 Prozent aller hiesigen Unternehmen Güter und Vorprodukte aus internationalen Märkten, 2010 werden es gar 55 Prozent sein.

Ausblick: Retail-IT im Jahr 2010

Richtet man den Blick in die nahe Zukunft, wird deutlich, was viele Unternehmen auch schon im nächsten Jahr beschäftigen dürfte. Denn nicht nur sie werden ihr Verhalten weiter verändern, sondern auch ihre Kunden. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass es gerade im Einzelhandel zu Umwälzungen kommt, auf die auch die IT reagieren muss. Etwa im Marketing. Um die Konsumenten zu erreichen, reicht die klassische Werbung per Zeitungsanzeige längst nicht mehr aus. Und selbst der eigene Online-Shop muss es schaffen, aus einer Masse von Konkurrenten herauszuragen.

Die Marktanalysten von Gartner schätzen, dass bis 2010 rund 20 Prozent der weltweiten Einzelhändler ihre Präsenz in Online-Spielen und virtuellen Welten ausbauen werden. Die wohl bekannteste Parallelwelt, Second Life, hat mittlerweile knapp elf Millionen registrierte "Bewohner". Ähnlich wie bei Online-Spielen aber auch in mobilen Anwendungen für Handys sehen die Analysten hier ein großes Potenzial, um Kunden zu gewinnen. Wer seine Kernanwendungen am Laufen hat, braucht sich also keine Sorgen zu machen, dass es 2008 ruhiger werden wird.