Carve-Out von Innogy

RWE baut IT neu auf

06.04.2020 von Jens Dose
Nachdem RWE seine Tochter Innogy an Eon verkauft und sich ganz auf erneuerbare Energien konzentriert hat, muss nun die IT aufgestellt werden. Im Mittelpunkt steht eine Cloud-First-Strategie.

RWE hatte sich 2018 mit dem Rivalen Eon auf einen sogenannten Tausch von Geschäftsaktivitäten geeinigt: RWE übertrug die Innogy-Anteile an Eon und erhielt im Gegenzug das Renewables-Geschäft von Eon und Innogy sowie weitere Assets. Die komplette Neuaufstellung beider Unternehmen, die Ende 2020 abgeschlossen sein soll, brachte auch massive Umbauarbeiten in der IT mit sich.

Zwei Jahre auf der grünen Wiese

Die IT-Abteilung des RWE-Konzerns ist derzeit noch bei der Tochtergesellschaft Innogy angesiedelt, die im Rahmen eines Servicevertrags diese Aufgabe während des Care-Outs bis Ende 2020 weiter erfüllt. Das bedeutete für RWE, dass innerhalb von zwei Jahren eine neue IT-Infrastruktur auf der grünen Wiese aufgebaut werden musste, einschließlich eines eigenen Rechenzentrums, aller Netzwerke, einer SAP- und IT-Security-Landschaft sowie einem IT-Service-Management. Dazu zählt auch ein eigenes Active Directory samt aller dazugehörenden Microsoft-Komponenten. Hierfür arbeitet RWE unter anderem mit der Accenture-Tochter Avanade zusammen.

Edward Bouwmans, Head of Infrastructure & Provider Management bei RWE
Foto: RWE AG

"Solch ein großes Projekt lässt sich natürlich nicht von heute auf morgen realisieren," sagt Edward Bouwmans, verantwortlicher Head of Infrastructure & Provider Management bei RWE. "Wir bauen die neue IT-Landschaft parallel zur alten auf. Die alte bleibt komplett erhalten bis Ende 2020. Sukzessive migrieren wir dann unsere rund 20.000 Nutzer, 2.500 Anwendungen und sämtliche Daten des Konzerns. Dabei nutzen wir das Upgrade von Windows 7 auf Windows 10 und die Einführung von Office 365, um alle Mitarbeiter auch mit neuer Hardware auszustatten." Ende 2019 habe RWE damit begonnen, Ende 2020 wolle der Konzern damit fertig sein.

Komplexe Parallelwelten

Die Situation ist kompliziert: Wenn ein Anwender bereits in die neue RWE-Landschaft umgezogen ist, kann es sein, dass Applikationen, auf die er zugreift, noch bei der Innogy-IT laufen. Die verantwortlichen Migrationsteams von RWE müssen also sicherstellen, dass alle Anwendungen sowohl mit der Windows-10- als auch mit der alten Windows-7-Welt kommunizieren können. Das schließt auch zugrundeliegende Strukturen wie Identiy und Access Management, Security-, Single-Sign-On- oder Active-Directory-Prozesse mit ein.

Die wichtigsten CIOs der deutschen Energiebranche
Martin Hölz
Ab 1. April 2020 wird Martin Hölz CIO der Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) mit Sitz in Karlsruhe. Er löst Frank Krickel ab, der seit Juni 2017 die Position des Leiter der Funktionaleinheit Informationstechnologie (C-TI) innehatte und das Unternehmen auf eigenen Wunsch verlässt.
Damian Bunyan
Damian Bunyan ist seit Januar 2016 CIO der E.ON-Abspaltung Uniper in Düsseldorf. In dem Unternehmen werden die E.ON-Bereiche konventionelle Stromerzeugung, Energiehandel und Exploration & Produktion gebündelt. Von 2006 bis 2013 war Bunyan Mitglied der Geschäftsführung des E.on Business Services.
Philip Lübcke
Philip Lübcke ist seit September 2019 Geschäftsbereichsleiter IT der TEAG Thüringer Energie. Er berichtet an den Vorstand Personal und IT Wolfgang Rampf. Zuvor war Lübcke sechseinhalb Jahre lang CIO der Frankfurter Mainova AG. Insgesamt brint er 15 Jahre Erfahrung aus der Energiebranche mit.
Sebastian Weber
Seit 1. Juli verantwortet Sebastian Weber als CTO bei Eon den IT-Betrieb. Er soll auch die digitalen Plattformen des Konzerns ausbauen. Zudem hat er gemeinsam mit Christopher d'Arcy in einer Doppelspitze die Geschäftsführung der IT-Tochter Eon Digital Technology GmbH übernommen. Beide berichten direkt an Digitalvorständin Victoria Ossadnik.
Jan-Wilm Buschkamp
Jan-Wilm Buschkamp ist seit August 2019 Bereichsleiter IT der Mainova AG. Seitdem hat das Team um den CIO mit „hybrIT2023“ ein IT-Transformationsprogramm erarbeitet, um den Frankfurter Energieversorger zukunftsfähig zu machen. Ziel des Programms ist es unter anderem, mehr Wert zu generieren, das Unternehmen lean und agil aufzustellen sowie Prozesse end-to-end zu gestalten.
Oliver Herzog
Zum 1. September 2023 übernimmt Oliver Herzog den CIO-Posten bei der Thüga. Seine Vorgängerin Annette Suckert scheidet altersbedingt aus dem Unternehmen aus.
Thorsten Steiling
Thorsten Steiling ist seit Februar 2019 CIO Oerlikon Group & Managing Director Oerlikon IT Solutions AG. Er berichtet an Boris von Bieberstein, Head of Group Business Services. Zuvor war Steiling von September 2017 bis Januar 2019 CIO/Head of Corporate IT beim Automobilzulieferer Veritas AG in Gelnhausen.
Marcus Schaper
Marcus Schaper ist CIO bei der neuen RWE-Tochter Innogy. Er kommt von der Mutter RWE. Er war zuvor Head of IT bei der RWE Supply & Trading. Schaper hat an der WWU Münster Wirtschaftsinformatik studiert und war seit dem Jahr 2000 bei McKinsey. Zu RWE kam er im April 2010. Bis zum Börsengang der neuen RWE-Tochter fungierte Schaper als CIO für beide Konzernteile, seitdem ist er CIO der neuen Tochtergesellschaft. Übergreifende IT-Aufgaben in der RWE AG werden derzeit von Winfried Bröring wahrgenommen.
Jan Leitermann
Seit Juni 2017 ist Jan Leitermann Group CIO beim österreichischen Öl- und Erdgaskonzern OMV in Wien. Leitermann war zuvor Managing Director und Board Member beim Beratungsunternehmen Accenture AG Schweiz.
Jürgen Skirde
Jürgen Skirde ist CIO der RAG. Gleichzeitig hat er die operativ ausgerichtete Funktion des IT-Leiters inne. Im Konzern arbeitet der Diplom-Ingenieur schon seit 1985 - zunächst zehn Jahre auf Bergwerken, seither im IT-Management. Unter anderem leitete er SAP-Einführungsprojekte, von 2004 bis 2011 war er für die Infrastruktur verantwortlich.
Jan-Hendrik Semkat
Seit November 2017 ist Jan-Hendrik Semkat neuer Bereichsleiter Innovations- & IT-Management bei Natgas. Der gebürtige Oldenburger war mehrere Jahre in den Bereichen Softwareentwicklung, Projektmanagement und Beratung in der Energiewirtschaft tätig. Zuletzt war er Geschäftsführer der SIV Utility Services.
Jörg Ochs
Jörg Ochs (51) hat am 2. September die Leitung der Informationstechnologie der Stadtwerke München (SWM) übernommen. Er berichtet an den technischen Geschäftsführer der SWM Helge-Uve Braun. Ochs ist bereits seit 2017 Geschäftsführer der SWM Infrastruktur GmbH, der SWM Infrastruktur Region GmbH und der RegioNetzMünchen GmbH. Insgesamt ist er bei der SWM seit 2003 beschäftigt, unter anderem als Senior-Manager IT-Security, Leiter IT-Security und Datacenter/Infrastruktur und als Leiter Telekommunikation bei der SWM Services GmbH.
Michael Seiferth
Im Oktober 2021 hat Michael Seiferth die Geschäftsführung der N-Ergie IT übernommen. Vorgänger Klaus Vogl hat das Unternehmen verlassen.

Das alte und das neue Active Directory werden über Schnittstellen verknüpft. So können Nutzer aus ihrer Umgebung auf Anwendungen in beiden Directories zugreifen, bis die neue RWE-IT komplett ist. Zudem können die Migrationsteams die User unabhängig von der Umgebung verschieben, ohne dass sie ihre Arbeit einstellen müssen.

Die Anwendungen werden sequenziell migriert. Als erstes verschiebt die IT die Testsysteme, danach die Development-Systeme und in einem letzten Schritt folgen die Produktionssysteme. So soll es möglich sein, die gesamte Migration innerhalb von einem Jahr zu schaffen.

Operational Readiness

Die neue IT muss nicht nur technisch aufgebaut, sondern auch für den Betrieb vorbereitet werden. Da RWE keine eigene IT-Abeilung hatte, stellte der Konzern von 2018 an mehrere Hundert neue Mitarbeiter an. Aktuell ist die IT-Belegschaft bei etwa 85 Prozent ihrer Sollstärke.

Zudem werden Prozesse eingeführt, um die IT zu einem Dienstleister für die kommenden Transformationen des Unternehmens zu machen. Mittlerweile hat sie etwa 2.000 der 20.000 Nutzer erfolgreich migriert. Auch unterstützende Systeme wie ServiceNow für Katalog-, Incident- und Change-Request-Management sind bereits im Einsatz.

Laut Bouwmans muss nun sichergestellt werden, dass alle Prozesse inklusive der Zulieferer in der neuen Umgebung ineinandergreifen. Etwa die Hälfte der Anwendungen laufen bereits im Testbetrieb. Darin ist rund ein Zehntel der Produktionssysteme enthalten, von denen der Großteil derzeit noch auf den technischen Plattformen von Innogy läuft.

Herausforderungen des globalen Business

Mit der Übernahme des internationalen Erneuerbaren-Geschäfts von Eon hat RWE zusätzlich zu den angestammten europäischen Märkten in Deutschland, Benelux und Großbritannien auch Geschäft auf dem nordamerikanischen Kontinent, Australien und Kanada erhalten. Das neue Business muss nun zeitgleich mit dem Neuaufbau der IT-Infrastruktur integriert werden.

Bei dem weltweiten Rollout steht RWE vor drei Herausforderungen:

Erstens müssen parallel das hinzugekommene Geschäft integriert und die neue IT-Plattform aufgebaut werden.

Zweitens ist das Renewables-Geschäft stark international geprägt, jedoch sollen alle Mitarbeiter weltweit dieselbe IT-Plattform nutzen können. Bislang war RWE hauptsächlich auf Europa ausgerichtet, nun kommen allein in Nordamerika mehrere hundert Mitarbeiter hinzu.

Drittens hatte Eon mit anderen Lieferanten zusammengearbeitet und verfolgte ein unterschiedliches Operating Model für Amerika. Hier prüft die IT gerade, ob es möglich ist, Teile des bereits vorhandenen Modells zu übernehmen und wie die RWE-Lieferanten dort integriert werden können.

RWE hat sich das das Renewable-Business von Eon und Innogy gesichert. Nun muss der Konzern eine neue globale IT-Plattform dafür aufbauen.
Foto: RWE AG

Nähe zum Geschäft und flache Strukturen

Um all das zu bewältigen, setzt RWE auf die Nähe zu den Fachabteilungen vor Ort. Geschäftskritische Systeme oder Prozesse, bei denen schnell reagiert werden muss, sollen lokal in den Geschäftssegmenten wie Trading, Generation, Power oder Renewables betrieben und verantwortet werden. Andererseits sollen Standardsysteme und Plattformen, die Skalenvorteile bieten - etwa Netzwerke oder Collaboration-Lösungen - global in der zentralen IT konzentriert und mit großen Partnern wie Avanade, Accenture, InfoSys oder Wipro realisiert werden.

Organisatorisch bemüht sich der Energiekonzern, die Zahl der definierten Rollen überschaubar zu halten. Die Hierarchien sind flach mit dem Ziel, Kundenwünsche schnellstmöglich bedienen zu können. Der Mehrwert einer Rolle oder Funktion für das Business soll so einfach und klar wie möglich beschrieben werden können. Das soll helfen, schnell und einfach zu erfolgreichen Modellen, Strukturen und Systemen zu gelangen. Zudem soll so die Anzahl an politischen Diskussionen reduziert werden.

Die flache Struktur spiegelt sich auch in der Holding der RWE AG wider. Sie hat lediglich rund 300 Mitarbeiter und wird von zwei Vorständen geführt.

Cloud-First-Strategie mit Hindernissen

Beim Aufbau der neuen IT-Landschaft verfolgt RWE eine Cloud-First-Strategie. So viel wie möglich soll so schnell es geht in die Cloud migriert werden. Laut Bouwmans ist die Public Cloud "besser, schneller, agiler und sicherer als das traditionelle Rechenzentrum." Das träfe etwa auf den Energiehandel im Trading Floor zu, denn da sei es notwendig, schnell zu agieren und zu skalieren. Die Anwendungen in der Cloud laufen auf Instanzen von Amazon Web Services (AWS) und Microsoft Azure.

Der Trading Floor im RWE Campus in Essen.
Foto: RWE AG

Bei all den Projekten, die seit 2018 angestoßen wurden, lag der Fokus jedoch zunächst darauf, den Betrieb sicherzustellen. Es sollte die IT-Infrastruktur aufgebaut und das Renewables-Geschäft integriert werden. Das Cloud-Projekt startet nur langsam. Die Applikationsteams des Bereichs Supply & Trading begannen vereinzelt mit der Migration, man wollte jedoch verhindern, durch zu viele parallele Projekte das Business zu stören.

Ein Teil der Applikationen läuft bereits in der Cloud, ein anderer Teil wird derzeit noch in ein von Wipro verwaltetes RWE-Rechenzentrum transferiert. Sobald die Renewables-Migration abgeschlossen ist, will RWE ein Projekt starten, bei dem ein Teil dieser On-premise-Anwendungen ihrerseits in die Cloud gehievt werden soll.

Der Versorger vertraut dabei auf eine Multi-Cloud-Strategie, die Ressourcen von Microsoft Azure und AWS einbezieht. Momentan evaluiert RWE, ob es nicht doch besser sein könnte, sich auf eine dieser beiden Plattformen zu konzentrieren. Hier spielen die eigenen Bedürfnisse, aber auch die Kosten sowie die Konditionen der Anwendungs-Owner und Partner eine Rolle. So empfiehlt etwa die Handelssoftware Endur einen bestimmten Cloud-Anbieter, um die beste Performance für das Business zu liefern.

Einige Teile der IT müssen jedoch aufgrund von KRITIS-Regularien im Rechenzentrum bleiben. Das betrifft etwa die Technik für die noch immer betriebenen Kernkraftwerke sowie die Kommunikationslösungen.