Führung und Management

"Scheitern kann schön werden"

11.12.2018 von Simon Hülsbömer
Je fortschrittlicher ein Unternehmen im digitalen Wandel agiert, desto positiver ist seine Fehlerkultur ausgeprägt. Gescheiterte Projekte zu akzeptieren und aus ihnen zu lernen, ist wichtig, sagt Professorin Miriam Müthel von der WHU.
  • Erfolgstheater und Sündenbockkultur sind die natürlichen Feinde einer positiven Fehlerkultur.
  • Fuck-up Nights bringen wenig, weil Mitarbeiter aufgrund der Firmenkultur nicht daran glauben, dass Scheitern ihrer Karriere dient
  • Unternehmen mit einer positiven Fehlerkultur sehen dagegen die Lernchancen aus (schnell) gescheiterten Projekten.

Miriam Müthel hat den Lehrstuhl für Organizational Behaviour an der WHU - Otto Beisheim School of Management inne und gehört seit 2018 zum internationalen Dozententeam des "Leadership Excellence Program" von CIO, WHU und DXC Technology. In dem seit diesem Jahrgang neuen Programmteil "Dealing with Failure" erkundet sie mit den IT-Managern und IT-nahen Fachbereichsentscheidern die positiven Seiten des Scheiterns und macht sich für eine ehrliche Fehlerkultur im Unternehmen stark. Wir haben mit ihr über diese Themen gesprochen.

Professorin Dr. Miriam Müthel, Chair of Organization Behaviour an der WHU, forscht insbesondere in den Bereichen International Management, Organisationsverhalten und Business-Ethik. Von 2013 bis 2015 war sie Network Fellow des Safra Center for Ethics an der Havard University - darüber hinaus ist sie Mitglied des Global Economic Fellow Program. Sie war im Bereich Information Management bei Continental und Capgemini beschäftigt und ist seit kurzem Teil des internationalen Dozententeams des CIO Leadership Excellence Program.
Foto: WHU - Otto Beisheim School of Management

CIO.de: Frau Müthel, warum fällt es uns schon rein menschlich so schwer, das Scheitern zu akzeptieren?

Miriam Müthel: Scheitern im Wirtschaftsumfeld heißt, die vom Unternehmen vorgegebenen oder die selbst gesetzten Ziele nicht zu erreichen. Erfolgreiche Manager überzeugen vor allem durch ihre begründete Zuversicht, die ihnen übertragenen Aufgaben erfolgreich zu Ende zu bringen, das heißt die gesetzten Ziele zu erreichen. Erfolgreiche Manager sind sexy - jeder möchte gern Teil eines erfolgreichen Teams sein. Manager, deren Projekte aus welchen Gründen auch immer gescheitert sind, befürchten, dass sie als "Flopmanager" abgestempelt werden und dieses Image unter Umständen nicht mehr loswerden.

CIO.de: Wie können wir diese Akzeptanz lernen?

Müthel: Wir brauchen eine neue Definition eines erfolgreichen Managers. Der Manager der Zukunft ist nicht mehr derjenige, der allein die ökonomischen Ziele seines Unternehmens kurzfristig durchsetzt und so Karriere macht. Er ist vielmehr jemand, der seine Mitarbeiter motiviert, Risiken einzugehen und dabei eventuell auch zu scheitern, um einen Beitrag für die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit ihres Unternehmens zu leisten. Gute Manager sorgen sich daher genauso um den Erfolg von Morgen und den Beitrag, den sie dazu leisten können, wie um den Erfolg von heute.

Scheitern birgt Lernchancen

CIO.de: Warum sollten Unternehmen eine positive Fehlerkultur pflegen?

Müthel: Der durch die Digitalisierung vorangetriebene disruptive Wandel zwingt Unternehmen zum kontinuierlichen Lernen. Die Lernfähigkeit eines Unternehmens wird daher zum kritischen Erfolgsfaktor im globalen Wettbewerb. Unternehmen mit einer positiven Fehlerkultur sehen vor allem die Lernchancen, die sich aus dem (schnellen) Scheitern von Projekten ergeben. Diese Unternehmen akzeptieren nicht nur, dass Fehler unvermeidbar sind - sie sehen auch einen Wert im effektiven und effizienten Scheitern.

In diesen Unternehmen stellt sich also nicht die Frage, ob Projekte scheitern, sondern wie sie scheitern. Sie sind daher in der Lage, Fehler schnell zu identifizieren und systematisch aus Fehlern für die Zukunft zu lernen. Sie lernen daher schneller (Fail Fast) und nachhaltiger (Fail Forward) als andere Unternehmen und generieren so einen Wettbewerbsvorteil.

CIO.de: Besonders eine lebendige Startup-Kultur lebt von Fehleinschätzungen und gescheiterten Projekten. Aber auch in Transformationsprojekten etablierter Unternehmen verläuft kaum etwas fehlerfrei. Warum sind Fehler gerade hier so wichtig?

Müthel: Fehler sind unvermeidbar, da die meisten Transformationsprojekte scheitern. Je mehr Angst Manager vor einem möglichen Scheitern ihrer Projekte haben, desto weniger Transformationsprojekte werden initialisiert. Nicht zu transformieren - also den Kopf in den Sand zu stecken - ist jedoch der schnellste Weg, um im Wettkampf von der Konkurrenz abgehängt zu werden.

"Abtritt Sündenbock - Vorhang auf für den nächsten Akt!"

CIO.de: In Ihren Vorträgen und Workshops sprechen Sie viel über "Erfolgstheater" und "Sündenbockkultur". Bitte definieren Sie beide Begrifflichkeiten einmal kurz.

Müthel: Erfolgstheater und Sündenbockkultur sind die natürlichen Feinde einer positiven Fehlerkultur. Im Erfolgstheater werden Manager zu Schauspielern. Sie sind nicht authentisch, sondern spielen eine vorgegebene Rolle: Immer erfolgreich erscheinen - ganz gleich, wie es wirklich läuft.

Um im Erfolgstheater eine Hauptrolle zu bekommen, sind Schauspiel-Manager stets darum bemüht, Erfolg auszustrahlen. Selbst, wenn es gar keinen Erfolg gibt. So präsentieren Schauspiel-Manager vor allem Zahlen, die sie besonders gut aussehen lassen. Alle anderen Zahlen werden unter den Tisch fallen gelassen. Kritische Nachfragen sind unerwünscht. Mitarbeiter, die die Wirklichkeit kennen, sind beeindruckt, fragen sich aber, um welches Projekt es sich handelt, denn das Projekt, an dem sie beteiligt waren, kann es nicht sein. Das lief nämlich eher katastrophal.

Die Sündenbockkultur ist die Kehrseite des Erfolgstheaters. Wenn ein Projekt doch einmal so sehr gescheitert ist, dass sich der Misserfolg nicht mehr verbergen lässt, muss möglichst schnell ein Schuldiger her. Sündenböcke ermöglichen eine einfache Erklärung des Misserfolges und ermöglichen so die ungestörte Fortsetzung des Erfolgstheaters. Frei nach dem Motto: "Abtritt Sündenbock - Vorhang auf für den nächsten Akt des Erfolgstheaters!"

Leider nur Erfolgstheater 2.0

CIO.de: Was ist in Abgrenzung dazu das "Agile Theater"?

Müthel: Das Agile Theater ist das Erfolgstheater 2.0. Viele Unternehmen haben erkannt, wie wichtig es ist, dass ihre Mitarbeiter das Risiko eines eventuellen Scheiterns auf sich nehmen, um die Transformationsprojekte des Unternehmens voranzutreiben. Aufgrund des in vielen (nicht allen!) Unternehmen dominierenden Erfolgstheaters, spielen viele Mitarbeiter jedoch weiterhin lieber auf sicher.

Um Mitarbeitern die Angst vor einem eventuellen Scheitern zu nehmen, versuchen Top-Manager mit gutem Beispiel voranzugehen und halten firmeninterne Vorträge über ihr eigenes Scheitern in sogenannten Fuck-Up Nights und ähnlichen Formaten. Auf hübschen Folien und in inspirierenden Talks heißt es dann: "Scheitern ist gut! Habt keine Angst vorm Scheitern - es hat mir auch nicht geschadet".

Solange in Unternehmen jedoch das Erfolgstheater herrscht, wird ein gescheitertes Projekt weiterhin die eigene Karriere kosten. Das heißt, auch wenn alle nun das Scheitern besingen, glaubt niemand wirklich daran, dass es eine gute Idee ist, selbst zu scheitern. Fuck-Up Nights etc. werden so zu einer neuen Spielart des alten Erfolgstheaters. Auf dem Spielplan steht nun: Agiles Theater.

Tipps für Entscheider

CIO.de: Wie können Führungskräfte eine positive Fehlerkultur in ihrem Verantwortungsbereich kultivieren?

Müthel: Führungskräfte sollten vor allem aufrichtig sein. Niemand scheitert gern. Wenn ein Projekt die vorgegebenen Ziele nicht erreicht, sollten Führungskräfte daher vor allem auch Empathie für die Frustration ihrer Mitarbeiter zeigen.

Zudem sollten sich Führungskräfte auf Lernchancen konzentrieren - also nicht im eigenen Frust der verfehlten Ziele des aktuellen Projektes versinken, sondern in die Zukunft blicken und das Beste aus diesem Projekt für das nächste Projekt machen. Die Verantwortung, die aus dem Scheitern entsteht, spiegelt sich dann nicht darin, einen Schuldigen festzumachen, sondern möglichst viel für die Zukunft zu lernen.

Fokussieren sich Führungskräfte auf die Lernchancen, so wird Mitarbeitern deutlich, dass ihr Projekt, auch wenn es die vorgegebenen Ziele nicht erreicht hat, dennoch einen wichtigen Beitrag für das Unternehmen leistet, indem es Effektivität und Effizienz zukünftiger Projekte fördert.

Je natürlicher es für Mitarbeiter wird, Lernchancen als einen wichtigen Beitrag für den Unternehmenserfolg zu interpretieren und das eigene Handeln danach auszurichten, desto eher werden sie ihre Angst vor dem Scheitern verlieren und die Freude am Lernen für sich entdecken.

"Scheitern kann schön werden"

CIO.de: Wann macht Scheitern Spaß?

Müthel: Scheitern an sich macht keinen Spaß. Erfolgreiches Lernen aus Fehlern schon. Scheitern im Augenblick des Scheiterns ist daher nie schön. Scheitern kann aber zu einem späteren Zeitpunkt schön werden, wenn man zeigen kann, dass der heutige Erfolg nur möglich ist, weil man zuvor gescheitert ist und aus genau diesem Scheitern etwas Wichtiges mitgenommen hat. Je direkter dieser Zusammenhang ist, desto schöner ist das frühere Scheitern im Augenblick des Erfolges. Scheitern ohne späteren Erfolg macht daher niemals Spaß.

Erfolgsfaktoren sind nur auf kurzfristige ökonomische Ziele ausgerichtet

CIO.de: Geben Sie uns abschließend bitte einige Tipps, wie ein Unternehmen dahinkommt, dass das Scheitern nicht als Teil des Problems, sondern als Teil der Lösung gesehen wird.

Müthel: Wenn nicht mehr das Scheitern, sondern die Lernchancen im Vordergrund stehen, gelingt der Wandel. Dazu müssen Unternehmen ihr Handeln fundamental überdenken. Augenblicklich sind Erfolgsfaktoren und deren Messung auf die kurzfristige ökonomische Zielerreichung einzelner Projekte ausgerichtet. Jahresgespräche, Beförderungen und auch Incentivierungssysteme, wie Boni, funktionieren nach der gleichen Logik.

Statt sich nur auf die ökonomische Zielerreichung zu konzentrieren, sollten Unternehmen zudem auf Lernbeiträge achten und diese messbar machen. Wenn Mitarbeiter Lernchancen identifizieren und diese nutzen, leisten sie Lernbeiträge - zu ihrem Projekt, aber vor allem auch zu Projekten in der Zukunft an denen sie eventuell gar nicht beteiligt sind.

Momentan ist es in den meisten Unternehmen weder möglich zu sagen, was relevante Lernbeiträge für die Zukunft sind, noch wie diese heute identifiziert werden können. Unternehmen brauchen daher ein systematisches Verständnis von Lernbeiträgen über die Zeit und über das Unternehmen hinweg, so dass Lernbeiträge eine eigene 'Währung' im Unternehmen werden.

Alternativen zur Gehaltserhöhung
Alternativen zur Gehaltserhöhung
Sicher, über Gehaltserhöhungen freut sich jeder. Aber nicht immer ist eine Gehaltserhöhung sinnvoll:
Kalte Progression
Etwa, wenn die kalte Progression zuschlägt und der Arbeitnehmer wegen der erhöhten Abgabenlast nichts mehr vom Zuschlag hat. Doch es gibt jede Menge Möglichkeiten, dem Mitarbeiter Gutes zu tun.
Einmal volltanken
Lange waren Tankgutscheine in Mode - doch die Handhabung erwies sich als zu kompliziert. Das hat auch der Gesetzgeber erkannt. Inzwischen darf der Arbeitgeber seinem Angestellten Sachzuwendungen in Höhe von 50 Euro zukommen lassen - jeden Monat.
Bloß nicht auszahlen!
Auszahlen darf das Unternehmen die 50 Euro nicht - sonst wären Steuern fällig.
Selbst kochen statt Essen gehen
Besonders praktisch: Essenschecks können auch im Supermarkt eingelöst werden.
Dienstwagen
Nach wie vor heißgeliebt: der Dienstwagen. Doch nicht jeder Mitarbeiter ist schon auf einer Gehaltsstufe, die einen Dienstwagen erlaubt - und nicht jeder will einen. Zudem müssen Unternehmen oft mit ihren Mitarbeitern komplizierte Verträge schließen. Wie wäre es stattdessen ...
Dienstrad
... mit einem Dienstrad? Gerade in großen Städten ist das Rad eine umweltfreundliche und schnelle Möglichkeit, zur Arbeit und zurück zu kommen. Vorteil: Die Nutzung des Dienstrads ist privat uneingeschränkt möglich, ohne dass komplizierte Verträge geschlossen werden müssen.
Kleine Geschenke
Ein Unternehmen kann über "anlassbezogene Zuwendungen" dem Mitarbeiter etwas schenken.
Leasingverträge für Smartphones
Wenn der Arbeitgeber keine Diensthandys zur Verfügung stellt, gibt es zudem die Möglichkeit, dass der Mitarbeiter über das Unternehmen ein Smartphone least. Das gilt natürlich für allerlei Elektrogeräte, etwa ...
Tablets
... iPads und andere Tablet-Computer. Für Wartung und Reparatur ist aber der Mitarbeiter selbst zuständig - und schenken darf die Firma dem Angestellten nach Ablauf des Leasingsvertrags das Gerät auch nicht.
Die Rechnung, bitte!
Alternativ kann der Arbeitgeber sich auch an der Telefonrechnung des Mitarbeiters beteiligen.
Prepaid-Kreditkarten
Einfach mit 50 Euro jeden Monat aufladen - und der Mitarbeiter kann sie ausgeben, wofür er möchte.
Karte für den ÖPNV
Vorsicht: Zahlt der Arbeitgeber einen Zuschuss zur Monatskarte für den ÖPNV, kann er seinem Mitarbeiter die 50 Euro nicht mehr auf die Prepaid-Kreditkarte laden. Doch auch da gibt es Alternativen.
Geburtstags- oder Jubiläumsgeschenke
Drei Mal im Jahr kann das Unternehmen so im Wert von 60 Euro ein Geschenk machen.
Fast wie Bargeld
Rabatte auf die eigenen Produkte für Mitarbeiter sind bis zu 1.080 Euro im Jahr steuerfrei.
Kantinenessen
Gern genommen sind auch Zuschüsse zum Essen. Dabei gibt es viele Möglichkeiten.
Schlauer als vorher
Ein Arbeitnehmer kann auch in Weiterbildungen für seine Mitarbeiter investieren und für sie keine Steuern oder Abgaben zahlen, solange klar ist, dass die Weiterbildung direkt für den Job anwendbar ist.
Leere Kita
Ein Unternehmen kann außerdem anbieten, dem Mitarbeiter einen Zuschuss zu den Betreuungskosten für die Kinder zu leisten. Er ist ebenfalls steuer- und sozialabgabenfrei und kann das Budget einer Familie entlasten.
Gesundheit!
Auch für die Gesundheit des Mitarbeiters kann ein Unternehmen für 600 Euro im Jahr Ausgaben tätigen.
Und was ist im Alter?
Alle On-top-Leistungen werden nicht in die Rentenkasse eingezahlt. Experten gehen nicht davon aus, dass der Rentenanspruch dadurch stark beeinflusst wird. Aber eine Rechnung aufstellen, schadet auf keinen Fall.