Ursula Soritsch Renier

So bewerkstelligt die Sulzer-IT-Chefin den Wandel

10.10.2014 von Karin Quack
Aus einem dezentral organisierten Konzern soll ein Unternehmen mit globaler Ausrichtung werden: Der Schweizer Maschinen- und Anlagenbauer Sulzer AG erfindet sich gerade neu. Und die IT soll dabei den "zentralen Wegbereiter" für die Veränderungen spielen.
Ursula Soritsch-Renier
Foto: Sulzer

Ursula Soritsch-Renier geht die Dinge eher pragmatisch als dogmatisch an: "Geschwindigkeit und Flexibilität gehen vor perfekte Architektur", sagt die IT-Chefin von Sulzer. Damit dürfe aber keine mangelhafte Qualität entschuldigt werden: "Beim SAP-System mache ich keine Abstriche. Aber manchmal hilft eine schnelle Brücke mehr als die perfekte Integration, die viel Zeit braucht."

Rasch, schnell oder sogar "rasend schnell" - diese Attribute fallen häufig, wenn Soritsch-Renier über die vergangenen beiden Jahre ihrer Karriere berichtet. Nur wenige Wochen vergingen zwischen dem Angebot des Sulzer-Finanzchefs in Boston, wo Soritsch-Renier für Novartis als Head of Strategy, Architecture and Project Management Office arbeitete, und ihrer Zusage, zu wechseln.

Sulzer in Zahlen und Fakten

IT als strategischer Enabler

"Neben anderen Gründen reizte mich auch die Gesamtverantwortung, die meine neue Position mit sich bringt", begründet die gebürtige Wienerin ihren Wechsel aus der Weltstadt Boston nach Winterthur, das wohl eher als beschaulich zu bezeichnen ist. "Bei Novartis hatte ich eine gute Rolle - aber ich war ,nur` für einen Teilbereich der IT verantwortlich, jetzt bin ich CIO einer Firma."

Die damit verbundene Möglichkeit, vieles neu zu gestalten und eine eigene, auf das Business abgestimmte Roadmap für die IT zu definieren, gab offenbar am Ende den Ausschlag. Zumal Soritsch-Renier - anders als die vorherigen Sulzer-CIOs - nicht an den CFO, sondern direkt an die Unternehmensleitung berichtet. Ein Indiz dafür, dass die IT bei Sulzer kein Erfüllungsgehilfe, sondern ein "strategischer Enabler" ist, wie sie es formuliert.

Die zitierten "anderen Gründe" haben offenbar mit dem Charakter der IT-Managerin zu tun. "Ich bin jemand, der gern verändert, etwas bewegt, ein Change-Manager", beschreibt sie sich selbst. Und das, was bei Sulzer vor sich ging, fand sie "spannend". Es sei quasi eine Geschichte, an die sie glaube.

Etwas mehr als ein halbes Jahr, nachdem Soritsch-Renier angeheuert hatte, kündigte Sulzer-CEO Klaus Stahlmann eine Reorganisation an, "bei der die IT einen zentralen Wegbereiter darstellen" sollte. Grob gesprochen, ging und geht es dem Konzern darum, sich von einer dezentralen Organisation zu einem Unternehmen mit starker Marktorientierung und globaler Ausrichtung zu wandeln. Die IT sollte das neue Geschäftsmodell unterstützen und für die organisatorische Beweglichkeit sorgen, die nötig ist, um auf die immer wieder neuen Herausforderungen der weltweiten Märkte zu reagieren.

Ursula Soritsch-Renier

Teams statt Fürstentümer

Dafür war Soritsch-Renier offenbar die Richtige. Dass sich in den zweieinhalb Jahren vor ihr schon zwei IT-Chefs an dieser Aufgabe abgearbeitet hatten und die CIO-Position bereits seit einem halben Jahr vakant gewesen war, störte sie nicht.

Die Strategie der Change-Managerin: Statt der technischen Architektur nahm sie zunächst die personelle Organisation ins Visier. "Auch in der Technologie geht es um Menschen, die Technik selbst ist doch nur ein Werkzeug."

Lieber mit eigenen Leuten

Von diesen Werkzeugen gab es Anfang 2013 eine ziemlich große Menge. Sulzer hatte damals vier relativ autonom agierende IT-Gruppen mit eigener Aufbau- und Ablauforganisation sowie jeweils eigenen, teilweise sogar mehreren Active Directories, E-Mail-Systemen, eigenen Netzwerken etc.

"Ich bin ziemlich rasch die Organisation angegangen." Was Soritsch-Renier so lapidar äußert, war mit Sicherheit ein Härtetest für die frisch gebackene IT-Verantwortliche. Im Zuge der organisatorischen Veränderungen war es unumgänglich, die lokalen IT-Fürstentümer zu zerschlagen, ihre bis dahin souveränen Herrscher zu entthronen und sie notfalls sogar ins Exil zu schicken. Wer solche Organisationsformen kennengelernt hat, weiß, wie schwer es ist, sie zu ändern. Gleichzeitig galt es, ein funktionierendes Team aufzubauen, mit dem sich die IT global steuern ließ. "Ich habe mir schnell die richtigen Leute gesucht, denn allein kann ich ja wenig machen", bekennt Soritsch-Renier.

Das Team sei enorm wichtig für sie, so die IT-Chefin. Sie wolle die besten Leute, die sie bekommen könne. Auch aus diesem Grund suche sie sich lieber eigene Spezialisten, statt anspruchsvolle Aufgaben an Dienstleister auszulagern, für die selbst ein großes Unternehmen wie Sulzer nur zweite Priorität habe.

Vor allem aber lege sie Wert darauf, "dass die Leute gern für mich arbeiten", beteuert die CIO. Persönliche Anerkennung und quasi-spielerische interne Wettbewerbe zählen deshalb zu ihren Führungsinstrumenten.

So ist die Sulzer-IT organisiert

Die grundsätzlichen Fragen

Auf das Team-Building folgte die strategische Diskussion:

Diese Fragen mussten gestellt und beantwortet werden. Dabei maßte sich Soritsch-Renier keineswegs an, alle Antworten allein zu finden.Unterhalb der CIO-Ebene hat die CIO ein 24-köpfiges Extended-Leadership-Team installiert, mit dem sie in ständigem Dialog steht: "Und ich scheue mich nicht, auch mal die Experten zu fragen, wie Sachen funktionieren."

Partner statt Kunden

Einen ähnlichen Dialog führt sie mit dem CEO und den Business-Verantwortlichen, die sie ausdrücklich nicht als "Kunden", sondern als "Partner" bezeichnet: "Der Kunde ist nun einmal König, aber ich kann nicht jedem Fachbereichsleiter seine Wünsche erfüllen und am Ende mit Systemen dastehen, die nicht miteinander sprechen."

Trotz ihrer Vorliebe für rasche Lösungen legt Soritsch-Renier Wert auf sorgfältige Planung. So ist es ihr gelungen, die Informationstechnik zu einem festen Bestandteil des rollierenden Dreijahresplans für den Gesamtkonzern zu machen: "Das ist keineswegs normal", ist sie überzeugt.

Wo immer es möglich ist, standardisiert die IT-Chefin ihre Plattformen. Unter ihrer Ägide wurde endlich Windows 7 global ausgerollt - nachdem zuvor bereits zwei Anläufe gescheitert waren. Von den 46 E-Mail-Systemen sind drei übrig geblieben. Sie werden laut Soritsch-Renier sogar einheitlich gemanagt: "Wir haben nur physisch eines in der EU, eines in den USA und eines in der Schweiz - aufgrund regulatorischer Vorgaben."

Doch die Harmonisierung reicht deutlich weiter: Es gibt mittlerweile Standards für Netze sowie ein Projekt-Management-Office (PMO) mit einheitlicher Methodologie, Key-Performance-Indikatoren (KPIs) und einem Approval Board, das jedes Vorhaben nach vorgegebenen Kriterien überprüft, bevor es seine Zustimmung gibt.

Grenzen der Standardisierung

Allerdings sieht Soritsch-Renier auch die Grenzen der Vereinheitlichung. Nicht überall ist es beispielsweise sinnvoll, ein Mammutsystem wie SAP einzuführen. Manchmal ist Microsoft Dynamics einfach die praktikablere Lösung. Und in der Geschäftseinheit Water kommt gar das wenig bekannte "iScala" von Epicor zum Einsatz. Der relativ standardisiert strukturierte Order-to-Cash-Prozess lässt sich durch ein ERP-System problemlos abbilden; für das vorhergehende "Opportunity to Order" braucht man flexiblere Lösungen.

Spezialanfertigungen und Dienstleistungen, wie Sulzer sie im Pumpengeschäft anbietet, gehorchen anderen betriebswirtschaftlichen Gesetzen als Standardprodukte, bei denen der Kostenaspekt eine viel größere Rolle spielt. Fazit der CIO: "Standardisierung ist kein Selbstzweck. Und wenn man zu viel vereinheitlicht, geht die Unterstützung für den Kunden verloren." Statt "Gleichmacherei nur für Unternehmenszwecke" folge sie lieber dem Wahlspruch: "Optimize the Diversity".

Soritsch-Renier mag offenbar griffige Slogans. Eine andere Maxime, die sie sich und ihren Mitarbeitern immer wieder ins Gedächtnis ruft, lautet: "Simplify, perform, collaborate." Jeder Mitarbeiter müsse sich permanent fragen: Was trägst du persönlich dazu bei, die Dinge zu vereinfachen, sie tatsächlich zu tun und sie gemeinsam mit den Kollegen zu tun?

Beitrag zum Cash-Management

Auch die IT insgesamt muss sich fragen lassen: Was trägt sie zum Unternehmenserfolg bei? Wie ist sie beispielsweise in das Working-Capital-Management-Programm ("Cash for Growth") involviert, das der CFO dem Unternehmen verordnet hat? - "Vor allem durch unser Sourcing-Konzept", sagt Soritsch-Renier. Sie sei nicht unbedingt eine Anhängerin des Outsourcings, aber sie sehe es auch nicht als notwendig an, jedes Rechenzentrum selbst zu betreiben: "Wenn die IT die Aktivitäten der Firma unterstützen soll, kann ich mir keinen Klotz ans Bein binden, indem ich alle Datencenter selbst aufbaue." Die Cloud könne ihr hier Arbeit abnehmen und das Budget entlasten.

Zwei Mitarbeiter sind eigens für das Vendor-Management abgestellt. "Services kauft man ja nicht mal eben so ein", erläutert die IT-Verantwortliche. Offenbar machen die beiden ihre Sache gut: Mit ihrer Hilfe habe Sulzer schon einen Betrag im unteren bis mittleren Millionenbereich eingespart, zuzüglich einer "Cost Avoidance" in ähnlicher Höhe, wie Soritsch-Renier versichert.

ITIL für alle

Selbstverständlich betreibt Sulzer immer noch genug eigene Datencenter. Denn auch hier gilt: Wenn die Konsolidierung Selbstzweck ist und "im Hauruckverfahren" umgesetzt wird, kostet sie mehr Geld, als sie einspart. Von Winterthur gemanagt, aber über den Globus verteilt, sprich: in Finnland, Houston/Texas sowie Singapur und Indien, wurde zudem eine Reihe von Centers of Excellence etabliert, die sich jeweils mit einem technischen Thema auseinandersetzen und einen "Follow-the-sun"-Betrieb ermöglichen.

Unter dem Strich soll der Abbau von IT-Altlasten mittelfristig beim Sparen helfen. Es gilt, die derzeit noch recht hohen Betriebskosten zu senken. Die Parole lautet hier: "Continuous Improvement". Damit es nicht bei guten Absichten und knackigen Slogans bleibt, hat Soritsch-Renier ihr gesamtes Team nach ITIL zertifizieren lassen. "Das Grundzertifikat nimmt zweieinhalb Tage in Anspruch", rechnet sie vor, "aber dafür verbringen die Mitarbeiter ihre anderen Arbeitstage effizienter." ITIL versetze sie in die Lage, eine gemeinsame Sprache zu sprechen, wodurch sich viele Missverständnisse ausschließen ließen.

Ständig verbessert habe sich auch der Umgang mit den Lieferanten: "Wir machen mittlerweile Proofs of Concepts mit den Anbietern", berichtet Soritsch-Renier: "Die offerieren ja freiwillig nur Funktionen und Service-Levels. Wie das in Organisation, Verantwortlichkeiten und Prozesse eingebunden ist, interessiert sie wenig. Und das haben wir geändert. Wir wollen gemeinsam mit den Lieferanten lernen."

Last, but not least arbeitet die IT auch daran, das Business ständig besser zu machen - und das sogar aktiv. "Die generelle Ausrichtung ist klar", räumt die IT-Chefin ein, "aber die Einzelheiten kann jeder im Senior-Management mitgestalten. Diese Möglichkeit nutze sie: "Ich eröffne dem Business auch das Blickfeld dafür, was wir als IT ihm bieten können. Ich sehe mich in dieser Beziehung als Beraterin."

Stand des Projekts

Die Umgestaltung der Sulzer-IT ist bis zum Ende des kommenden Jahres terminiert. Mit der Windows-7-Einführung hat sie einen wichtigen Meilenstein erreicht. Was bleibt nun noch zu tun? - "Die Gleise sind gelegt, die Züge aufgestellt, oder anders ausgedrückt: Die Architektur steht im Prinzip", konstatiert Soritsch-Renier, "jetzt muss sie aber noch abgearbeitet werden."

Darüber macht sich die IT-Verantwortliche selbst aber gar nicht mehr so viele Gedanken: "Das ist reine Execution." Sie hat ihren Blick schon in die nähere Zukunft gerichtet: "Ich beschäftige mich mit unseren Midrange-Plänen." Wie die aussehen, bleibt vorerst ihr Geheimnis. Sicher ist lediglich, dass sie auch ein Auge auf die Vertriebsseite haben wird, die in der Fertigungsindustrie generell eher schwach ausgebildet ist.