Blockchain

So finden CIOs den richtigen Use Case

14.02.2019 von Nicolas  Eckhardt und Ingo Meironke
Blockchain-Technologien bieten Unternehmen ein enormes Potenzial. Doch viele Entscheider stehen vor dem Problem, den richtigen Use Case zu finden. In der Praxis hat sich ein Vorgehen in vier Schritten bewährt.

Der große Hype um die Kryptowährung Bitcoin scheint zwar vorbei zu sein, doch die zugrunde liegende Blockchain-Technologie steht noch am Anfang ihrer Karriere. Im Prinzip ermöglicht die Blockchain eine unveränderbare und fälschungssichere Datenspeicherung. Dadurch lassen sich Transaktionen auf vertrauenswürdige Weise durchführen, auch ohne, dass sich die Geschäftspartner kennen. Nicht einmal eine Zertifizierung oder das Einschalten einer dritten Partei ist notwendig.

Zudem spielt es keine Rolle, um welche Art von Transaktion es sich handelt - ob Geldüberweisung, Warenkauf oder Bestellung bei einem Lieferanten. Einzige Voraussetzungen dabei: Die Prozesse müssen sich vollständig digital abbilden lassen und alle Beteiligten greifen auf eine gemeinsame Blockchain zu. Diesgewährleistet die Verbindlichkeit und Nachvollziehbarkeit der Transaktionen.

Unternehmen, die prüfen, wie sie die Vorteile der Blockchain-Technologie für sich nutzen können, müssen vor allem geeignete Einsatzszenarien identifizieren.
Foto: NicoElNino - shutterstock.com

Zum Beispiel muss der Käufer eines Gebrauchtwagens bislang den Angaben des Verkäufers vertrauen, etwa ob der Wagen einen Unfall hatte, welche Reparaturen durchgeführt wurden oder der Tachostand korrekt ist. Mit der Blockchain-Technologie ließen sich diese Angaben über die komplette Lebensdauer des Fahrzeugs hinweg unveränderbar und ma-nipulationssicher speichern. So könnte der Käufer überprüfen, ob alle Angaben des Verkäufers richtig sind.

Unternehmen, die bereits darüber nachdenken, wie sie die Vorteile der Blockchain-Technologie für sich nutzen können, müssen vor allem geeignete Einsatzszenarien identifizieren. Folgende vier Schritten helfen dabei.

Zuerst müssen Ideen für mögliche Use Cases entwickelt werden - möglichst frei von Einschränkungen. Hier haben sich diverse Kreativitätstechniken etabliert. Dazu gehören Innovation Workshops, Design Thinking oder Hackathons, die vor allem im Entwicklungsbereich eingesetzt werden. Aber auch klassische Techniken wie Brainstorming, Bionik, Six Hats oder die 6-3-5-Methode lassen sich nutzen. Unabhängig von der Methode gibt es zwei grundsätzliche Ansätze, um einen Business Case für die Blockchain zu finden:

Der disruptive Ansatz basiert auf der ketzerischen Frage: Was muss geschehen, damit das eigene Unternehmen in fünf Jahren vom Markt verschwunden ist? Gerade eine umgekehrte Perspektive zur normalen Denkweise kann bei Kreativitätstechniken einen wahren Ideenschub auslösen. Zudem lassen sich hiermit mögliche Gefahren aus Business-Sicht erkennen und analysieren.

Neben Brainstorming eignet sich etwa die 6-3-5-Methode: 6 Personen aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen schreiben 3 Ideen auf einem Blatt Papier in 5 Minuten auf. Dann werden die Zettel an den Nachbarn weitergereicht, der alle Ideen kommentiert, er-weitert und vertieft. Dies wird solange wiederholt, bis jeder Teilnehmer jeden Zettel bearbeitet hat. Anschließend werden die Ergebnisse in der Gruppe diskutiert.

In einem konkreten Beispiel kam heraus, dass ein Unternehmen von einem Wettbewerber mit einem AirBnB-Modell am stärksten bedroht wäre. Denn es könnte keine Produkte mehr vermieten, wenn die Kunden das untereinander erledigten. Also entschied sich das Unternehmen, eine solche Lösung einfach selbst zu entwickeln und für sich zu nutzen.

Der analytische Ansatz wirkt dagegen deutlich klassischer: Er bewertet die Wertschöpfungskette anhand von Methoden aus dem Business Process Modelling (BPM). Die Blockchain ist zum Beispiel dann relevant, wenn viele Beteiligte miteinander interagieren, die sich gegenseitig per se nicht vertrauen. So wird über grafisch dargestellte Geschäftsprozesse die Wertschöpfungskette betrachtet, um neuralgische Punkte zu entdecken, welche viele Beteiligte betreffen und immer wieder zu Problemen führen.

Dies lässt sich analytisch starten und mit einem Workshop oder einer Interview-Reihe mit den Beteiligten fortführen. Hier werden die Prozessbeteiligten gebeten, den Ablauf mit Worten zu beschreiben und Probleme aufzuzeigen. Die Interviews sollten unabhängige Dritte durchführen, damit die Schwierigkeiten offen angesprochen werden. So ließe sich zum Beispiel in einem Prozess der dezentralen Energieversorgung per Interviews klären, wie vorgegangen werden soll, wenn Nutzer nicht rechtzeitig ihre Rechnungen bezahlen (Mahnungen, Stromkontingente, Obergrenzen, Drosselung).

Blockchain oder SQL-Datenbank?

Klingt eine Idee vielversprechend, muss das Unternehmen die richtige Technologie ermitteln. Dies kann neben Blockchain auch eine SQL-Datenbank, ein Datenmanagement-System oder eine Cloud-basierte "Software as a Service"-Lösung sein. Ob Blockchain die optimale Lösung darstellt, lässt sich anhand des folgenden Modells feststellen (siehe Grafik).

Bei der Entscheidung für oder gegen eine Blockchain hilft ein strukturiertes Vorgehensmodell.
Foto: Campana & Schott

Ein mögliches Szenario wäre die weltweite Überwachung der Supply Chain in Echtzeit. Derzeit werden bei Verspätungen von Container-Schiffen die Empfänger meist verspätet oder gar nicht informiert. Erfährt der Kunde jedoch, dass sich die Ankunft einer Schiffslieferung um mehrere Tage verspätet, könnte er unmittelbar reagieren und eine Ersatzteil-Lieferung per Flugzeug veranlassen. Die hohen Kosten würden durch den vermiedenen Produktionsstillstand amortisiert. Da hier mehrere - teils wenig bekannte - Parteien beteiligt sind, die Transaktionen voneinander abhängen und eine geringe Latenz akzeptabel ist, kommt eine Blockchain grundsätzlich in Frage. Allerdings könnte eine Lösung auf Basis bestehender Supply Chain-Management-Systeme günstiger sein.

Wie effektiv lässt sich die Blockchain nutzen?

Stellt sich die Blockchain als optimale Technologie heraus, müssen Unternehmen jedoch ermitteln, wie effektiv sie sich einsetzen lässt. Dafür eignet sich folgendes Reifegrad-Modell.

Wie effektiv lässt sich eine Blockchain einsetzen? – Erkenntnisse liefert ein Reifegradmodell (FETTE Schrift heißt: Zwingend notwendig. Normale Schrift heißt: Erleichtert die Implementierung.)
Foto: Campana & Schott

Reifegrad der Digitalisierung

Reifegrad der IT-Infrastruktur

Reifegrad der internen Prozesse

Einen hohen Reifegrad besitzt etwa die Deutsche Bahn, da sie ihre Prozesse schon sehr gut digitalisiert hat. So könnte sie - nach Prüfung der Infrastruktur und interner Kompetenzen - eventuell bereits den bislang formularbasierten Prozess zur Beantragung von Entschädigungen bei Verspätungen mit Hilfe der Blockchain-Technologie automatisieren. Dies würde nicht nur mehr Vertrauen bei den Kunden schaffen, sondern auch durch automatische Prüfungen viel Zeit und Kosten für die Bahn sparen.

Auch wenn das Errechnen eines ROI oder ähnlicher Kennzahlen gerade bei neuen Technologien aufgrund fehlender Benchmarks äußerst schwer ist, muss ein echter Business Case entwickelt werden. Zur wirtschaftlichen Prüfung stehen viele bewährte Vorlagen zur Verfügung. Beim Thema Blockchain sind "ICO-Canvas" und BMC (Business Model Canvas) am weitesten verbreitet. Bestätigt die Berechnung eine Wertsteigerung für das Unternehmen durch die neue Blockchain-Lösung, führt das Unternehmen diese im letzten Schritt ein. Das geschieht entweder in Eigenregie oder in Zusammenarbeit mit einem Partner oder Startup.

Startups fungieren als möglicher Inputgeber sowie als unabhängige Institution, um die Blockchain-Lösung bei allen Prozessbeteiligten einzuführen. Unternehmen sollten die Startup-Szene in der eigenen oder in verwandten Branchen analysieren und deren Ansätze prüfen. Anschließend ist zu evaluieren, ob diese eine Gefahr für das eigene Geschäft darstellen könnten und welche Vorgehensweise optimal ist: selbst als etabliertes Unternehmen mit mehr Marktmacht das Thema vorantreiben oder mit diesem Startup kooperieren oder eine eigene Lösung entwickeln.

Zum Beispiel wurden in einem Backoffice täglich 25 bis 30 Pakete zugestellt. Dies führte zu hohem Verwaltungsaufwand, da ohne eine kontrollierte Übergabe Pakete verloren gingen oder von falschen Personen mitgenommen wurden. Das Unternehmen prüfte mehrere Start-ups, doch keines besaß eine passende Lösung. Dabei besteht dieses Problem auch in Mehrfamilienhäusern.

Ein Blockchain-basiertes System kann die Lieferung sowie Weitergabe von Paketen kontrollieren und nachverfolgen. Zudem lassen sich Pakete in eine PostBox legen, die sich zentral im Büro oder am Mehrfamilienhaus befindet. Hier werden in einer Box Pakete für alle Parteien hineingelegt und deren Verbleib per Blockchain überwacht. Diese Lösung wird von Campana & Schott aktuell entwickelt und getestet.

Fazit

Die Blockchain-Technologie bietet viele Möglichkeiten, doch einen konkreten Business Case zu entwickeln und zu realisieren, ist nicht trivial. Daher fragen sich viele Unternehmen, ob sie erst die weitere Entwicklung von Lösungen abwarten oder diese aktiv vorantreiben sollen. Dabei sollte klar sein: Wer jetzt startet, ist vorne mit dabei. Dennoch sollten Unternehmen aufpassen, dass sie die richtige Richtung einschlagen und keine Insellösung einführen. Hier helfen eine gründliche Marktbeobachtung und die Zusammenarbeit mit Startups.