Wissen nutzbar machen

So funktioniert der Knowledge Graph von Leoni

28.09.2023 von Dirk Stähler und Nadja Möller  
Der Automobilzulieferer Leoni nutzt einen auf Open-Source-Produkten basierenden Knowledge Graph zur Steuerung der unternehmensweiten Transformation und Integration diverser Inhalte der Unternehmensarchitektur.
Der auf Drähte, Kabel und Bordnetz-Systeme spezialisierte Automobilzulieferer Leoni will sämtliches Wissen im Unternehmen nutzbar machen. Dafür wurde ein Knowledge Graph entwickelt.
Foto: Leoni

Automobilzulieferer stehen aktuell unter erheblichem Transformationsdruck - getrieben von Trends wie der Vernetzung des Fahrzeugs, automatisiertes Fahren, Elektrifizierung des Antriebsstrangs sowie Digitalisierung und CO2-Minimierung.

Neue Studien zeigen, dass Zulieferer einen umfassenden Wandel einleiten müssen. Um diesen zu steuern, ist es erforderlich, die Zusammenhänge zwischen Geschäfts-, System-, Informations- und Technologie-Architekturen eines Unternehmens jederzeit im Blick zu haben.

Als Anbieter von Produkten, Lösungen und Dienstleistungen für das Energie- und Datenmanagement durchläuft Leoni derzeit eine umfangreiche Transformation in seinem Bordnetzbereich. Der Automobilzulieferer hat vielfältige Aktivitäten eingeleitet, um die betriebliche Effizienz zu steigern.

Für die beteiligten Mitarbeiter ist es wichtig, jederzeit die Auswirkungen und Interdependenzen einzelner Transformationsprojekte im Blick zu behalten. Nur dann ist gewährleistet, dass die Arbeiten an der Strategie des Unternehmens ausgerichtet und eine nachhaltige Verbesserung der operativen Wertschöpfung als Ganzes erreicht wird. Dazu müssen Informationen aus unterschiedlichen Perspektiven zusammengeführt werden.

Leoni wird das zukünftig systemgestützt flexibel mit einem Knowledge Graph umsetzen. Im Zentrum steht ein Unternehmensmodell, welches ermöglicht, Informationen zur Entscheidungsunterstützung mit hoher Genauigkeit zusammenzuführen, und als "zusätzlicher Bonus" in wesentlichen Teilen auf lizenzkostenfreier Software basiert.

Klassische Unternehmensarchitekturen alleine funktinieren nicht mehr

Seit vielen Jahren werden Unternehmensarchitekturen in privatwirtschaftlichen Unternehmen und Behörden eingesetzt, um die Effizienz zu steigern, eine Standardisierung zu erreichen, die Transparenz zu erhöhen und kontinuierliche Verbesserung mit Hilfe einer sicheren Informationsbasis voranzutreiben. Zur Dokumentation der Informationen kommen meist spezialisierte Frameworks und Notationen zu Einsatz, wie zum Beispiel Zachman, TOGAF, ArchiMate oder BPMN. Diese bieten einen systematischen Rahmen, um Geschäftsprozesse, Organisationsstrukturen sowie Daten- und IT-Architekturen zu verwalten und zu optimieren.

Meist nutzen verschiedenen Teams und Projekte eine Vielzahl von Frameworks und Softwareprodukten, um Inhalte zu erfassen. So entstehen heterogene Informationsinseln, die im besten Fall "nur" Mehrarbeit erzeugen, im schlimmeren - und häufigeren - Fall zu Inkonsistenzen zwischen den Datenbeständen führen.

Wenn in einer dynamischen Umgebung Informationsquellen sicher zusammengeführt werden müssen, um schnell auf komplexe Fragestellungen Antworten zu liefern, versagen diese Ansätze. Beispielhaft zu nennen sind Compliance-Anforderungen, die unter anderem die Verbindung von Data Security und Geschäftsprozessinhalten erfordern, aber in unabhängigen Werkzeugen verwaltet werden. Klassische Dokumentationen der Unternehmensarchitektur sind wenig flexibel, erfordern größere Anstrengungen um zusätzliche Informationsquellen einzubinden und erlauben keine ad-hoc Analysen auf einer gemeinsamen Datenbasis.

Um diesem Problem zu begegnen, hat Leoni begonnen, entscheidungsrelevante Informationen auf Basis eines integrierten Knowledge Graph bereitzustellen, der durch Methoden der Computer Aided Structure and Semantic Analysis (CASSA) gewonnen wird. Bei CASSA handelt es sich um die computergestützte Generierung eines Knowledge Graphen, der es erlaubt, verknüpfte Analysen auf heterogenen Ausgangsdaten zu erstellen, ohne auf umfangreiche methodische und technische Integrationen angewiesen zu sein. Der Graph basiert auf einer offenen Datenstruktur, die es ermöglicht, flexibel Inhalte in den bestehen Datenpool zu integrieren - ohne Konflikte.

Leoni vermeidet auf diesem Weg die Schwachstellen des klassischen Ansatzes. Das umfasst im Besonderen die folgenden Punkte:

Inhalt - von der globalen zur projektbezogenen Betrachtung

Projekte sind heute die primären Quellen für Inhalte im Architekturmanagement und steuern wesentlich dessen Ausrichtung. Nur wenn die agilen Anforderungen von Projekten unterstützt werden, liefert die Unternehmensarchitektur einen wertstiftenden Beitrag.

Für Leoni bedeutet dies, dass individuelle und aus Projektaufgaben hervorgehende Fragen zur Transformation der Organisation flexibel und schnell beantwortet werden müssen, ohne die dafür notwendigen Informationsquellen bereits im Vorfeld vollständig zu kennen.

Detaillierung - von der starren zur flexiblen Methodik

Nach festen Vorgaben erstellte Architekturdokumentationen verlieren an Bedeutung und werden ergänzt durch flexible Ansätze mit individuellem Detaillierungsgrad.

Für Leoni entsteht daraus die Anforderung, dass eine nach wie vor erforderliche Gesamtmethodik zur Abbildung der Unternehmensarchitektur flexibel durch projektindividuelle Inhalte ergänzt werden kann. Dadurch gewährleistet Leoni, dass neue Inhalte mit minimalem Aufwand in die bestehende Architektur integriert werden.

Topologie - von der Insel zum Netz

Durch die Verknüpfung mit projektindividuellen Inhalten entwickelt sich das Architekturmanagement vom Urheber zum Integrator des Wissens einer Organisation. Der Fokus liegt zukünftig stärker darauf, diverse Informationsquellen zu verknüpfen, als darauf, einzelne "Inseln der Wahrheit" zu erzeugen.

Für Leoni bedeutet dies, die vorliegende Gesamtarchitektur so flexibel aufzustellen, dass bisher nicht in Beziehung stehende Informationsquellen verbunden und - wo sinnvoll - ohne Duplikate für Analysen zur Verfügung stehen.

Beschreibung - von der graphischen zur abstrakten Darstellung

Die abstrakte und notationsneutrale Konsolidierung aller Inhalte in einem Modell führt Architekturwissen effizient zusammen. Ziel ist die Trennung von Darstellung (Notation) und Inhalt. Dadurch wird der Aufbau, die Pflege und die Wartung einer Unternehmensarchitektur erheblich vereinfacht.

Leoni überführt die in verschiedenen Notationen vorliegenden Inhalte in ein notationsneutrales Gesamtbild. So entsteht ein Unternehmensmodell, welches ausschließlich die semantischen Zusammenhänge abbildet, frei von Einschränkungen durch notationsindividuelle graphische Visualisierungen.

Erhebung - von der manuellen zur automatischen Erfassung

Automatische Verfahren zum Sammeln, Aufbereiten und Speichern von Architekturwissen helfen, komplexe individuelle Informationen langfristig mit vertretbarem Aufwand zu dokumentieren und zu konsolidieren.

Dies ist aktuell bei Leoni noch nicht umgesetzt. Der notationsneutrale Knowledge Graph öffnet aber bereits heute die Möglichkeit, zukünftig anfallende Inhalte automatisiert in die Unternehmensarchitektur einzubinden und den Aufwand zur Datenerhebung weiter zu reduzieren.

Visualisierung - vom Modellieren zum Generieren

Graphische Visualisierungen werden auf Basis eines abstrakten Modells generiert und nicht mehr modelliert.

Der integrierte Knowledge Graph erlaubt es Leoni, graphische Visualisierungen zur Kommunikation der Unternehmensarchitektur einzusetzen ohne diese in jedem Fall zu modellieren. Es ist nicht mehr zeitgemäß, Diagramme immer mit hohem Aufwand manuell durch Mitarbeiter erstellen zu lassen. Vielmehr lassen sich umfangreiche Darstellung mit Computerhilfe flexibel generieren.

Werkzeuge - von Suites und Best-of-Breed zu Hub and Spoke

Schemalose Graphen-Datenbanken und Analysetools ermöglichen individuelle Architekturinhalte flexibel zu verbinden, gezielter auszuwerten und einfacher zu kommunizieren.

Bei Leoni werden auch in Zukunft individuelle Werkzeuge zur Lösung von Spezialaufgaben nicht verschwinden. Spezielle Lösungen, um Prozess-, Daten-, Organisations- oder Applikationsarchitekturen zu verwalten, wird es weiterhin geben. Wichtig ist aber, die Inhalte dieser Werkzeuge mit möglichst geringem Aufwand zu integrieren. Nur dann liefern sie einen übergreifenden und widerspruchsfreien Mehrwert. An dieser Stelle setzt Leoni auf den Einsatz einer Graphen-Datenbank zur Abbildung des Knowledge Graphen.

Eine detaillierte Erläuterung, wie die oben aufgeführten Punkte eine moderne Unternehmensarchitektur bilden, findet sich im Artikel "7 Schritte zur modernen Enterprise-Architektur".

Methoden der Computer Aided Structure and Semantic Analysis (CASSA) unterstützen Leoni, diese moderne Form einer Unternehmensarchitektur aufzubauen. Wie aber wird der zugehörige Knowledge Graph erstellt, langfristig aktuell gehalten und wo fängt man am besten an? Diese Fragen hat Leoni für sich beantwortet.

Die zentralen Bestandteile eines integrierten Knowledge-Graph

Ganz allgemein handelt es sich bei einem Knowledge Graph um die strukturierte Darstellung der Beziehungen zwischen Entitäten und Konzepten diverser (Fach-)Bereiche. Zwei bekannte Vertreter sind zum Beispiel das Beziehungsnetzwerk von Facebook oder der Google Knowledge Graph. Mit letzterem stellt die Suchmaschine weiterführende Informationen zusätzlich zu Suchergebnissen in einer Infobox bereit, zum Beispiel über Orte, Personen oder Unternehmen.

Basis für die Ableitung der verknüpften Inhalte ist ein Knowledge Graph. Er entsteht, indem semantische Beziehungen zwischen den Entitäten betrachteter (Fach-)Bereiche in Beziehung gesetzt werden. Im Ergebnis handelt es sich um ein Netzwerk aus verknüpften Informationen. Abbildung 1 zeigt die vereinfachte Struktur eines Knowledge Graphen und die darin abgebildeten Zusammenhänge.

Abb. 1: Exemplarische Darstellung der Zusammenhänge innerhalb eines Knowledge Graphen
Foto: Dirk Stähler / Nadja Möller

Durch die Verknüpfung ist es möglich, ein umfassenderes Verständnis über die betrachteten Inhalte und deren Abhängigkeiten zu gewinnen. Vielfach sind anspruchsvolle Abfragen, Analysen und Auswertungen überhaupt erst durch diese Verknüpfungen realisierbar. Die wesentlichen Bereiche eines Knowledge Graph für eine Unternehmensarchitektur können wie folgt gegliedert werden:

Leistungen beschreiben Ergebnisse einer menschlichen Tätigkeit oder eines technischen Vorgangs. Ausgelöst wird die Erzeugung oder Bereitstellung einer Leistung immer durch den Bedarf eines die Leistung abnehmenden Menschen, einer Organisation oder eines Systems.

Domänen beschreiben Gruppen, in denen Inhalte zusammengefasst werden, die daran beteiligt sind, Leistungen zu erbringen.

Systeme beschreiben Komponenten, die genutzt werden, um Leistungen zu erbringen.

Geschäftsprozesse beschreiben den sequenziellen Ablauf von aufeinander einwirkenden Vorgängen oder Arbeitsschritten innerhalb eines Systems, die ausgeführt werden, um eine Leistung zu erbringen.

Organisationsstrukturen beschreiben die organisatorischen Subjekte, die aktiv Prozesse ausführen können.

Informationen beschreiben Wissen, das von einem Akteur in einer konkreten Situation zur Leistungserbringung benötigt wird.

Eine detailliertere Beschreibung der Dimensionen findet sich im Artikel "Rahmen für den Bau einer Enterprise Architektur".

Vorteile eines Knowledge Graph

Durch die Verknüpfung der Inhalte zu einem Knowledge Graph werden mehrere Vorteile realisiert:

Datenintegration und Kontextualisierung: Knowledge Graphen bieten einen Rahmen, um Inhalte aus verschiedenen (Fach-)Bereichen zu integrieren und einheitlich darzustellen. Indem Beziehungen zwischen den Entitäten und Konzepten erfasst werden, ermöglichen sie ein tieferes Verständnis der zugrundeliegenden Informationen und ihres Kontexts.

Darstellung von Zusammenhängen: Knowledge Graphen ermöglichen, komplexe Beziehungen zwischen Entitäten zu erfassen. Sie können verschiedene Arten von Beziehungen darstellen, beispielsweise hierarchische, zeitliche, räumliche, kausale und semantische Zusammenhänge. Dies ermöglicht es, das zugrundeliegende Wissen umfassend darzustellen und erleichtert erweiterte Abfragen und Analysen.

Verbesserte Auswertungen: Knowledge Graphen erlauben eine semantische Suche und erleichtern es, relevante Informationen basierend auf Beziehungen und Kontext leichter zu finden. Ihre netzwerkartige Struktur ermöglicht eine effiziente Navigation innerhalb miteinander verbundener Daten. Dies fördert ein Verständnis für Zusammenhänge, die in herkömmlichen Dokumentationsformen in der Regel nicht erkennbar sind.

Wissensanreicherung und Inferenz: Knowledge Graphen erleichtern die Integration unterschiedlicher Inhalte, da sie leicht mit anderen Informationsquellen wie Ontologien, Taxonomien oder sonstigen Datensätzen verknüpft werden können. Die Anreicherung erhöht die Qualität und Tiefe der verfügbaren Informationen. Darüber hinaus unterstützen sie, über Inferenz implizites Wissen zu entdecken und neue Verbindungen auf der Grundlage vorhandener Informationen zu gewinnen.

Skalierbarkeit und Flexibilität: Knowledge Graphen können horizontal skalieren, wenn neue Daten hinzugefügt werden. Sie bieten Flexibilität bei der Anpassung an sich entwickelnde Datenstrukturen und Anforderungen. Es können problemlos neue Entitäten, Beziehungen und Attribute integriert werden, sodass sie für dynamisch entwickelnde Bereiche geeignet sind. Dadurch ermöglichen Knowledge Graphen die Kombination deskriptiver Prozessbeschreibungen mit operativen Inhalten aus realen Prozessinstanzen, zum Beispiel ermittelt durch Process Mining.

Die Abbildung einer Unternehmensarchitektur als Knowledge Graph hilft, verbundene Informationen zu nutzen, verborgene Zusammenhänge aufzudecken, die Transparenz zu erhöhen und Entscheidungsprozesse zu verbessern. Sie liefern das ideale methodische Konstrukt, eine integrierte Unternehmensarchitektur aufzubauen.

Bei Leoni wurde als Ausgangspunkt für den Knowledge Graph der Inhalt eines vorhandenen Geschäftsprozessmodells verwendet, welches auf Basis des Modellierungswerkzeuges BIC Process Design der GBTEC Software AG erstellt wird.

Der initiale Aufbau des Leoni Knowledge Graphen

Das Werkzeug bietet verschiedene Notationen, unter anderem BPMN, DMN und Value Chains, zur Abbildung einiger - aber bei weitem nicht aller - erforderlichen Dimensionen einer Unternehmensarchitektur. Durch die strukturierte Erfassung zentraler Geschäftsprozesse inklusive aufbauorganisatorischer und informationeller Zusammenhänge lag bereits ein erstes Gerüst für den Knowledge Graph vor.

Zu erwähnen ist, dass für den initialen Aufbau des Knowledge Graphen neben dem bei Leoni genutzten Werkzeug grundsätzlich jedes modellbasierte Tool verwendet werden kann, zum Beispiel LeanIX, SAP Signavio oder BoC Adonis. Ziel des Ansatzes ist ja gerade, unterschiedliche Datenquellen werkzeugneutral zu kombinieren.

Die Notwendigkeit dieser Flexibilität zeigt sich - wie in nahezu jeder großen Organisation - auch bei Leoni. Es kommen verschiedene Werkzeuge zum Einsatz, um Inhalte für die integrierte Unternehmensarchitektur bereitzustellen. Grund dafür ist, dass in der Regel ein Werkzeugtyp alleine nicht ausreicht, um alle steuerungsrelevanten Informationen effektiv und effizient zu dokumentieren. Insbesondere in einer agilen Welt werden projektindividuell diverse Werkzeuge genutzt.

Für den Aufbau des Knowledge Graphen muss deshalb zwingend gewährleistet sein, dass verschiedene Informationsquellen flexibel, mit minimalem Aufwand und aus nahezu beliebigen Ausgangsformaten integrierbar sind. Egal ob es sich um Geschäftsprozessbeschreibungen, textuelle Dokumentationen in Wikis, Inhalte aus Ticket Systemen, operative ERP- oder ITSM-Inhalte und sonstige über APIs bezogene Informationen handelt. Wahrscheinlich kennt jeder aus dem eigenen Projektalltag unzählige Excel-Listen, in denen entscheidungsrelevantes Wissen steckt, welches oft nur unter "Schmerzen" zu einem Gesamtbild konsolidiert werden kann.

Technisch ist es deshalb ratsam, einen Ansatz zu wählen, der es erlaubt, Inhalte unabhängig von werkzeugspezifischen Notationen zu erfassen und miteinander in Beziehung zu setzen. Leoni erreicht dieses Ziel durch Abbildung des Knowledge Graphen in Form eines Property Graph.

In einem Property Graph repräsentieren die Knoten Objekte, wie zum Beispiel Produkte, Rollen und Prozesse, während die Verbindungen die Beziehungen zwischen den Knoten darstellen. Jedem Knoten und jeder Verbindung können Eigenschaften zugeordnet sein, die als Key-Value Kombination dargestellt werden und zusätzliche Informationen enthalten. Dadurch gelingt es mit einem Property-Graph relevante Inhalte zu erfassen, ohne zwingend die zur visuellen Darstellung erforderlichen Teile zu übernehmen.

Der Ansatz vereinfacht den Aufbau einer integrierten Unternehmensarchitektur erheblich. Leoni generiert den initialen Property Graph auf Basis des erwähnten Modells aus dem Prozessmodellierungswerkzeug BIC Process Design direkt in einer Graphen-Datenbank. So entsteht ein solides Grundgerüst, welches anschließend im Knowledge Graphen als Zentrum des Hub-and-Spoke-Konzeptes zur Verfügung steht. Daran können nun jederzeit flexibel weitere Inhalte ergänzt werden.

Der von Leoni eingeschlagene Weg zum Aufbau des Knowledge-Graphen ist besonders in den Fällen zu empfehlen, wenn bereits Inhalte in Werkzeugen zum Geschäftsprozessmanagement vorliegen. Abbildung 2 zeigt die erforderlichen Arbeitsschritte von der Gewinnung der Startinhalte bis zur Anlage im zentralen Repository auf Basis der Graphen-Datenbank Neo4j.

Abb. 2: Zentrale Schritte zum initalen Aufbau des Knowledge Graphen
Foto: Dirk Stähler / Nadja Möller

Die von Leoni genutzte Graphen-Datenbank Neo4j erlaubt es, die aus BIC Process Design bereitgestellten Inhalte in beliebigen Szenarien zu kombinieren. Das gelingt dadurch, dass Graph-Datenbanken stark vernetzte Sachverhalte auf natürliche Art und Weise ohne komplizierte relationale Konstrukte verwalten.

Die Abbildung eines Knowledge Graphen in Neo4j ist deutlich einfacher und aussagekräftiger als in relationalen Datenbanken, bei gleichzeitiger Flexibilität hinsichtlich Erweiterungen oder Anpassungen. Insbesondere die letztgenannte Eigenschaft ist für den Aufbau des Leoni Knowledge Graphen von besonderer Bedeutung, da es im Voraus nahezu unmöglich ist vorherzusehen, welche Informationen zukünftig noch zu integrieren sind.

Für Spezialaufgaben genutzte Werkzeuge, wie zum Beispiel für die Modellierung von Geschäftsprozessen, können diese Flexibilität meist nur zu hohen Kosten und mit individuellen Anpassungen bieten. Durch die Verbindung von Modellierungswerkzeugen mit einer Graphen Datenbank wird diese Einschränkung kostengünstig aufgelöst. Das Modellierungswerkzeug liefert das initiale Gerüst und die Graphen-Datenbank gewährleistet die Flexibilität, jederzeit zusätzliche Inhalte ohne Beeinträchtigung mit minimalem Aufwand zu ergänzen.

Dynamische Erweiterung des Knowledge Graphen

Neo4j ermöglich, den Knowledge Graphen dauerhaft persistiert wie auch virtuell zur Laufzeit mit neuen Inhalten anzureichern. So wird die Suche nach Antworten auf strategische und operative Fragestellungen flexibel und kostengümstig unterstützt, auch auf Adhoc-Basis.

Neu hinzugefügte Inhalte können mit bereits bestehenden verbunden werden, ohne an zuliefernden Werkzeugen eine Anpassung vornehmen zu müssen. Abbildung 3 zeigt die Erweiterung des initialen Knowledge Graphen auf Grund des schemalosen Ansatzes aus verschiedenen Quellformaten.

Abb. 3: Erweiterung des Knowledge Graphen durch Inhalte aus diversen Quellen
Foto: Dirk Stähler / Nadja Möller

Die Graphen-Datenbank bietet fertig implementierte Schnittstellen und Konnektoren, um diverse Datenquellen anzubinden. Dadurch ist es möglich, einen Abgleich zwischen den Inhalten der beteiligten Systeme durchzuführen und die Qualität des integrierten Modells durch Bereinigung von Duplikaten oder Inkonsistenzen mit minimalem Aufwand zu verbessern.

Auf den Neo4j Knowledge Graph wird mittels der standardisierten Graphen-Abfragesprache Cypher zugegriffen. Dabei ist unerheblich, aus welchen Quellen die Inhalte entnommen wurden. Für die Anwender des Knowledge Graphen präsentieren sich die Daten immer in einheitlicher Struktur, auf die immer mit der standardisierten Abfragesprache zugegriffen wird.

Im Ergebnis entsteht eine sehr flache Lernkurve zur Nutzung des Knowledge Graph, um ihn zu persistieren, zu analysieren oder zu modifizieren. Anwender müssen nur diese eine Sprache beherrschen und sich nicht mehr in verschiede Tools einarbeiten oder Daten integrieren.

Abbildung 4 zeigt eine exemplarische Cypher Abfrage zur Ausgabe der Inhalte der Leoni Prozesslandkarte und deren graphische Visualisierung. Zu erwähnen ist, dass zur Abfrage und Visualisierung in Neo4j die gleiche Abfrage genutzt wird.

Abb. 4: Einheitliche Cypher-Abfrage zur textuellen und graphischen Ausgabe
Foto: Dirk Stähler / Nadja Möller

Besonders interessant ist, dass Neo4j zusätzlich Funktionalitäten bereitstellt, um auf Inhalte entfernter API-Endpunkte zuzugreifen. So ist es zum Beispiel möglich, direkt aus dem Knowledge Graphen über Low-Code Abfragen auf Web-APIs zuzugreifen.

Unterstützt werden Protokolle zum Beziehen von Daten über https, Amazon s3, Apache Hadoop HDFS, Google GS und noch einige mehr. Dadurch lassen sich auch umfangreiche Datenquellen wie Data Lakes zur Laufzeit einfach in den Knowledge Graphen integrieren.

Analysen auf Basis des Knowledge

Die besondere Leistungsfähigkeit einer Graphen-Datenbanken wird sichtbar, wenn auf Basis verknüpfter Inhalte Erkenntnisse abgeleitet werden, die ohne den integrierten Knowledge Graph nur mit hohem Aufwand oder überhaupt nicht erstellt werden könnten. Beispielsweise ermöglicht der Leoni Knowledge Graph ohne zusätzlichen Modellierungsaufwand, aggregierte End-to-end-Auswertungen aus den vorliegenden BPMN-Prozessabläufen automatisch zu erstellen und zu visualisieren.

End-to-end-Prozesse beziehen sich auf die vollständige Abfolge von Aktivitäten oder Vorgängen, die den gesamten Lebenszyklus von einem Prozess-Initiator bis zum Prozess-Kunden umfassen. Sie beschreiben alle Schritte, die vom Start über die Ausführung bis zur Bereitstellung eines Endprodukts oder Dienstleistung einschließlich der beteiligten Ressourcen erforderlich sind.

Dazu müssen typischerweise Teilprozesse, deren Eingaben, Arbeitsschritte, Ausgaben und Interaktionen mit verschiedenen Beteiligten oder Komponenten als Ganzes betrachtet werden. Die erforderlichen Inhalte zusammenzustellen ist ohne Computerunterstützung in großen Organisationen nahezu nicht kostendeckend zu leisten. Dies gelingt auch nicht durch den Einsatz eines Prozessmodellierungswerkzeuges, denn auch dort ist die manuelle Erstellung erforderlich. Durch den Knowledge Graphen und die algorithmischen Fähigkeiten der Graphen-Datenbank wird diese Einschränkung überwunden.

Leoni verwendet bei der End-to-end-Berechnung sowohl in der Datenbank persistierte Beziehungen wie auch zur Laufzeit erstellte virtuelle Verknüpfungen, die auf Basis eines Natural-Langage-Processing (NLP) erfolgen. Neo4j bietet bereits im Standard diverse Algorithmen im Bereich des semantischen Objektvergleichs durch Nutzung von Sprach- und Objektanalysemodellen.

Dadurch ist es möglich Inhalte zu kombinieren, die auf den ersten Blick von Menschen nicht als zusammengehörend erkannt werden. Das umfasst zum Beispiel die Ermittlung von Prozessschnittstellen, auch wenn die Benennungen der zugehörigen End- und Start-Ereignisse einen direkten Zusammenhang nicht erkennen lassen.

Abbildung 5 zeigt zwei generierte End-to-end-Diagramme. Im größeren Bild eine Abbildung auf der höchsten Abstraktionsebene der End-to-end-Zusammenhänge der Leoni-Kernprozesse. Unten rechts ist eine verkleinerte Darstellung der tiefsten Modellierungsebene der fachlichen BPMN-Geschäftsprozesse.

Beide Darstellungen sind vollständig und ohne zusätzliche Modellierung aus dem Knowledge Graph generiert. Aufgrund der verzahnten Inhalte ist es möglich, Analysen in jedem gewünschten Detaillierungsgrad direkt aus dem vorliegenden Modell abzuleiten.

Abb 5: Automatisch berechnete End-2-End Diagramme von Leoni
Foto: Dirk Stähler/Nadja Möller

Die Neo4j Graph-Data-Science-Bibliothek enthält darüber hinaus eine Vielzahl von Algorithmen, die helfen, strategische und operative Fragestellungen zu beantworten. Abbildung 6 zeigt den neutralisierten Ausschnitt einer auf Basis des Leoni Knowledge Graph erstellten Heat-Map.

Dargestellt werden die Geschäftsprozesse inklusive algorithmisch ermittelter Optimierungspunkte aus IT-, Organisations- und Daten-Sicht. Die Analyse basiert unter anderem auf der Betweenness-Zentralität, mit deren Hilfe der Einfluss jedes Knotens im Graph ermittelt werden kann. Dabei erhält jeder Knoten eine Punktzahl, die es ermöglicht, kritische Punkte innerhalb der Unternehmensarchitektur mathematisch zu identifizieren. Durch den Algorithmus ermittelte Verbesserungsvorschläge werden mit einer Punktzahl bewertet und nach Priorität farblich visualisiert.

Die Berechnung erfolgt vollständig auf Basis von in der Datenbank implementierter Algorithmen ohne zusätzliche Programmierung oder Modellierung. Als Ausgangsbasis dient ebenfalls der Knowledge Graph, der hinsichtlich möglicher Optimierungspunkte betrachtet werden kann.

Selbstverständlich ist im Nachgang immer noch eine Interpretation der Ergebnisse erforderlich, aber die Analyse liefert einen signifikanten zeitlichen Vorteil bei der betriebswirtschaftlichen und technischen Prozessoptimierung. Durch die Visualisierung mit Hilfe einer Heat-Map sind potentielle Ansatzpunkt direkt erkennbar.

Abb 6: Neutralisierte Heat-Map potentieller betriebswirt. und techn. Optimierungspunkte
Foto: Dirk Stähler/Nadja Möller

Auswertungen und Kommunikation der Inhalte

Die vorhergehend aufgeführte Heat-Map führt zu weiteren Aspekten, die mit einem integrierten Knowledge Graph einfach gelöst werden können: Reporting und Visualisierung. Um gewonnene Erkenntnisse einem breiten Kreis von Stakeholdern zu vermitteln, ist die anschauliche Aufbereitung entscheidend. Mit NeoDash als Open-Source-Erweiterung der Neo4j-Datenbank ist es möglich, interaktive Dashboards einschließlich Tabellen, Grafiken, Balkendiagrammen, Liniendiagrammen, Karten und mehr zu erstellen.

Durch die enge Integration mit der Datenbank können Inhalte gezielt für einzelne Zielgruppen aufbereitet und veröffentlicht werden. Die im vorhergehenden Abschnitt vorgestellten Analysen auf Basis der Cypher Abfragesprache lassen sich direkt als Dashboard ausgeben, weshalb nur sehr geringe zusätzliche Aufwendungen zur optischen Anpassung entstehen.

Es ist deshalb sehr einfach, über das Dashboard sowohl detaillierte wie auch aggregierte Informationen dynamisch zu kommunizieren. Der Kreis möglicher Adressaten reicht von den Administratoren der angebundenen Werkzeuge, zum Beispiel durch Bereitstellung eines Dashboards zur Prüfung der korrekten Modellierung des als Input genutzten Geschäftsprozessmodells in BIC Process Design, bis zur Anzeige von fachlichen Inhalten für operative Mitarbeiter, zum Beispiel Turtle-Visualisierungen zu aggregierten Prozessen. Abbildung 7 zeigt einen Ausschnitt der statistischen und operativen Auswertungen im Leoni Dashboard.

Abb. 7: Auswertungen direkt aus dem Knowldege Graph (teilweise neutralisiert)
Foto: Dirk Stähler / Nadja Möller

Zusätzlich zum Dashboard können alle Inhalte graphisch visualisiert werden. Die beschriebene Trennung von Inhalt und Darstellung zeigt an dieser Stelle ihren Nutzen. Da sämtliche Daten der Unternehmensarchitektur als notationsneutrales Netzwerk in der Datenbank vorliegen, ist es möglich, beliebig kombinierte Darstellungsformen zur Laufzeit zu berechnen. Beispielsweise wurden die Flussdarstellungen der End-to-end-Zusammenhänge aus Abbildung 5 vollständig automatisch erzeugt und gelayoutet.

Dadurch ist es möglich, mit einem Datenbestand Auswertungen für unterschiedliche Zielgruppen einfach zu erstellen. Zum Beispiel wird das Qualitätsmanagement primär an der Visualisierung von Detailabläufen interessiert sein, wogegen das Management für strategische Fragestellungen verdichtete Informationen benötigt. Beides kann ohne zusätzliche Modellierung aus dem Knowledge Graphen automatisch gewonnen werden. Leoni ist dadurch in der Lage, unterschiedliche Zielgruppen auf einer Datenbasis mit individuellen Auswertungen zu versorgen, ohne komplizierte Report-Lösungen einzusetzen.

Weiterhin ist es möglich, Visualisierungen auf Basis von virtuellen Knoten und Beziehungen zu erstellen, die zur Laufzeit berechnet werden. Dadurch sind ganz neue graphische Auswertungen möglich, die in den Ausgangsdaten der zuliefernden Werkzeuge überhaupt nicht enthalten sind, zum Beispiel Daten-Applikation-Flussdiagramme.

Fazit

Mit Hilfe des in Neo4j abgebildeten Knowledge Graphen realisiert Leoni eine Informationsbasis, die unabhängig von individuellen Notationen und Formaten zuliefernder Werkzeuge integrierte Auswertungen, Reports und Visualisierungen ermöglicht. Es zeigt sich, dass mittels der NoSQL-Graphen-Datenbank die Beschränkungen der angebundenen Werkzeuge überwunden werden.

Ein zusätzlicher positiver Effekt wird durch den Einsatz von Open-Source-Lösungen erreicht, der es ermöglicht, kostengünstig die eigenen (Modell-)Daten zu kontrollieren und die Abhängigkeit von Werkzeuganbietern zu verringern. Die beschriebene Vorgehendweise ermöglicht es, eine Unternehmensarchitektur unabhängig von externen Werkzeuganbietern aufzubauen. Der Aufwand zur technischen Integration ist gering und durch die Standardisierung der zugehörigen Technologie gut realisierbar.

Es zeigt sich, dass die Konsolidierung strategischer und operativer Architekturinhalte in einem Graphen insbesondere dann zu empfehlen ist, wenn in einem heterogenen dynamischen Umfeld schnell, nachhaltig und kostengünstig Transparenz gewonnen werden muss. (jd)