Komplett-Outsourcing

Spuren der letzten IT-Chefs verwischt

29.06.2006 von Andreas Schmitz
Das Marienhospital in Gelsenkirchen hat seine gesamte IT an die Telekom-Tochter T-Systems abgegeben. Damit spart sie nun Geld und hat zudem „erstmals planbare IT-Kosten“. Damit ist die Klinik aus Nordrhein-Westfalen deutschlandweit Vorreiter.

Carsten Heßling ist Pionier. Einige Jahre schaute sich der Verwaltungschef das Treiben der IT im Marienhospital an, dann entschied er sich für ein Komplett-Outsourcing der IT. Die Gelsenkirchener Klinik aus dem Klinikverbund von St. Augustinus ist damit mit 1,2 Milliarden Euro Umsatz die erste in Deutschland, die diesen Schritt gewagt hat.

Ein großer Einschnitt war die Einführung der „Diagnosis Related Groups“ (DRG), die Krankenhäuser endgültig bis 2007 abgeschlossen haben müssen. Ein herzkranker Patient, der 37 Jahre alt ist und sonst keine Beschwerden hat, ist anders zu bewerten als ein 65-jährige, der auch noch Bluthochdruck und Diabetes hat. Bis zu Nebendiagnosen muss eine Klinik nun erfassen. „Die gesetzlichen Anforderungen ändern sich häufig“, bemerkt Heßling. Jeweils im Januar gab es Riesen-Trouble mit Patches – den Anpassungen der Software an Gesetzesnovellen. „Damit haben auch die Hersteller der Krankenhausinformationssysteme (KIS) ihre Probleme“, so Heßling. Prompt, ein ehemaliger KIS-Hersteller in Hamburg, wurde vom Konkurrenten GWI aufgekauft. „Die GWI sagte uns daraufhin nur noch zwei Jahre Unterstützung für das Produkt zu und verwies dann auf die hauseigene Lösung“, kommentiert Heßling, „und die Konsolidierung ist noch lange nicht zu Ende.“

Zwei IT-Leiter, zwei Philosophien

Hinzu kam, dass das Marienhospital zuletzt wenig Glück bei der Auswahl der IT-Verantwortlichen hatte. In kurzer Folge stellte die Klinik zwei IT-Leiter ein, die eine unterschiedliche Philosophie vertraten. „Der erste plante die Einführung eines Terminal-Servers mit Citrix. Die entsprechenden Server und Lizenzen wurden gekauft, der IT-Leiter aber abgeworben. Der Nachfolger hielt diese Technik für unausgegoren und trennte sich gleich wieder davon“, erläutert Heßling, dem dann offensichtlich der Kragen platzte: „Jetzt liegen die Lizenzen dafür ungenutzt im Schrank.“

Die Entscheidung stand Ende 2003: Die IT ist beim Marienhospital Gelsenkirchen nicht Kernkompetenz. Und wenige Monate später stand die Telekom-IT-Tochter T-Systems als neuer Partner fest, der seit 2004 zunächst über fünf Jahre die Hard- und Software, das Netzwerk und das Projekt-Management betreut und inzwischen die Mitarbeiter aus der IT-Abteilung der Klinik übernommen hat.

In anderen Branchen ist Total-Outsourcing inzwischen als Verlagerung von Problemen bekannt, nicht aber als langfristige Lösung. So beklagten der Schuhhersteller Salamander oder der Aluminiumproduzent Amag eine orientierungslose IT, das Abwandern von Wissen und nicht zuletzt sogar explodierende Kosten. Dem hat Verwaltungschef Heßling mit einem EDV-Koodinator als Bindeglied zwischen Betrieb und Outsourcer vorgebeugt. Der IT-Manager ist für das Controlling von T-Systems zuständig und überprüft zudem dessen Vorschläge für neue Projekte.

Versorgungsanstalt hält die Hand auf

Doch gibt es nach Aussage des Branchenkenners Wilfried von Eiff aus dem Centrum für Krankenhaus-Management in Münster weitere Probleme im Zusammenhang mit IT-Outsourcing in der Krankenhausbranche. Gerade der komplette tarifvertragliche Übertritt von Personal zu einem Dienstleister in einem öffentlichen Haus sei gar nicht mal so einfach. „Bei der Entlassung von Angestellten aus der Rentenversicherung für den öffentlichen Dienst werden Abfindungen an die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder fällig“, meint von Eiff, „nur bei jüngeren Mitarbeitern, die noch nicht lange in die staatliche Rentenversicherung eingezahlt haben, fällt hier eine überschaubare Summe für den Arbeitgeber an.“ Doch das ist laut von Eiff noch nicht das einzige Problem: Eine weitere Restriktion liege im Datenschutz. Für die Weitergabe der Daten ist eine gesonderte Autorisierung nötig, um Missbrauch mit Daten aus der Patientenakte auszuschließen. Da allerdings das Abrechnungssystem der Ärzte eng mit der Patientenakte verknüpft ist, ist ein Sicherheitsrisiko immer da. Größere Krankenhausketten wie beispielsweise die Rhön-Klinikum AG diskutieren angeblich derzeit Konzepte für eigene IT-Töchter, die die IT-Dienstleistungen für den Klinikverbund übernehmen.

Organisationseinheiten auszugliedern, die eine „enge ablauforganisatorische Verzahnung“ zum Kerngeschäft wie der Radiologie oder Anästhesie haben, hält von Eiff für problematisch. Das Unfallkrankenhaus Berlin-Marzahn etwa hat die Radiologie abgespalten, aber nicht die IT als Einzeldisziplin. Hier sind die IT und der jeweilige Fachbereich als Einheit zu betrachten. Die Dienstleistung Röntgenaufnahmen und Schichtbilder dienen dem Krankenhaus als Hilfsmittel, Aufgaben der Heilung bleiben als Kerngeschäft erhalten. Verwaltungschef Heßling ist froh, durch den Fünf-Jahres-Vertrag nun einen Dienstleister zu haben, der in die unternehmerische Verantwortung tritt.

Lange Jahre gab es in vielen Klinik lediglich eine Finanzbuchhaltung und eine Patientenaufnahme auf EDV-Basis. Doch bereits auf Letzteres war die Prozesskette der Klinik nicht eingestellt. „Es kam zu Mehraufnahmen der Patienten“, beschreibt Heßling die Situation in Kliniken bis 1995. Zudem gab es bis zum Outsourcing der IT keine definierten Budgets: „Es gab lediglich eine Investitionsplanung für anstehende Projekte“, sagt Heßling, der die IT heute als „strategischen Erfolgsfaktor“ sieht. Das zeigt sich im Vertrag mit dem Dienstleister, der auch die Zeit nach dem Projektende erfasst. „Wenn Service Levels überproportional erfüllt werden, gibt es einen Bonus – bei Nichterfüllung einen Abschlag“, erläutert der Verwaltungschef.

Klinikprozesse fordern T-Systems

Die Zusammenarbeit lief nicht von Anfang an problemlos: In Hinsicht auf die „Krankenhausbetriebsprozesse“ hätte der IT-Dienstleister aus dem Telekom-Konzern dazulernen müssen, zudem seien die permanenten Anpassungen und neuen Anforderungen für den Dienstleister teilweise überraschend gewesen. Inzwischen ist ein Projektleiter tagtäglich im Marienhospital, nachdem zuvor ein anderer die Tätigkeit neben anderen Aufträgen mitabgewickelt hatte – ein Zeichen dafür, dass T-Systems den Aufwand zunächst unterschätzt hatte. Jene fünf ITMitarbeiter, die vor dem IT-Outsourcing in der Gelsenkirchener Klinik arbeiteten, sind nun für den IT-Dienstleister beschäftigt.

Hinzu kommen weitere zwei bis drei Leute von T-Systems – und trotzdem spart Heßling. Im ersten Jahr habe er weit weniger ausgegeben als zuvor, da er „nur“ noch die Nutzungsgebühr für Hard- und Software sowie das Projekt-Management zahlen musste. Das KIS ist heute so aufgebaut, dass die Leistungen der Labore, Ambulanzen und Stationen zentral erfasst und an Expertensysteme weitergereicht werden können. Ziel in diesem Jahr ist es, die Datenerfassung per PDA ans Krankenbett zu bekommen. 2007 will das Marienhospital mit T-Systems dann DRG-gerecht sämtliche 180 entwickelten Behandlungspfade für standardisierbare und häufige Erkrankungen IT-technisch automatisiert haben. Kurzfristige Anpassungen hat dann T-Systems zu bewerkstelligen.