BERUFSAKADEMIEN

Studium im Doppelpack

28.01.2002 von Holger Eriksdotter
Berufsakademien (BA) versprechen mit ihrem Konzept einer dualen Ausbildung die Verbindung von Theorie und Praxis auf Hochschulniveau. Trotz der kurzen Ausbildungszeit schneiden die Absolventen im Vergleich zu anderen Hochschülern bei Gehalt und Aufstiegschancen gut ab.

DAS IST DOCH KEIN STUDIUM: Statt mehrmonatiger Semesterferien nur sechs Wochen Urlaub, statt BaföG und Jobben Ausbildungsvertrag und festes Gehalt, statt überfüllter Hörsäle und unsicherer Zukunft ein Studium in überschaubaren Gruppen und ein fast sicherer Arbeitsplatz Die duale Ausbildung in Firmen und Berufsakademien ist für Abiturienten zur begehrten Alternative zu Hochschulstudium oder Lehrstelle geworden. „Für die betriebswirtschaftlichen Studiengänge an der Berufsakademie kommen bei uns rund 85Bewerber auf einen Ausbildungsplatz; in den technischen Berufen sind es etwa fünf, so Matthias Landmesser, Ausbildungsleiter Deutschland bei IBM.

Berufsakademien bieten Ausbildungsgänge vor allem im Bereich Betriebswirtschaft, Technik und Informatik an, oft mit speziellen Schwerpunkten. Sie wollen das duale System, das sich bei Lehrberufen millionenfach bewährt hat und als Garant für eine gründliche Berufsausbildung gilt, auf die Hochschule übertragen. Die enge Verzahnung von Akademie und Unternehmen soll vor allem der Abkopplung wissenschaftlicher Inhalte von den Erfordernissen der beruflichen Praxis entgegenwirken.

In Baden-Württemberg öffneten 1974 die ersten beiden Berufsakademien Deutschlands ihre Tore. Schon bei der Planung der neuen Ausbildungsgänge bewährte sich die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft. Das Konzept hatten Wissenschaftsministerium, Handelskammer und Wirtschaftsakademie Baden-Württemberg zusammen mit den Unternehmen Robert Bosch, IBM und SEL entwickelt. 1994 hat die Kultusministerkonferenz (KMK) das „Baden-Württemberger Modell“ in den Rang eines Qualitätsstandards erhoben: Absolventen erhalten seither ein Diplom (BA), das dem Fachhochschulexamengleichgestellt und auch in den Hochschuldiplomrichtlinien der Europäischen Union geregelt ist. Ebenso empfiehlt die KMK hinsichtlich der berufsrechtlichen Regelungen (etwa Besoldungs- und Laufbahnrecht, die in vielen Bereichen wie der öffentlichen Verwaltung großen Einfluss auf Karrierechancen und Gehaltsentwicklung haben) eine Gleichstellung mit den Fachhochschulabsolventen.

Finanzierung durch Land und Unternehmen

Das Konzept gründet auf Dualität – und das in jeder Hinsicht. Die Finanzierung der Berufsakademien übernimmt das Land, die der Auszubildenden das jeweilige Unternehmen; alle Gremien sind paritätisch besetzt; die Ausbildung besteht zu gleichen Teilen aus Theoriephasen an der Akademie und Praxiszeiten vor Ort; rund die Hälfte der Hochschullehrer sind Professoren, die andere Hälfte Praktiker aus Betrieben.

Während den Verfechtern der BA-Ausbildung die Nähe zur Praxis und die Abstimmung der Ausbildungsgänge auf Unternehmensanforderungen als Pluspunkte gelten, sehen Kritiker genau hier ein Problem: Mit der starken Ausrichtung auf betriebliche Anforderungen, so fürchten sie, bleibe gerade das Grundlagenwissen auf der Strecke, das den Hochschülern erst die Flexibilität schenke, sich in unterschiedliche Aufgaben einzuarbeiten und sich langfristig auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten. Der „KMK-Gleichstellungsbeschluss“ benennt deshalb klare Eckpunkte für die Diplomvergabe: Bei der Zulassung gelten dieselben Voraussetzungen wie an Fachhochschulen; mindestens vierzig Prozent der Dozenten müssen über eine professorale Lehrbefugnis verfügen; und jede Berufsakademie muss wenigstens zwei Ausbildungsbereiche mit jeweils verschiedenen fachlichen Schwerpunkten anbieten.

Die BA-Fürsprecher betonen immer wieder, dass sie keine Konkurrenz zur klassischen Hochschulausbildung etablieren wollen. Sie loben das Konzept als praxis-orientierte Ergänzung zum bestehenden Ausbildungsangebot. Die BA-Studenten selbst schätzen daran nicht zuletzt die frühe finanzielle Unabhängigkeit. Und der enge Kontakt zu den Ausbildern hat noch weitere Vorteile: Die Abbrecherquote liegt deutlich niedriger als bei den Altersgenossen an Universitäten und Fachhochschulen.

Das Erfolgsmodell hat Nachahmer in anderen Bundesländern gefunden. Berlin, Sachsen und Thüringen bilden bereits nach dem Baden-Württemberger Modell aus. Schleswig-Holstein bietet eine privat organisierte und finanzierte Variante: Die Firmen beteiligen sich über die Gehälter der Auszubildenden hinaus an der Finanzierung. „Bei den Ausbildungsgängen halten wir uns an den KMK-Beschluss und dürfen deshalb als einzige privatfinanzierte Berufsakademie in Deutschland Diplome an unsere Absolventen vergeben“, sagt Horst Kasselmann, Geschäftsführer der BA Schleswig-Holstein. Die Absolventen der Berufs- und Wirtschaftsakademien anderer Bundesländer müssen dagegen auf ein Diplom verzichten und schließen ihre Ausbildung mit Titeln wie Betriebswirt(BA), Wirtschaftsinformatiker (BA) oder Ingenieur (BA) ab.

Für Personalchefs ist es deshalb nicht immer leicht, die Qualität der Abschlüsse einzuschätzen, räumt selbst BA-Befürworter Landmesser ein. Doch die meisten Absolventenbleiben ohnehin in ihrem Ausbildungsbetrieb: Im Schnitt werden rund neunzig Prozent übernommen. Wenn es um Gehalt und Karrierechancen geht, liegen sie im Vergleich zu anderen Hochschulabsolventen gut im Rennen. Bei IBM hat eine interne Studie Erstaunliches zutage gefördert: Die Gehälter der BA-Absolventen liegen über denen von Uni-Absolventen. Und: Bei den jungen Top-Managern im Alter von dreißig bis vierzig Jahren hat fast die Hälfte einen BA-Abschluss; sie stellen aber nur ein Fünftel aller Mitarbeiter in der Vergleichsgruppe. Dabei ist zu berücksichtigen, dass IBM als Vorreiter der BA-Ausbildung gilt; etwa tausend BA-Absolventen sind bei Big Blue unter Vertrag. Aber auch nach der Gehaltsstudie der Computerwoche liegt das Einkommen von Mitarbeitern mit BA-Diplom im IT-Bereich im Schnitt nur knapp unter dem von Uni- und FH-Absolventen.

Youngster mit Erfahrung

Einer der Gründe: Die diplomierten Jungakademiker verfügen trotz ihres geringen Alters von durchschnittlich23 Jahren über mehr Berufserfahrung als die klar älteren Hochschulabsolventen. Ein anderer: An die Stelle des Zulassungsverfahrens der Hochschule tritt die Bewerbung beim Partnerunternehmen, das deutlich strengere Maßstäbe anlegt. „Schon beim Auswahlverfahren achten wir nicht nur auf überdurchschnittliche Schulzeugnisse, sondern vor allem auf Soft Skills wie Motivation, Engagement, Team- und kommunikative Fähigkeiten“, sagt IBM-Ausbildungsleiter Landmesser. „Zudem erlauben die langen Präsenzphasen in den Unternehmen eine systematische Personalentwicklung und ein Hineinwachsen in Führungsrollen.“ Bei den Uni- und FH-Kollegen hingegen wird der Wechsel in den Beruf häufig von einem „Praxisschock“ begleitet.

Allein im Ursprungsland Baden-Württemberg gibt es acht Berufsakademien mit mehr als 6000 Partnerfirmen und rund 20000 Studierenden. Die größte Akademie hierzulande in Mannheim zählt rund 4500. „Weil unsere BA-Absolventen in der Wirtschaft einen ausgezeichneten Ruf haben, gibt es momentan einen regelrechten Boom“, sagt Direktor Hans-Joachim Windel. Durch die langjährige, hohe Nachfrage im Bereich Informatik, Medien-und Kommunikationstechnik und verstärkt durch den KMK-Beschluss von 1995 nimmt der Andrang tatsächlich stetig zu. Auch an Partnern aus der Wirtschaft herrscht kein Mangel; rund 1300 sind es bei der BA Mannheim. „Sieht man die Bewerberzahlen, können wir bisher einen Konjunktureinbruch nicht verzeichnen“, stellt Windelzufrieden fest. Mit neuen, auf die Belange der Wirtschaft zugeschnittenen Ausbildungsgängen, will er das bewährte Konzept fortführen. Zum kommenden Wintersemester wird die BA den neuen, interdisziplinären Studiengang „Digitale Medien“ anbieten.