Interview mit Volker Smid

"Technologie gehört zur DNA eines Verlagshauses"

04.09.2014 von Stefan Huegel
Ein gutes Technologieverständnis gehört zur Kernkompetenz moderner Verlage. Davon überzeugt ist Volker Smid, Geschäftsführer Digital and Technologies der Holtzbrinck Publishing Group.

Volker Smid hat mehr Zeit seiner Karriere außerhalb der Medienbranche verbracht als in ihr. Dennoch oder gerade deshalb leitet der ehemalige Geschäftsführer von Hewlett Packard Deutschland seit 2014 die digitalen Geschicke eines der bedeutendsten deutschen Verlagshäuser, der Holtzbrinck Publishing Group. Anlässlich seiner Keynote zum 2. IT-Gipfel der Verlagsbranche am 15. September in München erklärt Smid, warum Verlage gut beraten sind, mehr Technologen in Führungsverantwortung zu bringen.

Volker Smid leitet seit 2014 die digitalen Geschicke der Holtzbrinck Publishing Group.
Foto: Joachim Wendler

CIO.de: In Ihrem Vortrag auf dem 2. IT-Gipfel appellieren Sie an die Verlagslandschaft, Technologie als Kernkompetenz zu begreifen. Was steckt dahinter?

Volker Smid: Hintergrund ist die sich schnell verändernde Landschaft an Monetarisierungmodellen für Verlagshäuser. Es ist kein neuer Trend, dass die herkömmlichen Geschäftsmodelle der Verlage im Bereich Print rückläufig sind. Nicht überall aber generell. Und das Geld, das man früher versuchte über Papier einzufangen vagabundiert heute im Internet. Ich sehe dies durchweg als Chance. Je mehr Verlage die Wirkungsweise des Internets mit allen dessen Monetarisierungsmöglichkeiten verstehen, umso mehr kann das Internet als Perspektive begriffen werden. Für dieses Verständnis ist es notwendig, Technologie zu verstehen und zu beherrschen.

Sie sprechen in diesem Kontext von der digitalen DNA. Warum?

Volker Smid: DNA beschreibt eine große Komplexität, wie ich sie auch im Internet sehe. Die Wechselwirkung von technologiegetriebenen Bereichen wie dem Onlinemarketing, der Suchmaschinenoptimierungen und vielen anderen Positionierungen, die das Web erlaubt, müssen Verlage durchdringen, um Chancen für sich selbst zu entdecken. Technologie gehört deshalb fest in die DNA jedes modernen Verlagshauses.

Wie tief ist dieses Verständnis bereits in der deutschen Verlagslandschaft verankert?

Volker Smid: Viele Verlage haben diese Erkenntnis bereits gewonnen. Jedoch reibt sie sich hin und wieder mit den herkömmlichen Strängen der DNA - nicht immer zum Wohle der Verlage. Deswegen glaube ich, dass Technologiewissen in den Führungsebenen der Verlage vertreten und von dort heraus gelebt werden muss unter Berücksichtigung beider Stränge, analog und digital, und als ständiger Motor der Veränderung. Digitalisierung ist eine Führungsaufgabe, die direkt in der Geschäftsführung anzusiedeln ist, und von dort aus in die einzelnen Unternehmensbereiche eingebettet werden muss.

Welchen Wandel hat das Haus Holtzbrinck vollzogen, um der Technologie den Sprung zur Kernkompetenz zu ermöglichen?

Volker Smid: Der Wandel bestand vor allem aus dem Erkennen der Dynamik, der digitale Geschäftsmodelle unterliegen. Ein Beispiel hierfür sind Holtzbrincks Aktivitäten im Bereich für englischsprachige Lehrbücher. Die Produktionskette hier bestand klassischerweise aus der Erstellung von Content, einigen Workflows drum herum und der Distribution des fertigen Produktes als eBook und pBook. Ein Großteil dieses Contents wird in den USA jedoch mittlerweile auf ganz anderen Wegen distribuiert, nämlich digital über web-basierte Lernumgebungen, so genannte Learning Management Systeme.

Spätestens am Labor Day Monday, wenn alle Schüler in den USA in die Schulen zurückkehren und nahezu zeitgleich auf diese Inhalte zugreifen, realisiert man als Verlag, dass atmende Technologie-Kapazitäten von Nöten sind, um einen Bedarf dieser Größenordnung unterbrechungsfrei zu decken. Denn diese Art von Wechselwirkung ist eine ganz andere, als die bei der Disponierung von Druckprodukten oder dem Aufbau starrer IT-Infrastrukturen. Im gleichen Maße, in dem Konsumenten verlegerische Produkte zunehmend digital konsumieren, müssen Verlage die Infrastruktur und die Statik ihrer Angebot verändern. Dies war auch der Hintergrund für die Entscheidung, Digitales und Technologie in der Geschäftsführung von Holtzbrinck in zentraler Verantwortung zu kapseln.

Apropos Kapselung. Auf dem Weg der Digitalisierung hat sich Holtzbrinck gezielt auch für eine externe Kapselung von Technologie-Expertise entschieden. Welche Rolle spielt der Auf- und Ausbau von Dienstleistern wie HGV, circ IT, devbliss und GTS für die Digitalisierung des Geschäftsmodells?

Volker Smid: Holtzbrinck ist ein weltweit agierendes und dezentral aufgestelltes Haus. Richtigerweise hat auch die Digitalisierung in ihrer ersten Stufe dezentral stattgefunden. Jedoch nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich zeigte, dass Dezentralität bei der Skalierung von Geschäftsmodellen und Infrastrukturen hinderlich ist. Heute geht es uns darum, die Kräfte unserer Technologietöchter zu bündeln, zu standardisieren und auf globale Märkte auszurichten. Die dezentrale Grundsatzentwicklung ist hierzu eine gute Voraussetzung, auf die man aufsatteln kann. Skalierbar sind diese Strukturen jedoch nicht. Auch Google wäre nicht in der Lage gewesen, die Rechenkapazität von 2,5 Millionen Servern auf dezentrale Art und Weise zur Verfügung zu stellen. In einer gewissen Größenordnung lässt sich Technologie nur zentral planen und steuern.

"Konflikt ist kein Problem, sondern Teil der Lösung"

Kleinen Verlagshäusern dürfte es schwer fallen, in der Holtzbrinck-Story eine Blaupause für die eigene Technologiestrategie zu sehen. Zu begrenzt sind dort die Ressourcen und Märkte. Wie können diese Verlage die Digitalisierung meistern?

Volker Smid: Das Grundprinzip der Digitalisierung lautet nicht "die Großen schlagen die Kleinen" sondern "die Schnellen schlagen die Langsamen". Egal ob globaler Großverlag oder kleiner Fachverlag, am Anfang einer Digitalisierungsstrategie steht die Überlegung, welche Verlagsaktivitäten wertedifferenzierend sind, heute und morgen. Im Falle der Verlagstechnologie kommt man hierbei sehr rasch zur Erkenntnis, dass Bereiche wie Netzwerktechnologie und IT-Infrastruktur und alles, was im Keller steht, nicht wirklich die Alleinstellungsmerkmale eines Hauses sind.

Meine Empfehlung lautet, diese Non-Differentiators nach außen zu geben und in ein Sourcing-Konzept einzubinden. Mit Augenmaß, aber komplett. Der Fokus der verlagseigenen Technologie muss auf der Unterstützung des Geschäftsprozesses liegen und der damit verbundenen Applikationen. Gerade für kleine Verlage ist es wichtig, die per se geringen Technologie-Ressourcen auf den Feldern einzusetzen, auf denen sie den größten Wertbeitrag erwirtschaften. Hosting, Storage und Datenbanken können in den Commodity-Märkten für kleines Geld eingekauft werden. Kein Verlag betreibt diese Infrastrukturen in Eigenregie günstiger und besser.

Inwieweit beeinflusst die Fokussierung auf geschäftsfördernde Prozesse die Sourcing-Strategie Ihres Verlages? In welchen Fällen sollte es zur Verantwortung der Verlags-IT gehören, Applikationen selber zu entwickeln, so wie es immer mehr digitale Player in den USA im Bereich Content Management machen?

Volker Smid: 'Make or Buy' ist keine Grundsatzentscheidung. Es ist immer eine Einzelfallentscheidung. Bei nicht wertedifferenzierenden Geschäftsvorfällen tendiere ich stets zu 'Buy'. Nehmen Sie die Finanzbuchhaltung als Beispiel. Die schönste Buchhaltung differenziert einen Verlag nicht vom Markt. In diesem Falle ist die Standardisierung von Geschäftsprozessen die einzig richtige Entscheidung. Der Einsatz von Standardsoftware setzt hier Ressourcen frei für die Fokussierung auf die Technologiebereiche, die das Geschäftsmodell eines Verlages befördern, zum Beispiel durch die Entwicklung eines eigenen Content Management oder Learning Management Systems. Vereinfacht kann man sagen, dass 'Make' in wichtigen Geschäftsfeldern eines Verlages nur möglich ist, wenn auf anderen, nicht-differenzierenden Felder konsequent 'Buy'-Entscheidungen gefällt werden.

Der Aufbau von Technologie-Kompetenz im Unternehmen wirft zwangsläufig die Frage nach der Bedeutung des geeigneten Personals auf. Was macht Holtzbrinck, um den Kampf um den digitalen Nachwuchs zu gewinnen?

Volker Smid: Die Rekrutierung von Mitarbeitern, welche die digitale DNA komplett abbilden, ist schwierig genug. Um diese Talente ist ein globaler Kampf entbrannt. Umso wichtiger ist es, das Unternehmen von innen heraus die Weichen für die Digitalisierung erfolgreich stellen. Dies ist Führungsaufgabe. Hierzu bedarf es Worte und Taten der Geschäftsführung, die das bestehende Personal weiter in Richtung Digitalisierung motiviert. Menschen mit digitaler DNA müssen in diesem Prozess mit einem sinnvollen Führungsprinzip ausgestattet werden, um andere Mitarbeiter auf dem Weg der Digitalisierung mitzunehmen.

Die Zusammenlegung verschiedener Abteilungen kann hierbei beschleunigend wirken und dafür sorgen, dass Digitalisierung nicht nur in den hierfür zuständigen Fachabteilungen stattfindet, sondern auch die analogen Besitzstandsbewahrer einbezieht. Bei Holtzbrinck hat sich hieraus eine Kultur des Wandels entwickelt, die als schwierig anerkannt und dennoch gelebt wird. Konflikt ist hier nicht ein Problem, sondern Teil der Lösung.

Kunden und- Daten-Management, agile IT-Organisation, Sourcing oder Cloud Computing. Was sind die derzeit größten Herausforderungen für die Holtzbrinck Publishing Group?

Volker Smid: Holtzbrinck unterscheidet sich hier nicht von anderen Branchen und Unternehmen. Wir kommen aus einer Ära der dezentralen IT-Entscheidungsfindung. Diese Phase hat dafür gesorgt, dass an sehr vielen Stellen sehr viele Systeme entstanden sind, die im Grunde alle das gleiche machen. Hier tauchen wir nun in eine Phase der Rationalisierung und Konsolidierung ein, um alle Geschäftsprozesse aus einem System heraus zu bedienen. Dies ist die Grundvoraussetzung für die Agilität und Geschwindigkeit, die der Markt uns abverlangt. Ganz konkret bedeutet dies zentrale Datenbestände mit dezentralen Adaptionen, wie beispielsweise im Bereich der Kundenstammdaten oder der Produktdaten.

Volker Smid, Jahrgang 1958, ist studierter Betriebswirtschaftler und Informatiker. Seine Karriere begann er als Berater, bevor ihn der Weg zu verschiedenen Software-Unternehmen führte. Für Novell leitete er mehrere Jahre das Europageschäft. Von 2009 bis 2013 war Volker Smid Vorsitzender der Geschäftsführung bei Hewlett-Packard Deutschland. Seit 2014 ist er Geschäftsführer Digital & Technologies bei der Holtzbrinck Publishing Group.

Auf dem 2. IT-Gipfel der Verlagsbranche in München am 15. September referiert Volker Smid zum Thema "Digital Impact – IT und die digitale DNA als Kernkompetenz". Die Veranstaltung wird vom CIO.de als Medienpartner begleitet.