BI ohne Business Case geht nicht

"Unternehmensdaten müssen vertrauenswürdig sein"

29.04.2010 von Thomas Pelkmann
Unternehmensentscheidungen werden immer noch zu oft aus dem Bauch heraus getroffen, kritisieren Analysten. Wie man Business Intelligence zur Unternehmensaufgabe macht, erläutert der BI-Berater Wolfgang Martin im Interview.

CIO: Studien zum Thema Business Intelligence beklagen, dass Entscheidungen viel zu oft noch nach dem Bauchgefühl anstatt auf der Basis valider Daten getroffen würden. Was ist falsch daran?

Wolfgang Martin: Wenn Sie alles nur aus dem Bauch heraus machen, wozu haben wir dann unseren Kopf? Aber im Ernst: Manager brauchen Fakten, auf die sie ihre Entscheidungen stützen. Im Bauchgefühl ist einfach nicht alles drin. Wie heißt es so schön: "Man kann nur managen, was man auch messen kann."

CIO: Ein berühmter Spruch. Wo fängt für Sie denn dann Business Intelligence an? Ein paar Daten nutzt ja sicher jeder. Aber ist das schon BI?

Martin: Business Intelligence fängt da an, wo Daten vertrauenswürdig sind. Das sind Daten, die stimmen und auf die man sich verlassen kann. Das ist nicht bei allen Daten der Fall.

Vertrauenswürdige Daten brauchen Qualitätsmanagement

BI-Berater Wolfgang Martin.

Vertrauenswürdige Daten müssen zunächst einmal qualitätsgesichert sein, also braucht man ein Data Quality Management. Zum zweiten müssen die Daten in Bezug auf die Semantik richtig sein. Hier reden wir über Stammdaten-Management.

Im Endeffekt kommt es zum Beispiel darauf an, dass jeder Kunde aufgrund seiner Bestellung das richtige Produkt zum richtigen Preis mit der richtigen Rechnung rechtzeitig zugestellt bekommt. Das klingt vielleicht trivial, ist aber dennoch längst nicht überall der Fall.

CIO: Finden Sie, dass das trivial klingt? Das hört sich eher nach einer großen Aufgabe an.

Martin: Auf jeden Fall ist es die Aufgabe. Dafür brauchen wir vertrauenswürdige Daten, die Datenqualität muss also stimmen, und die Daten müssen im richtigen Kontext stehen. Das heißt auch, die Daten müssen über alle Applikationen hinweg diesen Anspruch erfüllen.

Eins der großen Probleme, das Business Intelligence entgegen steht, ist, dass wir Daten aus unterschiedlichsten Applikationen haben und die so zusammen führen müssen, dass wir über alle Anwendungen konsistente Daten haben.

Bleiben wir beim Beispiel des Kunden: Der muss im ERP-System, wo wir die Rechnungen erstellen, genau so bekannt sein, wie im CRM-System, wo seine Kundenbiografie und seine -bedürfnisse verfolgt werden, und im Shop-System, in dem er gerade einkauft.

"Die BI wird zunehmend operationalisiert"

Das bedeutet: Wir brauchen auch Datenintegration. Früher hat man diese Konsistenz im Data Warehouse nachträglich hergestellt und aus den unterschiedlichen Applikationen die Daten so zusammen getragen, dass man einen Single Point Of Truth hatte.

Heutzutage macht man das eben über die Datenintegration, weil BI nicht mehr nur auf der strategischen und taktischen Ebene nötig ist, sondern mehr und mehr auch im operativen Geschäft. Wir nennen das Process Intelligence - die BI wird operationalisiert. Und das bedeutet höhere Anforderungen an die Datenintegration in Echtzeit.

CIO: Wenn BI zunehmend laufende Prozesse beeinflusst: Wie sehr ist Business Intelligence eine laufende Unternehmensaufgabe?

Martin: Ich habe in diesem Jahr ein Audit bei einem mittelständischen Unternehmen gemacht, das global agiert und durch die Krise gezwungen war, seine Prozesse zu optimieren und Kosten zu sparen.

Im Laufe des Projekts haben wir festgestellt, dass die operativen Prozesse bereits optimal laufen. Dann fiel uns aber auf, dass das Unternehmen ein großes Problem mit dem Informationsstand seiner Abteilungen hatte: Wenn der Vertrieb mit einem seiner großen Kunden redete, wusste er nur auf zweistellige Millionenbeträge genau, wie viel Umsatz er mit diesem Kunden macht. Das genaue Wissen darüber würde natürlich eine ganz andere Verhandlungsbasis schaffen, auf der man viel besser über Rabatte und Konditionen sprechen könnte. Die hatten eben keine vertrauenswürdige Daten, brauchen genau das aber dringend.

CIO: In diesem Fall war es wichtig, dass die Unternehmensleitung die Initiative dafür ergreift?

Martin: Genau. Und die haben es auch verstanden: Wenn wir die richtigen Zahlen hätten, bekämen wir andere Preise und würden damit direkt Kosten sparen.

Ein schlauer CIO sucht sich Sponsoren aus dem Business

CIO: Das klingt so, als sollte das Business zum Treiber von BI sein, nicht die IT?

Martin: Absolut richtig! Wie das anders herum geht, zeigt ein Ausflug in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts: Als damals die Data Warehouses aufkamen, wollte viele ITler das haben. Erst danach hat man sich die Kunden dafür gesucht, aber das hat natürlich nicht funktioniert. Dummerweise hat das die Business Intelligence sogar in Misskredit gebracht.

CIO: Die BI-Initiative kommt also besser von den Fachabteilungen?

Martin: Ein schlauer CIO, der das Problem der vertrauenswürdigen Daten kennt, wird sich im Business einen Sponsor suchen. Wenn er das geschafft hat, kann er sich entspannt zurückziehen und darüber wachen, dass die Infrastruktur läuft. Budgetanforderungen und alles, was damit verbunden war, kommt vom Sponsor, und die IT braucht sich nicht mehr in erster Linie darum zu kümmern. BI in diesem Sinne ist also reine Chefsache.

CIO: Wie nähern sich Unternehmen dem Thema BI?

Martin: Sie brauchen zwingend einen Business Case. Die Anekdote von eben zeigt, wie man dazu kommen kann: Da gibt es auf einmal einen Bedarf auf der Business-Seite, die bestimmte Informationen nicht hat und auch nicht bekommt. Oft passiert es, dass auf der Vorstandsebene die Unternehmensverantwortlichen zusammen sitzen. Jeder hat seine Zahlen, und die Manager stellen fest, dass sie nicht zusammen passen. Wenn man mit Spreadsheets arbeitet, passiert das sehr schnell. Dann hat jeder seine Zahlen und man diskutiert darüber, welches die richtigen sind.

Mit einem Business Case rechnet sich BI fast immer

Der typische Business Case ist also: Die Zahlen stimmen nicht und sind nicht vertrauenswürdig. Soll der CEO nun nach seinem Bauchgefühl sagen, was richtig ist? Nein, das geht nur auf der Basis valider Daten.

CIO: OK, der Business Case ist da. Aber wie rechnen sich BI-Projekte?

Martin: Wenn Sie den Business Case haben, rechnet sich ein BI-Projekt in diesem Rahmen auch. Nehmen wir einen anderen Fall: Da möchte ein Unternehmen sein Cross-Selling verbessern, wenn der Kunde anruft oder auf die Firmen-Webseite kommt.

Dafür brauchen sie Business-Analytik, weil es darum geht, eine Kampagne dem Kunden. Auf der Grundlage der Analysen wird dann entschieden, welche Promotion am besten zum Kunden passt. All’ diese Maßnahmen kann man dann in Umsatzsteigerungen aus- und so eine ROI relativ einfach berechnen.

Allerdings braucht es für solche ROI-Rechnungen natürlich ein gewisses Commitment der Beteiligten. Wenn Sie im Outbound, also in der Kundenansprache, drei Prozent Response-Quote haben, ist das gut. Im Inbound - wenn der Kunde selbst Kontakt aufnimmt - erreichen Sie leicht das Zehnfache davon. Da muss man sich auf den Faktor einigen, und hinterher kann man nachmessen, ob sich das rechnet.

Compliance kann ein guter Treiber für BI-Projekte sein

CIO: BI-Projekte rechnen sich also immer?

Martin: Nein, nicht immer. Die Data Warehouse-Projekte in den 90er Jahren sind ein Beispiel dafür. Da hat man aufwändig gebaute Datensammelstellen eingerichtet und fand keine Anwender dafür. So rechnet sich BI nicht. Noch mal: Ein Business Case aus der Line ist für erfolgreiche BI-Projekte zwingend erforderlich.

Es gibt aber auch Business Cases, die sich nicht positiv rechnen lassen, die aber trotzdem zwingend notwendig sind. Dazu gehören etwa gesetzlich vorgeschriebene Reports, Bilanzkonsolidierungen in globalen Unternehmen oder die ganzen Compliance-Regelungen.

Allerdings können auch solche Cases in BI-Projekte münden, die sich dann leichter rechnen, weil man sich dafür eine BI-Lösung angeschafft und sich schon mal damit vertraut gemacht hat. Insofern ist das Thema Compliance ein guter Treiber für BI-Projekte.

CIO: Analysten kritisieren, dass BI derzeit vor allem für strategische und taktische Entscheidungen eingesetzt würde und viel zu wenig im operativen Geschäft.

Martin: Dem stimme ich absolut zu. Früher, wo die Datenversorgung allein über das Data Warehouse lief, hatte man nur Informationen aus der Vergangenheit. Damit konnte man nur taktische oder strategische Entscheidungen treffen.

Operatives BI wird zu wenig betrieben

Aber es gibt durchaus mittlerweile gute Beispiele für die Umsetzung ins Operative, etwa beim CRM. Der Online-Buchhändler buch.de beispielsweise steuert mit Business-Analytik sein Kampagnenmanagement. Die Air Berlin steuert ihre operative Flugroutenplanung über BI. Anhand von Auslastungen und Forecasting wird da der Flugplan etwa anhand der tatsächlichen Auslastung der Routen angepasst. Der Frankfurter Flughafen steuert sämtliche Flugbewegungen mit Realtime Analytics. Wenn zum Beispiel ein Flugzeug verspätet ist, wird unmittelbar die Workforce erhöht, um etwa das Gepäck schnell noch auf die Anschlussflüge zu verteilen.

CIO: Nicht jeder betreibt einen Flughafen oder eine Fluggesellschaft...

Martin: Das stimmt. Aber solche Beispiele lassen sich leicht auf sämtliche Netzwerker und Logistiker - die Telekom, Energieversorger, Netzversorger, Verkehrssteuerer - übertragen. Sie finden operative BI im CRM-Bereich bei Cross- und Upselling-Maßnahmen. Damit umfassen Sie den gesamten Handelsbereich. Sogar in der Fertigung ist operative BI wichtig, etwa beim Quality Management. Mit Realtime-BI werten Sie am Ende einer Schicht sofort aus, wo es Probleme gab. Die Ergebnisse kommen sofort in die nächste Schicht, um diese Probleme zu vermeiden.

Allerdings bin auch ich manchmal enttäuscht, wie wenig diese Möglichkeiten tatsächlich genutzt werden.

CIO: Für die Einführung von BI ist die IT-Abteilung zuständig. Danach arbeiten Management und Fachbereiche mit den Lösungen. Wie einfach müssen BI-Tools sein, damit die tägliche Arbeit damit funktioniert?

Martin: So einfach wie ein Spreadsheet. Wenn die Tabellenkalkulation als Frontend für die Dateneingabe oder als Ausgabe für die Analysen und Reports verwendet wird, dann ist das optimal, weil alle Zahlenarbeiter im Unternehmen mit Tabellen arbeiten. Allerdings dürfen solche Tabellen niemals individuell am Arbeitsplatz gepflegt werden, denn so bekommt man niemals konsistente Daten.

Microsoft muss dem Markt besser erklären, wie gut der SQL Server ist

CIO: In diesem Tagen veröffentlicht Microsoft den SQL Server 2008 R2. Inwieweit erfüllt das Produkt diese Erwartungen?

Martin: Im Endeffekt ist der Server vor allem für die Datenhaltung da. Dieses Produkt war schon immer führend, weil es eine ganze Menge analytischer Services enthält. In Bezug auf SQL Server kann ich Microsoft eigentlich nur einen Vorwurf machen: Das Unternehmen hat es bisher nicht verstanden, dem Markt zu erklären, wie gut das Produkt wirklich ist.

CIO: Herr Martin, vielen Dank für das Gespräch.

The InfoEconomist zählte 2001 Dr. Wolfgang Martin zu den zehn einflussreichsten IT Consultants in Europa. Das Spezialgebiet des habilitierten Mathematikers sind die Wechselwirkungen technologischer Innovation auf das Business und damit auf die Organisation, die Unternehmenskultur, die Businessarchitekturen und die Geschäftsprozesse.