Nach dem Big Bang bei Heidelberger Druckmaschinen

Virtualisierung bringt Vista zum Laufen

05.03.2008 von Rolf Röwekamp
Die Software-Lieferanten boten ein Trauerspiel bei der weltweiten Vista- und Office-2007-Migration. Deswegen virtualisierte CIO Michael Neff eine Vielzahl einzelner Anwendungen. Der Business Case liegt in den Prozessen, nicht in Hard- und Software.

Manche Kollegen erklärten CIO Michael Neff für verrückt, als sie lasen, dass er Vista und Office 2007 tatsächlich Mitte 2007 weltweit ausrollen wollte. Vor einem Jahr berichtete CIO darüber, dass Heidelberger Druckmaschinen im Jahr 2007 mit dem weltweiten Roll-out des neuen Microsoft-Betriebssystems Vista und dem neuen Office 2007 beginnen werde (CIO 01/02 2007: "Vor dem Vista Big Bang"). Jetzt ist die Migration nahezu abgeschlossen, trotz einiger unerwarteter Hindernisse.

Anfang 2007 hatten viele Software-Anbieter versichert, Vista-fähige Software in der Schublade liegen zu haben. Doch das waren oft nur Powerpoint Sheets, wie sich später herausstellte. "Ob es sich um Business-Warehouse-Funktionen von SAP handelte, CAD/CAM-Programme von Unigraphics, Content-Management-Systeme von Interwoven oder ein Add-On für Telefon-Software von Siemens, es war ein Trauerspiel", sagt Neff. Heute ist das anders. Fast alle Hersteller haben Vista-fähige Software. "Durch die Teilnahme am Technology Adoption Program hatten wir Gott sei Dank sehr früh Zugriff auf diese Informationen und die Unterstützung durch Microsoft", sagt Neff.

Einen Grund für den Mangel an Vista-kompatiblen Anwendungen vermutet Neff darin, dass kaum jemand die Microsoft-Kollegen in Seattle ernst genommen habe. Zudem laute die Aussage vom Markt, es gebe keine Notwendigkeit, von XP umzusteigen, weil es stabil und sicher läuft. "Umsteiger wie wir waren sich des Risikos bewusst. Wir haben aber auch die Chancen gesehen, unsere finanziellen sowie Standardisierungs- und Prozessziele zu erreichen."

Anwendungen laufen virtualisiert

An diesen Herausforderungen sollte die Vista-Migration jedoch nicht scheitern. Ein entscheidender Lösungsweg bestand darin, einen großen Teil der global eingesetzten Anwendungen zu virtualisieren. Dafür setzten Projektleiter Axel Junghans und sein Team die Software Softgrid von Microsoft ein. Durch die Virtualisierung von Anwendungen auf dem PC laufen diese in einer gekapselten Umgebung ab, ohne dass sie sich gegenseitig beeinflussen oder ins Betriebssystem eingreifen. Damit werden Anwendungen von Hardware und Betriebssystem entkoppelt. Selbst nicht Vista-fähige Software kann so auf Vista genutzt werden.

Allerdings warnt Junghans davor, Applikations-Virtualisierung mit Rechner-Virtualisierung zu verwechseln. Bei der Rechner-Virtualisierung wird das ganze Betriebssystem in die virtuelle Umgebung mit hineingenommen und muss dort dann gepflegt werden. Auch Heidelberger Druckmaschinen setzt diese Technik ein, um sehr alte Software inklusive Betriebssystem noch nutzen zu können.

Bei der Applikations-Virtualisierung werden immer nur einzelne Anwendungen virtualisiert. So scheiterte bisher ein Mitarbeiter, wenn er mit verschiedenen Excel-Versionen auf seinem Rechner arbeiten wollte. Denn es ließen sich nicht unterschiedliche Versionen sauber auf einem Rechner installieren. Jetzt kann er mit Softgrid verschiedene Excel-Versionen starten. Sogar seine persönlichen Excel-Einstellungen kann er außerhalb speichern und sie dann in allen Versionen nutzen.

Grenzen der Virtualisierung

Allerdings stößt auch diese Virtualisierung an Grenzen. Zwar sagt Microsoft, man könne auch ein komplettes Office-Paket virtualisieren. Doch davon lässt Junghans erst noch mal die Finger: "Das haben wir bislang nicht gemacht, und das sollte man sich gut überlegen. Wenn eine Software viele Verbindungen zu anderen Programmen besitzt oder andere Software in sich integriert, dann lässt sich das nur schwierig reibungslos virtualisieren." Das wird besser mit der neuen Version, die es zum Roll-out-Start noch nicht gab.

Mit dem neuen Virtualisierungs-Layer verschwinden zudem einige alte Probleme: Die isoliert betriebenen Programme beeinflussen sich nicht mehr gegenseitig, und Kompatibilitätstests entfallen. "Das hat uns sehr viel gebracht. Wir haben über 500 global eingesetzte Software-Programme, die in Moskau, Shanghai, Tokyo, Atlanta, Heidelberg und an weiteren 80 Standorten funktionieren müssen. 60 Prozent der Standardanwendungen auf unserem "Heidelberg-Client" laufen virtualisiert", sagt Neff.

Server- und Speicher-Virtualisierung kenne jeder, aber von Applikations-Virtualisierung auf dem Desktop hätten viele noch nichts gehört, stellt Neff immer wieder fest. "Selbst wenn wir IT-Fachleuten anderer Unternehmen von virtualisierten Anwendungen auf PCs erzählen, wissen die nicht, wovon wir reden. Viele Leute können nicht glauben, was wir da gemacht haben."

Im September 2007 begann dann der weltweite Roll-out für 15.000 Mitarbeiter. Dabei unterbrachen die Techniker die Arbeit der Mitarbeiter maximal 20 Minuten, dann konnten sie weitermachen. Am Platz des Mitarbeiters fand nur noch die Datenübernahme vom Alt- auf das Neusystem statt. "Wenn ich Kollegen aus anderen Firmen von dieser hohen Migrationsrate erzählte, war das für viele ein Schock", berichtet Neff. In Spitzenzeiten wechselte die IT am Tag an großen Standorten wie in Heidelberg täglich mehr als 300 Geräte aus.

Betanken im Staging Center

Jeden Client lieferte der PC-Hersteller mit einem generischen Image, mit Office-Paket und 20 benutzerunabhängigen Kernanwendungen aus. Anschließend kamen die Geräte in Staging Center, wo sie die IT aus einer Software-Library individuell angepasst auf die Bedürfnisse des Anwenders betankte. Staging Center gab es nur in großen Standorten, wo sich die Automatisierung von Abläufen lohnte. An großen Lokationen ab 500 bis 1.000 Systemen führte dies ein Dienstleister durch. Bei kleineren Standorten kamen die Geräte direkt in die Unternehmen, wo dann nach dem gleichen Verfahren benutzerdefinierte Programme aufgespielt wurden.

Anfang Dezember waren 80 Prozent der Systeme ausgewechselt, was zehn Prozent über Plan bedeutete. "Uns kam es auf die Zeit an, denn damit erreicht man sehr schnell die notwendige kritische Menge eines Roll-outs", begründet Neff. Andernfalls arbeiten zu viele Anwender mit alten Rechnern oder stecken in zu langen Migrationsphasen.

Neben dem Roll-out-Prozess mit Staging-Center sehen Neff und Junghans einen entscheidenden Erfolgsfaktor in dem hoch motivierten Team, das den Roll-out gestemmt hat, und den Tools, mit denen sie die verteilten PC-Umgebungen weltweit überwachen. Dadurch weiß die IT, was auf den Rechnern läuft. Zudem aktualisiert sie täglich Virenprogramme, spielt Patches ein und lässt Analyse-Programme laufen. Ein weiterer Erfolgsfaktor bestand in der Roll-out-Datenbank. Damit verfolgte das Projekt-Team in Echtzeit, wo sich gerade welcher Rechner mit welcher Konfiguration und in welchem Status befindet. "Diese Qualität und Ordnung haben wir in den vergangenen vier Jahren global aufgebaut", erläutert Neff.

Erfolg durch eingeschliffene Prozesse

Der schnelle Roll-out setzte auch eingeschliffene Software-Management- und Logistik-Prozesse bei der Hardware-Auslieferung sowie eingespielte Serviceprozesse mit den Dienstleistern voraus. Hier zahlten sich für Heidelberger Druckmaschinen die Standardisierungen bei Hard- und Software sowie in den Prozessen der vergangenen Jahre aus. "Diese Praktiken sind eingefahren und werden immer leistungsstärker", urteilt Neff.

Zudem beschleunigte auch das neue Betriebssystem einige Prozesse. Die neue Image-Technologie und die Unicode-Plattform bieten klare Vorteile im Management in einer globalen Umgebung. Wo früher noch länderspezifische Patches eingespielt werden mussten, gibt es heute einen Patch.

In puncto Sicherheit spart der mitgelieferte Bitlocker für die Laufwerksverschlüsselung Geld, weil sonst Kosten für zusätzliche Tools angefallen wären. Außerdem lassen sich Phishing-Mails deutlich einfacher aussortieren. Eine häufige Kritik kann Neff nicht bestätigen: Bei Zuverlässigkeit und Performance des Systems gebe es keine Nachteile, weil Software-Umstieg und Hardware-Austausch kombiniert liefen.

Knackpunkt Leasing-Vertrag

Als ein besonders kritischer Punkt stellten sich die Suche und die Verhandlungen mit dem Leasing-Partner der PCs heraus. Zum einen waren dort Einkaufsprozesse zu fixieren, die auch eingehalten werden mussten. Und ständig spielte die Frage eine Rolle, ob man nicht einen besseren Partner findet. Deswegen dauerte es bis zur Unterschrift lange. "Die Administration im technischen und im kaufmännischen Bereich, im Asset-Management, darf man nicht unterschätzen", warnt Neff.

Letztlich versetzte das Zusammenspiel aller Beteiligten die IT in die Lage, jeden Rechner während des Roll-outs nur einmal anzufassen: wenn die Administratoren ihn an den Arbeitsplatz brachten. Diese Automatisierung schlug sich in den Prozesskosten nieder. Klassisch kauft ein Unternehmen die Rechner, lagert sie ein, holt sie wieder raus, spielt Software auf, lagert sie wieder ein, lagert sie wieder aus, richtet die Rechner für den individuellen Anwender ein und bringt ihn dann zu seinem Arbeitsplatz. Dieser Prozess kann sich schnell auf 500 bis 600 Euro summieren. Heidelberg kommt dafür dank Standardisierung und Automatisierung mit einem Bruchteil aus.

Deshalb warnt Neff auch davor, sich nur die Investitionskosten für das Gerät anzuschauen. Diese Preise sinken ständig. Die Einsparungen liegen dagegen in den Service- und Prozesskosten, weil die Verwaltung der Umgebungen immer aufwendiger wird. "Man muss alles integrativ sehen: Hardware, Software, Prozesse, Administration und Automatisierung. In der Gesamtheit steckt der Business Case", sagt Neff.

Betriebskosten gesenkt

Mehr als ein Drittel der gesamten IT-Betriebskosten ohne Projekte gibt Heidelberger Druckmaschinen für den globalen Client-Betrieb weltweit aus. "Deswegen spart man, wenn die Betriebsprozesse schnell laufen", sagt Junghans. "Wir konnten die Kosten mit Vista im Vergleich zu XP um zehn bis 14 Prozent senken, je nachdem, ob es sich um einen PC oder um einen Laptop handelte", resümiert er.

Im April will das Projekt-Team auch die letzten Rechner migriert haben. Aber schon jetzt kann Projektleiter Junghans viel ruhiger schlafen als zu Projektbeginn. Denn da hatte Neff ausgerechnet den Firmen-Chef zu einem der ersten Test-Anwender gemacht: Im Mai 2007 bekam der Vorstandsvorsitzende Bernhard Schreier einen neuen Rechner, den auch alle Mitarbeiter im September bekommen sollten. Er arbeitete ab dem ersten Tag produktiv mit dem Vista-System und konnte sich so von der Funktionsfähigkeit überzeugen. Aber nicht nur diese Maßnahme bereitete dem Projekt-Team "Heidelberg Client" schlaflose Nächte.

Dagegen könnte manch anderer CIO jetzt schlaflose Nächte bekommen, wenn er Neff und Junghans so zuhört. Denn längst nicht alle CIOs haben ihre Prozesse so weit standardisiert und derartige Organisations- und Management-Strukturen aufgebaut. Doch Neff wendet das positiv: IT-Manager hätten die Riesen-Möglichkeit, enorme Verbesserungs- und Sparpotenziale zu heben. Denn inzwischen gebe es leistungsfähige Partner und Tools für Vista sowie die Erfahrungen der ersten Anwender.