Chef der E-Post

Warum die Post die De-Mail auf Eis gelegt hat

08.05.2013 von Johannes Klostermeier
Ralph Wiegand verantwortet als CEO E-Post bei der Deutschen Post die Briefdigitalisierung. Im Interview erklärt er, was ihn an der De-Mail stört.

CIO.de: Herr Wiegand, was ist Ihre Funktion als „CEO E-Post“ genau?

Ralph Wiegand: Im Vorstandsbereich Brief und Paket Deutschland, dem ich angegliedert bin, gibt es zwei Logiken. Auf der einen Seite haben wir eher funktionale Rollen wie etwa den Produktionschef, auf der anderen Seite haben wir die Rolle des CEO, der mehr eine übergreifende Funktion hat und nicht nur die Umsätze, sondern auch die Kosten verantwortet.

Ralph Wiegand ist als CEO E-Post unternehmerisch tätig.
Foto: Deutsche Post

Als CEO bearbeiten Sie dynamische Märkte und treffen als Unternehmer strategische Entscheidungen. Ich bin für den Gesamtbereich E-Post verantwortlich und hier für alle Elemente von Produktentwicklung und -Management über Personal bis Betrieb zuständig. Ich berichte an den Konzernvorstand BRIEF.

CIO.de: Sie sind 41 Jahre alt. Inwieweit beschäftigen Sie sich selbst mit digitalen Themen?

Wiegand: Ich bin sozusagen ein „Grenzgänger“ zwischen der analogen und der digitalen Welt. Als ich jung war, gab es Atari und C64, damit fing die Digitalisierung an. Ich bin zwar kein ausgewiesener IT-Experte mit abgeschlossenem Informatik-Studium, habe aber früh übergreifend ein Verständnis dafür entwickelt, wie man sinnvoll technologische Neuerungen mit Mehrwert nutzen kann.

Mir geht es mehr um den Nutzen von IT und nicht so sehr darum, wie ich eine bestimmte Software noch besser hin bekomme. Seit fast 14 Jahren bin ich bei der Post und habe häufig in Projekten gearbeitet, wo es um die Frage ging: Was kann ich mit vorhandenen Technologien für Mehrwerte schaffen, die so attraktiv sind, dass die Kunden bereit sind, dafür Geld zu bezahlen?

CIO.de: Was ist der Unterschied zwischen E-Post und E-Postbrief?

Wiegand: Beim Start des E-Postbriefs im Juli 2010 haben wir gesagt: Wenn immer mehr Kommunikationsinhalte digital versendet werden, sollten wir auch in diesem Markt präsent sein. Wir haben dann damit begonnen, was wir besonders gut können, nämlich verschlossene Briefe an gesicherte Empfänger versenden.

Nachdem wir das erfolgreich bewältigt hatten, war uns klar, dass wir den „E-Postbrief“ zur „E-Post“ ausweiten müssen. Es gibt im Markt mehr Bedürfnisse als den sicheren Transport von Nachrichten, etwa vor- und nachgelagerte Dienste oder die Erledigung einzelner Aufgaben durch Dienstleister. Das ist das, was wir jetzt auch in der digitalen Welt anbieten.

"Unser De-Mail-Produkt ist komplett fertig, liegt aber auf Eis."

CIO.de: Sie wollen nach Medienberichten auf Ihre De-Mail-Akkreditierung verzichten. Ist das wahr?

Wiegand: Wir sind mit der Entwicklung eines De-Mail-Produkts komplett fertig, legen es aber auf Eis. Man kann es wieder hervorholen, wenn es sinnvolle Veränderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen gibt. Das Produkt, das wir entwickelt haben, entspricht exakt den technischen Richtlinien der De-Mail. Wir haben alle Zertifikate bis auf eines: die Freigabe des Gesamtverfahrens durch den Bundesdatenschutzbeauftragten.

Werbung für De-Mail von der Deutschen Telekom.
Foto: Telekom

Hintergrund ist, dass bei der Identitätsfeststellung der Nutzer in den Filialen per Postident die Deutsche Post auch die Ausweisnummer und die ausstellende Behörde erhebt. Der Datenschutzbeauftragte sagt jedoch: Das steht im De-Mail-Gesetz so nicht drin, daher kann ich das aus Gründen der Datensparsamkeit nicht genehmigen.

Wir brauchen aber diese Daten zur eindeutigen Identitätsfeststellung und weil sie von anderen Gesetzen wie dem Geldwäschegesetz gefordert werden. Daher werden wir unser Identifizierungsverfahren Postident auch nicht ändern. Solange die Rechtslage ist wie sie ist, bleibt unser De-Mail-Produkt auf Eis.

CIO.de: Sie müssten doch nur die Nutzer um Erlaubnis fragen, dann wäre das kein Problem.

Wiegand: Es wäre erst recht kein Problem, das Gesetz entsprechend zu ändern, dass auch Ausweisnummer und ausstellende Behörde erfasst werden dürfen. Das ist einfacher als erfolgreiche und seit Jahren bewährte Prozesse zu verändern. Es stellt sich doch auch die Frage: Was passiert, wenn man nicht Geldwäschegesetz konform Daten erhebt aber anschließend Produkte anbietet, die dem Geldwäschegesetz unterliegen?

"Wir können Anregungen geben, sind aber nicht Herren des Verfahrens."

CIO.de: Sie haben das Gesetzgebungsverfahren intensiv begleitet. Wieso haben Sie das denn nicht eingebracht?

Wiegand: Wir begleiten die Gesetzgebungsverfahren seit Jahren konstruktiv und haben unsere Kritik immer wieder vorgebracht. Wir können aber nur Anregungen geben, wir sind nicht die Herren des Verfahrens.

CIO.de: Es gibt ja aber eine Änderung im E-Government-Gesetz, die ihnen zupass kommt. Jetzt können auch „sonstige sichere Verfahren“ zugelassen werden. Ist das die Tür für den E-Postbrief?

Die Deutsche Post wirbt dafür, digitale Entwicklungen den Märkten zu überlassen.

Wiegand: Theoretisch ja, praktisch nein. Man könnte meinen, das ist jetzt genau das Schlupfloch für die E-Post und weitere Verfahren, um in der digitalen Verwaltungskommunikation zugelassen zu werden. In Wirklichkeit muss es dazu aber einen Beschluss von Bundestag und Bundesrat geben. Wie genau dieser Prozess vonstattengehen soll, ist allerdings unklar, und einen Rechtsanspruch können Sie daraus auch nicht ableiten.

CIO.de: Sind sie enttäuscht von der Politik?

Wiegand: Nein, und wir halten uns selbstverständlich an alle Vorgaben, die der politische Raum uns gibt. Wir sind aber davon überzeugt, dass die Aktivierung der deutschen Bevölkerung hin zu mehr digitalen Services besser gestaltet werden kann als durch Verordnungen und Gesetze. Wir werben dafür, solche Entwicklungen den Märkten zu überlassen, denn: Märkte werden nicht durch Gesetze gemacht.

CIO.de: De-Mail sollte ja auch kein Produkt sondern ein Standard sein, wo dann der Markt entsprechend agieren kann…

Wiegand: Wenn ich noch etwas ergänzen darf: Das De-Mail Gesetz wurde ab 2007 geschrieben, nach bestem Wissen und Gewissen der technischen Rahmenbedingungen, die damals zu Verfügung standen. Aber schauen Sie, was sich seitdem alles verändert hat: vom Smartphone über die Durchdringung mit Dienstleistungen, die vor sechs Jahren noch unvorstellbar waren.

Das Verfahren ist deswegen nicht geeignet, die Entwicklung in dynamischen Märkten zu befeuern. Das andere Thema ist: Über 30 Prozent der Bevölkerung sind nicht digital erreichbar. Auch hier ist das Gesetz zu kurz gesprungen, weil es die Medienbrüche nicht adressiert.

"Der De-Mail-Standard hat bis heute keine Wirkung entfaltet."

CIO.de: Wie soll das gehen, wenn Sie nicht De-Mail machen, das aber der Standard ist - zumindest für Verwaltungen und Behörden?

Wiegand: Unser Produkt ist am Markt etabliert, wir haben im letzten Jahr 20 Millionen Euro Umsatz gemacht und streben in diesem Jahr 100 Millionen Euro an. Die E-Post wird auf Geschäftskunden- wie auch auf Privatkundenseite sehr gut angenommen.

Der De-Mail-Standard hat bis heute keine Wirkung entfaltet, obwohl das Verfahren seit 2007 in der Entwicklung ist und das De-Mail-Gesetz 2011 verabschiedet wurde. Namhafte Unternehmen wollen dort Dienstleistungen anbieten, trotzdem hat sich dort noch kein Markt entwickelt.

CIO.de: Sie lassen den E-Postbrief ja von Hackern testen. Derzeit läuft der 2. Security Cup.

Um den E-Postbrief noch sicherer zu machen, dürfen ihn Hacker testen.
Foto: Alina Isakovich - Fotolia.com

Wiegand: Wir glauben an Transparenz und wollen das bestmögliche Sicherheitsniveau für unsere Kunden. Dabei hilft der Security-Cup. Sie müssen adäquate Sicherheitsmechanismen anbieten. So wäre es beispielsweise verfehlt, Bürger, die bedenkenlos ihre Daten in offenen Systemen preisgeben, dazu zu zwingen, eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung anzuwenden.

Wir müssen nur klar machen, was exakt mit den Daten passiert und müssen dann den Konsumenten entscheiden lassen, welche Lösungen er wählt. Der erste Security Cup fand schon im Herbst 2010 statt. Wir wollen die Kreativität in der Szene nutzen, um unsere gesamte Sicherheitsarchitektur zu verbessern. Für beide Seiten ist diese – wie wir finden – zeitgemäße Form der Kooperation sehr nützlich.

CIO.de: Sie haben ja in Berlin einen neuen Standort gegründet. Ist das abseits von Bonn etwas kreativer, ein Startup?

Wiegand: Man kann auch in Bonn kreativ sein. Es geht mehr darum: Wir haben im Post-Konzern große Systeme, beispielsweise unser Filialnetz, die sehr stark nach der sogenannten Wasserfallmethodik entwickelt wurden und wo Sie von fest definierten Phasen ausgehen. Für eine Online-Anwendung wie die E-Post ist das nur die zweitbeste Möglichkeit.

150 Mitarbeiter für die neue "E-Post Development GmbH" in Berlin

Wir müssen hier flexibler sein und brauchen dafür eine sehr agile Softwareentwicklungslogik. Berlin ist dafür der attraktivste Standort. Sie haben die deutsche Szene, starken Zulauf von osteuropäischen Eliteuniversitäten und viel internationales Entwicklungspublikum. Seit dem 1. Juli 2012 haben wir deshalb in Berlin eine spezielle Entwicklungsgesellschaft, die E-Post Development GmbH. Dort beschäftigen wir derzeit 80 Mitarbeiter, später sollen es 150 werden.

CIO.de: Woran arbeiten die Entwickler, was sind die nächsten Meilensteine?

Wiegand: Wir machen, was der Markt erfordert. Wir müssen mobil werden und Angebote für Smartphones haben. Das ist uns mit der App für iOS gelungen, Mitte Mai folgen Android und im Sommer Apps für weitere Systeme. Hier wollten wir zunächst das Grundbedürfnis befriedigen, nämlich das Lesen von E-Postbriefen, bald folgt die Schreibfunktion. Danach geht es um komplexere Prozesse wie eine Zahlung auslösen oder eine Rechnung archivieren. Wir bieten Privatpersonen außerdem an, ihre Eingangspost zu digitalisieren und auf dem Smartphone zur Verfügung stellen.

Das Produkt E-Postscan Travel ist enorm erfolgreich gestartet. Die Nachfrage ist sehr groß, obwohl wir es noch gar nicht bewerben. E-Post Safe ist eher eine Commodity, das Produkt ähnelt denen anderer Anbieter. Allerdings mit dem Wertversprechen der Deutschen Post und eindeutigen und transparenten Informationen über Serverstandorte, Datenschutz etc.

Die Bezahlung von Rechnungen per E-Postbrief wird auch sehr gut angenommen. Jetzt geht es darum, dass wir viele Rechnungen digitalisieren und per E-Post zahlbar machen. Das geht dann ganz einfach: Die Rechnung kommt rein, die Metadaten werden erkannt und durch zwei Klicks können Sie die Rechnung per Lastschrift begleichen. Alle Daten aus der Rechnung werden übernommen.

CIO.de: Wann geht es richtig los mit der E-Post?

Wiegand: Wir sind sehr gut gestartet. Wir haben einen komplett neuen Markt geschaffen. Drei Jahre mögen sich lang anhören, andere Online-Dienste haben deutlich länger gebraucht, um sich zu etablieren. Die Dynamik in den verschiedenen Zielgruppen ist ganz unterschiedlich. Natürlich werden wir nicht immer unsere Umsätze von Jahr zu Jahr verfünffachen. Der ganze Markt wächst vielmehr analog der Zielgruppen, die digitalisierungsfähig und -willig sind. Die Systeme müssen das Leben der Menschen erleichtern, indem sie lästige Arbeiten digitalisieren. Genau das machen wir mit der E-Post.