Hamburger IT-Strategietage 2010

Werden CIOs durch Cloud Computing überflüssig?

25.03.2010 von Riem Sarsam und Rolf Röwekamp
Beim Reality Check ist das Thema Cloud auf den diesjährigen Hamburger IT-Strategietagen durchgefallen. Die CIOs Philippe De Geyter von der Deutschen Leasing und Johann Kandelsdorfer von OMV gaben sich skeptisch.
Johann Kandelsdorfer, CIO der OMV AG: "Die großen IT-Konzerne sagen zwar, dass sie die Produkte auch anbieten, aber ich kann noch nicht erkennen, wie das funktionieren soll."

"Cloud Computing muss sich erst noch entwickeln", sagt Johann Kandelsdorfer, CIO des österreichischen Energiekonzerns OMV. Seit rund zwei Jahren verfolgt er die Diskussionen um das Thema. 2008 hat er das erste Mal einen Vortrag dazu gehört. Dass es sich erneut um einen Hype aus der IT-Industrie handelt, war klar. "Aber die Idee, nach Nutzung abzurechnen und sich aus dem Internet zu bedienen, hat mich bewogen, aufzuhorchen."

Diese zwei Merkmale sind es, die den Wirbel um Cloud Computing erklären. Von "pay-per-use" und "self-service" versprechen sich die Unternehmen erstens sinkende Kosten, da viele Investitionen wegfallen, und sie hoffen zweitens auf mehr Flexibilität, da Software nur bei tatsächlichem Bedarf genutzt wird.

Kandelsdorfer bleibt zunächst auf Distanz. Hört zu, sammelt Informationen, wartet ab. Erst langsam kristallisiert sich heraus, dass der Hype der Realität einer nutzbaren Technologie weicht. Nun beginnen die ersten Analysen. Praktische Erfahrungen mit Cloud Computing hat OMV allerdings noch keine, viele Fragen sind noch offen: Wie steht es um die Sicherheit, wo sind die Daten gespeichert, wie wird abgerechnet, welche Anwendungen kommen überhaupt infrage?

Und: "Wie verhält sich die Nutzung von Cloud Computing tatsächlich zum klassischen Betreiben von Software?", gibt der Österreicher zu bedenken. "Da habe ich noch keinen Vergleich gesehen, um das einschätzen zu können."

Sein Kollege Philippe De Geyter, CIO der Deutschen Leasing AG, prüft derzeit konkret, welche Anwendungen, sprich IT-Services, sein Unternehmen künftig aus dem Internet beziehen könnte. "Interessant sind vor allem standardiserte Anwendungen", sagt er. Wie Kommunikation, CRM oder HR. De Geyter tut sich leichter als manch anderer CIO - sein Unternehmen hat alle Anwendungen ausgelagert und sein Dienstleister CSC hat in den USA bereits stark in Cloud Computing investiert. Dennoch: "Was ich im Moment sehe, ist enttäuschend", sagt De Geyter.

Die Wolke wird zum Nebel

Philippe De Geyter, CIO Deutsche Leasing AG: "Ich habe noch keinen Katalog gesehen, in dem ich nachlesen kann: Modul X kostet eine Summe Y pro Person und pro Zeiteinheit."

Völlig ungeklärt ist etwa die Frage nach der Integration von Cloud-Anwendungen in die interne IT, offen ist auch die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Anbietern, und nicht zuletzt fehlt es nach wie vor an klaren Konzepten. "Wie funktioniert das denn beispielsweise bei Microsoft?", fragt De Geyter. Welche Funktionen kann sich ein Unternehmen aussuchen? Sei es Dokumenten-Management oder Messaging Services. Und wie steht es um die Verfügbarkeit? "Ich habe noch keinen Katalog gesehen, in dem ich nachlesen kann: Modul X kostet eine Summe Y pro Person und pro Zeiteinheit", moniert der CIO. "Das existiert zurzeit nicht oder ist allgemein nicht bekannt."

Die Wolke ist in der Wirklichkeit angekommen und: sie verwandelt sich in Nebel. Auch wenn sie noch darin herumstochern müssen, prinzipiell sind beide IT-Manager vom Cloud Computing überzeugt. Doch Cloud ist nicht gleich Cloud: Die IT-Services aus der Wolke (= Internet) lassen sich in drei Ebenen unterteilen.

Diskussionsrunde auf den Hamburger IT-Strategietagen 2010. Von links nach rechts: CIO Chefredakteur Horst Ellermann, Johann Kandelsdorfer, CIO der OMV, Philippe De Geyter, CIO der Deutschen Leasing AG, Helmut Krcmar, TU München.

So weit die Sicht der Unternehmens-IT. Sie kann abwarten. Für die Anbieter hingegen läuft die Zeit. Immer mehr Softwarehersteller geraten in den Sog von Cloud Computing, sie müssen auf den Zug aufzuspringen. Doch was bedeutet es eigentlich für ihr eigenes Geschäftsmodell? Ganz schlicht: Man weiß es nicht.

Noch viel Spekulation

Beispiel SAP: Die Mietlösung Business by Design bekommt ihren Auftritt nun endlich Mitte des Jahres. Doch sie stellt die Walldorfer und ihre Vertriebspartner vor offene Fragen. "Der Konzern lebt davon, Softwarelizenzen zu verkaufen", urteilt De Geyter. "Was passiert, wenn er dem Kapitalmarkt erklären muss, dass dieses Volumen in Zukunft schrumpft, statt wie erwartet jährlich zu wachsen?" Cloud Computing setzt voraus, dass nach Bedarf abgerechnet wird. Ein gewisser Anteil lässt sich sicher kalkulieren, der Rest ist Spekulation.

Vielleicht ist es die drohende Kannibalisierung des klassischen Geschäfts, die die Global Player noch zögern lässt. Kandelsdorfer jedenfalls sieht das wesentliche Potenzial für Cloud Computing derzeit vor allem bei kleinen bis mittelgroßen Unternehmen. Und hier drängen neben Salesforce.com auch neue Player wie Amazon und Google auf den Markt. "Diese aus dem Consumer-Bereich stammenden Unternehmen haben sicherlich neue Dimensionen eröffnet", sagt er. "Aber im Großkundengeschäft sehe ich die beiden noch längst nicht verankert."

Der CIO des gut 42 000 Mann starken Konzerns erwartet noch mehr Engagement von seinen klassischen IT-Partnern, also den HPs, IBMs oder Oracles dieser Welt. Diese hätten die Größe und das Portfolio, um das Cloud-Modell in den Großkundenbereich zu bringen. "Sie sagen zwar, dass sie die Produkte auch anbieten, aber ich kann noch nicht erkennen, wie das funktionieren soll", sagt Kandelsdorfer.

CIO-Position wird strategischer

Im Konzernumfeld zeichnet sich ohnehin eher das Konzept der sogenannten Virtual Private Cloud ab. Dabei verzichten die Großunternehmen auf den völlig freien Zugriff auf die Services. Stattdessen stellt ein dedizierter Anbieter sein Rechenzentrum mit allen Kapazitäten zur Verfügung und bietet nicht nur variabel verfügbare Server- oder Storage-Leistung, sondern Integrations-Services und eine flexible Softwarenutzung.

Rolle des CIO

Was jedoch bedeutet das für die Rolle des CIOs? Wird er überflüssig, wenn Unternehmen IT-Services aus der Cloud beziehen? Könnte in Zukunft ein Blick in den Servicekatalog ausreichen, damit sich der Fachbereich den passenden Dienst bestellt? Dann brauchen Unternehmen keine IT-Chefs mehr.

Dieser Vision widerspricht Kandelsdorfer entschieden. "Der CIO wird eine wichtige strategische Position im Konzern haben", sagt er. Er muss die Weitsicht besitzen, um zu beurteilen und zu entscheiden, welche Services das Unternehmen braucht. Bei aller Technologie darf man auch die Organisation nicht vergessen: Sollte sich Cloud Computing durchsetzen, wird sie sich verändern. "Die Aufgabe des CIOs wird es sein, die Weichen für die Zukunft zu stellen", so Kandelsdorfer.

Auch Philippe De Geyter befürchtet keinen Bedeutungsverlust für den CIO. Im Gegenteil: Cloud Computing führt zu einer Aufwertung des CIOs, denn dieser müsse sich stärker auf Prozesse und weniger auf einzelne IT-Services konzentrieren. "Ich lese schon seit 15 Jahren, dass sich der CIO mehr am Geschäft orientieren soll", sagt er. "Aber das haben wir doch bis jetzt nicht geschafft." Sollte man IT tatsächlich irgendwann "aus der Steckdose" beziehen, muss der CIO begreifen, was das Unternehmen braucht. An ihm wäre es, die Entwicklung neuer Produkte oder den Aufbau neuer Geschäfte voranzutreiben. "Wir wissen schließlich, welche Technologien da sind, um Ideen umsetzen zu können."