Kontroverse um Green IT

"Wir Kunden müssen mehr Druck machen"

28.07.2009 von Christiane Pütter
Über den Sinn von Green IT ist eine Diskussion entbrannt. DLR-CIO Hans-Joachim Popp ärgert es, wie die Medien das Thema verheizen. Seine These: Wir haben mit Green IT doch gerade erst begonnen. Und ein guter Anfang wäre doch, endlich auf das Kühlen von Rechenzentren zu verzichten.
Hans-Joachim Popp, DLR-CIO: "Ein Green-IT-Siegel? Ich bin immer vorsichtig mit solchen Zertifikaten. Häufig werden einzelne Komponenten isoliert betrachtet."

Herr Popp, wie grün kann IT sein?

Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Einerseits geht es darum, wie viel Energie wir für den Rechenvorgang - sozusagen für die Herstellung eines CPU-Cycles - benötigen. Andererseits müssen wir auch versuchen, von diesen Cycles dann so viele wie möglich zu nutzen, anstatt sie leerlaufen zu lassen. Klar ist, dass der Bedarf an Rechenleistung weiter ansteigen wird.

… und das trotz Virtualisierung und Konsolidierung?

Ja, ich denke schon. Ganz offensichtlich durchdringt die IT immer mehr Prozesse immer intensiver. Und das wird auch so weitergehen. Die Anforderungen an die Verfügbarkeit der IT-Werkzeuge steigen ständig.

Wo zum Beispiel?

Nehmen Sie Voice over IP (VoIP). Noch vor wenigen Jahren war es selbstverständlich, dass die Telefonanlage die höchste Verfügbarkeit haben musste. Wollte man über das Netzwerk telefonieren, dann musste es dringend aufgerüstet werden. Inzwischen ist aber klar, dass niemand mehr ohne einen funktionierenden Arbeitsplatzrechner telefonieren kann. Woher sollte er oder sie die Telefonnummer wissen, woher die benötigten Informationen bekommen? Und schon ist die Verfügbarkeit der Telefonanlage in den Hintergrund getreten und das Rechnernetz entscheidend für die Produktivität der ganzen Abteilung. Da wir kaum noch Dinge ohne Rechner tun, sind wir vollkommen handlungsunfähig, wenn die Infrastruktur ausfällt.

Bedeutet Verfügbarkeit automatisch mehr Kapazität?

Ja, höhere Verfügbarkeiten führen quasi zwangsläufig zu mehr Bedarf, denn echte Redundanz lässt sich kaum anders herstellen. Hinzu kommen die ständig steigenden Datenvolumina und die Forderung nach kürzeren Antwortzeiten. Virtualisierung ist da ein wichtiger Ansatz, um die heute leerlaufenden Prozessoren mit einsetzen zu können. Aber das ganze Thema Energieeffizienz beim Betrieb von Komponenten ist noch völlig in den Kinderschuhen. Die Art, wie wir heute Rechenzentren betreiben, hinkt - was die Energienutzung angeht - vielerorts weit hinter dem her, was technologisch eigentlich möglich wäre. Wir müssen dringend mehr Rechenleistung aus der Energie herausholen. Wir als Anwenderunternehmen müssen da von den Herstellern viel mehr verlangen.

Wo können Hersteller besser werden?

(lacht) Fragen Sie lieber, was man nicht besser machen müsste - da wäre die Liste nämlich kürzer ... Zum Beispiel bei den Kühltechniken: Alle reden von neuen Kühltechniken, denn fast alle Klimaanlagen laufen
mit Strom, und der ist nun mal dreimal so teuer wie Gas. Ein Physiker, der die Historie der Rechnersysteme nicht kennt, kratzt sich am Kopf, wenn er die heutigen Lösungen sieht.

Wie kam es dazu?

Nun, in den letzten Jahren haben sich die PCs zu Servern entwickelt und diese Server hat man schließlich in Rechenzentren gestellt. Am Anfang saßen die Administratoren direkt vor den Konsolen. Inzwischen sind sie längst in Büros gezogen - zum Teil Tausende Kilometer entfernt - und die Rechenzentren menschenleer. Die Temperaturen sind aber nach wie vor auf Zimmerniveau. Dabei halten die Komponenten ganz andere Werte aus! Aus der gleichen Historie stammt die heute noch übliche Kühltechnik auf Luftbasis - ein denkbar ungeeignetes Medium für diesen Zweck.

Werden wir künftig also auf das Kühlen der Rechenzentren verzichten?

Ja, ich denke, das wird kommen. Zumindest wird die Abwärme viel gezielter transportiert werden. In jedem Fall werden wir andere Kühlmedien nutzen. Schon heute erfährt das sogenannte "Free Cooling" einen
Riesen-Boom. Wir müssen als Kunden mehr Druck machen, damit diese Technologien schneller weiterentwickelt werden.

Was halten Sie von einem Green-IT-Siegel?

(lacht) Da springen die Zertifizierer natürlich drauf an! Ich bin immer vorsichtig mit solchen Zertifikaten. Häufig werden einzelne Komponenten isoliert betrachtet, und die sehen dann ganz hervorragend aus, da muss man aufpassen. Es ist aber grundsätzlich ein guter Weg, um konkreten Druck auf die Hersteller zu erzeugen. Wir werden parallel noch einen anderen Weg gehen: In den Ausschreibungen bringen wir zunehmend die Energieeffizienz als Bewertungskriterium für die Auswahl ein. Auch das zwingt zu neuen, innovativen Lösungen.

Letzten Endes hängen aber alle Bemühungen vom Nutzerverhalten ab. Nach wie vor schalten zu viele User ihren Arbeitsplatzrechner abends nicht aus.

Das stimmt leider. Genau da können die Hersteller doch jetzt punkten! Wir brauchen mehr Geräte, die automatisch in einen Schlaf-Modus umschalten. Generell gilt für Hardware wie Software: Nutzungsintensität und Nutzungsarten müssen genau beobachtet werden, damit wenig überflüssige Kapazität aufgebaut wird. IT-Entscheider müssen die Arbeitspraxis der Anwender gut kennen, um rechtzeitig reagieren zu können.

Ganz allgemein: Wie beurteilen Sie die intensive Diskussion um Green IT in den Medien?

Das ärgert mich natürlich! Wenn ein Thema so stark in den Medien diskutiert wird, dann ist es kein Wunder, wenn es schnell verbrannt ist. Aber das heißt nicht, dass es keinen Sinn macht. Im Gegenteil: Wir haben mit Green IT ja noch gar nicht angefangen! Vergleichen Sie es mit SOA: Das Thema ist extrem abgespielt. Aber wenn Sie sich mal in den Unternehmen umsehen, stellen Sie fest, dass die meisten dabei sind, diesen guten Ansatz Schritt für Schritt in ihre Entwicklungsprozesse zu integrieren. In ein paar Jahren werden wir dies ganz selbstverständlich finden, so wie heute zum Beispiel die objektorientierte Programmierung, die seinerzeit genauso diskutiert worden ist.